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Ein Minister schafft sich ab

Weniger Personal, weniger Kosten, weniger Hilfe: Dirk Niebel baut sein Ministerium um

Von Sebastian Carlens *

Der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel (FDP), hat am Freitag Halbzeitbilanz gezogen. Ihm sei die »größte Strukturreform in der Geschichte der Entwicklungspolitik« gelungen, sagte Niebel in Berlin: die Zusammenlegung der drei staatlichen Ausführungsorganisationen im Bereich der Entwicklungshilfe in der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). 700 Posten wurden gestrichen, rund 400 direkt ins Ministerium verlegt. In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung vorgesehen, die Zahl der Empfängerländer deutscher Entwicklungshilfe von 57 auf 50 zu senken. Dies würde nun umgesetzt, kündigte Niebel an. Welche Länder zur Streichung vorgesehen sind, wollte der Minister noch nicht verraten – auf jeden Fall gehört jedoch die Volksrepublik China dazu, die schon seit 2010 kein deutsches Geld mehr erhalte. Darauf sei er »sehr stolz«: »Ein schöner Erfolg für die Bundesregierung, weil er auch ein Wahlkampfversprechen war.« Drei Kategorien von Ländern, mit denen das Ministerium zusammenarbeite, werde es in Zukunft geben: Das »Rundum-Sorglos-Paket« für die verbleibenden 50 Länder, denen die BRD Entwicklungshilfe zubilligt, regionale oder sektorale Zusammenarbeit mit 25 weiteren Ländern sowie zivilgesellschaftliche Kooperation mit allen Entwicklungsländern nach OECD-Standard.

Er möge »das Wort Entwicklungshilfe nicht«, hatte der Minister schon zu Beginn seiner Amtszeit programmatisch erklärt. Klassische Hilfeempfänger gibt es im Hause unter Niebels Führung sowieso nicht mehr, nur noch »globale Entwicklungspartner, wie wir sie nennen wollen«. Das neue Vokabular ist mehr als nur ein Tapetenwechsel, der FDP-Politiker setzt auch in der Entwicklungspolitik auf die Segnungen der freien Marktwirtschaft: »Das Bundesministerium ist nicht das Weltsozialamt«, stellt der Minister klar. Seine Politik sei »werteorientiert, aber auch interessengeleitet«.

Werte und Interessen können dabei in Widerspruch geraten, gab der Mann, der die Fallschirmjägermütze zu seinem Markenzeichen erkor, gerne zu. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sei ein Instrument von vielen, um deutschen Interessen in der Welt zum Durchbruch zu verhelfen. Auch die politischen Stiftungen der Parteien seien hochwirksam aktiv und brächten einen »ganz besonderen Mehrwert für die deutsche Außenpolitik«. Sie lieferten »seit 40 Jahren gute Ergebnisse, unabhängig, zu welcher Partei sie gehören«. »Werte« dürften zudem nicht allzu eng ausgelegt werden: »Wenn die Rechtssysteme« – Niebel redet von der Scharia – »in anderen Ländern auf anderen religiösen Systemen basieren, ist das nicht von vorhinein schlecht«. Die deutsche Entwicklungshilfe erreiche, daß Menschen aus aller Welt »german-minded« in ihre Heimatstaaten zurückkehrten und aktiv würden. »Kein Mensch in der Welt würde uns glauben, daß wir keine Interessen haben.«

Ein weiteres Projekt des Ministeriums in der zweiten Hälfte der schwarz-gelben Koalition wird die Einrichtung einer »Servicestelle für bürgerschaftliches Engagement« sein. Hier sollen die 1700 entwicklungspolitischen Organisationen und die mehr als 4000 kommunalen Projekte Deutschlands koordiniert werden. Die Zahl der Deutschen, die sich für Entwicklungshilfe interessieren, soll sich auf zwei Millionen verdoppeln, wünscht sich Niebel. Wie er eine Million Freiwillige gewinnen möchte, verrät er nicht. Vor nicht allzu langer Zeit hat der Minister diese Art von Ehrenamtlichen noch als »Bartträger im Alpaka-Pullover« verspottet.

* Aus: junge Welt, 1. November 2011


Dokumentiert: Die Selbstdarstellung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ):

Die Geschichte des Ministeriums

Deutschland erhält weltweit Anerkennung für seine Rolle im internationalen Dialog. Wir zeigen uns als verlässlicher Partner der Länder des Südens und Ostens. Entscheidenden Anteil daran hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das jetzt auf 50 Jahre Geschichte zurückblicken kann.

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1952 in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Damals leistete sie erstmals einen finanziellen Beitrag zum "Erweiterten Beistandsprogramm der Vereinten Nationen". Diesem ersten Schritt folgten bald viele weitere. Ende der 1950er Jahre setzte sich der Bundestag für eine aktive und konstruktive Nord-Süd-Politik ein. 1956 wurde ein erster Fonds mit 50 Millionen DM für die Entwicklungszusammenarbeit eingerichtet.

Gründung des Ministeriums

Anfangs lag die Verantwortung für die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik bei verschiedenen, schon vorhandenen Ministerien und Abteilungen. Doch die wachsende Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit und die Komplexität des Arbeitsbereiches führten dazu, dass die Bundesregierung 1961 ein eigenes "Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit" einrichtete. Als "Geburtstag" des BMZ gilt der 14. November 1961, der Tag, an dem Walter Scheel zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt wurde.

Das BMZ wurde mit der Absicht gegründet, die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Bundesrepublik zu bündeln und stärker in den Vordergrund zu stellen. Aber erst durch die Übertragung der Zuständigkeit für die finanzielle Zusammenarbeit mit Partnerländern und in internationalen Organisationen (1972) konnte das BMZ eine wirklich eigenständige Entwicklungspolitik gestalten. 1998 wurde dem BMZ als letzter großer Zuständigkeitsbereich die Federführung innerhalb der Bundesregierung für die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union zugeordnet.

1952-1970

Während in den ersten zwei Jahrzehnten der Zusammenarbeit die Förderung des Wirtschaftswachstums der Partnerländer im Vordergrund stand, wurde ab Ende der 1960er Jahre eher davon gesprochen, die Lebensqualität in den Entwicklungsländern zu bessern. Zum Beispiel durch den Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung, durch Bildungsangebote und durch die Möglichkeit, an politischen Prozessen teilnehmen zu können.

1970-1990

Ab Mitte der 1970er Jahre wurde verstärkt die Rolle von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit zum Thema. Gleichzeitig verschärften sich angesichts der Ölkrise und der folgenden Weltwirtschaftskrise die Gegensätze zwischen armen und reichen Ländern immer mehr. Unterstützung für die ärmsten Länder der Welt wurde immer wichtiger.

Weitere Wirtschaftskrisen, der Verfall von Rohstoffpreisen, die Ausbreitung von AIDS, wachsender Drogenhandel, die Umweltzerstörung und die zunehmende Verschuldung vieler Entwicklungsländer führten zu einem Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit. So verabschiedete man sich von der Vorstellung, den Partnerländern feste Ziele vorzuschreiben. Gleichzeitig wuchs das Bewusstsein, dass die Entwicklung in den ärmeren Ländern auch von Veränderungen in den Industrieländern abhängig ist.

1990 bis heute

Das Ende des Ost-West-Konfliktes führte erneut zu Veränderungen der Entwicklungszusammenarbeit. Die Politik des wiedervereinigten Deutschlands berücksichtigte nun auch die entwicklungspolitische Arbeit der ehemaligen DDR: Von insgesamt 106 entwicklungspolitischen Projekten der DDR wurden 64 weiter gefördert.

Internationale Konferenzen, wie zum Beispiel die Konferenz für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung (Rio 1992) und die Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung (Kairo 1994), schufen ein globales Verständnis für die Herausforderungen, vor denen die Welt steht. Gleichzeitig wurden neue politische Grundsätze für die Zusammenarbeit festgelegt. Sie forderten unter anderem, dass die Partnerländer die Menschenrechte und demokratische Prinzipien beachten und vor allem die soziale Lage der armen Bevölkerung berücksichtigen müssen.

Seit 2009 ist Dirk Niebel der zwölfte Entwicklungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Er fusionierte drei entwicklungspolitische Organisationen zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Seine Schwerpunkte sind mehr Wirtschaft für mehr Entwicklung, die Mobilisierung neuer Partner und die Verankerung der Entwicklungspolitik in der Mitte der Gesellschaft.

Quelle: Website des BMZ; http://www.bmz.de




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