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Sanktionen alten Typs haben ausgedient

In der UNO wird über "smart sanctions" - "intelligente Sanktionen" - diskutiert

Selbst der neue US-Außenminister Powell sprach nach seiner Nahostreise davon, dass die Sanktionspolitik der Vereinten Nationen zu überdenken seien. Gegenüber dem Irak hätte das zehnjährige Wirtschaftsembargo die Falschen getroffen. Notwendig seien intelligenere Lösungen, gezielte Sanktionen, welche die Bevölkerung ungeschoren lassen, das anzugreifende Regime indessen treffen sollten. Der Irk ist tatsächlich ein Beispiel dafür, wie ein Wirtschaftsembargo ein ganzes Volk und eine Volkswirtschaft um Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte in ihrer Entwicklung zurück werfen kann. Das Embargo tötet täglich, und es tötet vor allem Kinder und Alte, die Schwächsten der Gesellschaft eben.

Der folgende Beitrag befasst sich mit den Diskussionen, die in der UNO über das Sanktionsregime seit einigen Monaten geführt werden. Wir haben den Beitrag der Süddeutschen Zeitung entnommen und dokumentieren ihn in gekürzter Form.

Beruhigung für das Weltgewissen

Die bisherige Sanktionspolitik der Vereinten Nationen hat viel Symbolcharakter, aber wenig Wirkung / Von Stefan Ulrich

Als die Blauhelme der Vereinten Nationen vergangenes Frühjahr in Sierra Leone in Bedrängnis gerieten, schickte UN-Generalsekretär Kofi Annan seinen Freund Manfred Eisele in das afrikanische Land. Eisele, einst selbst beigeordneter Generalsekretär, stieß rasch auf den Kern des Problems: Diamanten. „Sie sind die einzige echte Ursache des Bürgerkriegs“, erkannte er. Also empfahl er eine maßgeschneiderte Sanktion: Der Handel mit Diamanten aus Sierra Leone sollte weltweit verboten werden. Im Sommer folgte der Sicherheitsrat seinem Vorschlag. Über die Wirksamkeit lasse sich zwar noch nicht urteilen, meint Eisele heute. Aber jede Million Dollar, die weniger in die Kriegskassen gespült werde, sei ein Gewinn. Außerdem: „Der Bevölkerung passiert kein Unrecht. Denn die hat sowieso nichts von den Diamanten.“

Die Sierra-Leone-Resolution ist ein Beispiel für das, was derzeit unter dem Schlagwort smart sanctions diskutiert wird. Intelligent sollen die Zwangsmaßnahmen der Zukunft sein, sie sollen verbrecherische Regime treffen, die Bevölkerung aber verschonen. Das Gegenteil erlebt die Welt im Irak – dumme Sanktionen. Sie knechten seit zehn Jahren das Volk. Hunderttausende Kinder sind laut Unicef aus Mangel an Essen und Medizin gestorben. Saddam Hussein aber mästet sich am Schwarzhandel und hält den Westen zum Narren. Der Diplomat Hans von Sponeck meinte dazu: „Die Vereinten Nationen versuchen, einen Tiger zu fangen, und töten dabei einen schönen Vogel.“

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... Flächendeckende Wirtschaftssanktionen wie gegen den Irak, Jugoslawien oder Haiti dürfte es künftig nicht mehr geben. An ihre Stelle sollen exakt auf die jeweilige Situation abgestimmte Maßnahmen treten: die Beschlagnahme von Auslandsvermögen, Reiseverbote, Stopp von Ausbildungsprogrammen, Waffenembargos, Investitionsverbote und die Schaffung internationaler Tribunale. Dutzende Forschungsinstitute in aller Welt versuchen, ein Sanktionsinstrumentarium zu entwickeln, das präzise wie das Besteck eines Chirurgen eingesetzt werden könnte. Der Sicherheitsrat hat zudem einen Reformausschuss eingerichtet, der bald Ergebnisse vorlegen will. ...

Bei der Reform geht es nicht nur um die Zwangsmaßnahmen selbst. Gedacht wird auch an einen Fonds, aus dem Drittländer entschädigt werden sollen, die unschuldig unter Sanktionen leiden. So bekam Griechenlands Wirtschaft das Jugoslawien-Embargo schmerzhaft zu spüren. Athen fühlte sich ungerecht behandelt und scherte teils aus der Solidaritätsfront gegen Belgrad aus. Solche Probleme sollen künftig berücksichtigt werden. ...

Auch über eine bessere Ausstiegs-Strategie wird beraten. Bisher gelten Sanktionen so lange, bis der Sicherheitsrat ihre Aufhebung beschließt. In der Praxis kann das am Veto eines einzigen ständigen Mitglieds scheitern. Künftig könnten Sanktionen befristet werden oder bei Erreichen bestimmter Ziele automatisch entfallen. Besonders die USA wehren sich aber noch gegen eine solche Regelung. Sie lehnen es auch ab, den UN ein Sanktionsmonopol einzuräumen. Washington, der Weltmeister im Sanktionieren, will auch weiter eigene Zwangsmaßnahmen verhängen, auch wenn sie, wie im Falle Fidel Castros, über Jahrzehnte nicht zum Ziel führen.

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Aus: Süddeutsche Zeitung, 3. März 2001

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