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EU visiert Süden an

Im Mai wird Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika unterzeichnet. Kritiker warnen vor Stärkung oligarchischer Strukturen und Vertiefung sozialer Spaltung

Von Torge Löding, San José *

Wenn die Regierenden Zentralamerikas und der Europäischen Union am 10. Mai wie geplant das Assoziierungsabkommen zwischen den beiden Regionen unterschreiben und die Champagnerkorken knallen lassen, dann gibt es für die große Mehrheit der Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks wenig zu feiern. Ganz im Gegenteil: Insbesondere für die Kleinbauern und Indigenen Mittelamerikas könnte das Vertragswerk Folgen haben, die einem wirtschaftlichen Tsunami gleichkommen.

Der Vertrag habe drei Schwerpunkte: Politischer Dialog, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handel, erklären Vertreter der EU. Da scheint es demokratischer und sozial gerechter zuzugehen als beim Freihandelsabkommen zwischen den USA und Zentralamerika (CAFTA) mit der Dominikanischen Republik. Für die Kritiker der Assoziierung aber ist das nichts als Augenwischerei, denn in Wahrheit gehe dies sogar weiter als zwischen der CAFTA und Santo Domingo. Zum Beispiel bei Patenten: Der Vertrag etabliert die neoliberalen UPOV-Regeln (Anbau von gentechnischen Produkten) und das sogenannte Budapest-Abkommen, das die Patentierbarkeit von Samen vorsieht. Diese könnten die Kleinbauern dann nicht mehr wie seit Jahrhunderten mit den Nachbarn tauschen und weiterentwickeln. Sie müßten das Saatgut bei den Agrarkonzernen kaufen.

All das, was die EU seit Oktober 2007 mit Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua und Costa Rica verhandelt (Panama hat dabei Beobachterstatus), entspricht der »Lissabon-Strategie«, auf die sich Europas neoliberale Regierende im März 2000 verständigt hatten. Deren Eckpunkte sind zusammengefaßt im Strategiepapier »Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt« (Europa Global, März 2006) eine aggressive Freihandelsagenda zugunsten europäischer Konzerne. Schwerpunkte sind dabei die Öffnung der Dienstleistungssektoren des Südens für europäi­sche Unternehmen, die Schaffung eines sicheren Zugangs zu und Kontrolle der strategischen Bodenschätze wie Mineralien, Erdöl, Energie, Land, Artenvielfalt und Wasser, eine Öffnung für Beschaffungskäufe zentralamerikanischer Regierungen bei europäischen Lieferanten und ein »Urheberrechtsschutz« zugunsten der Konzerne sowie eine Verbesserung des Schutzes von Investitionen aus Europa. Geplant sind zudem die Abschaffung staatlicher Hilfen für lokale Firmen in Zentralamerika und der Wegfall der Zollschranken.

Zu den schärfsten Kritikern des Assoziierungsabkommens mit Europa gehören in Zentralamerika die Umweltschützer, die bei »Friends of the earth« (in der BRD vertreten durch den konservativeren BUND) organisiert sind. Grace Garcia von COECOCEIBA, einer radikalen ökologischen Gruppe in Costa Rica, koordiniert den Kontakt zwischen den Widerstandsgruppen auf beiden Seiten des Ozeans. »Umgesetzt werden soll 'Europa global' durch das Aushandeln von Assoziierungsabkommen mit Regionen in Lateinamerika, Afrika und Asien. In den vergangenen Jahren lief das nicht gut für die Europäer, nur in Zentral­amerika kommen sie voran. Deshalb ist gerade dieses Abkommen so wichtig für sie«, erklärte Garcia. Und weil es sich um ein Pilotprojekt handelt, haben die Kritiker beschlossen das Abkommen zu ihrem Schwerpunkt zu machen.

Von der Freihandelszone mit Europa profitieren freilich auch die zentralamerikanischen Ausfuhren. Ganz besonders die Costa Ricas, des zentralamerikanischen Hauptexporteurs nach Europa. Im Jahr 2007 summierten sich die Warenlieferungen aus Costa Rica auf umgerechnet 8,2 Milliarden US-Dollar (6,1 Milliarden Euro), 50 Prozent davon generierte die Warenausfuhr nach Europa, 49 Prozent die in die USA und nur ein Prozent die in andere Märkte. Die wichtigsten Exportprodukte sind Ananas, Bananen, Kaffee, Honigmelone und Mango. Mehr als die Hälfte der Ananas- und etwa ein Drittel der Kaffeeproduktion werden in die EU verkauft. Aufgrund der relativen Schwäche der Binnenmärkte in Zentralamerika bildeten sich in allen Ländern agroindustrielle Konglomerate, die gigantische Monokulturen unterhalten. Regenwälder werden abgeholzt, das Grundwasser mit Pestiziden vergiftet und Viehbauern vertrieben. Während viele Zentralamerikaner von Hunger bedroht sind, wachsen auf diesen Feldern dann nur Exportprodukte für den Nachtisch in den Industrienationen. Die Ausfuhrwirtschaft wird potentiell vom Wegfallen der Zollschranken profitieren. Sie repräsentiert einen Sektor, in dem die Konzentration von viel Boden in Händen einer kleinen Elite besonders ausgeprägt ist, der die meisten staatlichen Subventionen erhält, und der beherrscht wird von der traditionell ultrakonservativen Land­oligarchie Zentralamerikas.

In der Konsequenz wird deren Produktionsmodell gestärkt, während die ohnehin benachteiligten Kleinbauern, die Nahrungsmittel für den lokalen Markt anbauen, noch weiter ins Abseits gedrängt werden. Deren Organisationen läuten deshalb die Alarmglocken. »Angeblich soll das Assoziierungsabkommen den freien Wettbewerb fördern. Aber die Vorraussetzungen sind nicht fair, denn während Landwirtschaft in Europa hoch technisiert ist, arbeiten unsere Campesinos mit Pflug und Spaten«, kritisierte Amir Acosta von der Campesino-Organisation UNAG in Costa Rica.

Strategisch wichtig sind für Europa auch die Rohstoffe. In Mittel­amerika finden sich viele Bodenschätze, die die alte Welt importieren muß, um ihre Industrie am Laufen zu halten. Nicht zuletzt ist die Region besonders wasserreich - Konzerne aus Frankreich und Spanien haben es besonders auf das kühle Naß abgesehen. Die politischen Eliten in Zentralamerika sind bereit, all dies den ausländischen Investoren zu überlassen und tun wenig bis gar nichts für den Schutz der eigenen Bevölkerung.

Negative Auswirkungen hat die Europe-global-Strategie aber auch in der EU: Sie sieht Strukturänderungen in der eigenen Region vor, von denen die Konzerne profitieren - zu Lasten der großen Mehrheit der Bevölkerung.

* Unser Autor arbeitet für das unabhängige Kommunikationszentrum Voces Nuestras in San José, Costa Rica.

Aus: Junge Welt, 30. März 2010



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