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Hoffnung für die Ärmsten oder ein "Durchbruch mit Fallstricken"?

Würdigungen und kritische Reaktionen auf den Entschuldungserlass der G8-Staaten - WEED-Erklärung, Leitartikel und Kommentare

Die Finanzminister der G8-Staaten haben am 11. Juni 2005 in London die vollständige Entschuldung von 18 Entwicklungsländern, darunter 14 afrikanischen Staaten, und stellten neun Staaten und "letztlich bis zu 20" weiteren Ländern ein ähnliches Verfahren in Aussicht, sofern die Korruption in diesen Staaten wirksam bekämpft wird.
Der Deal, auf den sich die Regierungen der USA, Kanadas, Japans, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Russlands einigten, bedeutet, dass die Weltbank, der Internationale Währungsfond und der Afrikanische Entwicklungs-fonds den 18 Ländern unmittelbar alle geschuldeten Gelder erlassen - nach Angaben der G8 handelt es sich um rund 33 Milliarden Euro. Für die Staaten bringt das eine jährliche Entlastung von Zinszahlungen in Höhe von insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Folge.
Mit diesem "umfassendsten Beschluss aller Zeiten", verkündete der britische Schatzkanzler Gordon Brown, habe man so begonnen, "ein neues und besseres Verhältnis, einen neuen Deal zwischen reichen und armen Ländern der Welt zu schmieden". US-Finanzminister John Snow sprach von einem "Meilenstein".

Die 18 Länder, deren Schulden erlassen werden, sind:

  • in Afrika: Benin, Burkina Faso, Äthiopien, Ghana, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Mosambik, Niger, Ruanda, Senegal, Tansania, Uganda und Sambia,
  • in Lateinamerika: Bolivien, Guyana, Honduras und Nicaragua.
Daneben gibt es neun Anwärter auf Schuldenerlass: Kamerun, Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Gambia, Guinea, Guinea Bissau, Malawi, Sierra Leone und Sao Tome.

Die Reaktionen aus der Dritten Welt, insbesondere natürlich aus den betroffenen Ländern, sind positiv und dankbar. Hilfsorganisationen begrüßen den Schritt, kritisieren ihn aber als noch unzureichend. Viele Länder stehen noch nicht auf der Liste, wird z.B. moniert. Außerdem müsse der Anteil an der Entwicklungshilfe drastisch erhöht werden.

Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Kommentaren und kritischen Stellungnahmen zu den Ergebnissen des G8-Treffens, darunter auch eine Erklärung von WEED.



WEED Pressemitteilung Berlin, 12.6.2005

Ein Durchbruch mit Fallstricken

WEED begrüßt Einigung der G8 Finanzminister auf Schuldenerlass aber kritisiert fehlende Reichweite

"Der beschlossene Schuldenerlass ist ein Durchbruch mit Fallstricken" kommentiert Daniela Setton von WEED die überraschende Einigung der G8, 18 hochverschuldeten armen Ländern 100% ihrer multilateralen Schulden beim IWF, der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank zu erlassen. Der Entschluss sei zwar als Erfolg der internationalen Entschuldungskampagne zu bewerten, stelle jedoch keinesfalls den von der G8 proklamierten ,großen Wurf' dar.

"Mit der Beschränkung auf einige wenige Länder bleiben die drängenden Schulden- und Armutsprobleme von mindestens 40 weiteren Ländern außen vor. Der gewährte Schuldenerlass ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, bleibt damit jedoch weit hinter den Erfordernissen einer umfassenden und gerechten Entschuldung zurück." kritisiert Setton. Mit den jährlich bereitgestellten zusätzlichen 1-2 Milliarden US-Dollar würde somit nur ein Teil der gigantischen milliardenschweren Schuldenlast der Entwicklungsländer gelindert. Der Bedarf wird auf mindestens 10 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Auch sei problematisch, dass der Erlass der Schulden bei anderen wichtigen regionalen Entwicklungsbanken, wie der Interamerikanischen und der asiatischen Entwicklungsbank, nicht vorgesehen ist.

