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Kampfeinsatz inklusive – Austauschprogramme der Bundeswehr mit anderen Streitkräften

Ein Beitrag von Alexander Richter und Franz Feyder aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien *

Andreas Flocken (Moderation):
Auslandseinsätze der Bundeswehr erfolgen fast immer im multinationalen Rahmen, also mit verbündeten Streitkräften. Um die Zusammenarbeit und vor allem das gegenseitige Verständnis zu fördern, gibt es schon seit langem Austauschprogramme zwischen den Streitkräften. Dabei kann es durchaus passieren, dass ein deutscher Soldat zusammen mit seiner ausländischen Einheit in einen Kampfeinsatz geht – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Alexander Richter und Franz Feyder:


Manuskript Alexander Richter und Franz Feyder

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatte die deutsche Luftwaffe keine französischen Kampfflugzeuge mehr vernichtet. Bis zum 22. Oktober 2002. An diesem Tag zerstörte ein deutscher Hauptmann einen Jagdbomber vom Typ Dassault Super Étendard des Flugzeugträgers Charles de Gaulle. Ein französischer Hubschrauberpilot verfolgte den Zwischenfall aus seinem Helikopter. Der Unfall ist auf Youtube zu sehen. Sieben Jahre später erinnert sich der Augenzeuge:

Atmo und französischer O-Ton (overvoice)
„Ich schaute backbord aus meinem Hubschrauber. Von der Charles de Gaulle startete ein Jet ... (Atmo Flugzeugstart) ... Im nächsten Flieger machte sich der Austauschoffizier aus Deutschland bereit für den Start. Er rückte seine Maske zurecht, hielt sich fest, um die Beschleunigung auf 4 g durch das Katapult aufzufangen.“ (Atmo Funkgespreche ... Atmo Absturz Flugzeug – Atmo Aufprall auf dem Wasser)

Genau 18 Sekunden dauerte der Flug des Hauptmanns Michael Gräpers in dem französischen Jagdbomber: Katapultstart von der Charles de Gaulle. Das Flugzeug steigt steil in den blauen Himmel. Überschlägt sich. Der deutsche Pilot katapultiert sich aus dem Düsenjet. Der Jagdbomber schlägt auf dem Wasser auf. Kurz danach wird der Pilot aus dem Mittelmeer gefischt – unverletzt.

Es sollte nicht der letzte Flug des deutschen Offiziers in französischen Kampfflugzeugen bleiben: Sechs Jahre lang flog er während eines Austauschprogramms Jagdbomber mit der blau-weiß-roten Trikolore – auch im Tschad und in Afghanistan.

Regelmäßig werden Soldaten der Bundeswehr in die Streitkräfte anderer NATO-Staaten aber auch nach Israel abkommandiert. So sollen sie Einsatzgrundsätze anderer Armeen aber auch fremde Waffensysteme kennenlernen. Weiteres Ziel dieses Austausches: Offiziere und Feldwebel sollen flexibel entscheiden und ihre Untergebenen beherzt führen können. Impulse dazu soll ihnen der Erfahrungsaustausch mit ausländischen Kameraden geben. Vor einiger Zeit war es in Nordafghanistan im Vergleich zum Süden des Landes noch relativ ruhig. Für viele junge Vorgesetze war der Austausch daher die einzige Möglichkeit, von kriegserfahrenen Veteranen aus den USA, Großbritannien oder Frankreich etwas über die Wirklichkeit des Krieges zu lernen. Ein deutscher Stabsfeldwebel der Fallschirmjäger erinnert sich an seine Ausbildung in den USA Ende der 90er Jahre. Er will nicht erkannt werden – deshalb ist seine Aussage nachgesprochen:

Zitat Deutscher Stabsfeldwebel
„Als mir ein Veteran des ersten Golfkrieges bei einer Übung an der amerikanischen Infanterieschule Fort Benning zeigte, wie in einem Gefecht Luftangriffe ins Ziel geleitet werden, habe ich zum ersten Mal verstanden, wie viel Beten bei so einer Aufgabe notwendig ist. Das war etwas anderes als die oft trockene Theorie in Deutschland. Da konnte einem doch bis vor einem guten Jahr keiner erzählen, wie so was in der Realität aussieht.“

Soldaten aus allen Teilstreitkräften beteiligen sich an Austausch-Programmen – manchmal werden für einen bestimmten Zeitraum sogar ganze Einheiten in Verbände anderer NATO-Staaten integriert. So wird auch die Zusammenarbeit vertieft, die notwendig ist, um in Afghanistan, auf dem Balkan oder anderen Einsatzgebieten gemeinsam zu operieren. Für den Stabsfeldwebel ist es nicht vorstellbar, dass ein deutscher Soldat während des Austausches seine Einheit verlässt, in die er versetzt worden ist. Auch dann nicht, wenn diese Einheit in ein Kriegsgebiet verlegt wird:

Zitat Deutscher Stabsfeldwebel
„Ich käme mir wie ein Verräter vor, wenn ich die Kameraden im Stich ließe, die in den Einsatz gehen. Die haben mich doch in ihre Einheit aufgenommen.“

Im Kampfeinsatz befand sich im vergangenen Jahr ein anderer deutscher Offizier. Er donnerte zusammen mit einem britischen Kameraden mit einem Tornado-Jagdbomber der Royal Air Force über den Hindukusch. Die Bewaffnung: Lasergesteuerte 500 Pfund schwere Paveway Bomben, Brimstone Luft-Boden-Raketen und eine 27 Millimeter Bordkanone. Abgesichert war der Bundeswehrsoldat durch ein schwammiges Bundestags-Mandat. Dass britische Jagdbomber mit Hilfe deutscher Waffensystemoffiziere bzw. Navigatoren - wie man in der Royal Air Force sagt - in Afghanistan im Kampfeinsatz waren, wurde den meisten Abgeordneten im Bundestag erst bewusst, als die SUNDAY TIMES die britisch-deutsche Waffenbrüderschaft im Kampf gegen die Taliban thematisierte. Die Zeitung berichtete im April vergangenen Jahres:

Zitat
„Das Austauschprogramm des Luftwaffennavigators wurde speziell vom deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg genutzt, um den Beitrag seines Landes am Afghanistan-Krieg zu erhöhen. Die deutschen Streitkräfte wurden von der NATO für die Beschränkungen kritisiert, die ihnen von ihrer Regierung auferlegt wurden: keine Patrouillen bei Nacht, kein Einsatz in Südafghanistan – wo die Kämpfe am härtesten sind –, keine Beteiligung an Offensiv-Operationen. Mit dem Kampfeinsatz im Süden hat der Navigator wohl gegen diese Beschränkungen verstoßen und sein Handeln dürfte in Deutschland kontrovers diskutiert werden.“

Doch die Reaktionen in Deutschland auf diesen Artikel waren verhalten. Lediglich einige Abgeordnete realisierten nach dem Bericht, dass sie damals die Tragweite einer auf den ersten Blick lapidaren Mitteilung des Verteidigungsministeriums gar nicht verstanden hatten. Das Ministerium hatte die Parlamentarier unter der Rubrik „kurzfristige Unterstützungsleistungen“ informiert, ein Waffensystemoffizier werde als Austauschoffizier bei einer Staffel der Royal Air Force eingesetzt, die vom Oktober 2009 bis Mitte Januar 2010 ins afghanische Kandahar verlegt werde. Der Obmann der Linken im Verteidigungsausschuss, Paul Schäfer wollte nach dem Artikel der SUNDAY TIMES mehr wissen:

O-Ton Schäfer
„Es gibt einen Hinweis in der Unterrichtung des Parlamentes, das dort ein deutscher Offizier zur Royal Air Force in Afghanistan abkommandiert worden ist. Aber gerade bei diesem Beispiel hat sich gezeigt, bedurfte es meiner Nachfrage an das Ministerium der Verteidigung, was dieser Waffensystemoffizier denn konkret mache – also an welchen Einsätzen er beteiligt ist. Und darüber wurde halt bekannt, dass er an Luftnahunterstützungseinsätzen durchaus beteiligt war. Man hat sich beeilt zu sagen, es seien aber keine Bomben abgeworfen worden.“

Konkreter wurden die Ministerialen, als Schäfer noch einmal nachfragte. 27 Einsätze habe der deutsche Waffensystemoffizier mit seinen britischen Piloten in Afghanistan geflogen, so der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt. Acht davon seien Aufklärungsflüge gewesen, 15 Kampfeinsätze im Rahmen der Luftnahunterstützung und vier Mal seien die Tornados in Folge von sogenannten Alarmstarts aufgestiegen.

Für den CSU-Politiker ist der Einsatz durch das ISAF-Mandat des Bundestages gedeckt. Das Mandat erlaube es deutschen Soldaten, die im Rahmen von Austauschprogrammen bei den Streitkräften anderer NATO-Nationen dienen, in ihren Verwendungen zu verbleiben und auf Ersuchen der Gastnation an Einsätzen ihrer Streitkräfte in Afghanistan teilzunehmen. In solchen Fällen werde darauf geachtet, dass die Kriterien der vom Bundestag gebilligten Mandate berücksichtigt würden, sagt das Verteidigungsministerium.

Davon ist der Verteidigungspolitische Sprecher der Linken nicht überzeugt. Paul Schäfer befürchtet Schlimmes, weil die...

O-Ton Schäfer
„Zusammenarbeit mit anderen Streitkräften Bestandteil der Mandate ist – zum Beispiel Afghanistan. Und dagegen kann man erst einmal nichts sagen. Aber die Frage ist ja, was denn konkret gemacht wird, inwieweit durch solche Einsätze eine schleichende Ausdehnung des Einsatzspektrums deutscher Soldaten stattfindet. Gerade deshalb muss man da – glaube ich – sehr genau hinter her sein und eine solche Aufweichung von Bundestagsmandaten rechtzeitig verhindern.“

Dazu aber müssen die Abgeordneten genauer hinschauen und ihre Kontrollpflichten penibel wahrnehmen. Denn das Verteidigungsministerium informiert das Parlament auch über die Austauschprogramme, mit denen Bundeswehr-Soldaten an Kriegseinsätzen teilnehmen könnten. Auch wenn diese Mitteilung nur unter der scheinbar unwichtigen Rubrik „kurzfristige Unterstützungsleistung“ zu finden ist.

* Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 26. Februar 2011; www.ndrinfo.de


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