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Uranhaltige Munition: Zwischenbilanz eines Trauerspiels

Nicht einmal ein "Moratorium" - Nichts, aber auch gar nichts!

Der NATO-Rat, der am 9. und 10. Januar in Brüssel tagte, gab Entwarnung: Es gebe keine wissenschaftlichen Beweise dafür, sagte NATO-Generalsekretär George Robertson, dass der Gebrauch von Uran-Munition ein erhöhtes Krebsrisiko heraufbeschwören würde. Zwar will nun auch die NATO einen "Aktionsplan" umsetzen, um die Wirkung der Munition zu erforschen. Wieviel dieser Plan aber wert ist, geht daraus hervor, dass für Robertson das Ergebnis bereits feststeht: "Wir müssen die Menschen überzeugen, dass es keine dauerhaften Schäden gibt."

Nach den vorliegenden Berichten über die NATO-Tagung haben sich nur Italien, Belgien und die Bundesrepublik für einen einstweiligen Verzicht ("Moratorium") der umstrittenen Munition ausgesprochen. Entschiedener Widerstand gegen dieses Ansinnen kam aus Frankreich, Großbritannien und den USA - den drei Staaten, die über solche Munition verfügen, sie im Manöver testen und im Ernstfall auch einsetzen.

Gefällige wissenschaftliche Experten

Die deutsche Delegation übte sich in Bescheidenheit. Nachdem Robertson die Forderung nach einem Moratorium mit dem Hinweis darauf abbügelte, dass derzeit ohnehin keine NATO-Kriegshandlung im Gang sei, demnach auch keine Uran-Geschosse zum Einsatz kämen und man deshalb wohl auch kein Moratorium beschließen müsste, wertete man dies auf deutscher Seite als einen politischen "Teilerfolg". Dass Deutschland ohnehin nur mit halbem Herzen bei der Sache war, geht aus Äußerungen von Verteidigungsminister Scharping hervor. Am 9. Januar hatte er eine Reihe ihm wohl gesonnener Wissenschaftler zu einer Tagung eingeladen, um über den Zusammenhang von DU-Munition und erhöhter Leukämie-Gefahr zu sprechen. Die angereisten Experten verwiesen jeden Zusammenhang in das Reich der Legende und bescheinigten obendrein "ihrem" Minister sorgfältig gearbeitet zu haben. Der Direktor des Münchner Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit (GSF), Herwig Paretzke, erklärte, einen Zusammenhang zwischen Uran-Munition und Leukämieerkrankungen könne man "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ausschließen. Das Münchner Institut war von der Bundeswehr mit der gesundheitlichen Überwachung einer Gruppe von Soldaten beauftragt gewesen, deren Tätigkeit die Gefahr eines Kontakts mit uranhaltiger Munition vermuten ließ. Deren Urinproben wurden mit denen einer Kontrollgruppe verglichen ("Biomonitoring"), die nicht mit Munitionsresten in Kontakt stand. Claus Piekarski, Professor für Arbeitsmedizin, drehte gar den Spieß um und erklärte, nicht der Einsatz der Munition, sondern das Schüren solcher "unbegründeten Ängste" könne als "Körperverletzung" gewertet werden!

In einer Information des Führungsstabes der Streitkräfte für die Truppe wird die Gefährdung durch Strahlung als außerordentlich gering bewertet. Ein Kilo abgereichertes Uran führe in einer Distanz von einem Meter während eines Jahres zu einer Dosis, die nur ein Drittel dessen betrage, was ein Duchschnittsbürger aus natürlichen Strahlungsquellen pro Jahr aufnehme. Nichts wie hin also zu den Stellen, an denen die tödlichen Geschosse der NATO im Krieg nieder gingen! Es ist vielleicht nicht gerade die "Badekur", die in früheren Zeiten dem Krieg angedichtet wurde, aber doch eine Zeit der "Ferien von der Strahlung". Warum dennoch die Truppenführer - übrigens auch die der US-Army - ihren Soldaten auferlegt haben, beim Herumwandern in solchen Verdachtsorten ABC-Schutzausrüstung anzulegen, bleibt deren Geheimnis. Oder ist das nur so eine altertümliche Barras-Schikane, um die Soldatenn ein wenig zu schinden, bis ihnen - um im herkömmlichen Unteroffizierston zu bleiben - "das Wasser im Arsch kocht"?

