Verbot chemischer Waffen!
20 Jahre CW-Konvention
Von Hubert Thielicke *
Dr. Hubert Thielicke, geb. 1949, Politologe und PR-Berater, war in den 1980er Jahren an den Genfer CW-Verhandlungen beteiligt. thielicke@prmedienberatung.de
Seit Monaten schon wird spekuliert, dass das Assad-Regime
seine chemischen Waffen einsetzen könnte. Sowohl die USA
als auch Russland warnten Syrien davor. Das zeugt von der Aktualität
eines Problems, das eigentlich schon vor einiger Zeit gelöst
sein sollte. Am 13. Januar 1993 wurde in Paris die Konvention
über das Verbot der chemischen Waffen (CW-Konvention) unterzeichnet;
am 29. April 1997 trat sie in Kraft. Derzeit gehören
ihr 188 Staaten an, während noch acht außerhalb des Verbotsregimes
stehen. Bisher wurden etwa 78 Prozent der deklarierten
CW-Vorräte unter internationaler Kontrolle vernichtet.[1] Damit
kam es nach der BW-Konvention [2] zum kompletten Verbot einer
weiteren Art von Massenvernichtungswaffen.
Erstmals wurden Kampfgase – Chlorgas – in größerem
Umfang durch deutsche Truppen während des Ersten Weltkrieges
in den Kämpfen um Ypern eingesetzt. Der Gaskrieg
eskalierte rasch; insgesamt waren schließlich ca. 100.000 Tote
und etwa eine Million Verwundete zu beklagen. In den 1920er
Jahren griffen Spanien und Italien zu chemischen Kampfstoffen
in ihren Kolonialkriegen in Marokko bzw. Libyen und Äthiopien.
Die schrecklichen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges
führten schließlich 1925 zum Genfer Protokoll, das neben dem
Einsatz von bakteriologischen Mitteln auch den von Giftgasen
im Kriege verbietet. Es wurde im Zweiten Weltkrieg auf dem
europäischen Kriegsschauplatz eingehalten, während Japan,
welches das Protokoll nur unterzeichnet, aber nicht ratifiziert
hatte, chemische Waffen in China einsetzte.
Langer Weg zur Konvention
Ende der 1960er Jahre wurde das Verbot der biologischen und
chemischen Waffen in die Tagesordnung des Genfer Abrüstungsausschusses [3] aufgenommen. Dort konnte man sich aber
1971 nur auf eine relativ allgemein gehaltene BW-Konvention
einigen. Einige Staaten sahen chemische Waffen noch
als militärisch interessant an. So entwickelten die USA mit
den Binärwaffen gerade eine neue, hochmoderne Kategorie
von chemischen Waffen und setzten im Vietnamkrieg das
Herbizid „Agent Orange“ zur Entlaubung ein. Zudem sperrte
sich die Sowjetunion gegen die von westlicher Seite in den
Genfer Verhandlungen für ein CW-Verbot geforderten internationalen
Kontrollen. Wurden in den 1970er Jahren in Genf
vor allem Expertendiskussionen zu technischen Aspekten des
Verbots geführt, so begannen in den 1980er Jahren multilaterale
Verhandlungen. Mit dem amerikanischen Vertragsentwurf
von 1984 und dem Eingehen der Sowjetunion unter
Gorbatschow auf die darin enthaltenen Kontrollvorschläge
traten die Genfer Verhandlungen in ein neues Stadium. Der
Einsatz chemischer Waffen durch Irak im Ersten Golfkrieg
verdeutlichte die Dringlichkeit eines globalen Verbots. Auf
einer Konferenz im Januar 1989 in Paris sprachen sich nahezu
150 Staaten dafür aus, die Anwendung dieser Waffen durch
ihre vollständige Vernichtung auszuschließen. Den Verhandlungsstand
fasste 1992 der turnusmäßige Vorsitzende des
CW-Komitees der Genfer Abrüstungskonferenz, der deutsche
Botschafter Adolf von Wagner, in einem Vertragsentwurf
zusammen, der schließlich der UN-Generalversammlung
übermittelt und von ihr gebilligt wurde.
