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Gezielte Tötungen mit Menschenrechten unvereinbar

Das deutsche Institut für Menschenrechte appelliertr an die Bundesregierung - Interessantes Policy-Paper veröffentlicht


Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Menschenrechte anlässlich der Vorstellung einer Expertise über "Gezielte Tötungen". Im Anschluss daran folgt ein Interview mit dem Autoren der Studie" Dr. Wolfgang S. Heinz.
Das Institut für Menschenrechte ist hier im Internet:
www.institut-fuer-menschenrechte.de.



Bundesregierung muss sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der internationalen Terrorismusbekämpfung einsetzen

Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Menschenrechte
11.03.2014


Berlin - Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf, sich bei der internationalen Terrorismusbekämpfung nicht an gezielten Tötungen zu beteiligen. "Gezielte Tötungen von Terrorismusverdächtigen sind nicht mit den Menschenrechten vereinbar", sagte Institutsdirektorin Beate Rudolf anlässlich der Veröffentlichung des Policy Papers "Wann hat der Staat das Recht zu töten? Gezielte Tötungen und der Schutz der Menschenrechte" [externer Link]. Deutschland solle sich international dafür einsetzen, so Wolfgang Heinz, Autor des Papiers, dass bei gemeinsamen Auslandseinsätzen von EU- oder NATO-Ländern einheitliche Standards gelten, die den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht entsprechen. Die Bundesregierung müsse zudem darauf achten, dass sie bei der internationalen Zusammenarbeit keine Beihilfe zu gezielten Tötungen leiste. Problematisch sei es daher, wenn Polizei, Bundeswehr oder Nachrichtendienste Informationen über gesuchte Personen an Staaten weitergeben, die eine Politik der gezielten Tötungen verfolgen.

Auch die Vereinten Nationen fordern klarere Regeln bei der Terrorismusbekämpfung. In seinem heute im UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgestellten Bericht fordert der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, Ben Emmerson, mehr Transparenz und Rechenschaftslegung bei gezielten Tötungen und eine zeitnahe, unabhängige und unparteiische Untersuchung, wenn es Hinweise auf getötete Zivilistinnen oder Zivilisten gebe.



Interview: "Gezielte Tötungen von Terrorismusverdächtigen sind nicht mit den Menschenrechten vereinbar"

Gezielte Tötungen sind seit 2000 zunehmend zu einem Mittel in der internationalen Terrorismusbekämpfung geworden. Menschenrechtlich sind sie allerdings höchst umstritten. Wolfgang Heinz, Senior Policy Adviser am Institut, über die Praxis gezielter Tötungen, ihre menschenrechtliche Bewertung und die Empfehlungen des Instituts an Bundesregierung und Bundestag.

Herr Heinz, in Ihrem heute erschienenen Policy Paper "Wann hat der Staat das Recht zu töten?" beschäftigen Sie sich mit gezielten Tötungen und der Frage, ob sie aus menschenrechtlicher Perspektive zu rechtfertigen sind. Wo und in welchem Umfang finden gezielte Tötungen statt?

Wolfgang Heinz: Einige wenige Staaten wie Israel und die USA verfolgen seit 2000 beziehungsweise seit 2002 ein Programm gezielter Tötungen von Terrorismusverdächtigen, an dem Sicherheitsbehörden und politische Instanzen beteiligt sind. Schätzungen zufolge haben beispielsweise die USA zwischen 2002 und 2012 mindestens 3.000 bis 3.500 Menschen gezielt getötet. Die Programme sind zwar öffentlich bekannt, nicht aber Informationen zu Einsätzen, Entscheidungsprozessen, konkreten Fällen oder auch Untersuchungen zu Fehlern - unter anderem zu der Frage, ob es Tote und Verletzte unter Zivilisten gab. Da Entscheidungen und Entscheidungsprozesse geheim gehalten werden - insbesondere bei gezielten Tötungen durch einen Geheimdienst - kann niemand politisch dafür verantwortlich gemacht werden. Auch eine parlamentarische Kontrolle ist nur schwer möglich.

Haben diese Staaten das Recht, Menschen gezielt zu töten?

