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G8-Staaten lassen Afrika hängen

Nur ein Drittel der zugesagten Hilfe fließt / Wirtschaftskrise verstärkt Zwang zur Kinderarbeit

Von Martin Ling *

Die G8-Staaten brauchen keine Finanzkrise, um ihre Versprechen zu brechen. Nach dem DATA-Bericht der Organisation ONE haben die G8 bislang erst ein Drittel der 2005 beim Gipfel in Gleneagles zugesagten Erhöhung der Entwicklungshilfe für Afrika erfüllt. Besserung ist durch die Weltwirtschaftskrise dort so wenig in Sicht wie im Bereich der Kinderarbeit.

Südafrikas Bischof Desmond Tutu glaubt an das Gute im Menschen und in der Politik. »Ein Versprechen ist etwas Heiliges. Es ist ein Ausdruck von Größe, wenn man Anstrengungen unternimmt, es zu halten und die G8-Staaten, die das tun, verdienen Anerkennung.« Doch selbst Tutu kann angesichts der normativen Kraft des Faktischen seine Enttäuschung nicht verhehlen: »Es macht mich traurig und wütend, dass so große Nationen wie Italien und Frankreich einen falschen Weg beschreiten und wir sollten den kommenden G8-Gipfel ermutigen, das Richtige und das Bessere zu wählen.« Sein Wort in die Ohren der Mächtigen.

Nach dem am Donnerstag (11. Juni) in Berlin und London unter Beisein des Schirmherren der Organisation ONE, Desmond Tutu, vorgestellten DATA-Bericht zahlten die sieben führenden Industrienationen USA, Deutschland, Großbritannien Frankreich, Italien, Kanada und Japan lediglich sieben Milliarden US-Dollar zusätzlich. Zugesagt sind bis 2010 aber 21,5 Milliarden. Russland, jüngstes und ärmstes G8-Mitglied, hatte sich von vornherein Zusagen enthalten.

Deutschland hat dem DATA-Bericht zufolge bisher 31 Prozent seiner Zusagen erfüllt. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sicherte zu, die Bundesregierung werde die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit wie vereinbart bis 2010 auf 0,51 Prozent und bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigern. 2008 lag der Anteil bei 0,38 Prozent (13,9 Milliarden US-Dollar). Ob sie diese Position bei den Haushaltsberatungen am 24. Juni durchsetzen kann, steht freilich ebenso in den Sternen wie ihre Zukunft als Ministerin nach den Bundestagswahlen im September.

Immerhin bekam nicht das hinterherhinkende Deutschland, sondern Frankreich und Italien, die komplett neben der Spur liegen, ihr Fett weg. »Das schwache Abschneiden der beiden Länder ist zu 80 Prozent dafür verantwortlich, dass die G8-Staaten als Ganzes so deutlich hinter ihren Zusagen zurückbleiben«, machte der Deutschlandchef von ONE, Tobias Kahler, gestern in Berlin deutlich.

Jenseits der Entwicklungspolitik fand Kahler auch deutliche Worte für die Politik der Industriestaaten generell: Mit ihrer Handelspolitik hemmten die Industriestaaten die Entwicklung des afrikanischen Kontinents und konterkarierten alle sonst lobenswerten Bemühungen. Jüngstes Beispiel dafür seien die aktuellen EU-Exportsubventionen für Milchprodukte, »Perspektivlose Fischer in Westafrika wurden Schlepper. Perspektivlose Fischer in Somalia wurden Piraten.«

Die düsteren Perspektiven beschränken sich in der Weltwirtschaftskrise freilich nicht auf die Fischer. Vor dem heutigen Welttag gegen Kinderarbeit betonte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, trotz großer Fortschritte in den vergangenen Jahren »müssen wir noch viel tun«. In dasselbe Horn blies die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Wegen der weltweiten Wirtschaftskrise geraten nach UN-Angaben mehr Kinder unter Druck, durch Arbeit zum Familieneinkommen beizutragen. Laut ILO nimmt die Kinderarbeit in armen Ländern auch deshalb zu, weil Überweisungen von Gastarbeitern in Industrieländern zurückgehen oder ausbleiben. Zudem kürzten viele Entwicklungsländer ihre Bildungsbudgets. Die Kinder müssten früher die Schulen verlassen und ins Arbeitsleben einsteigen. Mädchen seien durch die globale Krise besonders gefährdet.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2009

Scheitern die G8-Versprechen für Afrika an Italien und Frankreich?

DATA Bericht 2009 in London vorgestellt. Pressemitteilung

Berlin, 11. Juni. Die Mehrzahl der G8-Staaten, darunter Deutschland, kommt mit ihren Zusagen zur Entwicklungsfinanzierung für Afrika voran. Frankreich und G8-Gastgeber Italien jedoch gefährden mit ihrem schwachen Engagement die Glaubwürdigkeit der G8 als Ganzes. Das ist das Ergebnis des „DATA Berichts 2009" mit dem die entwicklungspolitische Organisation ONE jährlich den Fortschritt der G8 bei der Einhaltung ihrer Zusagen an die ärmsten Länder Afrikas überprüft und der heute in London vorgestellt wird.

