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Gestärkter oder geschwächter Generalinspekteur? Die Rolle des obersten Soldaten in der neuen Bundeswehr

Ein Beitrag von Otfried Nassauer aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien *

Andreas Flocken (Moderation):
Die Streitkräfte sollen kleiner und effektiver werden. Mit der Umstrukturierung will man von oben beginnen. Staatssekretär Walther Otremba ** hat Anfang des Monats einen Plan vorgelegt, wie das Verteidigungsministerium verschlankt werden könnte. Zugleich war zu hören, durch die neue Struktur werde der Generalinspekteur, also der oberste Soldat der Bundeswehr, mehr Einfluss und Kompetenzen bekommen. Doch es gibt auch andere Einschätzungen. Kritiker befürchten genau das Gegenteil, nämlich eine Schwächung des VierSterneGenerals. Welche Rolle wird der Generalinspekteur also künftig spielen? Otfried Nassauer ist dieser Frage nachgegangen:


Manuskript Otfried Nassauer

Die Meinungen sind geteilt. Generalinspekteur Volker Wieker kann mit den Vorschlägen zur Umstrukturierung des Verteidigungsministeriums leben. Er sieht sich nicht entmachtet. Andere sehen das nicht so. Der frühere Generalinspekteur Kujat beispielsweise. Er sprach von der „Verzwergung“ des Generalinspekteurs.

Doch was hat Staatssekretär Otremba eigentlich vorgeschlagen? Er will das Ministerium umbauen und verkleinern. Das war sein Auftrag. Von heute rund 3.200 Mitarbeitern soll es auf etwa 1.800 Beschäftigte schrumpfen. Aufgaben sollen in den nachgeordneten Bereich verlagert werden. Das Ministerium soll schlanker werden, klare Entscheidungsstrukturen bekommen. Von 17 Abteilungen sollen noch acht übrigbleiben. Die Zuständigkeit dafür wird auf der Leitungsebene neu gegliedert. Ein beamteter Staatssekretär leitet die Bereiche „Politik und Recht“ sowie „Haushalt und Planung“. Ein weiterer die Bereiche „Personal“, „Ausrüstung“, und „Infrastruktur sowie Dienstleistungen“. Der Generalinspekteur verantwortet den militärischen Aufgabenbereich. Er ist also z.B. verantwortlich für die Führung der Streitkräfte, deren Einsätze und das Fähigkeitsmanagement. Er wird zudem oberster militärischer Befehlshaber der Bundeswehr, steht damit erstmals – wie ein Generalstabschef an der Spitze der militärischen Befehlskette.

Um zu einer neuen Struktur zu kommen, hat Otremba Zuständigkeiten und Ressourcen verschoben. Der Generalinspekteur ist künftig nicht mehr verantwortlich für Bundeswehrplanung und Militärpolitik. Darum soll sich der Staatssekretär kümmern, der für Politik, Haushalt und Planung zuständig ist. Dieser soll künftig der starke Mann des Ministeriums sein, zuständig für alle politisch relevanten Grundsatzfragen. Das wäre Otremba selbst.

Und genau hier setzen die Kritiker seines Vorschlags an. Der Generalinspekteur werde entmachtet, wenn er zentrale Zuständigkeiten wie die Bundeswehrplanung verliere. Das werde auch durch eine Stärkung seiner Rolle innerhalb der Bundeswehr nicht ausgeglichen. Denn die Inspekteure der Teilstreitkräfte sollen mit ihren Stäben aus dem Ministerium ausgegliedert werden. Das schwäche den Einfluss und die Präsenz der Spitzenmilitärs im Ministerium, sagen die Kritiker.

Man kann das so sehen. Warum aber sieht es Generalinspekteur Wieker nicht so? Warum kommt von ihm kein Widerspruch? Dafür kann es mehrere Gründe geben. Wieker ist kein politisch agierender Generalinspekteur. Er ist vor allem Militär. Innerhalb des Militärs wird seine Rolle aufgewertet. Er bleibt der oberste militärische Berater der Bundesregierung, behält den direkten Zugang zum Minister und steht künftig an der Spitze der militärischen Befehlskette. Er kann also jetzt den oft heftig konkurrierenden Teilstreitkräften Befehle erteilen. Das erleichtert das Geschäft.

Auch die Verlagerung der Bundeswehrplanung zu einem zivilen Staatssekretär muss aus Sicht des Generalinspekteurs nicht unbedingt ein Nachteil sein. Er kann sie als Arbeitserleichterung betrachten. Bisher erstellt der Generalinspekteur die Konzeption der Bundeswehr und den jährlichen Bundeswehrplan. Dieses Dokument hatte immer einen Forderungscharakter und fand die Grenzen seiner Umsetzung an der Haushaltsrealität. Die Bundeswehr begründete innerhalb politischer Vorgaben ihren jeweiligen Bedarf an Personal und Waffen, wünschte sich dabei immer etwas mehr als möglich war. Der Generalinspekteur musste sich dann mit dem Haushaltsstaatssekretär auf das Machbare einigen oder dessen Weisungen folgen. Künftig formuliert der Generalinspekteur lediglich die Forderungen des Militärs und beschreibt, was die Streitkräfte mit den bewilligten Fähigkeiten leisten können. Der beamtete Staatssekretär muss den Widerspruch zwischen militärischer Forderung und Haushaltsrealität innerhalb seines Bereiches künftig selbst lösen und alleine verantworten. Ihm fällt in Zukunft die HerkulesAufgabe zu, Haushalt und Bundeswehrplanung unter einen Hut zu bringen. Derzeit werden die Eckwerte für den Haushalt 2012 und die Mittelfristige Finanzplanung verhandelt. Wenn die Bundeswehr bis 2015 8,3 Milliarden Euro einsparen muss, müsste Otremba seinem Minister klar sagen: Der derzeit anvisierte Umfang der Bundeswehr – 185.000 Soldatinnen und Soldaten – ist so nicht finanzierbar. Auch der von General Wieker favorisierte Umfang von 163.500 Soldaten ist nicht mehr bezahlbar. Das Geld reicht nur für eine noch deutlich kleinere Bundeswehr. Es ist nicht klar, ob Staatssekretär Otremba ahnt, wie viel Verantwortung er an sich ziehen will.

Widerspruch gegen seine Vorschläge kommt vor allem von jenen, die sich einen starken, politisch agierenden Generalinspekteur wünschen. Einen Generalinspekteur, der dem Militär Gehör bei der Politik verschafft und mit seinem fachlichen Rat aktiv Einfluss auf die Politik und die Bundeswehrplanung nimmt. Volker Wieker hat diesen Anspruch wohl nicht. Wie die Reform des Ministeriums letztlich umgesetzt wird, bleibt jedoch offen. Auch Staatssekretär Otremba hat in seiner Vorlage viele Fragen nur vage oder gar nicht beantwortet. Vielleicht sogar bewusst, weil es um Fragen der künftigen Machtverteilung an der Spitze des Ministeriums geht. Deshalb ist zurzeit noch kein Urteil möglich, ob der Umbau nach seinen Vorstellungen wirklich zu mehr Effizienz und weniger Reibungsverlusten im Verteidigungsministerium führen würde. Theoretisch möglich ist das. Möglich ist aber auch, dass es zu einem verschärften Kompetenzgerangel, zu Machtkämpfen und zu einem heillosen Durcheinander kommt.

Denn offen oder unklar bleibt in Otrembas Vorschlägen, wer – unterhalb des Ministers - künftig wem welche Weisungen erteilen darf, also letztlich das Sagen hat. Die genauen Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse an der Spitze des Ministeriums werden im sogenannten Berliner Erlass geregelt. Dieser muss überarbeitet werden, wenn Otrembas Vorstellungen Wirklichkeit werden sollen. Hier aber bleibt vieles ungeklärt: Auch die neue Stellung und der künftige Einfluss des Generalinspekteurs. Geklärt werden soll zum Beispiel noch, in welchen Bereichen der Generalinspekteur nur dem Minister untersteht und in welchen er seine Weisungen von den Staatsekretären bekommt. Unklar ist auch, in welchen Bereichen die Staatssekretäre den Minister vertreten dürfen und in welchen nicht. Entschieden werden muss, in welchen Fällen der Generalinspekteur das Recht hat, ohne Zustimmung der Staatssekretäre auf die Zuarbeit von jenen Abteilungen zurückzugreifen, die ihm nicht unterstellt sind. Und offen bleibt auch, ob er für seine Aufgabe einen eigenen ausreichend großen Stab bekommt, der alle Aufgaben eines Generalstabs erfüllen kann. Die künftige Rolle von Gremien wie dem Militärischen Führungsrat oder dem Rüstungsrat ist ebenfalls noch unklar. Von den Antworten hängt letztlich ab, wie stark oder schwach der Generalinspekteur künftig sein wird. Schon deshalb ist es bedeutsam, in wessen Verantwortung der neue Berliner Erlass entsteht und wie viel Einfluss der Generalinspekteur auf die Neufassung nehmen kann und nehmen wird.

Sicher ist nur eines: Mit Otrembas Vorschlägen für eine Reform des Ministeriums wird dort kaum Ruhe einkehren. Im Gegenteil: Sie enthalten das Potenzial für viele langwierige Konflikte. So müssen die Staatssekretäre und der Generalinspekteur sich ja noch auf die Details und die Ausstattung ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche einigen. Dem Ministerium droht also viel Beschäftigung mit sich selbst. Das Vorhaben, die ganze Bundeswehr effizienter und schlanker zu machen, kann darüber schnell in Vergessenheit geraten.

* Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 26. Februar 2011; www.ndrinfo.de

** Nachbemerkung:

Mit dem Rücktritt zu Guttenbergs am 1. März 2011 und der Ernennung seines Nachfolgers Thomas de Maizière (3. März) stellen sich manche Fragen neu. Zwar versicherte de Maizière bei Amtsantritt pflichtgemäß, er werde am Reformkonzept festhalten, dem widersprach aber seine erste Amtshandlung: Er entließ den "Architekten" der Guttenbergschen Bundeswehrreform, den Staatssekretär Walther Otremba. Die Gründe für die Entlassung (de Maizère schwieg sich darüber aus) dürften aber wohl nicht in einer Abkehr von der Reform liegen. In der Financial Times Deutschland war dazu Folgendes zu lesen:
"Als Beleg für eine grundsätzliche Abkehr von den bisherigen Plänen ist die Personalie jedoch wohl nicht zu sehen. Vielmehr gilt das Verhältnis zwischen beiden schon länger als schwierig. Während der Großen Koalition gerieten der damalige Kanzleramtschef de Maizière und Otremba, der zu dieser Zeit Staatssekretär im Wirtschaftsressort unter Guttenberg war, in wichtigen Fragen aneinander, etwa bei den Staatshilfen für Opel." (ftd, 6. März 2011)




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