Bei der Auswahl der infrage kommenden Länder seien zudem die alten Konstruktionsfehler der HIPC - Entschuldungsinitiative wiederholt worden.

"Vom G8 Beschluss profitieren erst mal nur diejenigen Länder, die im Rahmen der HIPC-Initiative jahrelange, von IWF und Weltbank diktierte umstrittene Strukturanpassungsprogramme durchgeführt haben. Hinter dem Deckmantel der "guten Regierungsführung" als Bedingung für Schuldenerlasse verbergen sich also auch die umstrittenen wirtschaftspolitischen Konditionalitäten von IWF und Weltbank" so Setton. Die strikten inflations- und fiskalpolitischen Vorgaben von IWF-Programmen sowie die in den Ländern hochumstrittenen Vorgaben von Privatisierung und Liberalisierung wurden bereits im Bericht der von Blair beauftragten Afrikakommission einer deutlichen Kritik unterzogen.

"Das Problem ist dabei, dass die durch einen Schuldenerlass ermöglichten wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume gleich wieder begrenzt werden, indem die Länder durch die Konditionalität weiterhin auf ein fragiles exportorientiertes Entwicklungsmodell gezwungen werden." so Setton.

Für eine umfassende Armutsbekämpfung seien also weitere Schuldenerlasse sowie eine grundlegende Reform der bestehenden Konditionalitäten von Entschuldung und Strukturanpassungsprogrammen nötig.

Presseerklärung von WEED-Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V., Berlin; im Internet: www.weed-online.org


Dagmar Dehmer fragt in ihrem Kommentar im Berliner "Tagesspiegel" nach der "Moral der Reichen" und findet die Kriterien für die Entschuldung der 18 ärmsten Länder der Welt "nicht immer überzeugend":

Die Finanzminister der wichtigsten Industriestaaten und Russlands (G 8) haben 18 Ländern in Afrika und Lateinamerika eine schwere Last abgenommen. Auf einen Schlag werden ihre Schulden erlassen – rund 40 Milliarden Euro. So großzügig waren die Industriestaaten noch nie: Die „Initiative für hoch verschuldete arme Länder“ (HIPC) der Weltbank, die 1996 begann, hat dieselben 18 Staaten bis heute um 55 Milliarden Euro entlastet. Gordon Brown, der britische Schatzkanzler, hat Mut von seinen Kollegen gefordert – und den haben sie bewiesen.
Allerdings stellen sich bei der Auswahl der Länder einige Fragen. Denn die Finanzminister haben als Bedingungen für die Entlastung drei Kriterien genannt: gute Regierungsführung, Verlässlichkeit und Transparenz. Dass das Erschießen von Demonstranten, die sich gegen eine gefälschte Wahl wehren, wie jüngst in Äthiopien unter „gute Regierungsführung“ fällt, darf wohl bezweifelt werden. Trotzdem wird Äthiopien entlastet. Dem Land ist zumindest zu Gute zu halten, dass es seinen Plan zur Armutsbekämpfung bisher weitgehend eingehalten hat. Außerdem haben die USA ein starkes Interesse an Stabilität am Horn von Afrika.
Dagegen hat Bolivien inzwischen mehr Schulden als vor seiner Entschuldung. Und von Verlässlichkeit kann kaum die Rede sein. Bolivien trudelt seit drei Jahren von einer Regierungskrise in die nächste. Übrigens ausgelöst durch Bedingungen und Annahmen, die die internationalen Finanzinstitutionen mit dem Schuldenerlass verbunden hatten. Bolivien hätte es nur geschafft, seine Verbindlichkeiten im Griff zu behalten, wenn eine Gas-Pipeline gebaut worden und die Ressource erfolgreich vermarktet worden wäre, was nicht passiert ist und erst vor wenigen Tagen wieder einen Präsidenten in den Rücktritt getrieben hat. (...)
Es gibt aber auch Erfolge: In Tansania gehen, nachdem die Gebühren für die Grundschule abgeschafft wurden, doppelt so viele Kinder in die Schule. In Mosambik werden 90 Prozent der Kinder gegen tödliche Krankheiten geimpft. Und in Uganda haben 2,2 Millionen mehr Menschen Trinkwasser.
Trotzdem hätte einiges dafür gesprochen, bei der neuen Entschuldungsinitiative nicht einfach nur dem HIPC-Programm zu folgen. Der kenianische Planungsminister hat allen Grund, sich zu beschweren, dass sein Land überhaupt nicht in dem Plan vorkommt. Denn Kenia hat ohne Schuldenerlass die Gebühren für die Grundschule gestrichen – mit durchschlagendem Erfolg. Das Land hat im Jahr 2002 einen demokratischen Machtwechsel zu Stande gebracht und muss ohne Zweifel mehr gegen die Korruption tun. Aber es gäbe gute Gründe, einem solchen Land die Schulden zu erlassen, in dem 80 Prozent der Menschen arm sind, das aber trotzdem mit Ach und Krach seine Schulden zahlt. Aber Kenia hat schlechte Beziehungen zu den USA. (...)

Aus: Der Tagesspiegel, 13. Juni 2005

"Ein bisschen Hoffnung für die Ärmsten" bedeutet der Schuldenerlass, mehr aber nicht. Zu diesem Schluss kommt Christian Lipicki in der "Berliner Zeitung:

(...) Können die Ärmsten der Welt jetzt aufatmen? Gibt es Hoffnung, ihrem quälenden Hunger ein Ende zu bereiten? Gerade eben haben sich die führenden Industrienationen darauf geeinigt, den ärmsten Ländern Schulden in Höhe von 44 Milliarden Euro zu erlassen. Das verschafft den Staaten, deren Bevölkerung in für europäische Verhältnisse unvorstellbarer Armut lebt, etwas Luft, sich besser aufzustellen - und dadurch die Lebensverhältnisse anzuheben. Dabei darf bei aller Anerkennung der Londoner Vereinbarung eines nicht übersehen werden: Der Schuldenerlass mag historisch sein; die Not in den ärmsten Länder beseitigen kann er nicht, allenfalls lindern.
Das hat viele Gründe. Die Wirtschaftskraft der ärmsten Länder ist marginal. Oftmals sind es alleine deren Bodenschätze, die auf dem Weltmarkt gefragt sind. Und dann auch nur als Rohstoff; die Verarbeitung findet nämlich in Staaten mit besserer industrieller Infrastruktur statt. Damit nicht genug: Das Geld, das in den armen Ländern ankommt, fließt zumeist in die Kassen einer Staats- und Wirtschaftselite. Das Volk aber geht leer aus und leidet weiter Hunger. (...)

Aus: Berliner Zeitung, 13. Juni 2005

Einen "Durchbruch" im Kampf gegen die Armut in der Welt sieht Peter Nonnenmacher in dem Abkommen der Finanzminister der G8-Staaten. In seinem Kommentar der Frankfurter Rundschau heißt es:

(...) Der von den G8-Staaten beschlossene Schuldenerlass für 18 der ärmsten Länder ist vielleicht noch kein weltbewegendes Ereignis, an dem Afrika genesen wird. Er ist aber ein bemerkenswerter Durchbruch - Zeichen eines neu keimenden Bewusstseins in der internationalen Politik.
Mit diesem Deal weisen die Briten in eine neue Richtung, auf ein neues Verhältnis zwischen Arm und Reich. Mehr als ein erster Schritt ist der Beschluss sicher nicht. Die Zahl der ihrer Schulden ledigen Länder ist nicht sehr groß; die Frage, in welchem Umfang Weltbank und IWF von den Gläubigerländern entschädigt werden, steht im Raum. Die Summen sind klein, gemessen an dem, was laut UN für eine nachhaltige Ausrottung der Armut nötig wäre. Das "heiße Eisen" einer fairen globalen Handelsordnung hat man in London gar nicht anzurühren gewagt. (...)

Aus: Frankfurter Rundschau, 13. Juni 2005

In der anderen Zeitung aus Frankfurt, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" werden Zweifel geäußert, ob die durch den Schuldenerlass frei werdenden Mittel in den betroffenen Ländern tatsächlich den gewünschte Effekt haben werden:

(...) Für Blair ist das ein schöner Nachwiederwahlerfolg: Wer an der Elendsfront Gutes tut, bekommt eine bessere Presse als ein Kriegspremier in Begründungsnot. Darüber hinaus, und das ist wichtiger als schwankende Glaubwürdigkeits- und Imagekonjunkturen, ist es Blair gelungen, „Afrika” auf der internationalen Tagesordnung nach vorne zu schieben. Daß er seine (widerspenstigen) Partner dafür sensibilisieren konnte, wird er sich als Solidaritätsmedaille ans Revers heften.
Aber bevor Anerkennung in Lobhudelei ausartet: Schulden und Schuldendienst haben die betroffenen Länder niedergedrückt (wurden ihnen die Kredite „aufgezwungen”?). Ihre Erleichterung, davon entbunden zu werden, ist gut zu verstehen. Aber werden die freiwerdenden Gelder jetzt tatsächlich, wie versprochen, für Erziehung und Gesundheit ausgegeben - und, eben, für Entwicklung? Wird die Korruption, die frühere Entschuldungsinitiativen ihrer Wirkung beraubt hat, energischer bekämpft? Sollten die Begünstigten dagegen über keinerlei Mittel verfügen, dann ist nicht viel gewonnen worden.
Die Etikettierung des Schuldenerlasses als „historisch” verhindert nicht, daß Zweifel und Nachfragen bleiben. Etwa die, warum Ländern, die durch „schlechtes Regieren” auffallen und ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als jenen, die sich um solide öffentliche Finanzen bemühen. (...)
Der Erlaß ist Ausdruck von Ausweglosigkeit; insofern ist er moralisch. Er ist aber auch ein trübes finanzpolitisches Signal. Ein viel leuchtenderes wäre es, den Zugang zu den globalen wie zu den regionalen Märkten freizuräumen. Das wäre ein vernünftiger Weg. „Gutes Regieren” bleibt Voraussetzung. Soll es zur Pflicht werden, müssen die Anreize stimmen.

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2005

In einem weiteren Artikel derselben Zeitung zum Thema werden die Hintergründe möglicher Kritik beleuchtet. Thomas Scheen schreibt unter dem Titel "'"Das war kein guter Tag für Afrika'" u.a.:

