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Entwicklungspolitische Akteure in Deutschland bilanzieren einst verkündete Millenniumsziele

Von Tina Hoth *

Kommt Deutschland seinen Verpflichtungen und eingegangenen Versprechen in Sachen Entwicklungspolitik nach? Die Defizite scheinen zu überwiegen.

Am 20. September werden auf dem UN-Gipfel in New York die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedstaaten die bisherige Umsetzung der acht Millenniumsentwicklungsziele (MDG) diskutieren. Die ausstehende Bilanz wurde auch von der Stiftung Nord-Süd-Brücken zum Anlass genommen, um mit Vertreter/innen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungszusammenarbeit die entwicklungspolitischen Rahmenbedingungen der Ziele zu reflektieren. WM-Aktionsabo

»Die Zwischenbilanz fällt sehr nüchtern aus«, sagte Arndt von Massenbach vom INKOTA-Netzwerk. Die Verabschiedung der MDGs habe viele Hoffnungen geweckt, die trotz erkennbarer Fortschritte innerhalb der letzten zehn Jahre weitgehend enttäuscht wurden. Besonders erschreckend sei dabei, dass mit über einer Milliarde der Anteil der Menschen, die weltweit unter Hunger leiden, derzeit so hoch sei wie noch nie zuvor. Hauptgründe für diese Entwicklung sieht er unter anderem in der Nahrungsmittelkrise, dem Klimawandel und in der aktuellen Wirtschaftskrise. Tobias Hauschild von Oxfam verwies in diesem Zusammenhang auf den tansanischen Staatshaushalt. Aufgrund rückläufiger Exporte stehen derzeit weitaus weniger Gelder für eine erfolgreiche Behandlung und Bekämpfung von Aids/HIV zur Verfügung.

Inken Denker, Beraterin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unterstrich hingegen, dass das Verabschieden der Millenniumserklärung trotz einiger Defizite durchaus als Erfolg gesehen werden könne. Als internationaler Referenzrahmen für Entwicklungspolitik hätte diese in den Industrieländern eine politische Mobilisierung bewirkt und dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren die Mittel für Entwicklungshilfe gesteigert werden konnten.

Frau Dr. Mitslal Kifleyesus-Matschie vom thüringischen Verein ElJoJoFE, der Projekte in Äthiopien fördert, entgegnete allerdings, dass zum Beispiel die Mehrheit der äthiopischen Kleinbauern keine Vorstellung über das MDG-Konzept, die damit verbundenen Verpflichtungen ihrer Regierung und folglich ihrer eigenen Rechte hat. Das Konzept sei zu stark auf den »oberen Teil der Gesellschaft orientiert«, so Kifleyesus-Matschie.

Auch für Dr. Claudia von Braunmühl stellt die fehlende Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Form von Konsultations- und Beratungsgesprächen ein großes Defizit dar. Da keine Politikeinbettung der Entwicklungsziele erkennbar sei, läge lediglich ein »Symptomkatalog« vor. Zudem bemängelte sie die fehlende Verknüpfung der MDG-Agenda z.B. mit der Welthandelsorganisation.

Auf die Frage, inwieweit die deutsche Regierung ihrer Verantwortung nachkommt, antwortete von Massenbach (INKOTA), dass »konkrete Versprechen zwar gemacht, aber nicht eingehalten wurden«. Nicht nur für Hauschild (Oxfam) ist es dabei »skandalös«, dass sich für ein Konjunkturprogramm Milliarden aufbringen ließen, bei der Entwicklungspolitik solche Summen hingegen nicht bereitgestellt werden könnten.

Einigkeit bestand bei den Teilnehmern weitgehend darin, dass in den kommenden Jahren neben der Gewährleistung der Ressourcen vor allem die Debatte um strukturelle Veränderungen und Reformen vorangetrieben werden müsse. Denn »ohne langfristige Strukturveränderungen wird es keine nachhaltige Entwicklung geben«, so Hauschild. Er verwies unter anderem auf die Stärkung der öffentlicher Systeme, zum Beispiel zur Erhebung von Steuern.

Als weitere Schlüsselbereiche wurden das Sicherstellen der Ernährungssouveränität, die Überarbeitung der Bodenrechtsreformen sowie die Förderung von Kleinbauern genannt. Nachhaltige Landwirtschaft sollte dabei nach Aussagen von Kifleyesus-Matschie das Ziel verfolgen, lieber 1000 Kleinbauern als einen Investor zu fördern. Von Braunmühl betonte abschließend, dass eine Brücke zwischen den MDGs und den angesprochenen ökonomischen Strukturen wünschenswert wäre. Am Ende der Diskussion stand fest, dass die MDGs allein es nicht richten werden. Entscheidend seien vielmehr die politischen Rahmenbedingungen und die Übernahme von Verantwortung seitens der Regierungen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2010


Kritik an neuer EU-Strategie

Von David Cronin (IPS), Brüssel **

EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs ist mit seiner Forderung nach einem Hilfskonzept, das sich für die EU als Geberin rentiert, in die Kritik geraten. »Wert für Geld« heißt einer der Kernsätze der von ihm unterstützen Initiative »Europa 2020«. Die Strategie bezieht sich vornehmlich auf EUinterne Wirtschaftsfragen, verlangt aber auch die Abschaffung von Hindernissen bei Auslandsgeschäften und den Zugang zu Rohstoffen in Ländern außerhalb der EU. In einem Schreiben an die EU-Regierungen im Vorfeld des EU-Gipfels am 17. Juni hält Piebalgs fest, die Prämisse Wert für Geld müsse auch für Hilfszahlungen gelten. Jeder Euro Entwicklungshilfe sollte Investitionen in Höhe von zehn Euro nach sich ziehen. Auch unterstreicht der Kommissar: »Die Initiative Europa 2020 ist für Entwicklungsländer genauso bedeutend wie für die Länder in der EU.«

Hilfsorganisationen kritisieren Piebalgs für seine jüngsten Äußerungen. Sie erinnern daran, dass sich die Initiative Europa 2020 an einer Forderung von »Businesseurope« orientiert – ein Zusammenschluss, dem einige der größten Unternehmen der Welt angehören. Im Februar legte Businesseurope das Papier »Going for Growth« vor und forderte für europäische Investoren im Ausland uneingeschränkten Zugang zu Rohstoffen.

Zu den Kritikern gehört Hussaini Abdu, der Leiter von »ActionAid« in Nigeria. Nach seiner Auffassung irren EU-Politiker, die glauben, die wirtschaftliche Liberalisierung könnte afrikanische Länder aus der Armut befreien. »Es gibt keinen eigenen privaten Sektor in Afrika«, sagte er gegenüber IPS in Brüssel. »Der private Sektor in Afrika, das sind multinationale Firmen zumeist mit Sitz in Europa. Diese Firmen machen nicht nur enorme Gewinne. Sie zahlen dank günstiger Investitionsabkommen in der Regel auch keine Steuern.«

** Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2010


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