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Steigende Lebensmittelpreise bedrohen die Armen dieser Welt / Rising Food Prices Threaten World's Poor People

Zum Zusammenhang von Wachstum, Klimawandel und "Biosprit" / Report des International Food Policy Research Institute (IFPRI)

Am 4. Dezember 2007 veröffentlichte das International Food Policy Research Institute (IFPRI) Ergebnisse einer Untersuchung, die höchst alarmierend sind. Die weltweite Nachfrage nach Getreide übersteigen danach schon seit mehreren Jahren das Angebot an diesen Grundnahrungsmitteln. Entsprechend schrumpfen die Getreidevorräte. Rechnet man den steigenden Verbrauch von sog. Biosprit hinzu (wofür Anbauflächen der Lebensmittelproduktion entzogen werden) und berücksichtigt die zu erwartenden rückläufigen Ernteerträge in Folge des Klimawandels, so sind die Aussichten für die Welternährungslage nicht günstig. UInd betroffen sind von dieser Entwicklung wieder einmal die Ärmsten der Armen in der "Dritten Welt".
Wir dokumentieren im Folgenden einen Artikel (deutsch) sowie die Presseerklärung des IFPRI (englisch).
Literaturtipp:
Joachim von Braun: The World Food Situation. New Driving Forces and Required Actions, December 2007 (pdf-Datei; externer Link)



Biosprit statt Brot

Landwirtschaft im Dilemma: Gestiegene globale Nahrungsmittelnachfrage kann nicht mehr befriedigt werden

Von Tomasz Konicz *


Lebensmittel werden immer teurer. Der globale Preisschub, der in diesem Jahr nahezu die gesamte Nahrungsmittelpalette erfaßte, könnte dabei erst der Anfang einer langjährigen inflationären Entwicklung sein. Insbesondere die Armen der Welt sind stärker denn je von Hunger und Unterernährung bedroht. Laut eines kürzlich veröffentlichten Berichts der Nichtregierungsorganisation International Food Policy Research Institute (IFPRI), übersteige die weltweite Nachfrage nach Getreide schon seit mehreren Jahren das Angebot an diesen Grundnahrungsmitteln. In der vergangenen Saison 2006/2007 stand beispielsweise einer weltweiten Weizenernte von 593,1 Millionen Tonnen ein Verbrauch von 618,0 Millionen Tonnen gegenüber.

Jetzt geht es ans Eingemachte: Die globalen Vorräte unterschiedlichster Getreidearten schmelzen dahin. Nach den Worten des IFPRI-Vorsitzenden Joachim von Braun befinden sich die Reserven aufgrund der gestiegenen Nachfrage auf dem niedrigsten Niveau seit den frühen 80er Jahren: »Das kann so nicht weitergehen, die Erschöpfung der Vorräte wird bald erreicht werden«, warnte von Braun auf einer Pressekonferenz in Peking.

Seit 2004 sinken die globalen Erträge bei den Grundnahrungsmitteln Weizen, Reis und Hülsenfrüchten. Als Ursachen werden ungünstige Wetterbedingungen und verringerte Anbauflächen genannt. Allein 2006 sei die weltweite Getreideproduktion um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken, warnte IFPRI. In der EU und den USA sanken demnach die Weizen- und Maiserträge um zwölf bis 16 Prozent, wobei Produktionssteigerungen in China und Indien diese Ernteausfälle bei weiten nicht ausgleichen konnten.

Die Getreidepreise haben sich zwischen 2000 und 2006 verdoppelt. Entgegen verbreiteten Legenden ist dies nicht hauptsächlich der gewachsenen Nachfrage von Schwellenländern wie China oder Indien geschuldet. Auch die weltweite Flotte von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor fordert ihren Tribut: Während der Konsum von Getreideprodukten als Lebensmittel im genannten Zeitraum um vier Prozent anstieg, nahm die Produktion sogenannter Biokraftstoffe allein zwischen 2003 und 2007 um 25 Prozent zu. So haben beispielsweise die Vereinigten Staaten die Erzeugung von Bioäthanol aus Mais zwischen 2000 und 2006 um 250 Prozent erhöht.

Zur globalen Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln tragen laut IFPRI auch Finanzinvestoren bei. Jene weltweit verhaßte Spezies sieht in den steigenden Preisen offenbar die Chance, auch hier ihren Reibach zu machen. Die Situation habe laut IFPRI deren »Interesse« geweckt. Demnach sei das Gesamtvolumen der globalen Spekulation mit Lebensmitteln allein 2006 um 30 Prozent angestiegen. Neben Getreide hätten sich auch Mais und Reis seit 2000 nahezu um das Doppelte verteuert.