(...) Der jetzt angekündigte Schuldenerlaß ist eine Beschleunigung der 1996 von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) eingeleiteten HIPC-Initiative (Highly Indebted Poor Countries). Demnach kamen weltweit bislang bereits 18 Staaten, davon 14 afrikanische, in den Genuß eines Schuldenerlasses, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllten. Die wichtigsten davon waren demokratische und marktwirtschaftliche Reformen sowie die Bekämpfung der Korruption. Auf dem afrikanischen Kontinent erfüllen diese Kriterien bislang Benin, Burkina Faso, Äthiopien, Ghana, Mali, Madagaskar, Mauretanien, Mocambique, Niger, Ruanda, Senegal, Tansania, Uganda und Sambia. Ihnen werden zusammen mit den vier asiatischen und lateinamerikanischen Ländern sofort 40 Milliarden Dollar Schulden gestrichen. Allerdings bestehen Zweifel an den demokratischen Fortschritten von Ländern wie Burkina Faso, Äthiopien oder Ruanda.
Länder wie Kamerun, Tschad, die Demokratische Republik Kongo (Kongo-Kinshasa), Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Malawi, Sao Tome und Sierra Leone gelten als Nationen, die auf gutem Weg sind, sich für HPIC zu qualifizieren, und deshalb alsbald mit einem Schuldenerlaß rechnen können, auch wenn in mindestens fünf davon von Demokratie, freier Meinungsäußerung und Pluralismus keine Rede sein kann. Neun weitere Länder, unter ihnen Burundi, die Zentralafrikanische Republik, die Komoren, die Republik Kongo (Kongo-Brazzaville), die Elfenbeinküste, Liberia, Somalia, Sudan und Togo, müssen sich erst noch "qualifizieren". Das dürfte für sie schwierig werden, wenn die Kriterien streng ausgelegt werden: In Togo regiert ein Putschist als Erbfolgediktator, Sudan hat Öl und investiert mehr in Krieg als in Bildung, Kongo-Brazzaville fördert ebenfalls soviel Öl wie nie zuvor und verfügt trotzdem nur über zwei geteerte Straßen, die Elfenbeinküste hat 20 Jahre über ihre Verhältnisse gelebt und ist nun ein von rassistischen Tönen beherrschtes Bürgerkriegsland, in Somalia sind funktionierende staatliche Strukturen nicht zu erkennen.
So kritisierte der kenianische Planungsminister Peter Anyang Nyongo die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Beurteilung der "HPIC-Würdigkeit". "Diejenigen, die wie wir immer unsere Schulden bedient haben, wurden von der HPIC-Initiative ignoriert, während die Länder, die einfach nicht mehr zahlten, plötzlich Aufmerksamkeit und Schuldenerlaß erhalten. Das war kein guter Tag für Afrika", sagte der Kenianer. (...)

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2005

Kritische Töne auch in dem Bericht in der österreichischen Zeitung "Die Presse". Dieter Claassen schreibt aus London u.a.:

(...) Historiker verweisen jedoch darauf, dass den ärmsten Ländern der Welt bereits im Jahr 2000 in einem in Köln unterzeichneten Abkommen etwa 100 Mrd. Dollar an Schulden erlassen worden waren. Statistiken der Weltbank relativieren überdies die jetzige Hilfsaktion. Danach belief sich die gesamte Auslandsverschuldung der Länder Afrikas südlich der Sahara noch 2003 auf insgesamt 231 Mrd. Dollar. Und nur 30 Prozent davon, etwa 69 Mrd. Dollar, schuldeten sie multilateralen Institutionen wie der Weltbank und dem IWF. "Das Abkommen ist zweifellos ein Segen für die Nutznießer", erklärte Romilly Greenhill, Sprecherin der Hilfsorganisation ActionAid. Die afrikanischen Länder könnten damit jährlich 1,5 Mrd. Dollar sparen, hieß es bei internationalen Hilfsorganisationen.
Daneben gebe es aber mindestens 40 weitere Länder, die dringend Hilfe bedürften. Bei einer Reihe von ihnen mache der Schuldendienst etwa 40 Prozent der Staatsausgaben aus. Insgesamt müssten 62 Ländern ihre Schulden vollständig erlassen werden, um das von den Vereinten Nationen angestrebte Ziel, bis 2015 Armut, Hunger und Krankheiten zu halbieren, zu erreichen. (...)

Aus: Die Presse, 13. Juni 2005

Die andere große seriöse österreichische Tageszeitung, "Der Standard", kommentiert den Schuldenerlass nicht weniger kritisch: Es geht den G8-Staaten gleichermaßen um "Hilfe und Kontrolle". Frank Hermann schreibt u.a.:

(...) Jetzt haben die reichsten Industrieländer einen Anfang gemacht. Einen ersten Schritt, mehr nicht.
Doch so edel es ist, den Ärmsten die Schulden zu streichen, der Teufel steckt im Detail. (...)
Beispiel G8: Da schwingen sich Bush und Blair, bislang nicht gerade als Musterknaben der Entwicklungspolitik bekannt, zu Vorreitern beim Schuldenerlass auf. Deutsche, Franzosen und Japaner, bedacht auf genaueres Hinschauen im Einzelfall, finden sich plötzlich als Bremser und Geizhälse wieder. Dabei haben sie gar nicht unrecht. Von Addis Abeba bis Bamako dürfen die Regierenden die Streichung der Schulden nicht als Persilschein empfinden, nach dem Motto: Hausaufgaben erledigt, Fall abgehakt, zurück zur Tagesordnung. Es ist richtig, wenn die Geberländer Bedingungen an ihre Hilfe knüpfen. Die Menschen Afrikas sind die Ersten, die darauf pochen. Sonst kann es passieren, dass die alte Misere von Neuem einzieht, dass Finanzspritzen im Dickicht der Korruption versickern oder auf Schweizer Konten landen. Dem durch anhaltende Kontrolle einen Riegel vorzuschieben kann nun wirklich nicht schaden.

Aus: DER STANDARD, 13. Juni 2005

In einem längeren Beitrag von Wolfgang Pomrehn ("Doch [k]ein Durchbruch") informiert die "junge Welt" über einige Hintergründe des Schuldenerlasses und kommt zu einer differenzierten Bewertung:

(...) Immerhin enthält die Erklärung der Finanzminister das Eingeständnis, daß die von der UNO gesteckten Ziele zur Armutsbekämpfung mit dem gegenwärtigen Verschuldungsniveau der Entwicklungsländer nicht erreicht werden können. Ihre nun – gegen den Widerstand der Schröder-Fischer-Regierung – beschlossenen Maßnahme sind allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach Angaben der Weltbank betrugen die Auslandsschulden der afrikanischen Staaten südlich der Sahara, also in der Region, wo die meisten der genannten Staaten liegen, Ende 2002 210,35 Milliarden US-Dollar. Insgesamt betrugen die Schulden der Entwicklungsländer zu diesem Zeitpunkt 2,34 Billionen US-Dollar. Mit 727,944 Milliarden US-Dollar entfiel der größte regionale Einzelposten auf Lateinamerika.
Dennoch könnte die Londoner Initiative für einige Länder erhebliche Erleichterung, jedoch sicherlich kein Ende der Abhängigkeiten bringen. Die G-8-Staaten lassen nämlich keinen Zweifel daran, was der Preis für den Schuldenerlaß ist: Freihandel. Auch in der Londoner Erklärung wird er vor allem anderen, auch vor der Armutsbekämpfung, als erstes Ziel genannt. Insbesondere wird auf die Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO verwiesen, die nun endlich vorankommen müßten. Außerdem werden die Entwicklungsländer aufgefordert, den Privatsektor zu fördern, und Bedingungen zu beseitigen, die »inländische wie ausländische« Investitionen behindern. Mit anderen Worten: Wir erlassen euch ein paar Schulden, wenn ihr die Bahn für unsere Konzerne freimacht.

Aus: junge Welt, 13. Juni 2005

Nach Auffassung von Martin Ling, der für das Neue Deutschland kommentiert, war der Schuldenerlass längst "überfällig":

