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Steinmeier mit befleckter Weste

Ehemaliger Außenminister gerät in der Kundus-Affäre stärker unter Druck

Von Fabian Lambeck *

Als zwei amerikanische Kampfflugzeuge auf Anforderung der Bundeswehr zwei entführte Tanklastzüge bombardierten, war ein Vertreter des Auswärtigen Amtes im nahegelegenen Kundus. Trotzdem will der damalige SPD-Außenminister Steinmeier keine »exklusiven Kenntnisse« über den Angriff mit 142 Toten gehabt haben.

Die Medienberichte kommen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Gerade hatte Parteichef Sigmar Gabriel verkündet, die SPD wolle nun wieder eine Friedenspartei sein, da werden Vorwürfe laut, wonach Außenminister Steinmeier sehr früh Kenntnisse über zivile Opfer des Luftangriffes von Kundus vorgelegen hätten. Doch Steinmeier dementiert: Das damals unter seiner Leitung stehende Ministerium habe »keine exklusiven Kenntnisse gehabt«, so Steinmeier gegenüber der »Frankfurter Rundschau« vom Dienstag. Das ist erstaunlich, war doch der Vertreter des Auswärtigen Amts, Burkhard Ducoffre, zur fraglichen Zeit in Kundus. Zwar hatte Steinmeier nach dem Bombardement vom 4. September stets betont, dass zivile Opfer nicht ausgeschlossen seien, jedoch erwähnte er die Berichte seines Mitarbeiters Ducoffre mit keinem Wort.

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Dabei ist Ducoffre nicht irgendwer, sondern der zivile Leiter des Feldlagers in Kundus. In dieser Eigenschaft schickte er laut »Spiegel Online« bereits am 4. September zwei E-Mails nach Berlin. Darin war auch von mindestens 14 getöteten und sieben verwundeten Zivilisten die Rede. Trotzdem sprach Steinmeier in der Folgezeit lediglich von »möglichen« Opfern unter der Zivilbevölkerung.

Wie Paul Schäfer, der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, gegenüber ND kritisiert, habe sich Steinmeier in der Sache stets bedeckt gehalten. »Selbst als führende Sozialdemokraten Verteidigungsminister Guttenberg attackierten, weil dieser den Angriff als 'militärisch angemessen' bezeichnete hatte, war von Steinmeier nichts zu hören«, so Schäfer. Die Zurückhaltung des ehemaligen Außenministers wirft Fragen auf, die wohl nur vom Kundus-Untersuchungsausschuss geklärt werden können.

Derweil wird weiterhin über die von der NATO geforderte Aufstockung des deutschen Truppenkontingents für Afghanistan gestritten. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hatte den Stein ins Rollen gebracht, als er am Wochenende der »Bild am Sonntag« sagte, dass es »für zusätzliche Kampftruppen über die bisherige Obergrenze hinaus« keine Zustimmung der SPD geben werde. Das derzeitige Bundeswehrmandat für Afghanistan gilt für maximal 4500 Soldaten. Die NATO wünscht sich aber mindestens zwei zusätzliche deutsche Bataillone. Nach Informationen der »Leipziger Volkszeitung« ist man im Bundesverteidigungsministerium derzeit dabei, die entsprechenden Truppenplanungen für weitere 2500 Soldaten vorzunehmen.

Entsprechend verschnupft reagierten die Christdemokraten auf Gabriels Vorstoß. Dabei ist die Truppenaufstockung auch innerhalb der Bundesregierung heftig umstritten. Nach Informationen der »Rheinischen Post« haben sich Kanzlerin Merkel, Verteidigungsminister Guttenberg und Außenminister Westerwelle in einem »vertraulichen Sondierungsgespräch« nicht auf eine Truppenverstärkung einigen können. Der liberale Außenminister gilt als vehementer Gegner entsprechender Pläne und will stattdessen mehr Polizeiausbilder an den Hindukusch schicken. Verteidigungsminister Guttenberg drängt auf eine Erhöhung im vierstelligen Bereich.

Gespräche mit gemäßigten Taliban, wie sie Guttenberg jüngst forderte, soll es nicht vor der Londoner Afghanistan-Koferenz am 28. Januar geben, wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Dienstag in Berlin sagte. Das Thema stehe aber mit Sicherheit auf der Tagesordnung.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen versprach am Dienstag bei einem Besuch in Afghanistan, dass das Militärbündnis bleiben werde, bis die Einheimischen »aus eigener Kraft den Terrorismus« bekämpfen können.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2009


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