Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tod bei 5000 Grad

Hintergrund. Uranmunition ist eine Ausrottungswaffe. Seit dem Irak-Krieg 1991 kommt sie bei der NATO massenhaft zum Einsatz – mit tödlichen Folgen für die Zivilbevölkerung und die eingesetzten Soldaten

Von Frieder Wagner *

Wer den Friedhof der bosnisch-serbischen Kleinstadt Bratunac besucht, dem fällt auf, daß viele Gräber und Grabsteine relativ neu sind. Und wer näher hinsieht, stellt fest, sehr viele Sterbedaten sind aus den Jahren 1997 und 1998. Und noch etwas ist bemerkenswert: Fast alle diese Verstorbenen stammen aus Hadzici, einem Städtchen 15 Kilometer südwestlich von Sarajevo. Hadzici war Ende August/Anfang September 1995 im sogenannten Bosnienkrieg einer der Orte, die von NATO-Streitkräften heftig bombardiert wurden, weil die serbischen Streitkräfte dort ein Panzerreparaturwerk und ein großes Waffendepot unterhielten. Als nach der Bombardierung die serbischen Militärs eine stark erhöhte Radioaktivität feststellten, war ihnen klar, daß die NATO Uranbomben eingesetzt hatte. Deshalb wurden kurz danach knapp 4000 Bürger der Kleinstadt nach Bratunac umgesiedelt. Aber es war zu spät. Die meisten hatten sich schon kontaminiert, und viele starben innerhalb weniger Jahre an Krebs und Leukämie. Die angegebenen Zahlen der Opfer sind verschieden. Eine Ärztin vor Ort spricht von 650 Toten, und in einer WDR-Dokumentation aus dem Jahr 2004 werden 1112 genannt. Der Journalist Robert Fisk schrieb schon im Januar 2001 in der britischen Tageszeitung Independent von über 300 Toten und meinte, man hätte auf die Grabsteine schreiben können: Gestorben an den Folgen der Uranmunition.

»Nutzen« der Uranmunition

Diese Munition wird aus abgereichertem Uran – Depleted Uranium, kurz auch DU genannt – hergestellt. Es ist ein Abfallprodukt der Atom­industrie. Wenn man aus natürlichem Uran Brennstäbe im Gewicht von einer Tonne herstellt, entstehen etwa acht Tonnen abgereichertes Uran. Die sind zwar als Alphastrahler nur schwach radioaktiv, müssen aber entsprechend entsorgt und bewacht werden, was teuer ist. Das Schwermetall ist wie Blei hochgiftig, hat aber mit 4,5 Milliarden Jahren eine wesentlich höhere Halbwertszeit. Inzwischen gibt es weltweit davon etwa 1,2 Millionen Tonnen, und es werden täglich mehr. Die Atomindustrie stellte sich darum sehr bald die Frage, wie sie dieses radioaktive und hochgiftige Material wieder los wird. Der Verkauf an die Rüstungsindustrie ist für sie eine profitbringende Alternative zur teuren und komplizierten Entsorgung.

Abgereichertes Uran besitzt für militärische Zwecke zwei ausgezeichnete Eigenschaften. Formt man es zu einem spitzen Stab und beschleunigt ihn entsprechend, durchdringt er aufgrund seines enormen Gewichtes mühelos Stahl und Stahlbeton – wie heißes Eisen ein Stück Butter. Dabei entsteht an diesem Uranstab ein Abrieb, der sich bei der enormen Reibungshitze mit Temperaturen zwischen 3000 und 5000 Grad Celsius selbst entzündet. Wenn sich ein solches Geschoß in Sekundenbruchteilen durch einen Panzer schweißt, fängt das abgereicherte Uran Feuer und die Soldaten in dem Panzer verglühen. Wegen dieser beiden Eigenschaften sind Uranwaffen bei den Militärs so beliebt. Sie wurden deshalb in allen vergangenen Kriegen der USA und der NATO eingesetzt: 1995 in Bosnien, 1999 im Kosovo, 2001 in Afghanistan und 2003 – wie schon 1991 – im Irak.

Soweit bekannt, besitzen 21 Staaten inzwischen Uranmunition: die USA, Rußland, Großbritannien, China, Schweden, die Niederlande, Griechenland, Frankreich, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, die Türkei, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Israel, Saudi-Arabien, Irak, Pakistan, Thailand, Südkorea und Japan. Bei den US-Streitkräften wird die DU-Munition größtenteils vom Kampfjet A-10 »Thunderbolt« verschossen. Das Bodenkampfflugzeug kann mit seiner 30-Millimeter-Bordkanone pro Minute 3900 Geschosse abfeuern. Lasergesteuerte Bomben vom Typ GBU: 28 wurden schon im Irak-Krieg von 1991 getestet. Auch der in Deutschland stationierte US-»Abrams«-Kampfpanzer kann mit 120-Millimeter-Granaten aus abgereichertem Uran bestückt werden. Die Munition wird z.B. im US-Stützpunkt Baumholder in Rheinland-Pfalz gelagert.

Krebstod nach Bundeswehrtest

Schon im August 1983 hat die Bundeswehr unter strengster Geheimhaltung eigene Tests mit Uranmunition durchgeführt. Während die Öffentlichkeit mit Protesten gegen die Stationierung von »Pershing«-Raketen abgelenkt war, verschoß die Bundeswehr 50 bis 60 Urangranaten mitten in Deutschland auf dem Truppenübungsplatz bei Munster. Für die Geschosse wurden sogar abgebrannte Brennelemente aus Kernkraftwerken verarbeitet. Wegen der hohen Geheimhaltungsstufe trafen die Befehlshaber für die Soldaten keinerlei Schutzmaßnahmen. Einer dieser Soldaten war der Panzerschütze Erich S. (Name dem Autor bekannt). Zwei Jahre später war der vorher kerngesunde Mann arbeitsunfähig an Krebs erkrankt und klagte auf Wehrdienstentschädigung. Dem Gericht legte er Beweise vor: So die Namen und Adressen von sechs Kameraden, die bei den Tests dabeiwaren. Mehrere dieser Soldaten hatten von den Tests Granathülsen mit nach Hause genommen, auch Erich S. Drei Hülsen wurden mittels Massenspektroskopie untersucht. Außerdem wurden bei ihm eine Urin- und eine Haaranalyse durchgeführt. Sowohl in den Hülsen als auch im Körper des Panzerschützen wurden Spuren von Uran 238, Plutonium und Uran 236 festgestellt. Da Uran 236 in der Natur nicht vorkommt und nur bei der Wiederaufbereitung von atomaren Brennstäben entsteht, müssen die Granaten aus Material aus abgebrannten Brennelementen hergestellt worden sein.

Das zuständige Sozialgericht hatte im Juni 2007 die Klage von Erich S. abgewiesen, weil es sich bei der Granathülse angeblich um ein niederländisches Fabrikat gehandelt hat. Das war völlig unsinnig, da auf jeder Hülse mehrere Nummern zu entziffern sind. Nur eine von ihnen ist niederländischen Ursprungs. Die übrigen sind Bezeichnungen der Firmen Rheinmetall, Dynamit Nobel und Diehl, Nürnberg. Trotzdem lehnte das Gericht die Klage ab und empfahl deren Rücknahme.

Eine erneute Verhandlung im November 2008 vor dem Landessozialgericht endete mit einer faustdicken Überraschung. Die Richter dieser höheren Instanz waren der Ansicht, daß der Experte der Bundeswehr das erste Gericht bewußt getäuscht habe, da für jeden Laien eindeutig erkennbar sei, daß es sich bei der Granathülse um deutsche Munition gehandelt hat. Damit war auch die Bundesregierung blamiert. Das erste Gericht wurde angewiesen, den Prozeß neu aufzurollen. Inzwischen ist Erich S. im Dezember 2011 im Alter von nur 49 Jahren seiner schweren Krebserkrankung erlegen. Aber das deutsche Verteidigungsministerium schreibt weiterhin jedem auf entsprechende Anfrage: »Bis heute hat keine Studie oder Untersuchung einen wissenschaftlich nachweisbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen der Verwendung abgereicherten Urans in Munition und den damit in Verbindung gebrachten Krankheiten aufgedeckt.«

Wissenschaftler decken auf

Viele renommierte Wissenschaftler, auch des US-amerikanischen Militärs, haben wiederholt festgestellt, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von radioaktiver Munition und schweren Erkrankungen gibt. Hier nur ein paar Beispiele: Die Erkenntnisse des Gründers des Krebsforschungszentrums an der Universität von Pennsylvania, Peter Nowell, aus dem Jahr 1976 besagen: »Es gibt keinen Zweifel an der Fähigkeit der Radioaktivität, Krebs zu erzeugen und auch denjenigen Krebs zu fördern, der durch andere Karzinogene erzeugt worden ist«. Auch Dr. John W. Gofman, vormals Leiter der Plutonium-Forschungsgruppe, warnte sehr drastisch: »Nach allen vernünftigen Maßstäben, die wir aus den Ergebnissen der Wissenschaft gewinnen, gibt es keine unbedenkliche radioaktive Dosis. Es gibt keine ungefährliche in den Körper aufgenommene Alpha-Strahlung. Wenn dies also eine Tatsache ist, dann ist jede geduldete Verstrahlung die Erlaubnis zu einem Mord.« Sogar das radiobiologische Forschungsinstitut der US-Armee hat nach Arbeiten von Dr. Alexandra C. Miller und Kollegen zugegeben, daß Depleted Uranium (DU), also abgereichertes Uran, Krebs verursachen kann. Sie haben auch herausgefunden, daß kleinste Mengen, die zu klein sind, um giftig zu sein und nur schwach radioaktiv sind, mehr zytogenetische Schäden in den Zellen verursachen, als dies durch deren Giftigkeit oder Radioaktivität allein erklärt werden könnte. Ihre neuesten Resultate bestätigten einen Bericht der britischen Royal Society, der nahelegt, daß die Giftigkeit und die Radioaktivität von DU sich in einer unbekannten Art gegenseitig verstärken, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß achtmal mehr Zellen als vorausgesagt einen zytogenetischen Schaden erleiden. Daher sind in den heute gängigen Regierungsstudien die krebserzeugenden und genotoxischen Gesundheitsrisiken von DU massiv unterschätzt worden.

An dieser Stelle sollte auch ein Gerichtsurteil aus dem Jahre 1993 erwähnt werden: Der deutsche Arzt und Wissenschaftler Prof. Dr. Siegwart-Horst Günther, der als Entdecker der furchtbaren Folgen der Uranmunition gilt, hat 1992 Urangeschosse und Ummantelungen aus dem Irak mitgebracht, um es in Berlin von Fachleuten untersuchen zu lassen. 1992, zu einer Zeit, in der die Alliierten noch behauptet haben, daß diese Geschosse kein Uran enthalten! Ein Berliner Gericht hat dieses mitgebrachte Material konfisziert und untersucht. Mit dem Ergebnis: »Wir haben als Gutachter festgestellt, das Geschoß ist aus abgereichertem Uran. Uran ist ein Schwermetall und radioaktiv. Die Aufnahme in den Körper, die Wirkung ist in jedem Falle schädlich.« Günther wurde wegen illegaler Einfuhr radioaktiven Materials zu 3000 DM Geldstrafe verurteilt.[1]