Es ist weit mehr, als man vom G8-Finanzministertreffen erwarten konnte und dennoch angesichts der globalen Herausforderungen viel zu wenig. 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr stehen den ärmsten 18 Staaten künftig mehr zur Verfügung, um – was zu hoffen ist – in Gesundheit, Bildung und Armutsbekämpfung zu fließen. Nur zum Vergleich: Allein die Pendlerpauschale in Deutschland beläuft sich auf vier Milliarden Euro jährlich.
Faktisch ist der in London verabredete Schuldenerlass dennoch der weitest gehende aller Zeiten, werden doch 40 Milliarden Dollar Schulden aus den Büchern gestrichen. Schulden indes, die ohnehin nie getilgt, sondern immer nur bis in alle Ewigkeit mit Zins und Zinseszins bedient worden wären. Zumindest diese Last entfällt für die Begünstigten künftig. Ein Fortschritt.
Doch dieser Fortschritt wird nur dann Bestand haben, wenn ihm umfassendere Schritte folgen: Neben einem Schuldenerlass auch für bevölkerungsreiche arme Länder wie Nigeria, Indonesien und Bangladesch bedarf es vor allem einer Reform der unfairen Welthandelsstrukturen, die die armen Südländer in der Schuldenfalle gefangen halten. Unterbleibt dies, wird sich das Schuldenproblem innerhalb kürzester Zeit auch für die jetzt Begünstigten wieder regenerieren.

Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2005

In "Telepolis" kritisiert Harald Neuber ("Der Süden weiter im Minus") vor allem die "neoliberalen" Auflagen, die an die Entschuldung geknüpft sind:

(...) Die Initiative [extern] Erlassjahr, ein breites Bündnis von Organisationen, etwa weist darauf hin, "dass der Schuldenerlass (...) weiterhin an Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds gekoppelt" ist. Werner Rätz vom Attac-Koordinierungskreis sieht diese Programme gar für die "massive Einschränkung der Entwicklungschancen" der Länder des Südens verantwortlich. Tatsächlich wird von jeher auf den politischen Nutzen von bi- und multinationalen Staatsschulden hingewiesen. Solange Industrienationen gegenüber Staaten der "Dritten Welt" als Gläubiger auftreten können, bleiben deren politischen Spielräume dem wohlhabenden Norden gegenüber eingeschränkt. Es ist nicht verwunderlich, dass mit Venezuela in den letzten Jahren ein Land aus diesen Abhängigkeitsverhältnis ausbricht, dass über ausreichend eigene (Erdöl-) Ressourcen verfügt. Der Attac-Mann Rätz fordert daher kompromisslos und knapp: "Die neoliberalen Bedingungen der Gläubiger müssen endlich weg." (...)
(...) "Das ist in der Tat ein historischer Beschluss", [extern] lobte der deutsche Finanzminister Hans Eichel sich und sein Kollegium. Sein britischer Gegenpart Gordon Brown sah gar "ein neues Verhältnis zwischen armen und reichen Staaten".
Ganz so euphorisch beurteilt Erlassjahr die Lage nicht. Wie schon nach der deutschen Entschuldungsinitiative 1999 sei in London "lediglich für eine willkürlich zusammengestellte Gruppe von Ländern eine teilweise Schuldenstreichung nach undurchsichtigen Kriterien als umfassende Lösung des Schuldenproblems verkauft worden". Jonas Bunte, politischer Koordinator bei Erlassjahr.de, sieht hinter der Initiative politische Absichten. "Weil die britische Regierung das Thema des Schuldenerlasses im Wahlkampf so hoch gehängt hat, steht sie nun unter Zugzwang", sagte er im Gespräch mit Telepolis.
Von einem 100-Prozent-Erlass zu sprechen, sei aber ein Etikettenschwindel. Zwar seien den 18 Ländern Schulden bei IWF und Weltbank erlassen worden, doch würden die Forderungen weiterer multilateralen Gläubiger vernachlässigt. Ein Beispiel dafür bieten die vier lateinamerikanischen Staaten Bolivien, Guyana, Honduras und Nicaragua. Sie werden auch künftig mit den Forderungen der Interamerikanischen Entwicklungsbank belastet, und diese Posten haben laut Bunte "teilweise erhebliche" Ausmaße. All das lässt die vermeintliche Entschuldung in einem anderen Licht erscheinen: Die regionalen Entwicklungsbanken nämlich sind Ableger der Weltbank.

Aus: Telepolis: www.heise.de


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