Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kommt die deutsche Entwicklungspolitik endlich aus den Startlöchern?

Ein paar positive Signale aus dem Hause Wieczorek-Zeul

Auch die Entwicklungspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat zur Halbzeit ihres Wirkens eine Menge Kritik einstecken müssen. Den entwicklungspolitischen Verbänden und Gruppen waren die Schritte des Ministeriums zu kurz, die Mittel zu gering und - vor allem - entsprach die Politik längst nicht den vollmundigen Ankündigungen des Koalitionsvertrags. Auch der Bundesausschuss Friedensratschlag hatte in seinen "10 Todsünden" der Bundesregierung bemängelt, dass ausgerechnet unter Rot-Grün die Entwicklungshilfeausgaben weiter geschrumpft sind. Die nachfolgende Einschätzung, die wir der Wochenzeitung "Freitag" entnommen haben, klingt optimistischer. Wir werden sehen, ob die künftige Politik der ehemals "roten Heidi" der freundlicheren Sicht des Autors auch nur annähernd entsprechen wird.

"Aktionsplan Armut" im Hause Wieczorek-Zeul

Von Philipp Armansperg*

Als die entwicklungspolitischen NGO vor zweieinhalb Jahren die rot-grüne Regierungserklärung lasen, fühlten sie sich wie Kinder, denen der Weihnachtsmann die gesamte Wunschliste erfüllt hat. Innerhalb der Entwicklungspolitik erwartete man eine eindeutige Orientierung hin zur sogenannten "selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung". Entwicklungsexperten verstehen darunter die Garantie von Grundbedürfnissen in der Dritten Welt durch "Grundbildungs-, Gesundheits- und Ernährungsprogramme". Gebetsmühlenartig referiert die Weltbank in ihren 1980, 1990 und nun Ende 2000 erschienenen Weltarmutsberichten den Wert dieser Maßnahmen. Die gleiche Kerbe trifft eine vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Auftrag gegebene Studie zur Effektivität von Grundbildungsprojekten (Grundschulbildung, Alphabetisierung von Erwachsenen) innerhalb deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Ergebnis: Grundbildung - die maßgebende Komponente eben jener Armutsbekämpfung - hat wichtige entwicklungspolitische Effekte. Erstaunen kann das kaum. Arme Menschen vermögen durch Grundbildung ihre Überlebenschancen oft dramatisch zu verbessern - sei es, weil ein alphabetisierter Bauer damit Hilfsmittel für den Landbau effektiver nutzen kann; oder weil ohne Lese- und Schreibkenntnisse viele Arbeitsplätze nicht in Betracht kommen. Ähnlich wichtig sind andere Faktoren der Armutsbekämpfung: Für chronisch kranke Menschen ist Selbsthilfe zur Einkommenssicherung doppelt schwierig; Ernährungsprogramme für die Ärmsten der Armen sind in der Entwicklungspolitik ohnehin unabdingbar.

Obwohl dies alles außer Zweifel steht, beklagen die Deutsche Welthungerhilfe und Terre des Hommes in einer gemeinsamen Bilanz rot-grüner Entwicklungspolitik, es sei eindeutig zu wenig für direkte Armutsbekämpfung getan worden. So ist laut Peter Mucke, Geschäftsführer von Terre des Hommes "eine an den Interessen der Ärmsten orientierte Entwicklungspolitik bisher bestenfalls in Ansätzen zu erkennen". In der Tat weisen die absoluten Ausgaben für deutsche Armutsbekämpfungsprogramme einen deutlichen Rückgang aus: Das Budget für Grundbildung erreichte im Jahr 2000 mit 52,9 Millionen sogar einen Tiefstand. Stattdessen konzentrierte das BMZ seit 1998 seine Möglichkeiten besonders auf die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Entwicklungsländer - Maßnahmen allerdings, die bestenfalls mittelfristig wirken und daher nach Meinung der NGO Armutsbekämpfung höchstens ergänzen.

Erich Stather, Staatsekretär im BMZ, setzt dagegen, dass inzwischen über 50 Prozent aller Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit für ausgesprochen armutsorientierte Projekte verwendet würden. Doch was nützt es, wenn der Entwicklungshaushalt insgesamt in den vergangenen Jahren überproportional gelitten hat. Dessen Budget ist zwischen 1996 und 2000 kontinuierlich gesunken und inzwischen bei 1,5 Prozent des Bundeshaushalts angelangt. Sollte sich daran nichts ändern, dann rückt das international proklamierte Ziel, bis 2015 den Anteil der absolut Armen an der Weltbevölkerung zu halbieren, in immer weitere Ferne. Angesichts des politischen Gewichts Deutschlands und der traditionellen Rolle als "entwicklungsfreundliches" Industrieland hat sein Ausgabenverhalten Signalwirkung.

Uneingeschränkt gilt die Kritik der NGO trotzdem nicht, da die deutsche Entwicklungspolitik ungeachtet ungünstiger Rahmenbedingungen einiges geleistet hat - auch und gerade in der Armutsbekämpfung. So unterstützte das BMZ beispielsweise den Beschluss des Kölner Weltwirtschaftsgipfels von 1999 zur Entschuldung und Nutzung der so frei werdenden Mittel zur Armutsbekämpfung. Auch leistete Deutschland einen hohen finanziellen Beitrag zum Entschuldungsagreement: Zu den zehn Milliarden DM Erlasssumme kamen 150 Millionen für einen speziellen Entschuldungsfonds und ein Anteil von 500 Millionen am EU-Entschuldungsbeitrag (zwei Milliarden). Das BMZ engagierte sich außerdem für die Reform des entwicklungspolischen Ansatzes von Weltbank und IWF - weg von der vielgescholtenen Strukturanpassung der traditionellen Art, unter der kurzfristig vor allem die Armen zu leiden hatten; hin zu Poverty Reduction Strategies, die im Süden selbst entwickelt werden. Schließlich soll demnächst ein gemeinsam mit der Wirtschaft und Vertretern der Zivilgesellschaft erarbeiteter "Aktionsplan Armut" vorgestellt werden. Und: Was noch mehr ins Gewicht fällt - der Haushalt für das BMZ im Jahr 2001 wurde inzwischen um 4,6 Prozent angehoben. Offenbar hat Volker Hausmann, Chef der Welthungerhilfe, Recht, wenn er meint, dass "diese Regierung Kritik akzeptieren kann". Möglicherweise wird es doch noch etwas mit dem besonderen Stellenwert für die Entwicklungspolitik in der rot-grünen Republik.

* Philipp Armansperg ist zur Zeit Konsultant beim "Entwicklungspolitischen Zentrum" der OECD in Paris.

Aus: Freitag, Nr. 8, 16. Februar 2001

Zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage