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Guttenberg punktet an Afghanistan-Front

Verteidigungsminister holte sich Vertrauen ab

Von René Heilig *

Verteidigungsminister zu Guttenberg war an der Front in Afghanistan. Er wolle die Realitäten nicht nur vom Schreibtisch aus beurteilen, sagte er. Das brachte Punkte bei der Truppe.

In diesem Sommer hat der »Spiegel« mit Hilfe von Umfragen herausfinden wollen, wem die Bundesbürger noch trauen. Eine Frage lautete: »Wer verkörpert ein Deutschland, wie Sie es sich wünschen?« Platz 1 mit 84 Prozent der Stimmen belegte der TV-Moderator Günther Jauch, gefolgt von Altkanzler Schmidt, Fußball-Nationaltrainer Löw und Kickerstar Schweinsteiger. Auf Platz 5 kamen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) ins Ziel.

Das ist schon erstaunlich angesichts der Arbeitsergebnisse der beiden geadelten Union-Stars. Zwar ist weit über die Hälfte der deutschen Bevölkerung gegen den Krieg in Afghanistan – den der Verteidigungsminister als »Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt« (im Frieden!) maßgeblich zu verantworten hat – und doch ist der Mann beliebt wie kein zweiter aus der Regierungsriege. Guttenbergs »Wochenendausflug« an die Front hat seine Popularität noch verstärkt. Er ist der erste Ressortchef, der das Gemetzel in Afghanistan (fast) Krieg nennt und sich dann auch noch hineinwagt.

Profi im PR-Geschäft

Der Minister beherrscht das PR-Geschäft. Das merkt man, wenn man ihn in den TV-Nachrichten durch den Feldstecher auf die Reisfelder im Baghlan-Tal blicken sieht. Die Soldaten – darunter Gebirgsjäger wie er einer war – haben ihre Stellung von den Sowjets »ererbt« und sie weiter ausgebaut. 200 Militärs, darunter drei Frauen, stehen auf diesem vorgeschobenen Posten zur Verteidigung »unserer Freiheit« am Hindukusch. Es ist staubig und heiß. Beim Lagevortrag sieht zu Guttenberg viel Rot auf der Karte. Rot markiert man den Feind. Der ist zwar unsichtbar, als der Minister zu Besuch kommt, doch er ist da, überall, erfahren genug, im richtigen Moment zuzuschlagen.

Erinnerung an Vietnam

Die Bilder im Fernsehen erinnern an Szenen aus Vietnam. Dort haben sich die US-Truppen auch in Stützpunkten eingegraben und gehofft, der nächste Angriff der Rebellen möge so lange wie möglich auf sich warten lassen. Hubschrauber waren die einzige halbwegs sichere Verbindung zu den Kameraden im fernen Camp.

Da mag der afghanische Präsident Hamid Karsai gegenüber dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) noch so sehr das Vorgehen der ausländischen Truppen kritisieren und plötzlich erkennen, dass der Krieg gegen den Terrorismus in den Dörfern Afghanistans wenig effizient ist und vor allem zivile Opfer fordert. Guttenbergs Soldaten sehen das anders und würdigen den Gast, weil der dorthin kommt, wo die Gefahr am größten ist, sagte der Kommandeur der eingeigelten Truppe, Jared Sembritzki.

Solche Aussagen von echten »Helden« will zu Guttenberg hören. Er braucht das Vertrauen der Soldaten – vor allem als Argument in den eigenen politischen Reihen. Schließlich trifft er mit seinen Umbauvorschlägen zur Effektivierung der Bundeswehr auf große Widerstände. Vom angekündigten Rückzug aus Afghanistan ist indessen immer weniger die Rede.

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2010


"Nichts als tote Zivilisten"

Afghanistan: Karsai kritisiert NATO-Strategie der militärischen Aufstandsbekämpfung

Von Knut Mellenthin **


Außer der Tötung von Zivilisten hat die NATO-Intervention in Afghanistan bisher nichts gebracht. Diese Einschätzung bekräftigte Staatsoberhaupt Hamid Karsai am Sonntag in einem Gespräch mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Einer Pressemitteilung seines Büros zufolge sagte Karsai: »Es muß eine Überprüfung der Strategie im Kampf gegen den Terrorismus geben. Denn die Erfahrung der letzten acht Jahre zeigt, daß der Kampf in den Dörfern Afghanistans außer der Produktion von Verlusten in der Zivilbevölkerung wirkungslos war.«

Diese äußerst negative Beurteilung der NATO-Aufstandsbekämpfung durch den afghanischen Präsidenten ist indessen nicht neu. Karsai hat sie, soweit bekannt wurde, vor einiger Zeit auch schon in einem bisher unveröffentlichten Brief an Barack Obama vorgebracht. Auch darin soll er bereits eine gründliche Überprüfung der bisherigen militärischen Strategie gefordert haben. Bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, John F. Kerry, vor einer Woche wiederholte Karsai seine Forderung, die Ziele, den Schwerpunkt und die Strategie der Kriegführung einer ernsthaften Überprüfung zu unterziehen. Laut Pressemitteilung seines Büros erklärte Karsai in diesem Gespräch außerdem: Terrorismusbekämpfung ohne klare Definition, wer Feind und wer Freund ist, die in den Häusern und Dörfern Afghanistans stattfindet, statt die Wurzeln des Terrorismus und seine Unterstützer anzugreifen, könne nicht gelingen.

Am vergangenen Donnerstag (26. Aug.) räumte Karsai beim Empfang von vier Mitgliedern des US-Kongresses zwar beträchtliche Erfolge an allen anderen Fronten, einschließlich des Wiederaufbaus ein, nahm davon aber ausdrücklich den »Kampf gegen den Terrorismus« aus, in dem es keine Fortschritte gebe. Zwei Hauptelemente seien für den Mißerfolg verantwortlich: fehlende Konzentration auf die »sicheren Schlupfwinkel« der Taliban, die Karsai in Pakistan vermutet, und die anhaltenden Verluste unter der Zivilbevölkerung. Bei diesem Treffen behauptete der Präsident außerdem, die Ankündigung Obamas, im Juli 2011 eine bisher nicht präzisierte Zahl von US-Soldaten aus Afghanistan abziehen zu wollen, stelle »eine moralische Ermutigung für die Feinde unseres Landes« dar.

Karsai, der seitens der US-Regierung unter ständigem starken Druck steht, will sich im Gegenzug namhaften amerikanischen Militärs anschließen, die unverhohlen Kritik an ihrem Präsidenten üben. Das geht bis zur wörtlichen Übernahme von Formulierungen: Von einer »moralischen Ermutigung« der Taliban durch die Abzugsankündigung hatte vor einer Woche zuerst General James Conway gesprochen, der voraussichtlich im Oktober seinen Posten als Befehlshaber der Marines aufgeben wird. Am Freitag sagte der im Ruhestand befindliche US-General Jack Keane, Karsai habe recht, und seine Meinung werde von vielen geteilt. Obamas Politik habe »Schaden in der Region angerichtet, weil sie ganz eindeutig unsere Gegner ermutigt und Skeptizismus in den Köpfen unserer Freunde gesät hat«.

Indessen gehen die Enthüllungen US-amerikanischer Medien über das Ausmaß der Korruption in afghanischen Regierungskreisen weiter. Die New York Times berichtete am Sonnabend in einem langen Artikel über die Vorwürfe, die jetzt vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt Afghanistans, Fasel Ahmed Faqirjar, erhoben werden, nachdem er am Donnerstag von Karsai entlassen wurde. Nach Faqirjars Angaben hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen mindestens 25 amtierende oder ehemalige Funktionsträger eingeleitet. Darunter befänden sich 17 Regierungsmitglieder, fünf Provinzgouverneure und mindestens drei Diplomaten. Die Ermittlungen seien jedoch von Karsai und von Generalstaatsanwalt Mohammed Ishaq Aloko behindert und zum Teil auf Eis gelegt worden. Nur gegen drei der 25 Verdächtigten sei Anklage erhoben worden, und kein einziger Fall sei vor Gericht gekommen.

** Aus: junge Welt, 31. August 2010


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