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C-Waffen-Alarm in New York

Waffenkontrolleure der UNO werden abgewickelt

Von Wolfgang Kötter *

Chemiewaffenalarm im New Yorker Wolkenkratzer UN Plaza 866. In den Büroräumen auf der 6. Etage sind jetzt mit dem Giftgas Phosgen gefüllte Metalldosen und in Glasbehältern verwahrte Substanzen zur Einstellung chemischer Analysegeräte aufgetaucht.

An der Ecke 48. Straße und First Avenue, nur wenige Meter vom UNO-Hauptsitz entfernt, arbeiten die Mitarbeiter der UN-Kontrollkommission UNMOVIC (UN Monitoring, Verification and Inspection Commission). Sie hatten jahrelang im Irak nach verbotenen chemischen und biologischen Waffen gesucht, bis sie am Vorabend des von den USA und Großbritannien geführten Krieges gegen das Zweistromland im März 2003 abgezogen worden waren.

Zur Zeit räumen sie ihre Büros aus, denn die zuletzt noch 34 Kontrolleure werden abgewickelt. Beim Leeren ihrer Schränke fanden sie dann auch die Giftgasproben, die sie 1996 in der chemischen Waffenfabrik Al Muthanna bei Samarra beschlagnahmt hatten. Nach anfänglicher Aufregung gab es bald Entwarnung. Untersuchungen mit Spezialgeräten hätten keine Spuren des bereits in kleinen Dosen tödlichen Nervengases in der Luft gefunden, verkündete UN-Sprecherin Marie Okabe am vergangenen Donnerstag: "Es besteht keine unmittelbare Gefahr, und die UNMOVIC-Belegschaft arbeitet weiterhin in den Räumen."

Der eigentliche Skandal aber sind nicht die Giftgasfunde, sondern die Abwicklung der UNMOVIC. Auf Betreiben der USA beendete der UN-Sicherheitsrat am 29. Juni das erteilte Mandat und beschloss die Auflösung der Kommission. Vorausgegangen war ein jahrelanges Tauziehen um die Zukunft der Waffenkontrolleure. Washington war die Kommission schon lange ein Dorn im Auge, erinnerte doch allein ihre Existenz an den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak. In seinem Auftreten vor dem Sicherheitsrat am 12. März 2003 erklärte der damalige Kommissionschef Hans Blix, dass die Suche der Inspektoren nach Massenvernichtungswaffen keine eindeutigen Beweise für fundamentale Verbotsverstöße Bagdads erbracht hätten. Es wären weder einsatzfähige biologische oder chemische Kampfstoffe, noch eine relevante Produktion oder die Wiederaufnahme illegaler Entwicklungsprogramme nachzuweisen. Über neunzig Prozent der ursprünglich vorhandenen B- und C- Waffen sowie deren Produktionsanlagen seien vernichtet, über den Verbleib bestimmter Restmengen und –komponenten bestehe allerdings noch Klärungsbedarf. Blixs konsequentes Auftreten trug damals mit dazu bei, dass die übrigen Ratsmitglieder dem Druck der USA und Großbritanniens widerstanden und eine Autorisierung der UNO für die militärischer Gewaltanwendung gegen Irak verweigerten.

UNMOVIC wurde zunächst nicht aufgelöst, da sie die ihr vom Sicherheitsrat übertragene Aufgabe, den Nachweis über die vollständige Bio- und Chemiewaffenfreiheit des Irak nachzuweisen, nicht erfüllt hatte und eine Reihe offener Fragen noch unbeantwortet sind. Eine Rückkehr ins Land zwischen Euphrat und Tigris jedoch ließen die USA und die gegenwärtige irakische Regierung nicht zu. Somit standen der internationalen Gemeinschaft zahlreiche kompetente Experten wie auch die grundlegende Infrastrutur und umfangreiche Kontrolltechnik zur Verfügung. Es stellte sich also die Frage, warum die in mehr als 15 Jahren gesammelten Erfahrungen und das vorhandene Potential nicht für generelle Verifikationsaufgaben genutzt werden sollten? Einige Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Kanada, Russland und Schweden, aber auch abrüstungsorientierte Nichtregierungsorganisationen drängten deshalb immer wieder darauf, UNMOVIC mit einem Mandat für Biowaffen und möglicherweise auch für Raketen zu erhalten bzw. in ein eigenständiges Kontrollorgan umzuwandeln. Sie könnte beispielsweise die Einhaltung der Biowaffenkonvention überprüfen, der bisher eine Kontrollinstitution fehlt. Auch zur Verifikation einer von den Staaten der Region angestrebten Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten stände die Kommission bereit. Nun aber hat die Bush-Administration ihre Eliminierungspolitik doch durchgesetzt. UNMOVIC jedoch hat nachgewiesen, dass die internationale Kontrolle von Abrüstungsverpflichtungen funktionieren kann, sagte ihr amtierender Chef Demetrius Perricos bei seinem letzten Auftreten vor dem UN-Sicherheitsrat. Für ihre Gegner war wahrscheinlich gerade das Grund genug, sie zu beseitigen.

Phosgen

Phosgen (Carbonylchlorid COCl2) ist ein sehr gefährliches Atemgift, das selbst in geringsten Konzentrationen tödlich wirkt. Es verströmt einen charakteristischen süßlich faulen, an verwesendes Heu erinnernden Geruch und ist dadurch schnell zu identifizieren. Die ersten Vergiftungssymptome zeigen sich in Atemnot, Husten und Tränenreiz. Der Tod tritt durch ein Lungenödem und durch Herzstillstand ein. Hierbei gerät Blutflüssigkeit in die Lungen. Der Tod kann auch noch viele Stunden nach dem Einatmen des Gases eintreten. Der Kampfstoff wurde im Ersten Weltkrieg als Kampfgas (Grünkreuz) eingesetzt. Phosgen ist ein farbloses Gas, das bei Abkühlung zu einer farblosen, leicht beweglichen Flüssigkeit kondensiert. Es wird auch zur Herstellung von Medikamenten, Farbstoffen und Insektenvernichtungsmitteln verwendet.

UNMOVIC

Die United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC) wurde vom UNO-Sicherheitsrat im Dezember 1999 als Nachfolgerin der wegen Spionagetätigkeit aufgelösten Kommission (UNSCOM) gebildet. Insgesamt führte sie zwischen November 2002 und März 2003 731 Inspektionen an mehr als 400 Orten im Irak durch. Der Kommission gehörten zuletzt 34 Mitarbeiter aus 19 Ländern an, einige wenige Inspektoren arbeiteten zeitweise in Bagdad und in Larnaca auf Zypern. Zusätzlich wurden regelmäßig 350 Experten aus 55 Ländern für die Kontrolltätigkeit geschult und waren somit jederzeit einsetzbar.



* Eine gekürzte Version dieses Beitrag erschien am 1. September im "Neuen Deutschland"


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