Für die kommende Dekade sehen die IFPRI-Experten wenig Licht: »Die Risiken des Klimawandels« werden »eine negative Auswirkung auf die Nahrungsmittelproduktion« haben, heißt es in ihrer Studie. So würden ausgerechnet Entwicklungsländer von häufigeren Dürren und Überschwemmungen schwer betroffen sein. Das weltweit in der Landwirtschaft erzielte Bruttosozialprodukt (BSP) könnte aufgrund des Klimawandels bis zum Jahr 2020 um bis zu 16 Prozent fallen, errechnete die Nichtregierungsorganisation. Für die Länder der Dritten Welt prognostizierte IFPRI sogar einen Einbruch von bis zu 20 Prozent, während die Industrieländer mit einem Absinken um sechs Prozent noch glimpflich davonkommen könnten.

Die NGO befürchtet, daß es den schwarzen Kontinent wieder besonders hart treffen wird: »Bei Berücksichtigung der Effekte des Klimawandels könnte sich die Anzahl der unterernährten Menschen im subsaharischen Afrika zwischen 1990 und 2080 verdreifachen.« Weltweit soll die Zahl der hungernden Menschen bis 2025 von derzeit 854 Millionen auf 1,2 Milliarden steigen.

Die negativen Effekte des Klimawandels sind längst Realität. Ernteeinbußen der vergangenen Jahre waren zu einem guten Teil auf langanhaltende Dürren in einigen Hauptanbaugebieten für Getreide zurückzuführen. Die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerdeböden galt als die Kornkammer der Sowjetunion. Dieses Jahr blieb dort der Regen weitgehend aus. Die Regierung sah sich genötigt, ein umfangreiches Programm zur Schaffung von Lebensmittelvorräten zu initiieren. Bis zu zehn Millionen Tonnen Weizen soll das Defizit infolge der Trockenheit betragen – bei einer Ernte von insgesamt 30 Millionen Tonnen. Australien, das seit Jahren unter einer schweren Dürre leidet, konnte 2005 noch 34 Millionen Tonnen Getreide erzeugen. Im Folgejahr waren es nur noch 14,8 Millionen Tonnen, und in dieser Saison wird eine Ernteergebnis von lediglich etwa 13 Millionen Tonnen erwartet.

Der forcierte Anbau von Pflanzen zur Treibstoffproduktion treibt die Preise maßgeblich. Nahrungsmittel würden immer häufiger zur Sättigung des weltweiten Energiehungers »mißbraucht«, was die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen gefährde, sagte die Direktorin von »Brot für die Welt«, Cornelia Füllkrug-Weitzel, zum Auftakt einer neuen Spendenkampagne.

Auch in Deutschland konkurriert die Lebensmittel- und Energiebranche inzwischen um die gleichen Ressourcen. Bei Raps, Mais oder Getreide werden immer größere Erträge von Biodieselraffinerien oder Biomassekraftwerken verwertet. »Jetzt haben wir das Drama, daß ein kleiner Brauer oder Bäcker mit Milliardenkonzernen wie RWE um Rohstoffe kämpfen muß«, sagte Mitte November der Präsident des Deutschen Brauer-Bundes, Richard Weber, gegenüber der Zeitung Die Welt.

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2007


PRESS RELEASE
December 4, 2007

Rising Food Prices Threaten World's Poor People

New report examines the impact of growth, climate change, and biofuels

Beijing — Income growth, climate change, high energy prices, globalization, and urbanization are all converging to transform food production, markets, and consumption, according to a new report by the International Food Policy Research Institute (IFPRI). As a result, global food demand and prices are likely to rise, threatening the livelihoods and nutrition of poor people in developing countries. The report, "The World Food Situation: New Driving Forces and Required Actions," was released today at the annual general meeting of the Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR).

"Food prices have been steadily decreasing since the Green Revolution, but the days of falling food prices may be over," said Joachim von Braun, lead author of the report and director general of IFPRI. "Surging demand for feed, food, and fuel have recently led to drastic price increases, which are not likely to fall in the foreseeable future, due to low stocks and slow-growing supplies of agricultural outputs. Climate change will also have a negative impact on food production, compounding the challenge of meeting global food demand, and potentially exacerbating hunger and malnutrition among the world's poorest people." "Economic growth has helped to reduce hunger, particularly when it is equitable," added von Braun. "But unfortunately, growth does not always reach the poorest people."

"Economic growth has helped to reduce hunger, particularly when it is equitable," added von Braun. "But unfortunately, growth does not always reach the poorest people."

Consumer Demand

Many regions of the developing world, especially China and India, have seen high economic growth in recent years. Together with an expanding urban population, income growth is altering spending and consumer preferences. Global food demand is shifting from grains and other staple crops to processed food and high-value agricultural products, such as vegetables, fruits, meat, and dairy.

Although many smallholder farmers would like to take advantage of new income-generating opportunities presented by high-value products, there are serious barriers to entering this market, including the capacity to address safety and quality standards and produce large quantities for food processors and retailers.

Bioenergy

In response to rising oil costs, the production of biofuels as an alternative source of energy is also contributing to dramatic changes in the world food situation. According to the report, increased production of bioenergy will adversely affect poor people in developing countries by increasing both the price and price volatility of food. Subsidies for biofuels, which are common, exacerbate the negative impact on poor households, as they implicitly act as a tax on basic food.

Using state-of-the-art computer modeling, IFPRI has projected the possible price effects of biofuels for two potential scenarios up to the year 2020:
  1. Under scenario one, which is based on the actual biofuel investment plans of many countries and the assumption that high-potential countries will expand their production of bioenergy, maize prices would increase by 26 percent and oilseed prices would rise by 18 percent.
  2. Under scenario two, which assumes that the production of biofuels would expand greatly, to twice the level of scenario one, maize prices would increase by 72 percent and oilseeds by 44 percent.
In both scenarios, rises in crop prices would lead to decreases in food availability and calorie consumption in all regions of the world, with Sub-Saharan Africa suffering the most. As biofuels become increasingly profitable, more land, water, and capital will be diverted to their production, and the world will face more trade-offs between food and fuel.

Agricultural Trade

In addition to biofuels, IFPRI also modeled the impact of supply and demand changes on prices and projects that up to 2015, cereal prices could further increase by 10 to 20 percent, benefiting certain countries and population groups while ill-affecting others. China and almost all African countries, which are net importers of cereals, would suffer from the resulting high prices, but India, a net exporter would benefit. Overall, the majority of poor people, who live in households that are net buyers of food, will be worse off and increased food prices will make it even more difficult for them to eat healthy, well-balanced diets.

A more open global trade in agriculture, however, would generally benefit developing countries. IFPRI research shows that opening up and facilitating market access between industrialized and developing countries would bring significant economic gains, although poverty would not be significantly reduced except in certain contexts.

Climate Change

World agricultural output is projected to decrease significantly due to global warming, and the impact on developing countries will be much more severe than on industrialized nations. Africa is particularly vulnerable to climate change because of its high proportion of low-input, rainfed agriculture, compared with Asia or Latin America. Exposure to rainfall variability also extends to livestock, which mostly depend on range and grasslands that are affected by environmental shocks, such as climate change. To address these risks, investments to improve agricultural productivity need to increase and innovative insurance mechanisms should be explored to compensate rural communities and smallholder farmers when rains fail.

Policy Recommendations

Given the various risks and challenges posed by the rapidly changing world food situation, current market trends and government policies could exacerbate hunger and poverty, especially for the world's poorest people. Policymakers thus must take explicit measures to mitigate the negatives effects on poor households. While tackling long-term challenges is vital, the report recommends that policymakers also take immediate action:
  1. Developed countries should facilitate flexible responses to drastic changes in food prices by eliminating trade barriers and programs that set aside agriculture resources. A world facing increased food scarcity needs to trade more, not less.
  2. Developing countries should increase investment in rural infrastructure and market institutions to improve access to critical agricultural inputs, including fertilizers, seeds, and credit, which are key to enhancing productivity.
  3. To counteract rising food prices, national and international research systems, including the CGIAR, should be positioned to invest more heavily in agricultural science and technology to increase agricultural production on a global level.
  4. Policymakers should enact social protection measures that focus on early childhood nutrition to mitigate risks associated with reduced food access, particularly for the poorest households.
  5. Because poor people in developing countries are especially vulnerable to the risks associated with climate change, particularly as it relates to food security, policymakers should take agriculture and food issues into account when developing national and international climate change agendas.
"As the world food situation is being rapidly defined by new driving forces, including income growth, climate change, and increased production of biofuels, the global community must give renewed attention to the role of agriculture, nutrition, and health in development policy," said von Braun. "Above all, policies must target the world's most poor and hungry people, to ensure that they do not get left behind in the wake of overall economic growth and global progress."

** The International Food Policy Research Institute (IFPRI) seeks sustainable solutions for ending hunger and poverty. IFPRI is one of 15 centers supported by the Consultative Group on International Agricultural Research, an alliance of 64 governments, private foundations, and international and regional organizations.

Source: www.ifpri.org


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