Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Völkerrechtler fordern von Bundesregierung Nichtbeachtung der Irak-Sanktionen

Presseerklärung und Aufruf einer Initiative von Friedens- und Menschrechtsgruppen

Anläßlich des zehnten Jahrestages des Kriegsendes und der neu entflammten Debatte um die Sanktionen gegen den Irak weisen zahlreiche Vertreter aus Wissenschaft und Politik die Bundesregierung auf die verheerenden Auswirkungen des bis heute andauernden Wirtschaftsembargos hin. Mehr als eine Million Menschen ließen im Irak nach Angaben von UN-Organisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation WHO als Blockadeopfer in den letzten zehn Jahren ihr Leben, darunter mehr als 500.000 Kinder unter fünf Jahren.

Zur Verteidigung der Sanktionen werden häufig die Menschenrechtssituation im Irak und die Gefahr einer erneuten Aufrüstung des Irak angeführt. Doch Sanktionen mit so gravierenden Folgen für das Leben und die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung sind mit keinen politischen oder sonstigen Zielen zu rechtfertigen. Sie verstoßen gegen fundamentale Menschenrechte und eine Vielzahl völkerrechtlich verbindlicher Konventionen.

In einem heute veröffentlichten Aufruf fordert eine Initiative von Friedens- und Menschenrechtsgruppen die Bundesregierung auf, die Sanktionen gegen den Irak nicht länger zu beachten.

Die u.a. von den Völkerrechtlern Prof. Norman Paech (Hamburg), Prof. Werner Ruf (Kassel) und Prof. Hans Köchler (Innsbruck), dem früheren UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak, Hans-C. von Sponeck, dem IPPNW-Vertreter Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein, dem Sprecher des Bundesausschuß Friedensratschlag, Dr. Peter Strutynski und dem Redakteur von OSSIETZKY, Eckart Spoo getragene Initiative, wendet sich in erster Linie an die Abgeordneten des Bundestags, aber auch an Kirchen und Gewerkschaften.

Örtliche Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen können die Initiative z.B. durch Gespräche mit ihren Abgeordneten unterstützen und den Forderungen mit Unterschriften Nachdruck verleihen.

Der vollständige Aufruf zur Beendigung des Embargos gegen den Irak folgt im Anschluß.

Kontakt:
Friedensladen im EWZ, Karlstor 1, 69115 Heidelberg
Tel: 06221/978927, Fax: 06221/168995
E-Mail: joachim.guilliard@t-online.de
Weitere Informationen unter www.embargos.de
Gez.: Joachim Guilliard

Embargo gegen den Irak beenden

Mehr als eine Million Men-schen ließen im Irak nach Angaben von UN-Or-ga-ni-sa-tio-nen wie das Kinderhilfswerk UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation WHO als Blockadeopfer in den letzten zehn Jahren ihr Leben, darunter mehr als 500.000 Kinder unter fünf Jahren. Dem Irak wurden 1990 die umfassenden Wirtschaftssanktionen auferlegt, um ihn zum Rückzug aus Kuwait zu zwingen. Doch auch nach dem Rückzug der irakischen Truppen und der Anerkennung aller diesbezüglicher Resolutionen wurden die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft.

Diese Sanktionen sind die strengsten der Geschichte und die verhängnisvollsten: Die Kindersterblichkeitsrate hat sich mehr als verdoppelt, ein Drittel der irakischen Kinder leidet an Unterernährung und viele bleiben auf Dauer körperlich und geistig in der Entwicklung zurück. Auch die humanitären Ausnahmen vom Embargo und Hilfs-programme, wie das Programm "Öl-für-Nahrungs-mit-tel" kön-nen, da völlig unzureichend, die verheerenden, auch so-zialen und psychischen Folgen der Sanktionen nicht verhindern.

Das Embargo gegen den Irak ist "keine Außenpolitik - es ist sanktionierter Massenmord", schrieben die US-Wissenschaftler Noam Chomsky und Edward Said.

Sanktionen mit so gravierenden Folgen für das Leben und die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung, sind mit keinen politischen oder sonstigen Zielen zu rechtfertigen. Sie verstoßen gegen fundamentale Menschenrechte und eine Vielzahl völkerrechtlich verbindlicher Konventionen und das humanitäre Völkerrecht.