Die Konvention verbietet, chemische Waffen zu entwickeln,
herzustellen, anderweitig zu erwerben, zu lagern oder zurückzubehalten
und weiterzugeben. Ausdrücklich untersagt werden
die Anwendung chemischer Waffen und entsprechende militärische
Vorbereitungen. Die CW-Vorräte und Produktionsanlagen
sind innerhalb bestimmter Fristen zu vernichten. Ein
besonderer Anhang enthält Listen mit den drei Arten der von
dem Abkommen betroffenen toxischen Chemikalien und
ihren Vorprodukten. Verboten ist zwar, Mittel zur Bekämpfung
von Unruhen (riot control agents) als Methode der Kriegführung
einzusetzen, jedoch dürfen sie zur „Aufrechterhaltung
der öffentlichen Ordnung“ genutzt werden. Weitergehende
Formulierungen ließen vor allem die USA nicht zu. Offen
ist die Frage der Herbizide, da in der Definition toxischer
Chemikalien die Schädigung von Pflanzen nicht ausdrücklich
erwähnt wird.
Internationale Kontrollen
Jeder Vertragsstaat hat Meldungen über eventuelle CW-Vorräte
und Produktionseinrichtungen abzugeben. Ihre Vernichtung
erfolgt unter systematischer internationaler Kontrolle. Industrieanlagen, die toxische Chemikalien und ihre Vorprodukte für
nicht verbotene Zwecke herstellen, unterliegen Routinekontrollen,
um zu sichern, dass Chemikalien nicht für die CW-Herstellung
abgezweigt werden. Die Durchführung dieser Bestimmungen
obliegt einem zweigliedrigen System: Erstens hat jeder Vertragsstaat
für die nötigen nationalen Maßnahmen zu sorgen und eine Behörde
als Anlaufstelle zu benennen. Zweitens wurde für die internationale
Umsetzung des Abkommens die Organisation für das Verbot
der chemischen Waffen (OPCW) in Den Haag eingerichtet. Ihre
Organe sind die jährliche Konferenz der Vertragsstaaten, der aus 41
Mitgliedern bestehende Exekutivrat und das technische Sekretariat,
das auch die internationalen Inspektionen durchführt.
Deutschland ist seit 1997 ohne Unterbrechung Mitglied
des Exekutivrates. Es besitzt keine chemischen Waffen.[4] Bisher
wurden in der deutschen chemischen Industrie mehr als 110
Routineinspektionen durchgeführt.
Das internationale Kontrollsystem wird ergänzt durch Verfahren
zur Konsultation und Kooperation im Falle von Problemen
bei der Erfüllung der Konvention. Lange umstritten waren
aufgrund ihres intrusiven Charakters sogenannte Inspektionen
auf Anforderung (challenge inspections). Das Abkommen sieht
dafür sehr detaillierte Prozeduren vor. Jeder Vertragsstaat hat
das Recht, eine solche Inspektion im Verdachtsfalle zu fordern,
muss dafür jedoch geeignete Informationen vorlegen. Seit
Inkrafttreten der Konvention gab es allerdings keinen Antrag
auf eine solche außerordentliche Inspektion.
Aktuelle Probleme
Um die Wirkungsweise der Konvention zu überwachen, sind
Überprüfungskonferenzen alle fünf Jahre vorgesehen. Die dritte
tagt vom 8. bis 19. April dieses Jahres in Den Haag. Sie wird
sich einer Reihe drängender Fragen zu stellen haben.
Erstens ist es bisher nicht gelungen, die Universalität der
Konvention zu erreichen. Angola, Ägypten, Nordkorea,
Somalia, Südsudan und Syrien sind bisher nicht beigetreten,
während Israel und Myanmar zwar unterzeichnet, aber noch
nicht ratifiziert haben.
Zweitens ist der CW-Vernichtungsprozess noch nicht abgeschlossen,
obwohl festgelegt ist, dass CW-Besitzer ihre Waffen
innerhalb von zehn Jahren zu vernichten haben. Von sieben
Vertragsstaaten, in deren Arsenalen ursprünglich mehr als
70.000 Tonnen hochtoxischer Chemikalien lagerten, haben
bisher Albanien, Indien und Südkorea die Vernichtung
abgeschlossen.[5] Libyen ratifizierte 2004 und begann 2010 mit
der Vernichtung, die durch den Bürgerkrieg unterbrochen
wurde, nach dem auch bis dahin nicht deklarierte CW-Lager
gefunden wurden. Irak trat erst 2009 bei und hat mit der
Eliminierung geringer Restbestände noch nicht begonnen. Das
Hauptproblem sind jedoch die Reste des ursprünglich gewaltigen
CW-Potenzials der USA und der UdSSR/Russlands. Sie
konnten angesichts von Problemen beim Bau und Betrieb der
Vernichtungsanlagen weder die ursprüngliche noch die von
der OPCW-Konferenz bis zum 29. April 2012 verlängerte
Frist einhalten. Inzwischen legten sie detaillierte Pläne für die
Beendigung des Vernichtungsprozesses vor.[6]
Drittens wird die OPCW ihre Aktivitäten schrittweise umorientieren
müssen. Während der Inspektionsaufwand für die
CW-Vernichtung immer weiter abnimmt, kann der für die
Kontrolle der CW-Nichtprodution in der chemischen Industrie
weiter erhöht werden.
