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54 Ländern geht es heute schlechter als vor 10 Jahren

UN-Bericht kritisiert Neoliberalismus

Am 8. Juli 2003 wurde der neueste Bericht des UNDP (United Nations Development Program) über die "menschliche Entwicklung" veröffentlicht. Der Bericht setzt sich sehr kritisch mit der Entwicklung in den letzten Jahren auseinander. Die Entwikclungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul würdigte den Bericht in einer Presseerklärung . Heute schreibt der Journalist Rainer Rupp zum selben Thema.


Von Rainer Rupp

Der am Dienstag (8. Juli 2003, d. Red.) veröffentlichte, umfassende UN-Bericht über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung (U.N. Human Development Report 2003) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) räumt endgültig mit einem im bürgerlichen Lager weit verbreiteten Dogma des internationalen Kapitals auf. Der detaillierte Bericht belegt, daß auf Grund der Mitte der 90iger Jahre geplatzt und von neo-liberalen Kräften verursachten Spekulationsblase heute 54 Länder viel ärmer sind als sie es zehn Jahre zuvor waren. Damit zeigt der UN-Bericht ungewollt eine Parallele zwischen nationaler und internationaler Entwicklung auf. Innerhalb der hochentwickelten Industrieländern konnte als Resultat des neo-liberalen Glaubensbekenntnisses des von allen sozialen Zwängen befreiten Kapitals beobachtet werden wie in den letzten Jahren mit zunehmender Geschwindigkeit die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind.

Der besondere Verdienst des UN-Bericht ist der Beweis dafür, daß die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm innerhalb der Industrieländer auch auf das Verhältnis zwischen reichen und armen Ländern zutrifft. Zugleich führt der Bericht das inzwischen an allen bürgerlichen Universitäten als alleinige Wahrheit gelehrte neoliberale Wirtschafts-Glaubensbekenntnis ad absurdum. Während der letzten zwei Jahrzehnte haben insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF) und seine Schwesterorganisation, die Weltbank, den Ländern der sogn. „Dritten Welt“ mit der Drohung der Verweigerung des Zugangs zu Krediten und Märkten das angeblich Heil bringende, neo-liberale Wirtschaftskonzept aufgezwungen. Hinter dem IWF und der Weltbank steht die US-Regierung als größter Anteilseigner, gefolgt von den Regierungen der wichtigsten Verbündeten. Hinter den Regierungen stehen die eigentlichen Profiteure der Globalisierung, nämlich die Großkonzerne, die auf den Abbau aller Hindernisse im internationalen Handel und Finanzverkehr drängenden, mit denen die ärmeren Länder ihre zerbrechlichen, regionalen wirtschaftlichen Entwicklungen schützen und fördern könnten.

UN-Bericht macht ebenfalls darauf aufmerksam, daß auch bei wachsenden Volkswirtschaften die zunehmende Armut breiter Bevölkerungsschichten kaschiert werden kann. Polen wird dazu als eines der Beispiele aufgeführt. Während die polnische Volkswirtschaft im Zeitraum von 1988 bis 1995 kräftig wuchs das Pro-Kopf-Einkommen im Jahresdurchschnitt um 2,4% zunahm, ist im gleichen Zeitraum der Anteil der als arm eingestuften polnischen Bevölkerung von 6% auf 20 % gewachsen. Obwohl im Zuge der neo-liberalen Globalisierung der Grad der Ausbeutung der Lohnabhängigen noch weiter zugenommen hat und die ohnehin bereits große Kluft zwischen Arm und Reich noch größer geworden ist, ist es bisher der herrschenden Klasse gelungen, den Neo-Liberalismus als die wirtschaftliche Heilslehre zur Überwindung der Armut in allen Ländern zu „verkaufen“.

"Am Ende des sogenannten großen Jahrzehnts ist eine sehr bedeutende Zahl von Ländern (wirtschaftlich) noch weiter zurück gefallen und die Menschen sind ärmer geworden”, kommentierte der UNDP-Mitarbeiter Mark Malloch Brown den Bericht, der die wirtschaftliche Entwicklung von 175 Ländern auf die zur Jahrtausendwende von den hochentwickelten Industrieländern großspurig angekündigten acht UN-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2015 untersucht. Viele dieser Länder können dieser UN-Ziele inzwischen nicht einmal mehr in 50 Jahren erreichen. Die meisten der afrikanischen Länder südlich der Sagar gehören zu den 54 Staaten, denen es heute schlechter geht als vor zehn Jahren. Bei 20 dieser Länder würde es bis 2129 dauern, bis für alle Kinder eine allgemeine Grundschulbildung gesichert sei, bis 2147, um die extreme Armut zu halbieren und bis 2165, um die Kindersterblichkeit um zwei Drittel zu reduzieren. Dringend erforderlich sei es, daß die reichen Länder ihre Entwicklungshilfe von derzeit insgesamt etwa 50 Mrd. US-Dollar auf 100 Mrd. "Jede europäische Kuh wird derzeit mit durchschnittlich 3 Dollar pro Tag subventioniert, während 40 % der in Afrika lebenden Menschen über weniger als einen Dollar pro Tag verfügen“, mahnte Mr. Malloch Brown. In den USA z.B. erhielten Baumwollfarmer Subventionen von 10.7 Million Dollar am Tag, drei Mal mehr als die gesamte Region südlich der Sahara in Entwicklungshilfe bekommt.

In einer indirekten aber scharfen Kritik am Neo-Liberalismus fordert der UNDP-Bericht eine umfassende Neubewertung der bisher verfolgten (neo-liberalen) Entwicklungsstrategien, die den Entwicklungsländern helfen sollten, der extremen Armut zu entrinnen. Dies sei nicht möglich mit dem sogn "Washington Consensus" der Weltbank und des IWF, der Deregulierung, Liberalisierung von Handel und Finanzen und strikte Haushaltsdisziplin der Entwicklungsländer verlangt. IWF und Weltbank müssten dringend ihre Politik ändern, forderte Mr. Malloch Brown. Die Statistiken sind beschämend”, heißt es in dem Bericht. “Mehr als 13 Million Kinder starben im vergangen Jahrzehnt allein an Durchfallerkrankungen. Jedes Jahr sterben eine halbe Million Frauen - jede Minute eine – im Kindbett. More als 800 Millionen Menschen leiden an Unterernährung. Die Lösungen für diese Probleme sind bekannt ... und sie erfordern keine Hochtechnologie“ heißt es lapidar in dem UN-Bericht.

Manuskript: 9. Juli 2003


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