Sündenböckchen
Selbstreinigung à la Bundeswehr
Von Klaus Fischer *
Die Bundeswehr steht am Pranger: Rekruten sollen entwürdigenden
Aufnahmeritualen unterworfen worden sein. Beschwerden darüber erreichten
den Wehrbeauftragten des Bundestages. Der will das Parlament demnächst
unterrichten. In den Medien wird berichtet. Ausführlich. Der Ton ist
nicht unbedingt und überall freundlich. Keine frohe Botschaft für die
politischen und militärische Führung der Armee.
Mitten in einem nichterklärten Krieg, unmittelbar vor der Entscheidung,
noch mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken, sickerten wieder einmal
Details darüber durch, was hinter Kasernenmauern abläuft. Rohe Leber
essen, saufen bis zum Erbrechen, wahrscheinlich noch ein patriotisches
Lied dazu grölen - das klingt unappetitlich. Noch häßlicher wird die
Sache dadurch, daß sich derlei in Mittenwald ereignete, in der
Edelweiß-Kaserne, wo sich die Elite der bundesdeutschen Bodentruppen zu
Hause wähnt.
Wozu auch immer Gebirgsjäger gebraucht werden, für schlechte Publicity
wohl kaum. Es ist noch nicht allzulange her, das posierten Angehörige
der Spezialtruppe in Afghanistan mit Totenschädeln fürs private
Fotoalbum. Da kommt der aktuelle Fall besonders unpassend für die Obrigkeit.
Die muß so tun, als reagiere sie. Zwar sind Initiationsriten beim
Militär so alt wie die Gewohnheit der Menschen, ihre Streitfragen
mittels Mord und Totschlag zu lösen und sich dafür Spezialisten zu
halten. Allerdings macht es nun einmal keinen besonders guten Eindruck,
wenn sich die Verteidiger westlicher Freiheitsideale all zu
offensichtlich wie Barbaren benehmen.
Doch was ist schlimmer: Rekruten zum Exzeßtrinken zu nötigen oder
Soldaten am Hindukusch zu verbraten? Zu verheizen in einem Krieg, der
militärisch nicht zu gewinnen ist, der mit den Lebensinteressen der
Deutschen und der Europäer nichts zu tun hat? Was ist gefährlicher: Sich
aus politischer Nibelungetreue und neuerwachtem Größenwahn immer tiefer
in ein militärisches Abenteuer zu verstricken, Tanklastzüge zu
bombardieren, und die »Vernichtung« von Menschen wieder hoffähig zu machen?
Nun mag das eine dazu führen, daß das andere einfacher zu
bewerkstelligen ist. Eine in sich durch oben genannte Riten und eine
informelle Hackordnung gestählte militärische Einheit mag leichter zum
schießen zu bewegen sein, als ein philosophischer Debattierklub. Dennoch
dürfen wir es Politik und Militär nicht durchgehen lassen, uns diese
Dinge als völlig verschiedene Sachverhalte zu verkaufen.
Jetzt wurden Sündenböckchen gefunden. Unteroffiziere der betroffenen
Einheit sollen versetzt, der Zug neu aufgestellt werden. Man darf
gespannt sein, ob die verantwortlichen Offiziere ähnlich »streng«
gemaßregelt werden. Wer aber versetzt eigentlich den
Verteidigungsminister endlich in den Ruhestand? Den haben er und seine
Richtlinienkompetenz-Bundeskanzlerin zwar nicht verdient, aber das wäre
der schöne Anfang einer Lösung des Problems.
* Aus: junge Welt, 26. Februar 2010 (Kommentar)
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