Es drohen "große Gefahren für den Rechtsstaat"
Die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz warnt vor der Einführung einer Sonderjustiz für Bundeswehrangehörige
Folgende Information der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz geben wir gern zur Kenntnis.
Bundesvereinigung Opfer der NS - Militärjustiz e.V.
Appell, eine neue Militärgerichtsbarkeit in Deutschland zu verhindern
Mitteilung für die Presse / Medieninformation, nachrichtlich: An die Fraktionen im Deutschen Bundestag, die Bundesministerien für Justiz und Verteidigung sowie an Juristische Vereinigungen und weitere
interessierte Multiplikator/innen (www.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/)
Die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz diskutierte auf ihrer Jahresmitgliederversammlung am 14. Dezember
2011 in Bremen die unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit vorangetriebenen Pläne der Bundesregierung,
einen gesonderten „Gerichtsstand für die Angehörigen der Bundeswehr im Ausland“ zu schaffen.
Nach Auffassung der Bundesvereinigung würde eine solche Sonderjustiz aber nicht - wie behauptet - einer Verbesserung
der rechtlichen Stellung der Soldaten dienen, sondern - im Gegenteil - den Bundeswehrangehörigen
eine rechtliche Sonderstellung zuweisen, die dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform entgegensteht, Tendenzen
zur Abkehr von einer Verfassungsarmee verstärkt und große Gefahren für den Rechtsstaat in sich birgt.
Vor dem Hintergrund der Geschichte der NS-Militärgerichtsbarkeit und ihrer „Blutjustiz“ (so bezeichnete der Bundesgerichtshof
1995 die Spruchtätigkeit der Wehrmachtjustiz) lehnt die Bundesvereinigung die erneute Wiedereinführung
einer Militärjustiz entschieden ab, die nach beiden Weltkriegen aus guten Gründen abgeschafft wurde.
Bei einem Senatsempfang zum 90. Geburtstag des Vorsitzenden der Bundesvereinigung, der am Vortag der Mitgliederversammlung
am 13. Dezember im Bremer Rathaus stattfand, erklärte Bürgermeister und Senatspräsident
Jens Böhrnsen unter Bezug auf die aktuellen Pläne, dass es keine unterschiedlichen rechtlichen Regelungen
geben dürfe. Wörtlich erklärte er unter dem Applaus der 200 Gäste im Bremer Rathaus: „Wir wollen keine Sondergerichtsbarkeit
in Deutschland mehr.“
Die von der Mitgliederversammlung einstimmig beschlossene Stellungnahme der Bundesvereinigung
Opfer der NS-Militärjustiz zur geplanten Schaffung einer militärischen Sonderjustiz lautet:
„In ihrem Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 vereinbarten CDU/CSU und FDP, eine „zentrale Zuständigkeit
für die Verfolgung der Straftaten der Soldaten . . . im Ausland“ zu schaffen (S.121). Seit
dem 28. April 2010 liegt ein Referentenentwurf vor, über den aber nicht öffentlich diskutiert wird.
Die Erfahrungen aus der jüngsten Geschichte und die Schwierigkeiten ihrer politisch-gesellschaftlichen
Aufarbeitung sind Gründe, vor der Einrichtung von neuen Formen einer solchen Justiz zu warnen. Eine
Militärjustiz ist immer eine Sonderjustiz. Sie hat die Fragmentierung des einen und gleichen Rechts zur
Konsequenz. In Zeiten der Bundeswehrreform, die auch die Schaffung einer Armee aus freiwilligen
Zeit- und Berufssoldaten zur Folge hat, kommt es darauf an, etwaige Prozesse der Herauslösung des
Militärs aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang zu verhindern. Die Bundesvereinigung Opfer der
NS-Militärjustiz fordert den Bundestag deshalb auf, alle Bestrebungen, die zur Schaffung einer neuen
Militärjustiz führen könnten, einzustellen.“
Bremen, 14.12.2011
Zum Hintergrund:
Die Aufhebung der Unrechtsurteile der NS-Militärjustiz fand erst im Jahr 2009 mit dem einstimmigen Beschluss
des Deutschen Bundestages vom 8. September ihren Abschluss, auch die wegen “Kriegsverrats“ verurteilten
Wehrmachtangehörigen zu rehabilitieren. Deutsche Kriegsgerichte verurteilten über 30.000 Menschen meist
wegen „Fahnenflucht“ und „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode, von denen rd. 20.000 hingerichtet wurden.
Deutschland hat insoweit eine ganz besondere Erfahrung in Bezug auf Militär und Justiz aufzuweisen, die Vergleiche
mit anderen Staaten fragwürdig macht und zugleich zu besonderer Sensibilität in dieser Angelegenheit
verpflichtet. Die Forderung, eine neue Militärgerichtsbarkeit einzuführen, wird im o.g. Referentenentwurf damit
begründet, eine „effektive und zügige Strafverfolgung“ aufzubauen. Eine vom Deutschen Bundeswehrverband
geförderte Dissertation plädiert für eine „schnelle Fallbearbeitung“, die „zur Funktionsfähigkeit der Streitkräfte
beitrage“ wie zur „Aufrechterhaltung der Disziplin“. (K.B. Spring, Brauchen wir in Deutschland eine neue Militärgerichsbarkeit?,
Diss. BuweUni München, Nomos, Baden-Baden 2007, S. 255 ff.) Nur die moderne Sprache unterscheidet
dies von der Aufgabenstellung, der sich die Wehrmachtjustiz verschrieb, der „Sicherung der Schlagfertigkeit
der Truppe und der „Aufrechterhaltung der Mannszucht“ (Kommentar zum Militärstrafgesetzbuch von Erich
Schwinge, 1936, S. 2).
* Bundesvereinigung Opfer der NS - Militärjustiz e.V., Sitz in Bremen; Vorsitzender: Ludwig Baumann; Schriftführer: Günter Knebel
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