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Mehr Würstchen als "Euro Hawk"

Untersuchungsausschuss nahm Arbeit auf – lust- und zahnlos

Von René Heilig *

Der Untersuchungsausschuss zum Debakel um die Aufklärungsdrohne »Euro Hawk« hat am Montag mit der Zeugenbefragung begonnen. Ihm bleibt wenig Zeit bis zur Bundestagswahl. An sechs Sitzungstagen sind 19 Zeugen geladen – darunter zwei einstige und der aktuelle Verteidigungsminister.

Das Positive zuerst: Im Vergleich mit anderen Untersuchungsausschüssen ist das Catering dieser Fragerunde mit Abstand das Beste: Kaffee, kalte Getränke, Häppchen sowie Würstchen mit Senf und Kartoffelsalat – alles zu den anerkannt moderaten Parlamentspreisen. Zum pünktlichen Beginn der öffentlichen Sitzung hat das nicht beigetragen. Aber so gab es genug Gelegenheit für die zunächst zahlreich anwesenden Berichterstatter, sich über gewesene oder kommende Urlaubsfreuden auszutauschen.

Erster Zeuge: General a.D. Wolfgang Schneiderhan, von 2002 bis 2009 Generalinspekteur. Mit sieben Amtsjahren ist er der am längsten gediente oberste Soldat der Bundeswehr – und das in der sogenannten Transformationsphase, in der die Heimatverteidigungstruppe zur Armee im Einsatz umgebaut wurde. Heute lebt er am Taunusrand und ist zufrieden, den ganzen Ärger mit der Rüstung nur noch aus der Rückschau betrachten zu müssen.

Die Aufklärungsdrohne »Euro Hawk«, deren Entwicklung und Einsatz am 14. Mai 2013 vom aktuellen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) gestoppt wurde, ist ein wesentlicher Teil des Umbaus der Bundeswehr zur globalen Interventionstruppe. Die von EADS verfeinerte »Global Hawk« des US-Herstellers Northrop Grumman sollte – 3000 Kilometer vom Heimatstützpunkt entfernt und aus Höhen über 20 Kilometer – die Fähigkeit zur strategischen Aufklärung der Bundeswehr »bis weit hinein ins jeweilige Interessen- und Einsatzgebiet« vertiefen. Die Drohne hätte die Ebene zwischen der Satelliten-Aufklärung mittels des SAR-Lupe-System und der taktischen Gefechtsfeldaufklärung ausfüllen können.

Die vom Euro-Habicht aufgefangenen Signale verschiedenster Art wären wesentliche Voraussetzungen »zur Erstellung eines eigenständigen politischen und militärischen Lagebildes« gewesen. So hätte man auch auf den alliierten Informationsbörsen etwas zu bieten gehabt, erläuterte Schneiderhan fachlich genau.

Schon seit dem Krieg um Kosovo war die »Fähigkeitslücke« bei der Aufklärung offenkundig geworden. Die damalige Administration handelte. Und sie fühlte sich besonders schlau, da sie vor dem Beginn der »Euro Hawk«-Serienproduktion erst einmal einen Prototypen, den sogenannten Demonstrator, testen wollte. Neben der Anschaffung dieses Prototyps sollten vier serienmäßig produzierte Maschinen folgen.

Vorbei. Über 500 Millionen Euro hat man »verbraten«. Die Vorgabe, das unbemannte Fluggerät in die »vorhandene zivile und militärische Luftraumordnung einzupassen«, muss als misslungen bewertet werden. Die unbemannt-blinden Aufklärungsroboter wären ein Risiko für alles, was ihren Weg kreuzt.

Der Kaufvertrag mit Northrop Grumman und EADS wurde zu Zeiten der Großen Koalition im Januar 2007 unterzeichnet. Doch bereits zuvor hatte man Probleme mit dem Projekt registriert. Es gab Verzögerungen, die Kosten stiegen. Schon zu Schneiderhans Zeiten erkannte man mit Blick auf die Musterzulassung ein »höheres Realisierungsrisiko«. Doch auch das Verkehrsministerium und die zuständige Luftfahrtbehörde betrachteten die Probleme als lösbar. Das Verteidigungsressort bemühte sich, »den Sprung in die technologische Neuzeit hinzukriegen«. Zumal der Vorgängertyp, eingebaut in altersschwache Breguet-Atlantic-Flugzeuge, im Jahr 2010 endgültig am Boden bleiben musste.

Aus der Forderung, dass eine Zulassung für den allgemeinen Luftverkehr erreicht werden muss, wurde eine Soll-Bestimmung. Bei der Demonstratorerprobung behalf man sich mit vorläufigen Genehmigungen. Schließlich wollte man mit anderen NATO- und EU-Partnern um jeden Preis »auf Augenhöhe« agieren.

Was wusste die jeweilige politische Führung von dem Debakel? Gestern sollten zwei Ex-Verteidigungsminister Auskunft geben. Rudolf Scharping – im Amt zwischen 1998 und 2002 – begann überraschend flott, kündigte sogar Anekdoten an. Doch die hatten dann schon keine Pointe mehr. Dafür betonte Scharping, heute Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, man dürfe bei so einem Projekt nicht darauf warten, dass einem Informationen auf den Tisch flattern. Es gebe eine »Holschuld«. Man könnte ja Untergebene auch beim gemeinsamen Flug in einer Regierungsmaschine oder »gegebenenfalls mal beim abendlichen Rotwein« befragen. Er habe das getan und folglich bei der Einleitung des Drohnenprojekts keine Fehler gemacht. Von »Geburtsfehlern« – auf die hatte sich der amtierende Minister rausgeredet – könne nicht die Rede sein. Indirekt warf Scharping Thomas de Maizière vor, sich nicht ausreichend über das Projekt informiert zu haben. Auch bezweifelt der Ehemalige, dass die nicht erreichbare zivile Zulassung das Ende für »Euro Hawk« bedeuten muss. Aus seiner Sicht hätte die Zulassung als militärisches Fluggerät ausgereicht. Doch, so sagte Scharping mehrmals, er sei kein Fachmann. Womit er Recht hat.

