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Rechtsradikalismus in der Bundeswehr

Oberfeldwebel wegen "www.heil-hitler.de" suspendiert

Nachfolgende Meldungen passen - leider - in die aktuelle politische Landschaft.

Soldat für rechte Aktion bekannt
Bundeswehr suspendiert Oberfeldwebel wegen www.heil-hitler.de-Adresse

Der Oberfeldwebel der Bundeswehr, gegen den wegen Einrichtung der Internet-Adresse www.heil-hitler.de ermittelt wird, war schon zuvor wegen rechtsradikaler Äußerungen aufgefallen. Vor wenigen Monaten wurde er wegen Verstößen gegen Waffengesetze und das Kriegswaffenkontrollgesetz in erster Instanz verurteilt. Die Bundeswehr suspendierte ihn erst am Mittwoch vorläufig vom Dienst.

Der 28 Jahre alte Soldat aus der Moltke-Kaserne in Dabel (Mecklenburg-Vorpommern) ist vorbelastet. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Willfried Penner (SPD), fand in der Sache heraus, dass der Mann schon im Februar vom Amtsgericht Dippoldiswalde (Sachsen) zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt wurde. Demnach hatte der Oberfeldwebel an Silvester 1998 in einer Gaststätte mit Krachern und einer Handgranaten-Imitation hantiert; das Feuerwerk ging in die Luft und verletzte fünf Menschen. Tags darauf wurde der 28-Jährige festgenommen. Er besaß auch einen Karabiner, der unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt, und wurde auch deswegen vor Gericht gestellt. Unter Punkt drei führte die Anklage Propaganda an: Der Soldat soll sich bei der Aktion auch öffentlich neonazistisch geäußert haben.

Das Gericht verurteilte ihn wegen der ersten beiden Delikte. Die Anklage wegen der rechtsradikalen Propaganda ließ es fallen - aber nicht, weil sie widerlegt gewesen wäre, sondern weil die Strafe in Hinblick auf die Schwere der anderen Delikte zu vernachlässigen sei. Penner nennt diesen Einstellungsgrund "etwas ungewöhnlich". Da der Verurteilte in Berufung ging, ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Fall ist jetzt beim Landgericht Dresden anhängig. Der Prozesstermin ist nach Auskunft der Behörde noch nicht festgelegt.

Penner zeigte sich "irritiert" darüber, dass bei der Bundeswehr trotz des erfahrens "von einer vorläufigen Dienstenthebung Abstand genommen wurde". Dies habe der Divisionskommandeur selbst verfügt. Der SPD-Politiker bemerkte auch, dass der Oberfeldwebel "in seinen soldatischen Leistungen als überdurchschnittlich gut eingeschätzt" worden sei. Zu untersuchen sei noch, ob sich diese Beurteilungen nach den Ereignissen, die zur Anklage führten, geändert hätten, sagte der Wehrbeauftragte der Bundestags.

Die Bundeswehr selbst stellte das Urteil offenbar noch nicht in einen Zusammenhang mit der jüngsten rechtsradikalen Aktion des Mannes, der eine Internet-Seite namens www.heil-hitler.de angemeldet hatte. Wegen dieser Aktion wurde er am Mittwoch vorläufig vom Dienst suspendiert. Dies geschehe "im Rahmen der Fürsorgepflicht" und habe "keinerlei verurteilende Bedeutung", betonte der Pressesprecher des IV. Korps in Potsdam, Joachim Teubner. Von dem Urteil aus Sachsen sei ihm nichts bekannt. Die Frage, ob der Oberfeldwebel früher als neonazistisch aufgefallen sei, verneinte der Sprecher. Auch die Schweriner Polizei hatte mitgeteilt, dass ihr der Beschuldigte nicht einschlägig bekannt sei.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) liegt inzwischen ein vorläufiger Bericht des Divisionskommandeurs zu dem Fall vor, wie ein Sprecher des Ministeriums sagte. Zu Einzelheiten wollte er sich nicht äußern, weil die Ermittlungen wegen der Internetseite bei der Schweriner Staatsanwaltschaft noch liefen.

Auch die Anklagebehörde wollte keine Einzelheiten nennen. Man sei noch "ganz am Anfang der Ermittlungen". Dem Soldaten, der seit vier Jahren in Dabel Dienst tut, wird die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Das ist mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren bedroht.
Aus: Frankfurter Rundschau, 11.08.2000

Dazu gab es folgenden Kommentar von Jochen Siemens in derselben Ausgabe der FR:

Der Ruf der Truppe

Ein Einzelfall? Autoritäre Strukturen, wie sie das Militär nun mal hat, sind für Autoritätshörige, wie es Rechtsextreme nun mal sind, attraktiv

Wieder ein "Einzelfall". Man erinnert sich: Um die Jahreswende 1998/99 belegte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe eine Serie von rechtsextremen Vorfällen in der Bundeswehr mit dieser verharmlosenden Beschreibung. Brutalvideos mit inszenierten Erschießungen und Vergewaltigungen erschreckten damals Öffentlichkeit und Vorgesetzte. Die Rede eines verurteilten Rechtsterroristen bei der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg ließ Zweifel daran aufkommen, ob Offiziere die Attraktivität unserer Armee für Rechtsextreme richtig einschätzten und die Truppe mit der notwendigen Umsicht vor dieser Gefahr bewahrten.

Fragen, die sich in ganzer Härte wieder stellen und zumindest in dem Fall des Oberfeldwebels, der "Heil Hitler" als Kennzeichnung seiner Internetseite wählte, auch beantworten lassen. Die Vorgesetzten, die diesen Mann agieren ließen, weil er "soldatische Qualitäten" zeigte, gehören gemeinsam mit ihm vom Dienst suspendiert. Der Oberfeldwebel war als rechter Sprücheklopfer bekannt, er ist erstinstanzlich verurteilt. Soldaten der Bundesrepublik Deutschland sind Staatsbürger in Uniform. Sie sind auf die Verfassung dieses Staats vereidigt. Wer sie, in welchem Dienstgrad auch immer, mit Füßen tritt, gehört nicht in diese Armee. Wer als vorgesetzter Offizier solches Handeln eines untergebenen Unteroffiziers deckt oder übersieht, ebenfalls nicht.

Autoritäre Strukturen, wie sie das Militär nun mal hat, sind für Autoritätshörige, wie es Rechtsextreme nun mal sind, attraktiv. Verteidigungsminister Scharping muss mit aller Härte durchgreifen, um den Ruf der Truppe zu schützen und seiner Fürsorgepflicht nachzukommen.

Auch Penner sorgt sich

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der SPD-Politiker Willfried Penner, will gezielt mit Soldaten darüber reden, wie bei der Bundeswehr gegen Rechtsextremismus vorzubeugen ist. Zu einer Tagung zu diesem Thema, die sich auch mit dem Einsatz in Kosovo befassen soll, lädt Penner für kommenden Oktober 30 ausgesuchte Soldaten ein. Der Wehrbeauftragte wies am Donnerstag im Gespräch mit der FR zugleich darauf hin, dass "Rechtsextremisten ein besonders begehrliches Auge auf Institutionen wie die Bundeswehr oder die Polizei werfen".

Mit Sorge nimmt Penner die Zahlen über die "besonderen Vorkommnisse" bei der Truppe zur Kenntnis. Nach Einschätzung des Beauftragten ist ein Anstieg zu beobachten. Während Penner im vorigen Jahr von 90 bestätigten Fällen rechtsradikaler Propaganda und rechtsradikaler Gewalttaten erfuhr, seien es allein bis zum Juli dieses Jahres bereits 79 gewesen.

Dabei handele es sich zum weitaus größten Teil um so genannte Propagandadelikte, also um das Grölen von neonazistischen Parolen, das Absingen einschlägiger Lieder oder das Recken des Arms zum Hitlergruß. Bei etwa zehn Prozent der Delikte gehe es um Gewalttaten. Nach Angaben des Wehrbeauftragten sind die Übeltäter in den allermeisten Fällen Grundwehrdienstleistende, nämlich bei 78 Prozent der Vorfälle.

Auch Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat rechtsradikale Entwicklungen in der Bundeswehr ausgemacht. Im Gegensatz zu Penner registriert das Verteidigungsministerium allerdings einen Rückgang der Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund. Es zieht als Vergleich das Jahr 1998 heran, als es mit 319 Verdachtsfällen eine besonders hohe Zahl gab. Diese sei zurückgegangen auf 135 im vorigen Jahr. Im laufenden Jahr seien bisher 87 Verdachtsfälle bekannt geworden.

"Unsere präventiven Maßnahmen greifen sehr wohl", heißt es dazu am Donnerstag im Bundesverteidigungsministerium. Man habe die politische Bildung verbessert und die Vorgesetzten durchaus sensibilisiert. Zugleich werde hart disziplinarisch vorgegangen, wenn Prävention nicht greife, verlautete aus der Behörde Scharpings.

Mal sehen, wie lange sich der Rechtsextremismus in der Bundeswehr noch der Aufmerksamkeit des Wehrbeauftragten erfreut.

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