Scharping wieder groß in Form

Scharping selbst kam mit buchstäblich stolz geschwellter Brust aus diesem Expertentreffen und von der NATO-Tagung und veranstaltete eine Pressekonferenz, die von der Lautstärke und dem zelebrierten Brustton einer 150-prozentigen Überzeugung her an seine Fernsehauftritte während der Zeit des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien erinnerte. Es gibt kein Balkan-Syndrom, wohl aber gebe es ein "Hysterie-Syndrom", das von "fahrläsigen" Berichten und "mangelnder Aufmerksamkeit" verursacht worden sei. Schuld daran seien die Medien und die Opposition - die außerparlamentarische Opposition etwa der Friedensbewegung kann er damit nicht gemeint haben, weil er die schon lange nicht mehr wahr-, geschweige denn ernstnimmt. Gebetsmühlenartig seine Behauptung, es gebe unter deutschen Soldaten keinen einzigen Krebs-Fall, der im Zusammenhang mit dem Balkaneinsatz stehe. Und wahrscheinlich nur aus Rücksicht auf das Kabinett, das sich hier in Teilen und im Ton etwas besorgter gibt, forderte er - eigentlich wider sein besseres Wissen -, dass kein Land die umstrittene Munition verwenden solle. Und da man auf panzerbrechende Munition im Krieg nicht verzichten könne, brachte er als gleichwertigen Ersatz für das abgereicherte Uran (DU: depleted uranium) das - allerdings wesentlich teurere - Metall Wolfram ins Gespräch.

Kritik an britischer Regierung und an NATO

In der britischen Zeitung "The Independent" war am 8. Januar 2001 ein Artikel von Robert Fisk zu lesen, der als Kriegsberichterstatter nicht nur in Jugoslawie, sondern neun Jahre zuvor auch im Irak gewesen war. "Vom ersten Tag des NATO-Bombardements an, so heißt es in dem Artikel, "hat das Bündnisses über die DU-Munition gelogen. Genau wie die amerikanische und britische Regierungen immer noch über deren Auswirkungen im südlichen Irak während des Golfkrieges 1991 lügen". Nach jenem Krieg hatte Fisk die alten Schlachtfelder um die irakische Stadt von Basra besucht und war dabei auf "schreckliche neue Krebsfälle unter den Menschen, die dort leben, gestoßen." Auch genetische Schäden wurden deutlich. "Babies wurden ohne Arme, ohne Beine, ohne Augen geboren. Kinder hatten interne Blutungen oder entwickelten plötzlich groteske Tumore. Und - unnötig zu erwähnen - UNO-Sanktionen verzögerten oder verhinderten, daß diese armen Teufel die notwendige Medizin bekamen." - Dann fand er irakische Soldaten, die schienen an dem gleichen "Golfkriegssyndrom" zu sterben, "das bereits als Krankheitsursache für Tausende von amerikanischen und britischen Soldaten identifiziert worden war."

Doch an all dem war damals die britische Regierung nicht interessiert, so wie auch heute die US-Regierung und im Grunde genommen auch die deutsche Bundesregierung nicht interessiert sind, zu wissenschaftlich einwandfreien Ergebnissen zu gelangen. Auch der Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der vereinten Nationen, die solche Nachweise nicht liefert, ist kein Argument. Denn gerade die USA und Großbritannien haben jahrelang verhindert, dass die WHO im Irak Großuntersuchungen anstellen konnte - Einladungen von Seiten der irakischen Regierungen hierzu hätte es genügend gegeben.

Wissenschaftliche Ergebnisse, die es dennoch von unabhängiger Seite gab, sind regelmäßig als unseriös abgetan worden. Fisk: "Selbst ein Bericht des amerikanischen Militärs, der die Gesundheitsgefahren von DU-Munition genau schilderte und deshalb die Unterdrückung der Informationen forderte, wurde von den Politikern pflichtbewußt ignoriert". Vor zwei Jahren hatte Robert Fisk über einen britischen Regierungsbericht geschrieben, der genau schildert, welche außerordentlichen Vorsichtmaßnahmen das Militär in die Wege geleitet hat, wenn es auf den Schießständen in Großbritannien DU- Munition testet. Auf dem Schießstand in Cumbria - so Fisk damals - würden die Granaten in einen Tunnel hinein abgefeuert und der von der Einschlagsexplosion resultierende Staub würde aufgefangen und in Behältern aus Beton versiegelt und begraben." "Als Tatsache weiß ich, daß damals als erste Reaktion eines Beamten des Verteidigungsministeriums die Frage gestellt wurde, ob ich wegen der Aufdecken dieser Zusammenhänge strafverfolgt werden könnte".

