Zu wenig, zu spät
Schuldenreport 2014: Streichung von Verbindlichkeiten vor 15 Jahren half nur wenigen Entwicklungsländern. Einheitliches Staatsinsolvenzverfahren gefordert
Von Jana Frielinghaus *
Vor 15 Jahren forderten 650 in der weltweiten Kampagne »Erlaßjahr 2000« zusammengeschlossene Entwicklungshilfeorganisationen eine Entschuldung von 41 armen Ländern. In der Folge beschlossen die G-8-Staaten im Juni 1999 in Köln tatsächlich die sogenannte HIPC-Initiative (HIPC: Heavily Indebted Poor Countries, hochverschuldete arme Länder). Ländern, die bestimmte Kriterien erfüllten, wurden in den Folgejahren alle Verbindlichkeiten oberhalb von 150 Prozent der Exporterlöse oder 250 Prozent der Staatseinnahmen erlassen.
Am Donnerstag stellten das Bündnis »erlassjahr.de« und die Kindernothilfe in Berlin ihren Schuldenreport 2014 vor. Darin wird die langfristige Wirkung der G-8-Entschuldungsinitiativen 1999 in Köln und 2005 im schottischen Gleneagles untersucht. Die Bilanz ist ernüchternd. Zwar betonte Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de, die Maßnahmen hätten »in der Vergangenheit eindrucksvolle Erfolge durch den besseren Zugang zu sozialen Grunddiensten wie kostenloser Grundbildung für alle Kinder und einer flächendeckenden Basisgesundheitsversorgung« gezeitigt. Vieles sei aber wieder in Frage gestellt, oftmals bedingt durch »viele Regierungswechsel«. Allein ein Blick auf die Namen vieler beteiligter Länder zeigt, daß dort die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse auch heute katastrophal sind: Siehe Zentralafrikanische Republik, Afghanistan, Mali, Burundi. Simbabwe und die beiden Teilstaaten des Sudan sind nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gar erneut zahlungsunfähig.
Fazit von erlassjahr.de: Einmalige Schuldenschnitte sind »nicht zielführend«. Nötig seien vielmehr »geordnete Staateninsolvenzverfahren«. Solche hat das entwicklungspolitische Bündnis bereits 1998 gefordert, erinnerte Jürgen Kaiser. Entscheidend bei solchen Prozessen sei, daß sie von einer »neutralen Instanz« geleitet und koordiniert werden, die darüber befinden müsse, »was unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Belange zu verteilen ist«. Es könne nicht sein, daß Zusammenschlüsse wie die G-8-Staaten, der »Pariser Club«, in dem die großen Gläubigerstaaten über Schuldenmanagement und -erlasse befinden, sich »zum Richter in eigener Sache« machen, betonte Kaiser. Dergleichen sei nicht nur »rechtsstaatlich fragwürdig«, sondern auch hochgradig ineffizient. So seien etwa für den Senegal 19mal dieselben Verbindlichkeiten umgeschuldet worden. Auch der IWF sei Partei und könne sich nicht selbst die Rolle eines Mediators zuerkennen.
Generell sei bei Entschuldungsverfahren bislang zu spät gehandelt und zu wenig erlassen worden, sagte Kaiser. Noch immer gelte insbesondere in der Politik der Industriestaaten gegenüber verschuldeten Ländern das Prinzip, so spät wie möglich einzugreifen und »ja keinen Dollar zu viel« abzuschreiben. Wie verheerend dies wirke, zeige in Europa das Beispiel Griechenlands, wo ein Schuldenschnitt erst 2012 beschlossen wurde. Durch die Kürzungsdiktate der Troika war die Staatsverschuldung in dem südeuropäischen Land seit 2008 noch einmal um über 30 Prozent gestiegen.
Auf der Pressekonferenz des entwicklungspolitischen Bündnisses war die Bundesregierung durch Thomas Silberhorn (CSU), Parlamentarischer Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ), vertreten. Er begrüßte die Forderung nach einem einheitlichen Insolvenzverfahren. Dieses müsse aber rechtlich auf einer sicheren Basis stehen. Das BMZ orientiere in der Zusammenarbeit mit Partnerländern darauf, Erlässe mit »professionellem Schuldenmanagement« zu verbinden, so Silberhorn. Gute Erfahrungen habe man mit sogenannten Debt-Swaps gemacht, bei denen Verbindlichkeiten unter der Maßgabe gestrichen werden, daß die freiwerdenden Mittel aus dem Kapitaldienst für Infrastruktur- und soziale Projekte eingesetzt werden. Allerdings wies Jürgen Kaiser darauf hin, daß dieses Instrument in den letzten drei Jahren – also unter der Ägide von FDP-Minister Dirk Niebel – »faktisch nicht mehr genutzt« worden sei. Dabei habe das BMZ die Möglichkeit, im Rahmen solcher Swap-Vereinbarungen jährlich auf Geldrückflüsse in Höhe von 150 Millionen Euro zu verzichten. Es bleibt abzuwarten, ob der neue Minister, Gerd Müller (CSU), künftig wieder davon Gebrauch machen wird – und welche Projekte auf diese Weise unterstützt werden.