Geladen war gestern ebenso der CDU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung – im Amt von 2005 bis 2009. Auch er verteidigte den in seiner Amtszeit abgeschlossenen Vertrag: »Von Zulassungsproblemen habe ich im Zusammenhang mit dem Thema ›Euro Hawk‹ nichts gehört.«

Insgesamt fehlte der Ausschusssitzung – obwohl doch eigentlich Wahlkampf ist – jeglicher parlamentarisch angemessene Biss. Weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün legten sich ins Zeug. Was Wunder, alle vier Parteien sind involviert in das strategische Debakel. Nur lustlos stellten sich Abgeordnete vor Mikrofone und Kameras. Bereits zur ersten Pause hatten sich die zunächst gut besetzten Besucherreihen gelichtet. Aufklärung? Fehlanzeige!

Die LINKEN, also die einzigen, die sich sicher sein können, das Projekt nie unterstützt zu haben, blieben harmlos in ihrer Absicht, den deutschen Drang in die Welt und den damit einhergehenden Umrüstungsboom zu skandalisieren. Als André Hunko dann noch nach möglichen Interessensverflechtungen zwischen Ministeriumsspitzen und dem EADS-Konzern fragte, beschied ihm die Ausschussvorsitzende Susanne Kastner (SPD), dies sei nicht Untersuchungsgegenstand. Erstaunlich!

Vor dem Saal dampfte derweil die Wurstbrühe vor sich hin, drinnen heizte sich Langeweile auf. Zum Glück waren die Jalousien geschlossen. Um keinen Einblick in das Elend zuzulassen oder um zu verhindern, dass man sich mit dem fröhlichen Touristentreiben auf der Spree infiziert? Am heutigen Dienstag ist eine Sitzung mit Rüstungsexperten und Drohnenerprobern angesagt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013


Ab in den Urlaub!

Von René Heilig **

Ein neuer Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit aufgenommen. Über 500 Millionen Euro Steuergeld wurden verbrannt, um eine Aufklärungsdrohne zu bauen, die einen Technologiesprung darstellen sollte. Mit Hilfe des »Euro Hawk« wollte Deutschland in der ersten Liga der militärischen Weltverbesserer mitspielen. Doch das High-Tech-Ding bekam keine Fluggenehmigung. Lange zögerte der verantwortliche Minister, dann kippte de Maizière das Projekt über die politischen Klippen. Alles in allem eine solide Ausgangsbasis für so einen Ausschuss.

Der sollte nach hergebrachter Parlamentslesart das scharfe Schwert der Opposition sein. Zudem ist Wahlkampf. Also – drauf und dran! Denkste! Das permanente Vorbeiziehen der touristenbesetzten Spreedampfer war gestern um Größenordnungen interessanter als die lustlose Fragerei im Europasaal des Bundestages. Aufklärung geht anders. Aber klar, die Union will ihren bisherigen Alleskönner de Maizière nicht noch mehr beschädigen. Zudem schwappt die NSA-Empörungswelle inzwischen auch der Kanzlerin fast bis zur Unterkante Unterlippe. Nach anfänglicher Großmäuligkeit hat wohl die SPD mitbekommen, dass sie selbst eine zu große Mitschuld am Drohnendebakel hat, um aufzutrumpfen. Prozentual gemindert trifft das auch auf Grüne und FDP zu. Da üben sich alle vier doch viel lieber im hoffnungsvollen multipolaren Koalitionskuscheln. Ach ja, da ist ja noch die Linksfraktion. Deren Vertreter präsentierten sich gestern eher urlaubsreif. Na dann: Ahoi!

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Juli 2013 (Kommentar)

Bundeswehr wird Interventionsarmee

Zu den Zeugenbefragungen im »Euro Hawk«-Untersuchungsausschuß des Bundestages am Dienstag erklärte Inge Höger, Obfrau der Linksfraktion im Verteidigungsausschuß:

Die ersten Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuß am Dienstag bestätigen, daß auch die verantwortlichen Beamten im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr den Auftrag hatten, dieses System, buchstäblich koste es, was es wolle, zu retten. Die Bundesregierung stieg mit millionenschweren Folgen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erst verspätet aus dem »Euro Hawk«-Projekt aus, damit das Spionagesystem ISIS weiter getestet werden kann. Schon Ende 2009 – und nicht erst 2011 – war klar, daß die Zulassungsproblematik das Gesamtsystem in Frage stellt. Bereits die Befragungen gestern hatten ergeben, dass alle Bundesregierungen seit Beginn des Jahrtausends dieses Aufklärungssystem als einen wichtigen Bestandteil des Umbaus der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee betrachten.

Gezeigt hat sich erneut das Bemühen der Bundesregierung, kritische Fragen der Linken zur informationellen Sicherheit dieses Datenstaubsaugers sowie zu den Kontakten zwischen Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie zu zensieren. Der Bundesregierung ist offenbar der Schutz der Rüstungsindustrie wichtiger als die notwendige Aufklärung gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit über mögliche Verstrickungen und deren teure Konsequenzen.

(junge Welt, 24.07.2013)




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