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Vorenthaltenes Grundrecht

UNO: Mädchen in Entwicklungsländern bei Bildungschancen weiter benachteiligt

Von Thomas Berger *

Auf dem soeben zu Ende gegangenen Bilanzgipfel zu den Millenniums-Entwicklungszielen (MDG) mußten die Teilnehmer einräumen, die meisten Selbstverpflichtungen bei der Bekämpfung von Armut und Hunger bis 2015 nicht erfüllen zu können. Eine Ausnahme bildete hierbei die Bildung. 89 Prozent der Kinder weltweit besuchen den UN-Berichten zufolge mittlerweile eine Grundschule, lernen also lesen, schreiben und rechnen. Das ist ein bemerkenswerter Teilerfolg. Aber: Vom Fortschritt profitieren Mädchen in weitaus geringerem Maße als Jungen.

Zum Beispiel Indien: Hier lebt ein Sechstel der Weltbevölkerung, die wirtschaftliche Dynamik ist enorm. Auch hier gehen inzwischen die meisten Mädchen zur Schule. Viele Inder haben erkannt, wie wichtig Bildung auch für ihre Töchter ist. Dennoch bleibt auffällig, daß der Mädchenanteil spätestens ab Klasse sechs spürbar sinkt. Ein zu Wochenbeginn anläßlich des UN-Gipfels vorgelegter Bericht zeigt, daß die Verhältnisse in vielen anderen Ländern ähnlich sind. Lediglich in 85 Staaten wird bis 2015 eine Gleichberechtigung beim Zugang zu primärer und sekundärer Bildung erreicht sein, heißt es in dem im Auftrag der UNESCO, der Kultur- und Bildungsorganisation der Vereinten Nationen, erstellten Report. Dagegen könne in mindestens 72 Staaten nicht damit gerechnet werden.

Auch mit Blick auf die beim Weltbildungsforum in Dakar im Jahr 2000 fixierten Ziele in Sachen Bildung besteht wenig Grund zur Zufriedenheit. Die bisherigen Anstrengungen seien längst nicht ausreichend, formulierte UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova diplomatisch-zurückhaltend. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO) sprechen sehr viel deutlicher von den gravierenden Defiziten.

Vor allem für Süd- und Westasien zeichnet der jüngste Bericht ein düsteres Bild. Auf 100 eingeschulte Jungen kommen hier nur 87 Mädchen. Selbst in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara liegt dieses Verhältnis mittlerweile bei 93 zu 100. In 38 Prozent aller untersuchten Länder haben Jungen an weiterführenden Schulen weitaus bessere Chancen als Mädchen. In einigen der ärmsten Staaten der Welt, in denen die Analphabetenrate noch immer extrem hoch ist, seien Mädchen sogar weiter fast gänzlich von Bildung ausgeschlossen, konstatiert der UN-Report. Dazu gehören Eritrea, Äthiopien, Mali, Niger, Tschad und die Zentralafrikanische Republik. Auch im Jemen sowie teils im pazifischen Raum (vor allem in Papua-Neuguinea und Tuvalu) ist es für Mädchen besonders schwer, überhaupt je eine Schule zu besuchen. Aus Afghanistan ist das frühere totale Bildungsverbot für Frauen, das die Taliban während ihrer Herrschaft verhängten, noch als Extremfall im Gedächtnis. Aber in Pakistan stellen Mädchen nach wie vor nur einen kleinen Teil der Schülerschaft.

In den genannten afrikanischen Staaten ist in den weiterführenden Bildungseinrichtungen der Anteil der Schülerinnen zuletzt wieder gesunken. Kamen hier 1999 im Schnitt noch 82 Mädchen auf 100 Jungen, so waren es 2008 nur noch 79. Insbesondere in der Abiturstufe hinkt Afrika dramatisch hinterher. In Ländern wie Äthiopien, Guinea, Niger oder Eritrea kommen auf 100 junge Männer gerade 35 Frauen, die die Reifeprüfungen ablegen und danach womöglich ein Studium aufnehmen.

* Aus: junge Welt, 24. September 2010


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