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Abhängig von den Arbeitgebern – Reservistenkompanien für den Heimatschutz

Ein Beitrag von Barbara Renne aus der Sendereihe des NDR "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Nach dem Fall der Mauer und der Verkleinerung der Bundeswehr haben Reservisten an Bedeutung verloren. Anfang des Jahres hat der Verteidigungsminister allerdings eine neue Reservisten-Konzeption erlassen. Und nachdem man vor einiger Zeit die letzten sogenannten Heimatschutzverbände aufgelöst hat, sollen nun bundesweit wieder Reservisten-Kompanien aufgestellt werden. Ein nicht ganz einfaches Vorhaben. Barbara Renne berichtet:


Manuskript Barbara Renne

Eigentlich war die Zeit bei der Bundeswehr für sie schon Geschichte. Nun sind sie wieder dabei: Mehr als 100 Reservisten aus Bremen, Bremerhaven und Osterholz haben sich gemeldet, wollen eingesetzt werden in den sogenannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräften. Bundesweit sollen 27 Einheiten aufgestellt werden. Bremen hat als erstes Bundesland eine solche Kompanie. Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist eigens aus Berlin eingeflogen, um bei der Indienststellung der Reservisten vor zwei Monaten dabei zu sein:

O-Ton de Maizière
„Die Wehrpflichtigen sind nicht mehr da. Wir haben wenig Aufwuchskräfte aus den Wehrpflichtigen. Deswegen bilden die Reservisten neben den Soldaten, die natürlich auch im Heimatland sind, die zentrale Kraft für den Heimatschutz.“

Militärische Anlagen vor Terroristen schützen und bei Naturkatastrophen die zivilen Hilfskräfte unterstützen – das sollen u.a. die Aufgaben der neuen Reservisteneinheiten sein. Allerdings werden sie unterschiedliche Schwerpunkte haben – je nach Bundesland und seinen entsprechenden Anforderungen. Im kommenden Jahr wird in Hamburg die Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie aufgestellt. 100 Soldaten, verteilt auf vier Züge. Kapitän zur See Klaus Beyer, Kommandeur des Landeskommandos Hamburg, zu ihren Aufgaben:

O-Ton Beyer
„Wir wollen sehen, dass wir natürlich für alle einen Schwerpunkt bei der militärischen Ausbildung für die Sicherung von militärischen Anlagen ausprägen. Wir wollen aber auch Katastrophenschutz und Deichschutz als Spezialisierung ausbilden. Wir wollen Dekontamination als Spezialisierung ausbilden und (um) insbesondere das Bindeglied zwischen Öffentlichkeit und Bundeswehr herzustellen, wollen wir die Fähigkeit in dieser Kompanie ausbilden, Großveranstaltungen in Hamburg zu unterstützen wie beispielsweise den Hafengeburtstag oder im nächsten Jahr den Kirchentag.“

Im Zuge der Bundeswehrreform wird die Truppe verkleinert, viele Standorte geschlossen. Die ehemaligen Soldaten sollen helfen, die entstehenden Lücken zu schließen. „Rentner der Reserve“ spottete DER SPIEGEL. Kommandeur Beyer hält dagegen: Alter, körperliche Fitness – darauf käme es bei den Hilfskräften nicht in erster Linie an. Was zähle, seien vielmehr Qualifikation und Erfahrung:

O-Ton Beyer
„Wenn ich beispielsweise an die vielen Gefahrgüter in Hamburg denke und die vielen Chemiebetriebe und Seveso 2-Betriebe, die man so einstufen kann hier in Hamburg, ist mir natürlich ein Reservist, der 50 Jahre alt ist, ein Chemiestudium hat, sich mit Gefahrgut auskennt, vielleicht in dem Bereich auch noch beruflich tätig ist, natürlich wesentlich lieber, auch wenn der 103 Kilo wiegt, als wenn ich gar keinen hätte oder einen, der von Bio und Chemie weder einen Studien- noch einen anderen Hintergrund hat.“

Beim Landeskommando Hamburg laufen die Vorbereitung für die Aufstellung der Sicherungs- und Unterstützungskompanie auf Hochtouren. Rund 160 Freiwillige haben sich bereits gemeldet. Svend Sörensen, Oberstleutnant der Reserve, ist der designierte Kompaniechef. Seine aktive Bundeswehrzeit liegt lange zurück, längst hat sich der studierte Bauingenieur in einem zivilen Beruf etabliert. Und doch möchte er dabei sein, bei der neuen Sicherungs- und Unterstützungstruppe:

O-Ton Sörensen
„Ich habe mich nie ganz abnabeln können von der Bundeswehr und das geht uns meisten so. Man hat eine Verbundenheit zur Truppe. Das ist sicherlich die Motivation neben einem erfüllten Berufs- und Familienleben. Es kommt aber auch dazu, dass Sie gerade in dieser Tätigkeit die Möglichkeit haben, für unsere Stadt etwas zu tun, sich einzubringen.“

Sich einbringen, etwas fürs Gemeinwohl tun – die Bundeswehr setzt vor allem auf den Idealismus ihrer Reservisten. Die Arbeit in den neuen Sicherungs- und Unterstützungseinheiten ist mehr oder weniger eine ehrenamtliche Tätigkeit, reich werden kann man dabei nicht, sagt Robert Nickel, Bootsmann der Reserve:

O-Ton Nickel
„Geld ist auf jeden Fall nicht der Grund bei mir, sondern Idealismus, darum mache ich das auch. Für mich steht das Geld nicht im Vordergrund. Wenn man bei der Hanse Sail arbeitet, dann kommen da schon mal 14 Stunden-Schichten zusammen. Dafür kriege ich 13,60 Euro Leistungszuschlag, der das ganze natürlich ein bisschen auffängt. Deswegen kann man das nicht machen. Für 13,60 Euro geht manch anderer nicht los. Pro Tag, nicht pro Stunde.“

Viele der Bewerber sind bereits jetzt als Ehemalige in ihrem Reservistenverband aktiv. In der Woche arbeitet Ulrich Jora als Finanzbuchhalter. Einmal im Monat zieht er seine Tarnfleck-Uniform an und verbringt das Wochenende mit seinen Kameraden. Eine Reservistenübung einmal im Monat - der Leutnant der Reserve nimmt sich gerne die Zeit dafür, wie er sagt. Allerdings nicht immer zur Freude seiner Familie:

O-Ton Jora
„In den letzten Jahren war das grundsätzlich an Wochenenden. Da spielt natürlich ein bisschen die Familie nicht mit. Die sagen dann: warum bist Du schon wieder weg? Einmal im Monat kann man das sicherlich tun. Und das ist natürlich schon ein großer Zeiteinsatz, wenn das ganze Wochenende weg ist. Die Kinder wollen ja auch etwas vom Vater haben. Aber ich denke, einmal im Monat kann man noch gerade vertreten.“

Aber: nicht immer fallen die Übungen und Einsatztage auf das Wochenende, sondern in die Arbeitszeit. Nicht alle Reservisten können auf das Verständnis ihres Arbeitgebers zählen, berichtet Oberstleutnant der Reserve Svend Sörensen:

O-Ton Sörensen
„Ich kann aus eigener Erfahrung berichten. Ich bin seit 30 Jahren Reservist, habe fast ein Jahr an Wehrübungstagen zusammen und habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass es immer schwieriger geworden ist, sich freistellen zu lassen. Das war früher eher möglich. Die Arbeitgeber sind da sehr vorsichtig geworden, zurückhaltend geworden. Sie erkennen nicht den Mehrwert, den sie auch für sich generieren können, wenn sie uns gehen ließen. Und das deckt sich mit den Erfahrungen der anderen Kameraden. Selbst aus dem öffentlichen Dienst, was früher gut möglich war, wird es sehr schwierig, für eine Wehrübung freigestellt zu werden.“

Dieser „Mehrwert“ des Arbeitgebers durch aktive Reservisten liegt für Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière klar auf der Hand:

O-Ton de Maizière
„Das sind die besseren Mitarbeiter, die gucken nicht auf die Uhr, wann es nach Hause geht, die sind stressfähig, die sind teamfähig, die wissen, was Kameradschaft ist, die können sich in den Dienst der Sache stellen und das bekommt dem Unternehmen besser, als wenn sie es nicht täten. Deswegen ist das auch etwas, was für die Arbeitgeber und das Unternehmen selbst gut ist, für unser Land sowieso.“

Ob das aber alle Arbeitgeber so sehen, ist fraglich. Nach Aussetzung der Wehrpflicht basiert alles auf Freiwilligkeit. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, ehemalige Soldaten für Wehrübungen freizugeben.

Bei der Aufstellung seiner neuen Sicherungs- und Unterstützungseinheit kann das Landeskommando Hamburg trotzdem aus dem Vollen schöpfen. Es gibt ausreichend Bewerber. Mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren sind sie vergleichsweise jung. Noch, sagt der designierte Kompaniechef Svend Sörensen:

O-Ton Sörensen
„Das ist ein Zeichen dafür, dass dieser Pool, aus dem wir jetzt noch schöpfen, sich noch gespeist hat aus den fetten Jahren, wo die Bundeswehr durch die Wehrpflicht sehr viele Reservisten produzierte. Viele haben sich bereit erklärt, weiter zu machen. Das wird aber zukünftig, nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren, aber in den nächsten fünf, sechs, sieben, zehn Jahren, wird das ein Problem.“

Freie Zeit, die geopfert werden muss, Stress mit dem Arbeitgeber, eine läppische Aufwandsentschädigung – Verteidigungsminister Thomas de Maizière wird künftig also gute Argumente brauchen, um seine Ex-Soldaten aus der Reserve zu locken.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien"; 25. August 2012; www.ndrinfo.de

Mehr zu den Reservisten-Kompanien auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/info. Dort finden Sie auch einige Interviews zum Thema.


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