Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Quelle der Instabilität

Ökonomie. Vor zehn Jahren wurde der Euro als Bargeld eingeführt

Von Andreas Wehr *

Manchmal ist ein Gedenktag gar nicht willkommen. So wie der aus Anlaß des zehnten Jahrestags der Einführung des Euro als Bargeld: »Brüssel verzichtet auf Euro-Jubiläum«, hieß es in einer Meldung Ende Dezember 2011. Angesichts der nicht enden wollenden Euro-Krise hat man offensichtlich die Lust zum Feiern verloren.

Das war vor drei Jahren noch anders. Mit feierlichen Erklärungen und Veranstaltungen erinnerte man 2009 an den Beginn der dritten und letzten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Am 1. Januar 1999 war der Euro offiziell als Rechnungseinheit eingeführt worden, und die Europäische Zentralbank (EZB) sowie das Europäische System der Zentralbanken nahmen ihre Arbeit auf. Die Umrechnungskurse der bis dahin geltenden nationalen Währungen zum Euro waren einen Tag zuvor auf Dauer festgelegt worden. Das zehnjährige Jubiläum war Anlaß, eine europäische Zwei-Euro-Gedenkmünze herauszugeben. Der Entwurf stammte von dem griechischen Bildhauer George Stamatopoulos und zeigte ein Strichmännchen neben einem Euro-Zeichen. Diese sehr einfache Skizze kann durchaus als ein vor dem Euro weglaufender Mensch gedeutet werden. War es das, was uns der Künstler in hellseherischer Voraussicht damals sagen wollte?

Doch vor drei Jahren war die Welt des Euro noch in Ordnung. Zwar befand sich die Weltwirtschaft bereits im tiefen Tal der Finanzmarktkrise und waren die Märkte vom Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers im September 2008 schwer getroffen worden, doch noch war man davon überzeugt, daß die gemeinsame europäische Währung davon unberührt bleiben könne. Im November 2008 nahm das Europäische Parlament aus Anlaß des bevorstehenden Jubiläums eine Entschließung an, in der es optimistisch hieß: »Das Europäische Parlament begrüßt den Umstand, daß der Euro Stabilität herbeigeführt und die wirtschaftliche Integration im Euro-Raum gefördert hat; begrüßt die stabilisierende Wirkung des Euro auf die Weltdevisenmärkte insbesondere in Krisenzeiten.«[1] Ganz ähnlich hatte sich zuvor Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt der EZB, geäußert: »Die anhaltende Finanzmarktkrise macht die Vorteile der gemeinsamen Währung in ganz besonderer Weise offenkundig. Ohne Euro hätten sich die Turbulenzen von den Finanzmärkten auf die Devisenmärkte übertragen. Ob D-Mark, französischer Franc oder italienische Lira, so gut wie alle nationalen Währungen wären zum Spielball von Spekulationen geworden.« (FAZ vom 6.1.2008) Turbulenzen auf den Devisenmärkten blieben in der Krise tatsächlich aus. Doch es kam viel schlimmer: Ganze Staaten der Euro-Zone sind inzwischen Opfer der Spekulationen der Finanzmärkte geworden. Anders als vermutet zeigt sich das Euro-System in der Krise äußerst verwundbar, so daß sogar sein baldiges Ende bzw. ein Auseinanderbrechen der Währungsunion prophezeit wird.

Erweiterung läuft schleppend

Wie steht es also um die Überlebenschancen des Euro? Was seine Bedeutung als weltweite Reservewährung angeht, so ist die Bilanz positiv. Seit 2001 ist der Anteil des Euros an den Fremdwährungsreserven auf 30 Prozent gestiegen. Damit liegt die Gemeinschaftswährung weit vor dem britischen Pfund mit sechs Prozent und dem japanischen Yen mit drei Prozent. Der Anteil des US-Dollars sank hingegen und beträgt gegenwärtig nur noch 61 Prozent. Auch über die Entwicklung des Wechselkurses zwischen Euro und Dollar kann die EZB zufrieden sein. Der Kurs des US-Dollars gegenüber dem Euro bewegt sich seit Jahren in einer Spanne zwischen 1,20 bis 1,40 Dollar pro Euro. Vergessen sind die ersten Jahre als man weniger als einen Dollar pro Euro bekam. Angesichts solcher Daten kann kaum von einer Krise der gemeinsamen europäischen Währung gesprochen werden.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber, blickt man auf die Erweiterung der Euro-Zone. Sie ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte. 1999 waren elf Länder am Start dabei: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Großbritannien hatte von Beginn an klargestellt, daß es am Pfund festhalten werde. Die dänische Bevölkerung hatte bereits 1992 in einem Referendum die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion abgelehnt. Im September 2000 scheiterte der Beitritt des Landes abermals in einem Referendum. Per Volksentscheid abgelehnt wurde die Einführung des Euro 2003 auch in Schweden. Großbritannien und Dänemark haben ein vertraglich vereinbartes Recht zum »opt-out«, d.h. sie müssen den Euro nicht einführen. Alle anderen EU-Mitgliedstaaten sind hingegen dazu verpflichtet.

Anfang 2001 kam Griechenland hinzu. Ein Beitritt, den man heute aber nur allzu gern wieder rückgängig machen würde. Es dauerte anschließend Jahre bis 2007 mit Slowenien ein weiteres Land die gemeinsame Währung einführte, 2008 folgten Malta und Zypern, 2009 die Slowakei und schließlich 2011 Estland. Litauen verpaßte 2007 denkbar knapp den Beitritt, da es die Neuverschuldungsgrenze nicht einhielt. Sieht man einmal von Griechenland ab, so sind demnach in den zwölf Jahren des Bestehens der Euro-Zone nur kleine bzw. Kleinststaaten hinzugekommen, deren Volkswirtschaften kaum Gewicht haben.

Wenig funktional

An dieser Situation wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Für Großbritannien ist ein Beitritt zur WWU weiterhin undenkbar. In Dänemark und Schweden fordert angesichts der Euro-Krise niemand neue Volksabstimmungen. Und in Osteuropa ist die Begeisterung für den Euro deutlich abgekühlt. So hat Bulgarien seinen Beitritt offiziell vertagt. Finanzminister Simeon Djankow erklärte, daß die Gespräche aufgeschoben seien »bis das Gesamtbild in der Euro-Zone klarer wird«.[2] Polen, Ungarn und die Tschechische Republik halten sich bedeckt. Man hat es nicht mehr eilig mit einem Beitritt. Allein die rumänische Regierung hält unverdrossen daran fest. Die große Zurückhaltung der osteuropäischen Länder ist das Ergebnis ihres Vorgehens in der gegenwärtigen Krise. In den vergangenen Jahren haben sie alle ihre nationalen Währungen erheblich abgewertet und auf diese Weise die heimische Produktion geschützt. Außerhalb der Euro-Zone stehend, müssen sie sich auch nicht an teuren Rettungspaketen bzw. Rettungsschirmen für die Defizitländer beteiligen. Abschreckend wirken hier die hohen Belastungen, die die Slowakei und Slowenien übernehmen mußten. Milliarden Euro an Krediten und Bürgschaften müssen sie für Griechenland, Irland und Portugal bereitstellen, obwohl diese Länder viel reicher sind als sie.

Die schleppende und dabei große EU-Volkswirtschaften aussparende Erweiterung der Euro-Zone hat ein Währungsgebiet entstehen lassen, daß unvollkommen und wenig funktional ist. Wichtige Ökonomien, die mit dem kern­europäischen Raum – und hier vor allem mit Deutschland – eng verflochten sind wie Dänemark, Schweden, Tschechien, Polen und Ungarn, gehören der Euro-Zone nicht an. Mit London bleibt auch das Zentrum des europäischen Finanzdienstleistungsmarktes außerhalb. Der Euro ist hingegen die Währung für europäische Peripherieländer wie Estland, Zypern oder Malta geworden. Mit der Euro-Zone ist daher nicht jenes Kerneuropa entstanden, das Anfang der neunziger Jahre konzipiert wurde, um als Motor einer schnelleren gesamteuropäischen Integration zu dienen. Zwölf Jahre nach Beginn der dritten und letzten Stufe der WWU ist der Euro-Raum weiterhin unvollendet. Es fehlen vor allem die in den EU-Erweiterungsrunden von 2004 und 2007 beigetretenen großen mittelost- und osteuropäischen Länder. So zeigt sich, daß die doppelte Zielstellung der EU von Erweiterung und Vertiefung nicht realisierbar ist. Bedauernd wird von den Herrschenden konzediert: »Aus wirtschaftlichen wie politischen Gründen passen Vertiefung und Erweiterung, so notwendig beide weiterhin sein mögen, seit längerem nicht mehr zusammen.«[3]

Gespaltene Union

Der Euro ist heute die Währung von lediglich 17 der 27 Mitgliedstaaten. Damit ist die EU weiterhin eine institutionell gespaltene Union. Die jetzt in der Krise ergriffenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Defizitländer vertiefen diese Spaltung, indem eigene Strukturen geschaffen werden, die nicht in den europäischen Verträgen verankert sind. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) sowie der Euro-Plus-Pakt sind sämtlich außerhalb des europäischen Vertragswerks angesiedelt. Der Euro-Plus-Pakt ist – wie bereits seine Bezeichnung deutlich macht – zwar auch offen für Länder außerhalb der Euro-Zone, dies ist aber nur eine unverbindliche Geste.

Es wird damit eine zweite EU innerhalb und zugleich außerhalb der alten Union gegründet. Außerhalb der EU verständigten sich die 17 Euro-Länder mit den zwischen ihnen geschlossenen Ab­kommen, die EFSF bzw. den ESM zu gründen. Die Rechtsform der EFSF ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz ist Luxemburg, der ESM soll den Charakter einer internationalen Organisation erhalten. Die nach EU-Recht vorgesehenen ­Mitent­scheidungsrechte des Europäischen Parlaments gibt es ebenso wenig wie eine Kontrolle durch den Europäischen Rechnungshof. Auch die nationalen Parlamente werden umgangen. Die vom deutschen Bundestag und Bundesrat mühsam errungenen Beteiligungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union gelten hier nicht: »Wenn nunmehr entscheidende Fragen zwischen den EU-Staaten durch völkerrechtliche Verträge geregelt werden, sind Bundestag und Bundesrat kaltgestellt.«[4]

Zugleich findet diese Gründung einer zweiten Union innerhalb der EU statt, indem EFSF und ESM bei ihrer Arbeit auf bestehende europäische Institutionen zurückgreifen können. So wird etwa die Kommission als Behörde genutzt, um – zusammen mit der EZB und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) – die Einhaltung der mit der Kreditvergabe verbundenen Auflagen für die Defizitländer zu überwachen. Aus dieser Inanspruchnahme von Einrichtungen der Union auf Grundlage von außerhalb der EU geschlossenen Verträgen ergeben sich erhebliche institutionelle und juristische Probleme. Die Mitgliedsländer außerhalb der Euro-Zone sehen hierin zu Recht eine Zweckentfremdung von Einrichtungen der Union. In der englischen Presse wird bereits darüber spekuliert, daß Großbritannien die Möglichkeit habe, den Euro-Staaten die Nutzung von Gebäuden des Europäischen Rats zu untersagen, werden sie zur Regelung von Angelegenheiten der Euro-Zone genutzt.

Für den britischen Economist steht fest, daß bereits am 11. März 2011 aus Anlaß der Entscheidung der Euro-Staaten über den ESM die grundlegende Entscheidung über eine Spaltung der Union zwischen Euro- und Nicht-Euro-Staaten gefallen ist: »Historiker können sich eines Tages an diese Woche als an jene erinnern, in der die Aufspaltung Europas begann.« Keinen Zweifel läßt das Blatt daran, wem es dafür die Schuld gibt. Zugelassen habe dies die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: »In der Vergangenheit hatte sie den Ideen von regelmäßigen Euro-Gipfeln genauso widerstanden, wie sie den Briten, Polen und Schweden zugesichert hatte, ihren Platz an diesem Tisch zu haben.«[5] Regelmäßige Euro-Gipfel ohne Beteiligung der Nicht-Euro-Länder gehören aber mittlerweile zur alltäglichen europäischen Praxis. Auf dem Ratsgipfel der EU-Staaten am 9. Dezember 2011 ist nun diese Spaltung auch nach außen deutlich geworden. Dort verweigerte der britische Premierminister David Cameron seine Zustimmung zu weitreichenden Veränderungen der europäischen Verträge, durch die eine »echte fiskalpolitische Stabilitätsunion im Euro-Währungsgebiet«[6] geschaffen werden soll. Die Fiskalunion wollen die Euro-Staaten nun außerhalb des EU-Vertragswerks verwirklichen. Dieses Vorgehen wird von den herrschenden Kreisen Deutschlands als alternativlos angesehen: »Es entsteht die paradoxe Situation, daß, um der Einheit Europas willen, seine neue Aufteilung in Kauf genommen werden muß.«[7]

Konstruktionsfehler?