* Aus: junge welt, Freitag, 11. April 2014
Schuldenreport 2014: Verlässliche Verfahren gefordert
(Berlin, 10.04.2014) Zur Lösung von Schuldenkrisen sind einmalige Schuldenerlasse nicht zielführend. Vielmehr sind geordnete Staateninsolvenzverfahren unabdingbar. Das belegt eindrucksvoll der Schuldenreport 2014, den das deutsche Entschuldungs-bündnis erlassjahr.de und die Kindernothilfe in Berlin vorgestellt haben. Der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nahm als Vertreter der Bundesregierung an der Präsentation teil.
Im Vorfeld der Frühjahrstagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank veröffentlichen die Kindernothilfe und das deutsche Entschuldungsbündnis erlassjahr.de den Schuldenreport 2014. Der Report zeigt anschaulich, dass es - trotz erfolgreicher Entschuldungen in der Vergangenheit - weiterhin ein Überschuldungsproblem mit dem Risiko von Staateninsolvenzen gibt.
Staatssekretär Silberhorn würdigte in seiner Stellungnahme die Arbeit von Kindernothilfe und erlassjahr.de: „Das zivilgesellschaftliche Engagement zum Thema Staatsverschuldung ist aus Sicht der Bundesregierung sehr begrüßenswert und gibt wichtige Impulse und Denkanstöße. Denn trotz der entwicklungspolitischen Erfolge der Schuldenerlassinitiativen stehen gerade viele Entwicklungsländer in diesem Bereich nach wie vor großen Herausforderungen gegenüber."
Thomas Silberhorn hob den Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Armutsbekämpfung hervor. Er verwies dabei auf die entwicklungspolitische Bedeutung von verantwortungsvoller Kreditvergabe und -aufnahme sowie der Stärkung staatlicher Kapazitäten beim Schuldenmanagement.
Der Kindernothilfe-Experte für Entwicklungsfinanzierung und Verschuldung, Frank Mischo, berichtete über die wertvollen Lernerfolge der Entschuldungsinitiative für hoch verschuldete ärmste Staaten. „Entschuldungen haben in der Vergangenheit eindrucksvolle Erfolge durch den besseren Zugang zu sozialen Grunddiensten wie kostenloser Grundbildung für alle Kinder und einer flächendeckenden Basisgesundheitsversorgung erreicht." Mischo erläuterte, dass „vor allem Entschuldungen einen Abbau von nachhaltigen Entwicklungsblockaden durch dauerhafte Überschuldung durchbrechen" können.
Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de, analysierte neue Überschuldungsrisiken und ergänzte: „Wir haben gelernt, dass Schuldenkrisen von Staaten niemals ein Ding der Vergangenheit sein werden. Deswegen brauchen wir endlich ein verlässliches Verfahren für alle künftigen Staatspleiten."
Der Frage, wie ein Entschuldungsverfahren theoretisch und praktisch gestaltet werden kann, widmet sich ein eigenes Kapitel des Reports. Fester Bestandteil der jährlichen Publikation ist darüber hinaus die Übersicht der Situation verschuldeter Entwicklungs- und Schwellenländer sowie die Rolle Deutschlands als Gläubiger gegenüber diesen Ländern.
Neben dem Rückblick auf die Erfolge und Schwierigkeiten der Kölner Schuldeninitiative von 1999 analysieren die Autoren des Schuldenreports auf 64 Seiten aktuelle Entwicklungen der Staatsverschuldung von Entwicklungs- und Schwellenländern anhand detaillierter Zahlen und Grafiken. Zudem bietet der Report auch einen Ausblick auf den Stellenwert von Verschuldung in der nachhaltigen Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015.
Den aktuellen
Schuldenreport [externer Link] erhalten Sie zum Download unter erlassjahr.de und kindernothilfe.de Gern senden wir Ihnen auch ein Exemplar zu.
Weitere Informationen und Bestellung:
Mara Liebal, 0211 - 46 93 211, m.liebal@erlassjahr.de
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