Die britische Regierung und ein Gericht des Landes haben schon 2004 anerkannt, daß dem Golfkriegsveteran Kenny Duncan eine höhere Rente zusteht, weil seine Erkrankungen, die er sich 1991 im Golfkrieg zugezogen hatte, durch eingeatmetes, abgereichertes Uran ausgelöst worden waren. Das war möglich geworden, weil der Berliner Chemiker Prof. Dr. Albrecht Schott auf eigene Kosten die Gene von erkrankten britischen Golfkriegsveteranen untersuchen ließ. Sein Team hat im Blut von Duncan auffallend viele genetische Veränderungen festgestellt, die typisch für die Wirkung von Radioaktivität sind und nicht von anderen Ursachen herrühren können. Schott dazu: »Diese hohe Zahl von Chromosomenbrüchen kann man in der Familie von Kenny Duncan und seiner Frau Mandy sehen. Ihre drei Kinder sind genetisch schwer geschädigt. Das vom Vater eingeatmete Uran hat sich überall in seinem Körper verteilt, nicht nur in den Lymphozyten, auch im Gehirn, der Leber, auch im Sperma. Seine Kinder haben deshalb auch geschädigte Chromosomen, und sie werden natürlich hohe Raten genetisch geschädigter Kinder hervorbringen, und deren Kindeskinder wieder.« Schott schließt daraus: Uranmunition ist eine Ausrottungswaffe.

BRD-Ministerium weiß von nichts

Was kommt da auf Soldaten zu, die im Kosovo und in Afghanistan waren, wo diese Munition im Krieg eingesetzt wurde? Ein Blick nach Italien läßt es erahnen: Von 3000 Soldaten, die im Irak und im Kosovo im Einsatz waren, sind bisher 109 an Krebs oder Leukämie gestorben. 16 Familien wagten es, gegen ihre Regierung auf Wiedergutmachung zu klagen. Alle haben gewonnen! Das Verteidigungsministerium Italiens wurde in allen 16 Fällen verurteilt, Entschädigungen zu bezahlen. Die Familien erhielten Beträge zwischen 200000 und 1,2 Millionen Euro. Obwohl deutsche Soldaten im Kosovo direkt neben italienischen stationiert sind, erklärt das Bundesverteidigungsministerium, daß es solche Erkrankungen und Todesfälle bei der Bundeswehr nicht gibt.

Die Regierung stützt sich für ihrere verharmlosende Äußerungen bis heute auf die Studie »Untersuchungen zur Uranausscheidung im Urin – Überprüfung von Schutzmaßnahmen beim Deutschen Heereskontingent der Kosovo-Schutztruppe« im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung vom 3. Januar 2001. Ausgeführt wurde die Untersuchung vom Institut für Strahlenschutz (ISS) in Neuherberg bei München, das damals von Prof. Dr. Herwig Paretzke geleitet wurde. In der Studie heißt es: »Die bisher erhobenen Werte der Uranausscheidung im Urin zeigen, daß es bei keinem der bisher untersuchten Probanden einen Hinweis auf eine Inkorporation von DU gibt.«

Einer der Verantwortlichen der Analyse, der Medizinphysiker Dr. Paul Roth, bestätigt: »Wir haben insgesamt weit über 1000 solcher Untersuchungen durchgeführt und konnten bei niemandem bisher DU im Urin nachweisen, weder bei den ausländischen Hilfskräften noch der ansässigen Bevölkerung.« Der Geologe und Mineraloge Dr. Axel Gerdes vom Geologischen Institut der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main setzt dem entgegen: »Man hat bei den Soldaten im Kosovo sozusagen nur registriert, ob sehr stark erhöhte Konzentrationen nachzuweisen sind, und dann hat man gesagt, sind nicht. Dazu ist zu sagen, das ist nicht über die Herangehensweise zu klären, ob jemand überhaupt kontaminiert wurde, weil, wie gesagt, wenn Uranoxid als unlösliches, winzigstes Partikel im Körper ist und nur kleinste Teile davon wieder ausgeschieden werden, dann finde ich natürlich auch nur allerkleinste Teile im Urin, und dann muß man natürlich mit verfeinerten Methoden, mit verfeinerten Techniken rangehen, auch das ›Ob‹ zu klären.«[2]

