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Gezielte Verschleierung

Im Streit um das "Pannengewehr" G 36 schweigen Politiker und Medien über dessen Einkäufer Volker Rühe

Von Knut Mellenthin *

Mit den Mängeln des deutschen Sturmgewehrs G 36 wird sich voraussichtlich demnächst ein Untersuchungsausschuss des Bundestages beschäftigen. Die Anzeichen dafür verdichteten sich am Freitag, nachdem sich die SPD der Forderung der Grünen anschloss. Spiegel und Bild hatten im April 2012 erstmals berichtet, dass die Standardwaffe der Bundeswehr »in langen Feuergefechten nicht voll einsatzfähig« sei. Bei andauerndem Schnellfeuer nehme die Treffergenauigkeit auf mehr als hundert Meter entfernte Ziele erheblich ab. Als Ursache wird die starke Erhitzung des Gewehrlaufs angenommen.

Grundlage der sich steigernden Medienkampagne zum Thema G 36 waren vertrauliche Untersuchungsberichte, die einzelnen Tageszeitungen offenbar gezielt zugespielt worden waren, ohne dass bis heute die »Lecks« im Regierungs- und Militärapparat – oder möglicherweise auch die Lieferungen durch einen ausländischen Geheimdienst – bekannt sind. Ziel der Kritik war zunächst der frühere Verteidigungsminister Thomas de Maizière, dann seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen, die das Amt im Dezember 2013 übernahm. Beiden wird von den Grünen und der Linken, aber auch von der SPD vorgeworfen, die Erkenntnisse über die Mängel des G 36 lange Zeit »verschleiert« zu haben. Sprachrohr der Angriffe sind die beiden Zeitungen, die zuerst über den »Skandal« geschrieben hatten, Spiegel und Bild.

In der gesamten Berichterstattung der letzten drei Jahren über das »Pannengewehr« taucht jedoch fast nie der Name des Politikers auf, der als Minister direkt für dessen Beschaffung verantwortlich zeichnete. Es war Volker Rühe, der das Wehrressort von 1992 bis 1998 leitete. Ihn würde die Hauptschuld treffen, wenn die Waffe trotz erheblicher Mängel gekauft worden wäre. Denn selbstverständlich hätten diese bei den Tests der Bundeswehr, die dem Geschäftsabschluss mit der Lieferfirma Heckler und Koch im Jahre 1995 vorausgingen, auffallen müssen. Das Manko, dass Schnellfeuerwaffen zur Überhitzung neigen und es dadurch zu Problemen kommt, ist bekannt, seit die Entwicklung solcher Waffen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begann. Das Verhalten des G 36 bei längerer Benutzung im Schnellfeuermodus muss daher zu den zentralen Punkten bei dessen Bewertung durch die Militärs gehört haben.

Umso erstaunlicher ist, dass sich darüber die meisten Medien und Politiker keine Gedanken zu machen scheinen, wenn über das »Pannengewehr« lamentiert wird. Lediglich die Fraktion der Linken hat am 21. April eine lange, sehr sorgfältig ausgearbeitete kleine Anfrage zum »Beschaffungsprozess des Sturmgewehrs G 36 in den 90er Jahren« an die Bundesregierung gerichtet. Dort geht es unter anderem darum, welche Tests vor Abschluss des Vertrags mit Heckler & Koch stattgefunden haben und was genau deren Ergebnisse waren. Die Antwort auf diese und zwei weitere Anfragen der Linken zum G 36-Komplex steht noch aus.

Bei einer logischen Weiterführung des Streits wird die Kritik kaum an Rühe vorbeilaufen können, so gern ihm das die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD vermutlich ersparen würden. Der 72Jährige ist gegenwärtig Vorsitzender einer Sonderkommission des Bundestags, deren Ergebnisse eigentlich schon im April präsentiert werden sollten. Jetzt heißt es, dass der Ausschussbericht »in wenigen Wochen« offiziell vorliegen soll. Thema der Arbeitsgruppe ist die Erleichterung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Vorabmeldungen verschiedener Medien zufolge ist ein Kompromiss zwischen den Unionsparteien und der SPD schon weitgehend ausgehandelt. Insbesondere die Ausbildung und Beratung fremder Streitkräfte sowie der Einsatz deutscher Offiziere in internationalen Hauptquartieren und Stäben sollen von der Regierung künftig ohne Zustimmung des Bundestages angeordnet werden können.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Mai 2015


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