Wolfgang Heinz: Man muss unterscheiden, ob es innerhalb oder außerhalb bewaffneter Konflikte zu Tötungen kommt. Im bewaffneten Konflikt ist die Tötung von Angehörigen der Konfliktpartei nach dem internationalen Humanitären Völkerrecht zwar zulässig, aber mit bestimmten Einschränkungen versehen. So sind beispielsweise Verwundete und Personen, die sich ergeben, geschützt. Außerhalb bewaffneter Konflikte haben Staaten nur in Ausnahmesituationen das Recht zu töten, und zwar dann, wenn eine schwerwiegende Gefahr besteht, bei der Menschenleben bedroht sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bei einem Bankraub Geiseln genommen und dann bedroht werden.

Wie lautet die Kritik an gezielten Tötungen aus menschenrechtlicher Perspektive?

Wolfgang Heinz: Der Schutz des Lebens vor willkürlicher Gewalt des Staates ist für zahlreiche internationale Menschenrechtsabkommen zentral. Er kann nur unter strikten Bedingungen eingeschränkt werden. Ein Staat kann Maßnahmen ergreifen, wenn er dadurch eine unmittelbare schwerwiegende Gefahr für seine Bürgerinnen und Bürger abwendet. Gezielte Tötungen von Terrorismusverdächtigen als Programm sind allerdings nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Kritikwürdig ist auch, dass die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt wird, die gewährleisten soll, dass Beschuldigungen gegen Verdächtige von unabhängigen Gerichten geprüft werden. Bei den Tötungs-Programmen Israels und der USA übernimmt die Regierung allein die Aufgaben von Staatsanwaltschaft, Richterin bzw. Richter und strafender Gewalt.

Mit dieser Kritik ist das Institut nicht alleine. Auch die Vereinten Nationen fordern klarere Regeln bei der Terrorismusbekämpfung...

Wolfgang Heinz: Das stimmt. Heute stellt der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, Ben Emmerson, seinen neuen Bericht im UN-Menschenrechtsrat in Genf vor. Darin fordert er mehr Transparenz und Rechenschaftslegung bei gezielten Tötungen und eine zeitnahe, unabhängige und unparteiische Untersuchung, wenn es Hinweise auf getötete Zivilistinnen oder Zivilisten gebe.

Wie ist die Haltung Deutschland?

Wolfgang Heinz: Deutschland verfolgt keine Politik gezielter Tötungen. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben jedoch lange Zeit nicht öffentlich zum Thema Stellung genommen. Dies hat sich mit dem Koalitionsvertrag von 2013 geändert. Völkerrechtswidrige Tötungen durch bewaffnete Drohnen lehnt die Bundesregierung nun kategorisch ab. Vor der Entscheidung über die Anschaffung qualitativ neuer Systeme sollen völkerrechtliche, sicherheitspolitische und ethische Fragen geprüft werden, so die Bundesregierung. Weniger klar und in der Öffentlichkeit diskutiert wird die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA bei der internationalen Terrorismusbekämpfung. Hierzu gehört die Frage, inwieweit es hier zu einer Informationsweitergabe kommt, die gezielte Tötungen erleichtert.

Was fordert das Institut für Menschenrechte von Bundesregierung und Bundestag?

Wolfgang Heinz: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung nicht an gezielten Tötungen zu beteiligen. Deutschland soll sich international dafür einsetzen, dass bei gemeinsamen Auslandseinsätzen von EU- oder NATO-Ländern einheitliche Standards gelten, die den Menschenrechten und dem Humanitären Völkerrecht entsprechen. Die Bundesregierung muss zudem darauf achten, dass sie bei der internationalen Zusammenarbeit keine Beihilfe zu gezielten Tötungen leistet. Problematisch ist es daher, wenn Polizei, Bundeswehr oder Nachrichtendienste Informationen über gesuchte Personen an Staaten weitergeben, die eine Politik der gezielten Tötungen verfolgen. Dem Deutschen Bundestag empfehlen wir, sich regelmäßig über die menschenrechtlichen Auswirkungen der internationalen Zusammenarbeit Deutschlands bei der Terrorismusbekämpfung berichten zu lassen, sodass frühzeitig Lücken des Rechtsschutzes und Gefährdungspotenziale identifiziert werden können.

(Interview: U. Sonnenberg)

* Dr. Wolfgang S. Heinz, Senior Policy Adviser am Deutschen Institut für Menschenrechte, ist zuständig für Internationale Sicherheitspolitik und Vereinte Nationen. Er ist Mitglied des Europarats-Ausschusses zur Verhütung der Folter (CPT) und war bis September 2013 Vorsitzender des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen.

Quelle: Website des Deutschen Instituts für Menschenrechte; www.institut-fuer-menschenrechte.de [externer link]



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