Die G8-Staaten haben bisher nur ein Drittel der finanziellen Zusagen zur Entwicklungszusammenarbeit erfüllt - lediglich 7 Milliarden Dollar der bis 2010 angekündigten jährlichen Erhöhung von 21,5 Milliarden Dollar. Die Bewertung einzelner Länder fällt differenziert aus, weil manche Staaten anspruchsvollere Zusagen gemacht haben, als andere. Deutschland stellte bislang 31 Prozent der versprochenen Mittel bereit, habe sich aber ein ehrgeiziges Ziel gesetzt und in den letzten Jahren deutliche Anstrengungen erkennen lassen, würdigt ONE.

„Die Kanzlerin muss jetzt auch im laufenden Haushaltsverfahren sicherstellen, dass sie weiter zu ihren Zusagen steht", so der Deutschlandchef der Organisation, Tobias Kahler. „Frau Merkel sollte Präsident Sarkozy und Gastgeber Berlusconi auf dem G8-Gipfel in L'Aquila deutlich machen, dass eine Milliarde Menschen auf ihre Zuverlässigkeit hoffen", so Kahler weiter. Das schwache Abschneiden von Italien und Frankreich ist zu 80 Prozent dafür verantwortlich, dass die G8 als Ganzes so deutlich hinter ihren Zusagen zurückliegt. ONEs Schirmherr, Erzbischof Desmond Tutu, der den Bericht zusammen mit Bill Gates, Bob Geldof, der Gesundheitsexpertin Françoise Ndayishimiye und der Vizepräsidentin der Afrikanischen Entwicklungsbank Arunma Oteh vorstellte, mahnte: „Ein Versprechen an die Armen ist etwas Heiliges. Es ist ein Ausdruck von Größe wenn man Anstrengungen unternimmt, es zu halten und die G8-Staaten die das tun verdienen Anerkennung. Aber wenn wir würdigen müssen wir, dort wo es angemessen ist, auch deutlich verurteilen. Es macht mich traurig und wütend, dass so große Nationen wie Italien und Frankreich einen falschen Weg beschreiten und wir sollten den kommenden G8-Gipfel ermutigen, das Richtige und das Bessere zu wählen."

„Armes, trauriges Italien!"

Der irische Afrika-Aktivist Bob Geldof fügte hinzu: „Armes, trauriges Italien. Es muss die Vorstellungskraft aber auch die Seele dieser schönen Nation quälen, dass ihre Wirtschaft sich in einem offenbar so desaströsen Zustand befindet, dass sie von Armen stehlen, die Kranken berauben und die Bildung aus den Köpfen der Jugend reißen muss. Schämt Euch! Eure Regierung blamiert Euch!"

Wie effektiv ist die Unterstützung? Deutschland fällt von Platz 2 auf 4

Der Bericht wertet auch aus, wie effektiv das Geld eingesetzt und die Hilfe mit anderen Gebern abgestimmt wird. ONE mahnt hier mehr Anstrengungen Deutschlands an: Weil sich andere G8-Staaten im letzten Jahr schneller an selbstgesteckten Zielen zu mehr Transparenz und Koordination ausrichteten, ist Deutschland im Ranking zur Effektivität der Hilfe von Platz 2 im letzten Jahr auf Platz 4 abgerutscht. Positiv sei aber hervorzuheben, dass die Bundesrepublik als erstes Land hierzu einen Nationalen Aktionsplan vorgelegt hat.

Insgesamt seien die positiven Effekte der Armutsbekämpfung in den letzten Jahren deutlich zu erkennen. Der Co-Vorsitzende der Bill und Melinda Gates Stiftung, Bill Gates, erklärte bei der Vorstellung des Berichtes: „Die Erfolge, die in Afrika bislang im Kampf gegen Malaria und HIV/Aids erzielt werden konnten sind fantastisch. Unsere Stiftung hat sich zur Aufgabe gesetzt, dass sich diese Erfolge fortsetzen. Ich hoffe, dass alle G8-Staaten ihren Teil der Vereinbarung weiter verfolgen und an ihren Erfolgen anknüpfen, so wie wir das bei Deutschland und Großbritannien sehen. Bestehende Investitionen in die globale Gesundheitsversorgung und Entwicklung auszubauen ist dabei entscheidend. So können wir den Menschen in armen Ländern zu einem gesünderen und produktiveren Leben verhelfen."

Wie wirkt die Politik der Industriestaaten insgesamt?

ONE kritisiert, dass alle G8-Staaten entgegen ihrer Zusage von 2005 bei weitem nichts ausreichendes unternommen hätten, um Afrika eine Chance zu geben, sich über die Beteiligung am Welthandel selbst aus der Armut zu befreien. Mit ihrer Handelspolitik hemmten die Industriestaaten die Entwicklung des Kontinents und konterkarierten alle sonst lobenswerten Bemühungen. Jüngstes Beispiel dafür seien die aktuellen EU-Exportsubventionen für Milchprodukte. „Perspektivlose Fischer in Westafrika wurden Schlepper. Perspektivlose Fischer in Somalia wurden Piraten. In der globalisierten Welt treffen mangelnder Wohlstand und Instabilität uns letztlich alle", erinnerte Tobias Kahler.

Arunma Oteh von der Afrikanischen Entwicklungsbank kommentierte die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents unter den Vorzeichen der Finanzkrise: „Die Krise macht Afrikas jüngste Fortschritte wieder rückgängig, die durch Jahrzehnte sozialer, wirtschaftlicher und politischer Reformen erarbeitet wurden. Um die jüngsten Erfolge zu sichern braucht Afrika weiter gute Regierungsführung, Handel und Investitionen in Höhe von 120 Milliarden US-Dollar jährlich. Ein vernünftiger Einsatz der zugesagten Gelder der G8 kann uns dabei helfen, diese Mittel zu mobilisieren und unseren Fortschritt zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele zu befördern."

ONE ist eine Lobby- und Kampagnenorganisation. Weltweit unterstützen über zwei Millionen Menschen aller Gesellschaftsbereiche und Glaubensrichtungen ONE mit ihrem Namen im Kampf gegen extreme Armut und vermeidbare Krankheiten, insbesondere in Afrika.




EVEN IN THESE HARSH TIMES, DOING THE RIGHT THING IS POLITICALLY POSSIBLE AND ECONOMICALLY SENSIBLE

FOREWORD BY BOB GELDOF AND KOFI ANNAN

Almost ten years ago, African leaders and their partners in the international community entered a pact for improving the lives of hundreds of millions of people. As part of their campaign to achieve the Millennium Development Goals, they made commitments to each other and to their citizens that they would work to beat extreme poverty and promote good governance; while Western leaders responded to the demands of their citizens that aid budgets should be increased and spent wisely and effectively in support of Africa's campaign against poverty.

This year's Africa Progress Panel and DATA Reports, deliberately launched back-to-back, serve to underline this shared responsibility, both of governments everywhere to their own people, and of G8 and African leaders to each other.

ONE focuses on the degree to which commitments made by Africa's partners have been met, while the APP addresses the challenges faced by African leaders and what needs to happen if they are to be able to deliver people-centred growth. There are inspiring success stories on both sides, but these also serve to highlight formidable obstacles to progress.

In a tumultuous year, crises emanating from the dynamic economic centres of the planet have worsened the prospects of the periphery. It is ironic that, just as some of the poorest were beginning to experience the benefits of globalisation, the global integration project should falter so violently. Too many have been 'decoupled' from the benefits, but tightly linked to the costs, of globalisation. Those who have contributed least to the crises have been affected most. It is unfortunately true that when the rich become less rich the poor become even poorer.

As capital inflows dwindle and access to credit becomes more difficult, we not only have a shared responsibility to ensure that the poorest are protected from the devastating impact of the crisis, but also that this opportunity to move towards a more sustainable economic development model is seized.

It is a constant struggle to get governments to meet their stated targets. In the areas of ODA levels, accountability, transparency and democracy, it becomes even more difficult when budgets get tightened and domestic exigencies understandably come to the fore. This, however, should not be a pretext for departing from commitments: not least as the well-being of so many fellow humans is at stake. The performance of a number of G8 countries this last year has been commendable. While some have met and others are striving to meet their promises, two nations, Italy and France, endanger overall progress to the achievement of the Gleneagles targets. However, other nations are proving that, even in these harsh times, doing the right thing is politically possible and economically sensible.

At existential moments of crisis, debate about development and the role of aid is reinvigorated. This is welcome. When old systems appear to fail, it is right and useful to question why, analyse and plot new ways forward. Notions of aid and aid delivery, its usefulness or otherwise, the role of NGOs, appropriate models of economy and polities, types of effective representative governance and hitherto accepted assumptions are being reappraised; we hope this will lead to fruitful, evidence-based conclusions rather than vapid theorising.

The development establishment must challenge itself aggressively, and we hope deliver a renewed strategy, based on shared responsibility and mutual accountability, by 2010. The purpose of this brief, however, is more limited. It is to report on the ups and downs, who is and who isn't doing what they said and what are the indices going forward. And while there are many superb examples of progress and societal advancement, there are equally and unfortunately the all too predictable failures.

We can only deal with the empirical. And the evidence is that aid, used accountably by governments acting in the interests of their people and in an open manner, can make a measurable positive difference, contributing to better educated, healthy and employed men and women. Whether financial resources, including aid, achieve development results depends upon the willingness and ability of those in power to use them responsibly. Where that is lacking, whether in resource-poor countries like Somalia or resource-rich like Equatorial Guinea, MDG achievement will remain a distant prospect.

The imperative for governments to go the extra mile to keep to their commitments and promises is clear. If they don't, those least able to withstand its woes will bear the brunt of the global recession, and Africa's essential contribution to global recovery will be not be realised, to the detriment of all.

KOFI ANNAN, AFRICA PROGRESS PANEL
SIR BOB GELDOF, ONE

www.one.org


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