Während des NATO-Krieges erkundigte sich Fisk im NATO-Hauptquartier in Brüssel nach dem Einsatz von DU-Munition. Dabei habe ihm der deutsche Luftwaffengeneral Jerz erzählt, dass abgereichertes Uran "harmlos" sei und in Bäumen, in der Erde und in den Bergen gefunden würde. "Es war eine Lüge. Nur Uran nicht die abgereicherte Art von Uran, das aus atomarem Müll hergestellt wird, kommt als natürliches Element in der Umwelt vor. Und NATO-Sprecher James Shea zitierte aus einem Bericht der Rand Corporation, wonach DU nicht schädlich war obwohl er sehr genau wusste, dass dieser Rand-Bericht sich lediglich auf Staub in Urangruben bezog." - "Wieder zurück im Kosovo erklärte mir ein britischer Offizier in einem privaten Gespräch, daß die Amerikaner soviel DU-Munition im Krieg gegen Serbien verwendet hatten, daß sie keine Idee hätten, wie viele Gebiete verseucht sind. ... Zugleich versuchen die Amerikaner und Briten uns weiter zu täuschen. Unverfrorebn verkünden jetzt die Amerikaner, daß unter ihren Truppen im Kosovo keine Fälle von Leukämie gäbe. Dabei vergessen sie zu erwähnen, dass die meisten ihrer Soldaten im Kosovo in dem massiven Camp Bondsteel nahe der mazedonischen Grenze stationiert sind, wo die NATO keine DU-Munition abgefeurt hat. Völlig unnötig zu sagen ist auch, dass die Amerikaner mit keinem Wort die zig-Tausende von amerikanischen Soldaten erwähnen, die ihre Krankheit auf eine Versuchung im Golfkrieg zurückführen. Britische Veteran sterben an unerklärten Krebsarten aus dem Golfkrieg. Ebenso die US-Veteran. Und jetzt sind NATO-Truppen aus Bosnien und dem Kosovo dran, besonders Italiener sterben an unerklärten Krebsfällen. Wie die Kinder in den Krankenhäusern von Basra, zusammen mit ihren Eltern und Onkel und Tanten. Und den bosnischen Behörden, die die Zunahme von Krebsfällen erforschen wollen, verweigert die NATO die notwendigen Informationen. Dieses ist nicht ein Skandal. Es ist ein Verbrechen."

Die Gesundheitsgefahren für die Zivilbevölkerung

In einem Interview mit einer hessischen Tageszeitung empört sich der emeritierte Professor für physikalische Chemie Rolf Bertram (Göttingen) darüber, dass bei der ganzen Diskussion nur an die Soldaten, nicht aber an die Zivilbevölkerubng gedacht würde. "Das, was da passiert, ist ein Skandal. Ich werfe den Behörden in erster Linie vor, dass sie ihr Augenmerk nur auf die Soldaten richten. Das klingt jetzt etwas zynisch: Aber wirklich betroffen sind nicht die paar Soldaten, sondern die Zivilbevölkerung. Sie muss weiter in den verseuchten Gebieten leben. Und wegen der anhaltenden Radioaktivität auch die kommenden Generationen. ... Wenn Scharping behauptet, dass die Zivilbevölkerung überhaupt nicht betroffen sei, dann ist auch bei ihm ein Rücktritt angesagt."

Im weiteren Verlauf des Interviews geht Betram auf die gesundheitlichen Risiken ein: "Nach dem Aufprall der Munition und der damit verbundenen Entzündung entstehen feinste Stäube, im Wesentlichen aus radioaktivem Uranoxid. Die schweren Teilchen sinken zwar zu Boden, aber ein großer Teil hält sich weiter in der Atmosphäre auf, kann sich über Kilometer ausbreiten und dadurch in die Atemwege gelangen." ... "(Diese Teilchen) setzen sich in der Lunge oder in den Bronchien fest. Da sie einen eher keramischen Charakter haben, lösen sie sich nicht auf und können über zehn Jahre in dem Gewebe bleiben. Dadurch bestrahlen sie permanent ihre nähere Umgebung. Ein einziges Teilchen kann beispielsweise in einem Lymphknoten Krebs auslösen."

Und zu den Urinproben, auf die das Verteidigungsministerium immer wieder verweist, erklärt Bertram: "Urinproben zu nehmen ist reine Augenauswischerei. Urinproben nach so kurzer Zeit der Kontamination geben nur dann etwas her, wenn es sich um ganz massive Verseuchung handelt." ... "Es gibt meines Wissens nur eine Methode, die allerdings sehr aufwändig und nur über längere Zeiträume ergiebig ist: Das ist die Prüfung auf Veränderung der in den Zellkernen vorhandenen Chromosomen, die Überprüfung auf so genannte Chromosomen-Aberrationen also. Radioaktivitätsprüfungen von außen sind bei Fällen von inkorporierten (einverleibten) Alphastrahlen so ein Unsinn, dass man gar nicht begreifen kann, wie eine Behörde wie das Verteidigungsministerium so etwas überhaupt machen kann. Das, was ich jetzt erläutere, sind ja keine jungen Erkenntnisse. Es ist seit 20 Jahren bekannt, wie gefährlich solche radioaktiven Stäube sind." - Bedarf es noch eines Hinweises darauf, dass Professor Bertram zu Scharpings Expertenrunde nicht eingeladen war?
Peter Strutynski

Quellen:
  • Tageszeitungen vom 11. Januar 2001 (NZZ, FR, SZ)
  • Ein Beitrag von Rainer Rupp (Saarburg, 9.01.2001)
  • Das Interview mit Bertram ist vollständig abgedruckt in der Hessischen Allgemeinen (HNA) vom 11. Januar 2001




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