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Kein großer Wurf? De Maizières Reform der Bundeswehr

Ein Beitrag von Andreas Dawidzinski in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Was wird aus der Bundeswehr nach dem unrühmlichen Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg? Sein Nachfolger steht unter großem Druck. Denn die Verkleinerung der Bundeswehr und ihr Umbau zu modernen Streitkräften ist eine Herkules-Aufgabe. In dieser Woche hat Verteidigungsminister de Maizière bekanntgegeben, wie die Bundeswehr reformiert werden soll. Können die betroffenen Soldaten nun aufatmen? Andreas Dawidzinski ist dieser Frage nachgegangen:


Manuskript Andreas Dawidzinski

Bei der Bundeswehr hatte der Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix am Mittwoch eine hohe Einschaltquote. Der Sender war live dabei als der neue Verteidigungsminister seine mit Spannung erwarteten Eckpunkte zur Bundeswehrreform verkündete.

Die Stimmung in der Truppe ist zurzeit nicht die Beste. Die Enttäuschung über den Absturz des noch vor kurzem als Hoffnungsträger gefeierten zu Guttenberg sitzt tief. Thomas de Maizière versucht nun, mit seiner Reform das zusammenzuführen, was bei seinem Vorgänger nicht zusammenpasste. Der neue Verteidigungsminister, noch keine 100 Tage im Amt, machte seinen Soldaten Mut, bemühte sich, der Truppe verlorenes Selbstvertrauen zurückzugeben:

O-Ton de Maizière
„Bei meinen Besuchen in den Einsatzgebieten und an verschiedenen Standorten hier in Deutschland habe ich eine Truppe erlebt, die hochmotiviert, leistungsbereit und professionell ist. Das alles überzeugt. Sie alle, meine Damen und Herren, tragen dazu bei, dass dies möglich ist.“

Doch an den gegenwärtigen Organisationsstrukturen und Abläufen ließ der Verteidigungsminister kein gutes Haar. Zu langsam, zu bürokratisch und ineffizient. Von gravierenden Mängeln war die Rede. Seinen Vorgänger wollte de Maizière für diese Defizite allerdings nicht verantwortlich machen – obwohl es heißt, er habe hinter verschlossenen Türen in den Regierungsfraktionen Tacheles geredet. Denn zu Guttenberg hat seinem Nachfolger keineswegs wie behauptet, ein bestelltes Haus übergeben. Doch nach außen darüber – kein böses Wort. Im Gegenteil:

O-Ton de Maizière
„In der Koalitionsvereinbarung ist die Neuausrichtung angelegt. Mein Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg hat sie entschlossen aufgegriffen und vorangetrieben. Das bleibt sein Verdienst. Die von ihm berufene Weise-Kommission hat hervorragende Vorschläge gemacht.“

Keine Frage. Die längst überfällige Aussetzung der Wehrpflicht ist das Verdienst des über die Plagiatsaffäre gestrauchelten CSU-Politikers. Doch ihre überstürzte Umsetzung und leichtfertig zugesagte Einsparungen in Milliardenhöhe haben die Bundeswehr in eine tiefe Krise gestürzt. Nach der unter zu Guttenberg gescheiterten Bundeswehr-Reform gibt es unter seinem Nachfolger jetzt einen zweiten Versuch. De Maizières Grundprinzipien für den Umbau der Streitkräfte:

O-Ton de Maizière
„Die Neuausrichtung der Bundeswehr muss sicherheitspolitisch begründet sein, sie muss fähigkeits- und einsatzorientiert erfolgen. Sie muss nachhaltig finanziert sein und sie muss demographiefest sein.“

Doch bei seinen vorgestellten Eckpunkten lässt der CDU-Politiker Soldaten und die Öffentlichkeit ausgerechnet bei der Frage der Finanzierung im Ungewissen. Bis 2015 muss die Bundeswehr 8,3 Milliarden Euro einsparen. Dabei kostet eine Reform der Streitkräfte zusätzliches Geld.

Der Verteidigungsminister erklärte lediglich, dass die mit der Reform verbundenen finanziellen Belastungen vermieden werden sollten. Einzelheiten würde die Öffentlichkeit erst im Juli erfahren, nach Beschluss des Haushalts 2012. Auch auf wiederholte Nachfragen von Journalisten wollte der CDU-Politiker nichts sagen – trotz der von ihm sonst so betonten Transparenz:

O-Ton de Maizière
„Aber glauben Sie mal, wenn der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der Verteidigungsminister Thomas de Maizière ein gutes und seriöses Gespräch führen, dass alle diese Fragen beantwortet sind. Aber nicht alle diese Fragen müssen zum jeweils von Ihnen erwünschten Zeitpunkt der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Davon ist einiges Haushalt, es ist ja auch nicht damit getan, etwas aus dem Einzelplan heraus zu verlagern, sondern es muss ja auch die Frage beantwortet werden, wohin wird das denn verlagert? Und was sind die Konsequenzen? Und das ist Haushaltsgeschäft, und das wird beantwortet werden im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts in der entsprechenden Juliwoche, die Ihnen, glaube ich, bekannt ist: der 6. Juli. Es tut mir leid. Aber so lange müssen Sie sich noch gedulden.“

Damit bleibt de Maizière einen für die Bundeswehrreform entscheidenden Eckpunkt schuldig. Denn die Neuausrichtung der Streitkräfte steht und fällt mit einer soliden Finanzierung. Die Planungen seines Vorgängers waren auf Sand gebaut, hatten kein tragfähiges finanzielles Fundament. Nach der Vorstellung der Reformpläne des Verteidigungsministers machte sich daher vielerorts Ernüchterung breit. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold:

O-Ton Arnold
„Das Hauptproblem der Streitkräfte, die Unterfinanzierung mit einem Sparvolumen der Regierung von 8,3 Milliarden, ist in keiner Weise geklärt. Die Hängepartie geht also weiter.“

Nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Soldaten.

Im Zusammenhang mit dem Umbau der Streitkräfte wird viel von einer Arbeitsteilung in der NATO und der EU gesprochen. Synergie-Effekte heißt das Schlagwort. Die Idee: Die Streitkräfte eines Bündnismitglieds verzichten auf bestimmte militärische Fähigkeiten, z.B. die U-Boot-Abwehr. Dafür kann man sich auf andere Aufgaben, wie z.B. den Lufttransport oder die Minensuche konzentrieren.

Bei der jetzt vorgestellten Bundeswehr-Reform kommt dieser Ansatz praktisch überhaupt nicht zum Tragen. Im Gegenteil. In der neuen Bundeswehr wird an allen vorhandenen militärischen Fähigkeiten festgehalten. Begründet werden sie mit den Aufgaben der Bundeswehr. Aufgeführt sind diese Aufgabenfelder in den von de Maizière in dieser Woche neu erlassenen sogenannten Verteidigungspolitischen Richtlinien. Standen in diesem Dokument bisher das Konflikt- und Krisenmanagement an erster Stelle, so sind unter dem neuen Verteidigungsminister jetzt die Landes- und Bündnisverteidigung ganz nach oben gerückt. Auf diese Weise lassen sich nun wieder militärische Fähigkeiten wie die Panzerabwehr erheblich besser legitimieren. Kapazitäten, die nach Ende des Kalten Krieges für nicht mehr zeitgemäß gehalten wurden.

O-Ton de Maizière
„Vor diesem Hintergrund muss die Bundeswehr künftig in der Lage sein, der Politik ein breites Spektrum an Handlungsoptionen zur Verfügung zu stellen.“

Die Bundeswehr soll u.a. die eigenen Bürger schützen, zur internationalen Stabilität beitragen und die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands sicherstellen. Aufgaben, mit denen die Vielzahl der militärischen Fähigkeiten für die neue Bundeswehr begründet wird.

Dabei ist der Verteidigungsminister durchaus für mehr Kooperation und Arbeitsteilung im Bündnis zu haben:

O-Ton de Maizière
„Wo wir eine große Arbeitsteilung machen wollen und werden, das ist bei bestimmten Grundfähigkeiten innerhalb der Verbündeten. Ich nenn mal das Stichwort Air Policing, also Luftraumüberwachung... Man kann auch bestimmte Seeüberwachungen gemeinsam mit den skandinavischen Staaten, auch mit den Niederlanden, durchführen. Exakt das habe ich mit meinem niederländischen Kollegen in der letzten Woche besprochen. Es gibt eine Fülle von Dingen, die man europäisch machen kann.“

Allerdings will man gleichzeitig auf eigene militärische Fähigkeiten in Gänze nicht verzichten. Ein Widerspruch. Die Bundeswehr will beispielsweise nicht abhängig werden von britischen U-Booten oder Minensuchern der Bündnispartner. Das gesamte Fähigkeitsspektrum bleibt erhalten, wenngleich auf niedrigerem Niveau als bisher.

Eine so aufgestellte verkleinerte Bundeswehr wird aber schnell Probleme mit der Durchhaltefähigkeit bekommen. Der Einsatz dieser militärischen Fähigkeiten könnte nur über einen kurzen Zeitraum erfolgen. Bei einer Spezialisierung wäre das anders. Es könnten sogar Kosten reduziert werden. Aber so weit will man im Verteidigungsministerium trotz der immer wieder propagierten Arbeitsteilung nicht gehen. Man verlässt sich lieber auf eigene Kapazitäten.

Auf Nummer sicher gehen will der Verteidigungsminister auch beim Umfang der Streitkräfte. Neben den künftig 170.000 Zeit- und Berufssoldaten rechnet de Maizière nicht wie sein Vorgänger mit zusätzlich 15.000 Freiwilligen. Er geht zunächst einmal von nur 5.000 jungen Männern und Frauen aus, die für 12 bis 23 Monate zum Bund kommen. Dafür wird es monatlich rund 1.000 Euro geben. De Maizière ist zuversichtlich und baut auch auf den Idealismus der jungen Leute:

O-Ton de Maizière
„Es ist ein Angebot an junge Frauen und Männer; ein Angebot, unserem Land auf besondere, auf patriotische Weise zu dienen und ein Angebot, das innere Gefüge, die Aufgabenvielfalt und das Besondere unserer Streitkräfte kennen zu lernen. Wir werden diesen Dienst für unsere Sicherheit attraktiv gestalten. Und dies schließt ein, dass wir seinen Wert für unser Land gebührend würdigen. Die Bundeswehr reicht der jungen Generation die Hand. Ich bitte die ganze Gesellschaft, diese Hand zu ergreifen.“

Trotz dieses Appells: die Bewerberlage sieht düster aus. Dass schon demnächst wesentlich mehr Freiwillige Kurzdiener zu der noch vor kurzem von Skandalen erschütterten Bundeswehr gehen werden, ist unwahrscheinlich. Zweifel hat auch der Bundeswehrverband. Der Vorsitzende Ulrich Kirsch:

O-Ton Kirsch
„Skeptisch bin ich in einem anderen Punkt. Das ist nämlich die Tatsache, dass rein ideelle Anteile an Attraktivität nicht ausreichen. Da muss nachgelegt werden. Das muss vor allen Dingen auch finanziell hinterlegt werden.“

Der Verteidigungsminister hält die Bezahlung allerdings für angemessen. In der neu ausgerichteten Bundeswehr müssten jedoch die Nachwuchswerber viel aktiver werden. Jahrzehntelang wurden die Wehrpflichtigen in den Kreiswehrersatzämtern gemustert. Mit Aussetzung der Wehrpflicht ist diese Zeit vorbei. Die Beschäftigten stehen nun vor ganz neuen Herausforderungen:

O-Ton de Maizière
„Die Mitarbeiter müssen raus in die Schulen, raus in die Sportvereine, raus in die Freiwillige Feuerwehr, raus ins Technische Hilfswerk, um dort zu werben. Sie brauchen, ich habe das bei den Reservisten gesagt, ein Auto und einen Laptop und kaum noch ein Büro. Die ganze Mentalität wird anders werden.“

Thomas de Maizière gibt sich also zuversichtlich. Die Truppe selbst reagiert auf seine Reformpläne dagegen zurückhaltend. Das ist nicht verwunderlich. Versprechungen und große Ankündigungen, es werde demnächst alles besser, hat es mehr als einmal gegeben. Doch wenig später wurden die Erwartungen immer wieder enttäuscht.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 21. Mai 2011; www.ndrinfo.de


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