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Maritime Traditionspflege

Die Marineflieger der Bundeswehr feiern am Wochenende ihr einhundertjähriges Bestehen. An die eigene verbrecherische Vergangenheit wird nicht erinnert

Von Peer Heinelt *

Wer immer noch meint, die Bundeswehr huldige demokratischen Traditionen, wird an diesem Wochenende einmal mehr eines Besseren belehrt werden. Dann nämlich feiern die im niedersächsischen Nordholz stationierten Fliegereinheiten der deutschen Kriegsmarine auf ihrem Stützpunkt ihr sage und schreibe 100jähriges Bestehen. »Die Marineflieger begehen in diesem Jahr einen runden Geburtstag: Am 3. Mai 1913 befahl Kaiser Wilhelm II. ›mit allerhöchster Kabinettsorder‹ die Aufstellung der ersten deutschen Marinefliegerkräfte«, heißt es völlig kritik- und distanzlos in einer Pressemitteilung der Truppe aus Anlaß der anstehenden Festivitäten zum »großen Jubiläum«. Gänzlich unerwähnt bleiben folgerichtig die beiden von Deutschland begonnenen Weltkriege, deren letzter explizit als Vernichtungsfeldzug gegen Juden, Kommunisten und »slawische Untermenschen« geführt wurde.

Statt sich mit der Erinnerung an die Opfer deutschen Weltmachtstrebens zu belasten, pflegt die Bundeswehr lieber überkommene Militärrituale. Integraler Bestandteil der Feierlichkeiten zum 100jährigen Marinefliegerjubiläum ist denn auch der für Samstag abend vorgesehene »Große Zapfenstreich«. Das musikalische, von Fackelträgern begleitete Zeremoniell geht auf die Zeit des Absolutismus zurück und markierte ursprünglich den Zeitpunkt, zu dem sich die Soldaten wieder im Lager respektive in der Kaserne einzufinden hatten. Verstöße wurden – wie jede Befehlsverweigerung – hart bestraft. Heute gilt der »Große Zapfenstreich« als höchste militärische Ehrerbietung; erwartet werden neben dem Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Axel Schimpf, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Thomas Kossendey (CDU), und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD). Wie zu Kaisers und Führers Zeiten beinhaltet der »Große Zapfenstreich« ein religiöses Bekenntnis – eingeleitet durch den Befehl »Helm ab zum Gebet«.

Den Höhepunkt der Festivitäten stellt allerdings der für Sonntag anberaumte »Tag der offenen Tür« dar, bei dem die Marineflieger der Öffentlichkeit ihr Kriegsgerät präsentieren werden. Hierzu zählen unter anderem Bordhubschrauber vom Typ »Sea Lynx« und Flugzeuge der Marke P-3C »Orion«. Die Helikopter machen aktuell vor der Küste Somalias Jagd auf Piraten – unter Einsatz tödlicher Waffen. Die Vorarbeit hierfür leisten die ursprünglich als »U-Boot-Jäger« konzipierten »Orion«-Flieger, indem sie die auf dem Festland gelegenen Camps der Seeräuber ausspionieren. Wie die Bundeswehr erklärt, kontrolliere sie zwar mittlerweile das »Symptom Piraterie«, die »eigentliche Krankheit« der Region sei jedoch noch »unbehandelt«. An Armutsbekämpfung ist dabei ausdrücklich nicht gedacht, sondern daran, die »Interessen der deutschen Bevölkerung« auch künftig »vor Ort« durchzusetzen. Das Motto der Marineflieger – »Treue – Mut – Bereitschaft – Zuverlässigkeit – Ausdauer« – gelte somit »damals wie heute«, heißt es.

Aufklärung über die unter diesen wohlklingenden Begriffen begangenen Verbrechen an der Menschheit dürfte denn auch kaum das Anliegen des Buches »100 Jahre Marineflieger« sein, das im Rahmen des für Samstag nachmittag geplanten »Festaktes« erstmals geladenen Gästen vorgestellt werden soll. Als Herausgeber firmiert Fregattenkapitän a.D. Heinrich Walle, der etliche Jahre für das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr tätig war und bis heute den Posten eines stellvertretenden Chefredakteurs der Zeitschrift Militär und Geschichte bekleidet. Das Blatt, das sich selbst als »wissenschaftlich zuverlässig« und »objektiv« preist, dürfte insbesondere von eingefleischten Militaristen und Geschichtsrevisionisten goutiert werden. So befaßt sich etwa ein Beitrag der vorletzten Ausgabe mit dem deutschen Bombardement der baskischen Kleinstadt Gernika während des spanischen Bürgerkrieges. Daß die ­Attacke erklärtermaßen ausschließlich das Ziel verfolgte, die republikanisch und antifaschistisch eingestellten Bewohner des Ortes zu treffen, um ihren Widerstand gegen die Truppen des Putschistengenerals Franco zu brechen, läßt man bei Militär und Geschichte nicht gelten. Unter der Überschrift »Guernica 1937« ist auf der Webseite des Mediums folgendes zu lesen: »Der Angriff der ›Legion Condor‹ … wird heute durchweg als unmenschlicher ›Terrorangriff‹ interpretiert – und die Luftwaffe somit stigmatisiert. Neueste Forschungen ergeben, daß entgegen der gängigen Sichtweise eine Terrorabsicht nicht nachgewiesen werden kann.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. August 2013


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