Mit der Fiskalunion soll jetzt das verwirklicht werden, was man bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion in den 90er Jahren angeblich fahrlässig unterlassen hatte. Nach Helmut Schmidt »versäumte man« damals, »der erst noch zu schaffenden Zentralbank eine finanz- und wirtschaftspolitische Instanz gegenüberzustellen«.[8] Und für Angela Merkel ist die Währungsunion mit »Konstruktionsfehlern« behaftet, die Krise habe »uns schonungslos die Rechnung für die Versäumnisse und Fehler der Vergangenheit präsentiert«.[9] Doch in Wahrheit versäumte oder übersah man gar nichts, und den damals Handelnden unterliefen auch keine »Konstruktionsfehler«. Man entschied sich vielmehr ganz bewußt dafür, den Euro auch ohne eine politische Union einzuführen. Man vertraute schlicht darauf, daß die gemeinsame Währung schon als Integrationsmotor ausreichen werde, um innerhalb kürzester Zeit die noch fehlenden Schritte machen zu können. Kritik sowohl von rechts als auch von links, die dieses Vorgehen als gefährliches Vabanquespiel bezeichnete, und die die Schaffung einer gemeinsamen Währung im Sinne der »Krönungstheorie« erst als Ergebnis eines lang andauernden Annäherungsprozesses der Mitgliedsländer erwartete, wurde als kleinmütig in den Wind geschlagen.

Tatsächlich wurde nach dem Start des Euros der Versuch unternommen, die Grundlagen für eine politische Union zu legen. Mitte Dezember 2001 beschloß der Europäische Rat die Bildung eines »Konvents zur Zukunft der Europäischen Union«, der Vorschläge zur künftigen Gestaltung der EU ausarbeiten sollte. Wenige Wochen später, am 28. Februar 2002, nahm der Konvent seine Arbeit auf. Es war genau der Tag, an dem die meisten nationalen Währungen der Euro-Länder ihre Gültigkeit verloren. Hier kreuzten sich also zufällig an einem Tag zwei Politiken der EU, die direkt aufeinander bezogen waren. Der vom Konvent vorgeschlagene Entwurf für einen »Vertrag über eine Verfassung für Europa« sah einen weitreichenden Machtzuwachs der Institutionen der EU auf Kosten der Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten vor. Allein die Verwendung des Begriffs »Verfassung« machte deutlich, daß man die nationalstaatliche Ebene hinter sich lassen wollte. Doch der Konventsentwurf fiel auf dem EU-Gipfel im Dezember 2003 durch. In der sich anschließenden Regierungskonferenz konnten die Mitgliedsländer wichtige Korrekturen durchsetzen und so ihre Entmachtung zu einem Teil wieder rückgängig machen. Der so entschärfte Verfassungsentwurf wurde aber dennoch in Volksabstimmungen im Sommer 2005 erst in Frankreich und anschließend in den Niederlanden abgelehnt, mit der Folge, daß nun auch der Begriff Verfassung gestrichen werden mußte. Das Vorhaben einer schnellen europäischen Integration um den Preis der Entmachtung der Mitgliedstaaten war damit gescheitert.[10]

Der Euro blieb eine Währung ohne Staat, und die Europäische Zentralbank ist weiterhin keine Einrichtung, wie es etwa die Bank von England oder die US-amerikanische Federal Reserve sind. Sie hat eine Währungspolitik zu verfolgen, die gleichzeitig den Wirtschaftspolitiken aller 17 Euro-Länder entsprechen muß. Welche Konsequenzen eine solche Aufgabenstellung konkret hat, zeigte sich in der verfehlten Zinspolitik der EZB in den Jahren zwischen 2001 und 2007. Lag der einheitliche Zinssatz für die konjunkturelle Erholung in den kerneuropäischen Ländern beständig zu hoch, so war er für die Länder der Peripherie zu niedrig, mit der Folge, daß sich dort spekulative Immobilienblasen bildeten. Die Engländer nennen ein solches Dilemma: fits none – paßt keinem. Wer wie die EZB 17 Herren hat, hat in Wirklichkeit keinen. So ist sie aber zugleich auch ein politisches Leichtgewicht, da – anders als bei einer einheitlichen Wirtschafts- und Währungspolitik eines beliebigen Staates - die EZB im Notfall nicht auf eine exzessive nationale Steuerpolitik zur Absicherung der Währung zurückgreifen kann, denn Steuerpolitik ist, wie auch die Wirtschaftspolitik, eben Angelegenheit der Mitgliedsländer.