Als das Strahlenschutzinstitut kurze Zeit später eine weitere Studie durchführte, die klären sollte, wie sich eingeatmete Urannanopartikel in der Lunge verhalten, war das Ergebnis auch für das wissenschaftliche Personal erstaunlich. Dr. Paul Roth: »Auch für uns etwas überraschend waren die Ergebnisse, die wir erzielt haben. Ein gewisser Teil dieses DU-Materials, etwa ein Drittel, löst sich sehr rasch auf innerhalb von wenigen Tagen, wird also aus der Lunge entfernt. Der andere Teil, etwa die Hälfte bis zwei Drittel, löst sich entweder nur sehr langsam oder vielleicht auch gar nicht auf. Solange es in der Lunge ist, strahlt es natürlich weiter, und je länger es in der Lunge ist, generell gesprochen, um so höher ist die resultierende Strahlendosis auf das umliegende Zellgewebe.«[3]

Gesundheitliche Folgen

Bei den hohen Temperaturen von bis zu 5000 Grad Celsius, die bei der Explosion von Uranmunition entstehen, verbrennt das Urangeschoß zu winzigen, wasserunlöslichen Nanopartikeln. Es entsteht praktisch ein Gas, das weiterhin radioaktiv und hochgiftig ist. Wer es einatmet, bei dem wird das Immunsystem geschwächt, kann sogar ganz zusammenbrechen. Er kann an Leukämie und Krebstumoren erkranken. Außerdem kommt es bei Mensch und Tier zu genetischen Veränderungen. Schlimmste Mißbildungen bei Neugeborenen sind die Folgen. Deshalb werden in den betroffenen Ländern heute Kinder mit entsetzlichen Fehlentwicklungen geboren: Babys ohne Arme oder Beine, ohne Augen, ohne Kopf. Babys, die ihre Organe, statt im Körper, in einem Hautsack am Rücken tragen. Die Ärztin Dr. Jenan Hassan vom Mutter-Kind-Krankenhaus im irakischen Basra berichtet, daß die Frauen nach der Entbindung heute nicht mehr fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, sondern ob es gesund oder mißgebildet ist. Viele weigern sich, überhaupt Kinder zu bekommen. 2007 bestätigte eine Veröffentlichung der irakischen Presseagentur, daß nach Untersuchungen unabhängiger einheimischer Wissenschaftler durch die Angriffe der Alliierten mit Uranbomben im Krieg 1991 und 2003 18 Regionen nicht mehr bewohnbar seien und deshalb die Bevölkerung umgesiedelt werden müsse.[4]

Die Ärzte im Krankenhaus von Kosovska Mitrovica im Norden Kosovos haben eine klinische Untersuchung bei 30000 Patienten durchgeführt, und zwar im Zeitraum von 1997 bis 2000. Während in der Vorkriegszeit die Zahl der malignen Erkrankungen mit 1,98 Prozent beziffert wird, stieg sie im ersten Jahr nach dem Kosovokrieg auf 5,45 Prozent an. Noch erschreckender ist der Anstieg bei den Lungenkrebserkrankungen. Hier verzeichnete man 1997 noch 2,6 Prozent Erkrankte, im Jahr 2000 dann aber einen Anstieg auf 22 Prozent. Die am stärksten betroffene Bevölkerung ist dabei die der 30- bis 40jährigen, die als Soldaten im Kosovokrieg in der Region Pec eingesetzt waren. Dort sind von den Alliierten zirka zehn Tonnen Uranmunition eingesetzt worden. In der Schlußfolgerung heißt es in der Studie: »Auf Grund dieser Erforschung haben wir den bedeutenden Anstieg maligner Erkrankungen durch den Krieg und den Einsatz der Uranwaffen bewiesen.«

Von 700000 alliierten Soldaten, die im Golfkrieg 1991 Dienst taten und scheinbar gesund nach Hause kamen, sind inzwischen fast 30000 an Leukämie, aggressivem Krebs und Herz­erkrankungen gestorben und mehr als 325000 Soldaten sind dauerhaft invalid und arbeitsunfähig, leiden am sogenannten Golfkriegssyndrom. Diese unglaubliche Zahl bedeutet, daß annähernd die Hälfte der Veteranen heute medizinische Probleme haben. Zur Situation bei der Zivilbevölkerung in den betroffenen Ländern, besonders Afghanistan und Irak, gibt es keine Zahlen. – Deshalb müßte die Regierung der BRD sofort und völkerrechtlich verbindlich den Verzicht auf diese Waffen erklären und einen weltweiten Sperrvertrag gegen die Produktion und Anwendung von Uranmunition ausarbeiten.

Die Gefahren der Uranmunition sind seit dem Golfkrieg von 1991 und dem Kosovo-Krieg 1999 öffentlich. Wer darum 2003 für den dritten Golfkrieg war, stimmte für einen völkerrechtswidrigen Krieg und wissentlich und willentlich auch für einen kriegsverbrecherischen Einsatz von Uranmunition.

In Berlin schloß im Juni 2004 eine Stellungnahme der damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Angelika Claußen, über »die Folgen des Einsatzes von Uranmunition« mit folgender Zusammenfassung: »Es ist aus ärztlicher Sicht zu kritisieren, daß wissenschaftliche Untersuchungsmethoden zu Uranwaffen nicht in den regierungsamtlichen Forschungen angewandt werden. So entsteht der Eindruck, daß die von der US-amerikanischen und der britischen Regierung durchgeführten Studien nicht der Aufklärung, sondern der Verschleierung der Ursachen dienen. Auch die Verweigerung des Sicherheitsrates auf Druck der US-Regierung, im Jahre 2001 systematische und breit angelegte Studien der WHO zur Ursachenaufklärung der Kinderkrebserkrankungen, insbesondere Leukämien, im Irak durchführen zu lassen, erhärtet den schweren und nicht von der Hand zu weisenden Verdacht, daß hier Ursachenverschleierung statt Ursachenaufklärung betrieben wird. Trotz aller noch existierenden offenen Fragen hat die neuere und insbesondere die unabhängige Forschung hinreichend Beweise erbracht, daß Menschen, die Uranpartikelchen in ihren Körper aufgenommen haben, seien es Soldaten oder Zivilbevölkerung, aber vor allem Kinder und Jugendliche, einer schweren Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens ausgesetzt sind. Das alleine reicht aus, um von den Regierungen der Welt, also in der UN und im UN-Sicherheitsrat, ein striktes Verbot des Einsatzes von DU-Waffen zu fordern. Keine Macht dieser Welt hat das Recht, auf ihren selbstgewählten Kriegsschauplätzen die Menschen noch lange nach Beendigung der Kriegshandlungen zu vergiften und zu töten.«[5]

Fußnoten
  1. Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Aktenzeichen 331 Cs 440/92 Umw. 1993
  2. Film »Todesstaub« 2007 von Frieder Wagner
  3. Ebenda
  4. Siehe de.rian.ru/Wissenschaft/20071017/84315691.html
  5. Sachverständigen Stellungnahme von Angelika Claußen. Über den »Einsatz von Uranwaffen (Depleted Uranium) in den Golfkriegen 1991 und 2003« in Berlin am 19.6.2014, www.iraktribunal.de/hearing190604/claussen.htm
* Der Autor ist Filmproduzent und mehrfacher Träger des Grimme-Preises. 2007 brachte er den Film »Deadly Dust – Todesstaub« über den Einsatz von Uranmunition heraus. Film unter: www.videogold.de/deadly-dust-todesstaub/

Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Juli 2013



Zurück zur Seite "Uranmunition"

Zurück zur Homepage