Viertens führt der rapide wissenschaftlich-technische Fortschritt
zu ständig neuen Herausforderungen; Biologie und Chemie
konvergieren immer mehr. Einerseits werden damit neue
Möglichkeiten für die Medizin und die wirtschaftliche
Entwicklung eröffnet, andererseits besteht die Gefahr
der Nutzung neuer Erkenntnisse für feindselige Zwecke.
Experten verweisen beispielsweise auf Entwicklungen bei
der Nanotechnologie und die biologische Produktion neuer
toxischer bzw. komplexerer Chemikalien. Auch das Problem
der „handlungsunfähig machenden Mittel“ (incapacitants),
die zur Bekämpfung von Unruhen eingesetzt werden können,
bedarf weiterer Klärung.[7] SIPRI-Experten sprachen sich
dafür aus, das für die nächsten 10-20 Jahre zu erwartende
Wirkungsumfeld für die BW- und CW-Konvention im Blick
zu behalten. Notwendig seien eine entsprechende Überwachung
und Einschätzung, Selbstregulierung und freiwillige
Maßnahmen bis hin zu erhöhter Transparenz und verantwortungsvollen
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.[8]
Fünftens geht es um die Nichtverbreitung von C-Waffen an
nichtstaatliche Akteure, also den CW-Terrorismus. Dass
dieser durchaus keine Utopie ist, zeigt der Giftgasanschlag
der japanischen AUM-Sekte 1995 in der Tokioter
U-Bahn. Die CW-Nichtverbreitung ist nicht nur Gegenstand
der CW-Konvention und der Australischen Gruppe.[9]
Mit Resolution 1540 (2004) verpflichtete der UN-Sicherheitsrat
die Staaten, effektive Maßnahmen gegen die Erlangung
von Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche
Akteure zu ergreifen.
Die Bedeutung der CW-Konvention geht weit über ihren eigentlichen
Zweck – das Verbot und die Vernichtung einer ganzen
Kategorie von Massenvernichtungswaffen – hinaus. Mit ihrem
umfassenden Charakter, einschließlich der Kontrollorganisation,
kann sie durchaus als Beispiel für das vollständige Verbot
der Kernwaffen dienen. Das haben Abrüstungsexperten berücksichtigt,
als sie vor einigen Jahren das Modell einer Kernwaffenkonvention [10]
ausarbeiteten. Während der Entwurf von den Kernwaffenstaaten ignoriert wird, findet er unter Nichtregierungsorganisationen und Nichtkernwaffenstaaten zunehmende Unterstützung.
Fußnoten
-
Vgl. UN Doc. SG/SM/14673 v. 26.11.2012.
- Vgl. Thielicke, Hubert: Verbot biologischer Waffen stärken! 40 Jahre BW-Konvention. In: WeltTrends 84, 2012, S. 81-85.
- 1962-1968 18-Staaten-Abrüstungsausschuss (ENDC), 1969-1978 Konferenz des Abrüstungsausschusses (CCD), seit 1979 Abrüstungskonferenz (CD).
- Vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.): Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale 2011. Berlin 2012, S. 16.
- Vgl. OPCW: Demilitarisation. http://www.opcw.org/our-work/demilitarisation (abgerufen am
28.01.2013).
- Vgl. OPCW Doc. WGR C-3/S/1 v. 5.10.2012, Review of the Operation of the Chemical Weapons Convention since the Second Review Conference, S. 25-27.
- Vgl. OPCW Doc. RC-3/DG1 v. 29.10.2012, Report of the Scientific Advisory Board on Developments in Science and Technology for the Third Special Session of the Conference of the States Parties to Review the Operation of the Chemical Weapons Convention.
- Vgl. SIPRI Yearbook 2012, Armaments, Disarmament and international Security, Stockholm International Peace Research Institute, Oxford 2012, S. 412-413.
- Die derzeit aus 40 Mitgliedstaaten bestehende Australische Gruppe setzt ein Exportkontrollregime um, das den Missbrauch von bestimmten Chemikalien und biologischen Agenzien sowie Dual-Use-Gütern und Dual-Use-Technologien für die Herstellung von B- und C-Waffen verhindern soll.
- UN Doc. CONF.2010/PC.I/WP.17, v. 01.05.2007.
* Dieser Beitrag erschien in: Welt Trends - Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 89, März/April 2013, S. 87-91. - Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Welt Trends im Internet: http://welttrends.de
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