»Verstärkte Steuerung«

Doch nun soll innerhalb weniger Monate nachgeholt werden, was in den 90er Jahren bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion als nicht notwendig erachtet wurde: Die Schaffung einer Fiskalunion im Sinne einer Stabilitätsunion. Die Elemente des bereits bis März 2012 dafür auszuarbeitenden Vertrags zielen auf entschieden mehr fiskalpolitische Kontrolle der Mitgliedstaaten. Anders als beim bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, dessen Sanktionen regelmäßig wirkungslos blieben, sollen künftig die von der Kommission ausgesprochenen Korrekturempfehlungen und verhängten Strafen automatisch, d.h. ohne Bestätigung durch den Rat und damit der Mitgliedsländer, in Kraft treten. Auf dem Dezember-Gipfel verpflichteten sich die Euro-Länder zugleich, auf eine gemeinsame Wirtschaftspolitik hinzuarbeiten: »Neben der einheitlichen Währung ist eine starke wirtschaftliche Säule unerläßlich. Um haushaltspolitische Disziplin und eine vertiefte Integration des Binnenmarkts sowie ein stärkeres Wachstum, eine größere Wettbewerbsfähigkeit und einen stärkeren sozialen Zusammenhalt zu fördern, bedarf es als Grundlage einer verstärkten Steuerung.«[11]

Eine solche »verstärkte Steuerung« verlangt aber nach massiven Eingriffen in die Budgetrechte der Euro-Staaten und damit in deren Souveränität und Eigenverantwortung. Die Struktur der Haushalte der Mitgliedsländer als auch ihre Steuersysteme weisen erhebliche Unterschiede auf, die historisch entstanden sind, und die den jeweiligen Staat kennzeichnen. Eine Vereinheitlichung der Budgetpolitik kann daher nicht mal so eben ins Werk gesetzt werden wie die vergleichsweise einfache Installierung einer gemeinsamen Geldpolitik durch die Einführung des Euro.

Die bisherige kurze Geschichte des Euro hat nicht die Ansicht des Europäischen Parlaments bestätigt, daß er »gezeigt hat, daß Europa imstande ist, weitreichende Beschlüsse mit Blick auf eine gemeinsame und von Wohlstand geprägte Zukunft zu fassen.«[12]

Im Gegenteil: Die ausgebliebene Ausweitung des Euro-Raums auf wichtige EU-Mitgliedstaaten, die sich vertiefende institutionelle Spaltung zwischen der Euro-Zone und der übrigen EU sowie die unüberwindlichen Schwierigkeiten, die einer Fiskal- oder gar politischen Union entgegenstehen, zeigen vielmehr, daß die gemeinsame Währung zu einer Quelle der Instabilität in Europa geworden ist.

Anmerkungen
  1. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18.11.2008, Paragraph 14, P6_TA (2008)0506
  2. »Bulgarien will den Euro doch noch nicht«, www.tagesschau.de vom 21.7.2011
  3. »Das Paradox der Europa-Politik«, in: FAZ vom 10.12.2011
  4. »Ans Eingemachte. Bundestag und Bundesrat werden mit der EU-Reform kaltgestellt«, in: FAZ vom 12.12.2011
  5. »Can Angela Merkel hold Europe together?«, in: The Economist, 12.3.2011, vgl. auch Andreas Wehr, Spaltung der EU, in: junge Welt vom 4.4.2011
  6. Europäischer Rat, Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 9.12.2011
  7. »Das Paradox der Europa-Politik«, a. a. O.
  8. Helmut Schmidt, »…aber die Währung ist gut. Wir haben keine Euro-Krise, sondern eine Krise der Europäischen Union«, in: Die Zeit vom 7.5.2011
  9. Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zu den Ergebnissen des Europäischen Rates am 8./9.12.2011 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 14.12.2011 in Berlin
  10. Vgl. zum Verfassungsprozeß: Andreas Wehr, Das Publikum verläßt den Saal. Nach dem Verfassungsvertrag: Die EU in der Krise, Köln 2006
  11. Europäischer Rat, Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets vom 9.12.2011
  12. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18.11.2008, Paragraph 1, a. a. O.
* Andreas Wehr veröffentlichte zuletzt im ­PapyRossa Verlag, Köln, das Buch »Griechenland, die Krise und der Euro« (eine überarbeitete Neuauflage erschien im Herbst). Mehr unter: www.andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, 31. Dezember 2011



Zurück zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage