"Niebel denkt nur an die Märkte von heute"
GTZ-Gutachter Theo Rauch über die ersten 20 Monate nach der Fusion in der deutschen Entwicklungspolitik *
Theo Rauch ist Professor für Geographie
an der Freien Universität Berlin
mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik.
Er arbeitete für die Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ)
als Gutachter und Auslandsmitarbeiter
in Afrika und Asien. Über die Bilanz
der zum Januar 2011 vollzogenen
Fusion in der Entwicklungspolitik
durch Minister Dirk Niebel sprach mit
ihm für »nd« Martin Ling.
Seit dem 1. 1. 2011 ist die Fusion
von Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ), Deutschem
Entwicklungsdienst (DED)
und Internationaler Weiterbildung
und Entwicklung (InWEnt) juristisch
vollzogen. Ist daraus nach
fast 20 Monaten eine homogene
Organisation Gesellschaft für Internationale
Zusammenarbeit
(GIZ) geworden oder existieren die
drei alten unter einem großen
Dach munter nebeneinander her?
Von einem munteren Nebeneinander
der drei alten Organisationen
unter einem neuen Dach kann
wohl keine Rede sein. Das Bundesministerium
für wirtschaftliche
Zusammenarbeit (BMZ) hat bei der
Fusion durchaus Nägel mit Köpfen
gemacht: Es gilt nun ein einheitliches
Management – und zwar das
der vormaligen GTZ. Ob der Einsatz
von »Entwicklungshelfern«
des Ex-DED oder der Bereich der
Weiterbildung von Ex-InWEnt:
Beide unterliegen nun ebenfalls
dem – zwischen BMZ und GTZ seit
je üblichen – Auftragsverfahren.
Dieses zwingt dazu, alle eingesetzten
Ressourcen, also zum Beispiel
auch eine Entwicklungshelferin,
strikt orientiert an vertraglich vereinbarte
Ziele einzusetzen, erlaubt
also weniger »Kür«.
Mehr Einheitlichkeit klingt nicht
per se schlecht ...
Nicht per se, aber hier werden
DED und InWEnt letztlich der Logik
der GTZ unterworfen. Unter
eingegliederten DED- und InWEnt-
MitarbeiterInnen ist deshalb oft
von einer »feindlichen Übernahme
« die Rede, zu vergleichen mit
der »Eingemeindung« der DDR bei
der Wiedervereinigung.
Fusion bedeutet auch, dass unterschiedliche
Unternehmenskulturen
integriert werden müssen.
Ist das gelungen?
Nein. Die Chance, zu einer gemeinsamen
Unternehmenskultur
zu gelangen, wurde von der GIZFührung
unter Bernd Eisenblätter
(vormals GTZ-Chef) verspielt, indem
sich die GIZ von einer Werteorientierung
abwandte und sich in
ihren neuen Leitlinien allein am
betriebswirtschaftlichen Ziel des
Weltmarktführers orientierte. Da
bleibt wenig Raum für eine Entwicklungshelfer-
Kultur, die karikierend
als »Gutmenschentum«
denunziert wurde. Da ist es auch
nicht mehr angesagt, bei Projektanträgen
noch die entwicklungspolitische
Sinnfrage zu stellen. Eine
Unternehmenskultur, die einerseits
von Effizienz und Professionalität
geprägt ist und andererseits
von Orientierung an Werten
wie Nachhaltigkeit, Armutsminderung
und Partizipation ist nicht
in Sicht.
Der erste Vorstandsvorsitzende
der GIZ, Bernd Eisenblätter, der
am 1. Juli in den Ruhestand ging
und der CDU-Politikerin Tanja
Gönner Platz machte, vertrat Ende
Juni bei der Vorstellung der Bilanz
2011 die Auffassung, dass es gelungen
sei, Doppelstrukturen abzubauen
und aus drei Unternehmen
ein effizientes zu schmieden.
Teilen Sie diese Einschätzung?
Dass Doppelstrukturen abgebaut
wurden, ist nicht zu leugnen. Diesen
Einsparungen steht aber gegenüber,
dass die Kosten der Entwicklungshelfer
nun mit den wesentlich
höheren Verwaltungsgemeinkosten
der Ex-GTZ belastet
werden. Entwicklungshelfer werden
nun also teurer, benötigen zusätzliche
Budgetmittel. Damit verbindet
sich die Frage, ob die Partnerländer
im Rahmen von Regierungsverhandlungen
zukünftig
noch bereit sein werden, »Entwicklungshelfer
« zu diesem Preis
zu akzeptieren. Da wird so mancher
Regierungsvertreter eine
Umwidmung der Mittel zugunsten
des Einsatzes lokaler Fachkräfte
fordern. Was ja entwicklungspolitisch
nicht immer schlecht sein
muss. Was aber problematisch ist,
wenn man davon ausgeht, dass
gute, kontextgerechte Entwicklungszusammenarbeit
auch auf
basisnaher Fachlichkeit, auf Bodenhaftung
von externen BeraterInnen
beruht.
Die GIZ setzt verstärkt auf die
Kooperation mit der Privatwirtschaft. Mit der Allianz Re hat die
GIZ für Kleinbauern in Asien Policen
gegen Ernteausfälle entwickelt,
mit der BASF arbeitet die
GIZ bei der Anreicherung von
Nahrungsmitteln mit dem Vitamin
A zusammen, mit TUI bei der Qualifizierung
von Frauen im Tourismus.
Wie bewerten Sie diese Beispiele?
Ich bezweifle nicht, dass es gute
Beispiele für eine sinnvolle Kooperation
mit der Privatwirtschaft
gibt. Es gibt entwicklungspolitisch
wichtige Aufgaben, die eine Privatfirma
effizienter, zuverlässiger
oder billiger machen kann als eine
Behörde. Hierzu gehören vor allem
die Bereitstellung eines Zugangs zu
Dienstleistungen wie in den genannten
Beispielen und von Absatzmärkten
für Kleinproduzenten.
Auch im Bereich der betrieblichen
HIV-AIDS Prävention und
Behandlung gibt es gute Beispiele.
Die Konstellationen, wo ein Engagement
für Privatunternehmen interessant
ist, dieses Unternehmen
gleichzeitig die erforderlich lokale
Kompetenz mitbringt und das gemeinsame
Unterfangen auch entwicklungspolitisch
erstrebenswert
ist, sind aber nicht allzu häufig
vorzufinden. Wenn dann aber politischer
Druck aus Deutschland
kommt, den Anteil der Partnerschaften
mit der Privatwirtschaft
auf »Teufel komm raus« zu erhöhen,
dann kommt es zu reiner
Symbolpolitik, das heißt Partnerschaften
um ihrer selbst willen.
Eisenblätter bezeichnete die
»alte Form der Entwicklungshilfe«
als »Auslaufmodell« und hält es
für legitim, dass Deutschland seine
Interessen deutlicher betont.
Wie sehen Sie diese Tendenz?
Eisenblätter und Niebel bauen hier
einen ärgerlichen Popanz für alle
Menschen auf, die sich in den letzten
Jahrzehnten mit Entwicklungspolitik
befasst haben. Die beschworene
»alte Form der Entwicklungshilfe
« gibt es schon seit
Jahrzehnten nur noch in Nischen.
Selbsthilfeorientierte Partnerschaft
steht seit den späten 80er
Jahren im Vordergrund. Mindestens
genauso lange versuchte man
es mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
Das war aufgrund der
Weltmarktbedingungen und bürokratischer
Hemmnisse freilich oft
nicht von Erfolg gekrönt. Wer aber
behauptet, wirtschaftliche Zusammenarbeit
sei was Neues und folglich
die damit bereits gemachten
Erfahrungen ignoriert, statt daraus
zu lernen, der wird die alten Fehler
wiederholen. Ähnliches gilt für die
propagierte Orientierung an deutschen
Interessen. Die gab es schon
immer, mal ehrlicher zugegeben,
mal schamhaft verdeckt. Mit einem
Unterschied: Unter Ministerin
Heidemarie Wiezcorek-Zeul (SPD)
stellte man das »aufgeklärte langfristige
Eigeninteresse« Europas in
den Vordergrund: das heißt ein
friedens-, umwelt-, migrationsund
auch handelspolitisches Interesse
der reichen Länder an einer
nachhaltigen und armutsmindernden
Entwicklung in den armen
Ländern. Damals hieß es
Entwicklung schaffe die Märkte
von morgen. Niebel denkt nur an
die Märkte von heute.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. August 2012
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