So heißt es beispielsweise in Artikel 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, daß "in keinem Fall ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden darf." Und die Genfer Konvention verbietet das "Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegführung".

In einem Gutachten für den Unterausschuß der UN-Menschenrechts-kom-mis-sion macht der renommierte bel-gi-sche Jurist Marc Bossuyt im August 2000 den Sicherheitsrat für die katastrophalen Folgen des Embargos voll verantwortlich. Bossuyt zufolge sind die Sanktionen eindeutig illegal.

Da die Sanktionsmaßnahmen völkerrechtswidrig sind, dürfen die Resolutionen des UN-Sicher-heits-rates, auf denen sie fußen, nicht weiter beachtet werden. Denn der UN-Sicherheitsrat steht nicht über dem Völkerrecht. Nach Artikel 24 der UN-Charta gilt, daß er ausschließlich "in Übereinstimmung mit den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen" handeln darf. Zudem betonen die "Prinzipien des Nürnberger Tribunals" die Eigenverantwortung gegenüber Anweisungen, die nicht mit internationalem Recht vereinbar sind.

Es ist unannehmbar, daß ein Organ der UNO, wie der Sicherheitsrat, die grundlegenden Rechte der gesamten Bevölkerung eines Landes im Namen von "Frieden und Sicherheit" verletzt. Die zukünftige Nichtbeachtung der völkerrechtswidrigen Resolutionen gegen den Irak wäre daher auch ein Schritt zur Wiederherstellung der Autorität der Vereinten Nationen. Das italienische Parlament hat sich im Juni 2000 mit großer Mehrheit gegen das Embargo ausgesprochen, ebenso im Februar des selben Jahres mehr als 70 Abgeordnete des US-Kongreß. Auch Rußland, Frankreich und eine Reihe anderer Staaten haben sich eindeutig für ein Ende der Sanktionen ausgesprochen .

Wir fordern daher die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, sich dem anzuschließen und zudem folgende konkrete Schritte zu beschließen:
  • die Sanktionen gegen den Irak nicht länger zu beachten
  • sich mit den europäischen Partnern, Rußland, China und anderen Ländern über die Aufnahme normaler Handelsbeziehungen zum Irak zu verständigen und den Wiederaufbau des Landes mit angemessenen Mitteln zu fördern.
  • sich an der Beseitigung von Umweltschäden, z.B. durch Uranmunition, zu beteiligen.
  • sich für eine faire, der Leistungsfähigkeit des Irak angemessenen Neuregelung der Entschädigungszahlungen einzusetzen, die bis zur wirtschaftlichen Erholung des Iraks ausgesetzt werden. Den Rüstungsexport in die gesamte Region vollständig zu unterbinden und Abrüstungsmaßnahmen zu fördern.

Im Februar 2001:

Hans-C. von Sponeck, ehem. Leiter des Öl-für-Nahrungsmittel-Programms der UNO im Irak
Prof. Norman Paech, Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg
Prof. Werner Ruf, Gesamthochschule Kassel
Prof. Hans Köchler, Universität Innsbruck
Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein , Internationale Ärzte für die Verhütung von Atomkrieg (IPPNW)
Eckart Spoo, Journalist, Redakteur von OSSIETZKY
Dr. Peter Strutynski, Bundesausschuß Friedensratschlag
Laura von Wimmersberg, Friedenskoordination Berlin
Tobias Pflüger, Informationsstelle Militarisierung, Tübingen
Rüdiger Göbel, Tageszeitung "junge Welt"
George und Doris Pumphrey, Berlin
Rainer Rupp, Publizist
Klaus von Raussendorff, Publizist, Bonn
Michael Schiffmann und Joachim Guilliard, Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg
Prof. Dieter Fehrenz, VVN/Bund der AntifaschistInnen Heidelberg
Gerhard Lange, Gesellschaft für Internationale Verständigung
Dr. theol. Hannelis Schulte, Stadträtin, DFG/VK Heidelberg und andere.

Zu weiteren Beiträgen zum Thema "Embargo"

Zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage