Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nach den Entscheidungen zur Neuausrichtung - Bundeswehr auf dem richtigen Weg?

Ein Beitrag von Otfried Nassauer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Die neue Bundeswehr nimmt Gestalt an. In der vergangenen Woche hat Ver-teidigungsminister de Maizière das Stationierungskonzept bekanntgegeben. 31 Standorte werden geschlossen, andere Kasernen deutlich ausgedünnt. Die wichtigsten Entscheidungen sind inzwischen getroffen worden. Ist die Bundeswehr also auf dem richtigen Weg? Otfried Nassauer ist dieser Frage nachgegangen:


Manuskript Otfried Nassauer

Allmählich werden die Konturen der Bundeswehrreform erkennbar. Die Wehr-pflicht ist ausgesetzt, der Umfang der Bundeswehr auf höchstens 185.000 Soldaten festgelegt. Die Zahl der freiwillig Wehrdienstleistenden soll mindestens 5.000 und höchstens 15.000 betragen. Verteidigungsminister de Maizière hat seine Grobstruktur für die Bundeswehr vorgestellt, die Verkleinerung des Ministeriums eingeleitet und erste Ergebnisse seiner Strukturreformen öffentlich gemacht. Als vorerst letzter Schritt folgte in der vergangenen Woche ein neues Stationierungskonzept. Der Verteidigungsminister zeigte sich zufrieden:

O-Ton de Maizière
„Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist in allen ihren Teilen auf Dauer angelegt. Sie ist gründlich überlegt, sie ist solide finanziert, sie ist auf Konsens angelegt, sie ist demographiesicher... Das ist eine gewisse Garantie für die Haltbarkeit und Dauer dieser Entscheidungsfolge.“

Trotzdem: Was als größte Reform seit Bestehen der Bundeswehr angekündigt wird, ist letztlich nicht der große Wurf, der die Streitkräfte zukunftsfähig machen sollte. Es ist nicht zu den eigentlich notwendigen tiefen Einschnitten gekommen. Der Grund dafür: Der Bundeswehr wird deutlich mehr Geld zugestanden, als noch vor einem Jahr. Verteidigungsminister de Maizière hat offenbar gut ver-handelt. Unter zu Guttenberg war noch von notwendigen Einsparungen in Höhe von 8,3 Milliarden Euro binnen vier Jahren die Rede. Der Plafond des Verteidigungshaushaltes sollte auf weniger als 28 Milliarden Euro pro Jahr abgesenkt werden. Dazu wird es nicht mehr kommen. Der Verteidigungsminister im September im Bundestag:

O-Ton de Maizière
„Zielgröße bei der Finanzplanung für das Jahr 2015 sind nicht mehr 27,65 Milliarden Euro, sondern 30,4 Milliarden Euro. Ich finde, das ist eine gute Nachricht für die Bundeswehr und die Sicherheit unseres Landes.“

Gleich mehrere Schritte haben diese Zielvorgabe aufgeweicht: Das Sparziel wurde nach hinten verschoben und reduziert. De Maizière wurde zudem zugestanden, dass er ab 2012 befristet auf eine zusätzliche Milliarde Euro im Haushalt des Finanzministeriums zugreifen kann, um den personellen Umbau der Bundeswehr abzufedern. Sein Ministerium überlegt bereits, welche dieser Zugeständnisse man wohl für die Dauer der Umsetzung der Reform verstetigen könne. Niemand weiß deshalb genau, mit wie viel zusätzlichem Geld die Bundeswehr in den kommenden Jahren wirklich rechnen kann und wie viel wirklich gespart werden muss.

Die Planung der Bundeswehr zeigt, dass man darauf spekuliert, deutlich mehr Geld ausgeben zu können als ursprünglich gedacht. Bereits angedachte Kürzungen wurden wieder zurückgenommen. Mehr Geld erlaubt eben mehr Soldaten, mehr Infrastruktur und zusätzliche Ausgaben.

Das Ministerium soll zwar weiterhin verkleinert werden, aber nicht auf 1.800 Mitarbeiter, sondern auf 2.000 oder etwas mehr. Die Bundeswehr wird zwar nur noch bis zu 185.000 Soldaten haben, aber nicht auf eine Stärke von 164.500 verkleinert, wie von Generalinspekteur Wieker zunächst favorisiert. Statt die Konzentration auf wirtschaftlich zu betreibende Großstandorte voranzutreiben, ist nun wieder von der Präsenz in der Fläche die Rede. Selbst Rüstungsprojekte, für die auch derzeit noch keine Mittel im Haushalt bereitgestellt werden können, stehen schon wieder in der Planung, z.B. das sogenannte Joint Support Schiff für die Marine.

Finanzierbar sind jetzt zum Beispiel auch teure Umzüge: Den Inspekteuren der Teilstreitkräfte wird ihr Ausscheiden aus dem Ministerium durch einen Umzug an neue, politiknahe Standorte schmackhaft gemacht. Das Heer und sein Inspekteur ziehen ins Berlin-nahe Straussberg, die Luftwaffe nach Gatow, die Marine verlegt von Glücksburg nach Rostock. Bestehende Kommandozentralen werden aufgegeben, am neuen Standort müssen sie erst noch geschaffen werden. Zudem gilt es, die bisherigen Führungsstäbe des Ministeriums, die Teilstreitkraftämter und die Teilstreitkraftkommandos zusammenzuführen. Beim Heer also den Führungsstab des Heeres, das Heeresamt und das Heeresführungskommando. Das kann dauern und vor allem einiges kosten.

Alte Zöpfe bleiben unter diesen Voraussetzungen ebenfalls finanzierbar: Die Bundeswehr hält z.B. noch immer 46 Jagdbomber vom Typ Tornado als Träger für Atomwaffen der USA vor. In der NATO konnte man sich im vergangenen Jahr nicht darauf einigen, auf diese Überbleibsel des Kalten Krieges zu verzichten. Also diskutiert man weiter, ob die Waffen abgezogen oder modernisiert werden sollen. Damit hat die Luftwaffe einen guten Grund mehr, ihr Tornado-Geschwader in Büchel zu behalten. Sie plant jetzt, dort aus den 85 Tornados, die sie bis 2025 in Dienst halten will, ein Großgeschwader zu bilden. Die Standorte Büchel und Cochem müssen deshalb personell verstärkt werden. Zwanzig Tornados dienen künftig zur Niederhaltung der gegnerischen Luftverteidigung, die restlichen sind Jagdbomber, die zur Aufklärung, Bekämpfung von Seezielen, zur Luftnahunterstützung und eben weiterhin für die sogenannte nukleare Teilhabe eingeplant sind.

Hinzu kommen finanzielle Unwägbarkeiten in der Rüstungs- und Beschaf-fungspolitik. Die Bundeswehr will die Stückzahl vieler Waffensysteme reduzieren. Ob das aber mit der Industrie zu machen ist, bleibt vorläufig offen. Deswegen ist beispielsweise unklar, ob es künftig nur noch 40 statt der ursprünglich geplanten 80 Tiger-Kampfhubschrauber geben wird. Offen bleibt vorerst auch, ob von 122 Transport-Hubschraubern NH90 nur noch 80 abge-nommen werden müssen. Das berühmteste Beispiel ist und bleibt der Eurofighter: Statt 177 Maschinen für vier Geschwader sind jetzt nur noch 140 Maschinen für drei Geschwader vorgesehen. Die aber sollen nach dem Willen der Luftwaffe nicht nur in der Lage sein, gegnerische Flugzeuge abzufangen – alle Maschinen sollen auch Angriffe auf Bodenziele fliegen können, also „mehrrollenfähig“ sein, wie die Militärs sagen. Das aber würde zusätzliches Geld kosten. Denn entweder müssen vorhandene Jagdflugzeuge nachgerüstet werden oder aber die Luftwaffe beschafft doch noch weitere Eurofighter und bemüht sich, die gebrauchten Jäger-Versionen zu verkaufen.

Die Streichungen sollen helfen, schneller mit neuen, für die Bundeswehreinsätze wichtigeren Beschaffungsvorhaben beginnen zu können, für die derzeit kein Geld da ist. Der Verteidigungsminister setzt dabei auf die Einsicht der Rüstungsindustrie:

O-Ton de Maizière
„Es gibt zwei Varianten. Die eine Variante ist: Wir bezahlen, was bestellt ist, und stellen die Dinge, die wir nicht mehr brauchen, auf den Hof; dann können wir nichts Neues bestellen. Die andere Variante ist: Wir passen die Planungen an; die Mittel, die dadurch frei werden, können wir für neue Bestellungen nutzen.“

Doch ob sich die Industrie auf dieses Ziel einlässt, ist ungewiss. Für viele Vor-haben hat sie feste Verträge. Die neuen Bundeswehr-Projekte dagegen sind derzeit nicht mehr als ein Versprechen. Wie hartnäckig der EADS-Konzern, der Vertragspartner für alle eben genannten Vorhaben, zu verhandeln weiß, zeigte sich zuletzt am Beispiel des neuen Transportflugzeugs A400M. EADS konnte seine vertraglichen Pflichten nicht einhalten und forderte trotzdem deutlich mehr Geld. Die Bundeswehr dagegen war berechtigt, die gültigen Verträge zu kündigen und hatte zugleich ein Interesse, ihre Bestellung von 60 auf 40 neue Flugzeuge zu reduzieren. Günstige Voraussetzungen für den Bund also. Doch der EADS-Konzern konterte cool und pokerte hoch: Gebe es nicht mehr Geld, dann lasse man das ganze Projekt scheitern. Das sei billiger. Dann gebe es eben kein neues Transportflugzeug. Das Verteidigungsministerium und die anderen Bestellernationen knickten ein. EADS bekam mehr Geld, einen besseren Vertrag und die Besteller reduzierten die Stückzahl nur unwesentlich. Sparen kann die Bundeswehr beim A400M jetzt nur, wenn es ihr gelingt, im Ausland Abnehmer für die bestellten Transportflugzeuge zu finden, die sie selbst nicht mehr braucht.

Bekommt die Bundeswehr künftig doch weniger Geld als sie heute hofft - etwa vor dem Hintergrund der Eurokrise - , oder zeigt sich bei der Feinausplanung, dass die Umsetzung der Reform mehr kostet als gedacht, so sind neue Finanzierungsprobleme vorprogrammiert. Das gleiche gilt, wenn es der Bundeswehr gelingt, jedes Jahr deutlich mehr als die Mindestzahl von 5.000 Freiwilligen zu rekrutieren oder wenn erhoffte Einsparungen nicht realisierbar sind. Es könnte sich also schnell zeigen, dass auch diese Bundeswehrreform schon in fünf oder sieben Jahren erneut überarbeitet werden muss - also noch bevor sie vollständig umgesetzt ist. Die Planung riskiert jedenfalls, schon bald erneut mit dem Helm an die finanzielle Decke zu stoßen.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 5. November 2011; www.ndr.de/info


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage