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Falsche Personalauswahl? Ausbildung ausländischer Offiziere in der Bundeswehr

Ein Beitrag von Axel Schröder in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderator):
Die Führungsakademie in Hamburg ist die höchste Ausbildungsstätte der Bundeswehr. Gerne wird sie auch als „kleine UNO“ bezeichnet - weil dort Offiziere aus der ganzen Welt ausgebildet werden. Jedes Jahr rund 50 Soldaten aus Nicht-NATO- und Nicht-EU-Staaten zusammen mit 20 deutschen Offizieren. Diesen internationalen Generalstabslehrgang gibt es jetzt schon seit 50 Jahren. Allerdings hat man mit den Teilnehmern nicht immer Glück gehabt. Einzelheiten von Axel Schröder:



Manuskript Axel Schröder

O-Ton Soldat / Oberst
„Augen geradeaus! Zur Meldung an den Lehrgruppenleiter: Augen rechts! – „Herr Oberst: ich melde ihnen den LGAI in befohlener Stärke angetreten!“ - „Morgen Männer!“ – „Morgen, Herr Oberst!“ – „Augen geradeaus! – Rührt euch!“

Der militärische Ton täuscht. Bei diesem Lehrgang, dem LGAI, geht es freundlich, fast familiär zu. Die Abkürzung steht für „Lehrgang Generalstabs- und Admiralstabsdienst mit internationaler Beteiligung“. Der internationale Lehrgang leistet, so heißt es offiziell, „militärische Ausbildungshilfe“. Welche Länder ihre Offiziere an die höchste Ausbildungsstätte der Bundeswehr schicken dürfen, bestimmen das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt. Die Zielsetzung erläutert Lehrgangsleiter, Oberst Helmut Gebers:

O-Ton Gebers
„Es entsteht ein Netzwerk von Offizieren anderer Länder, die oft in hohe Positionen kommen, die Deutschland kennen. Und wir hoffen – als Ergebnis dieses Lehrganges – dass sie Deutschland später auch positiv gegenüber stehen. Und das erleichtert dann die Zusammenarbeit in der Außenpolitik, in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik...“

... und im Krisenfall, zum Beispiel bei der Entführung von deutschen Touristen, so Gebers weiter, könnten sich diese Verbindungen dann auszahlen. Je nachdem, aus welchen Entsendestaaten die Soldaten kommen, zahlen entweder ihre Heimatländer den zehnmonatigen Kurs, bei ärmeren Staaten übernimmt die Bundeswehr die Kosten. Unterstützt wird die Ausbildung der ausländischen Militärs durch den sogenannten Freundeskreis der Führungsakademie, einem exklusiven Club vor allem von Hamburger Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik. Mitglieder des Freundeskreises sorgen nicht nur für große und kleine Spenden, sondern stehen den Neuankömmlingen auch als Paten zur Seite. Dem Freundeskreis gehört auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen an. Das Mitglied des Verteidigungsausschusses hält viel von dem Lehrgang:

O-Ton Müller-Sönksen
„ Die militärische Ausbildungshilfe bietet uns die einzigartige Möglichkeit, Strukturen von innen zu verändern. Gerade dort, wo unsere normalen diplomatischen Mittel keinen Erfolg zeigen. Stellen wir uns einfach vor, dass ein Offizier bei uns ein halbes Jahr gelebt hat und Demokratie, Freiheit, Pressefreiheit geatmet hat und dann vor einer Entscheidung steht und sich dann vielleicht genau dieser Erfahrung, die er hier gemacht hat, erinnert und eine Entscheidung trifft, die einen, mehreren oder hunderten von Menschen das Leben rettet. Schon allein das wäre eine Chance, eine positive Chance! – Das muss man abwägen. Diese Abwägungen haben in der Vergangenheit nicht stattgefunden, respektive: sie waren nicht optimal.“

Nicht optimal findet auch der Buch- und Filmautor Markus Frenzel die Auswahl der ausländischen Lehrgangsteilnehmer. Er kritisiert vor allem das Prinzip, dass die deutschen Stellen nur entscheiden, aus welchen Ländern sie Lehrgangsteilnehmer einladen und die Auswahl der einzelnen Personen dann den Entsendeländern überlassen. Frenzel hat für sein Buch „Leichen im Keller - wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt“ recherchiert, dass manche in Hamburg ausgebildete Militärs später in ihrem Heimatland Karriere machten – allerdings im negativen Sinn. Ein Beispiel:

O-Ton Frenzel
„Es gab einen von dieser an die Macht geputschten Junta in Guinea, der an der Führungsakademie in Hamburg war. Das war Mamadouba Toto Camara. Der war dann später auch der Innenminister dieser Junta. Ein anderer, der später Finanzminister wurde, der war an der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Hamburg ist daher ein so zentraler Ort, weil die sich dort getroffen haben, auf Partys kennengelernt hatten und dort auch ihr Netzwerk aufgebaut haben.“

Während des Umsturzes in Guinea 2008 wählten die Putschisten ausgerechnet Deutsch als Geheimsprache, erzählt Frenzel. Deutsch lernen die ausländischen Lehrgangsteilnehmer in einem dem Lehrgang vorgeschalteten Intensivkurs am Bundessprachenamt in Hürth. Der Filmautor hinterfragt die offizielle Vorstellung, der Besuch der Führungsakademie sei ein Vehikel für den Transport demokratischer Ideen. Zumindest, wenn es sich um Lehrgangsteilnehmer aus totalitären Staaten handelt:

O-Ton Frenzel
„Die werden ja wirklich per Handschlag quasi vom Diktator verabschiedet und dann geschickt. Und das der Anfällige für demokratisches Gedankengut schicken würde, das ist natürlich auch relativ unwahrscheinlich.“

Lehrgangsleiter Oberst Helmut Gebers weist diese Kritik nicht zurück. Er spricht offen über die „Schwarzen Schafe“ im Lehrgang, über Begegnungen und Diskussionen, bei denen oft schnell klar wird, dass einige ausländische Lehrgangsteilnehmer für westlich-demokratische Ideen nicht so offen seien wie erhofft.

O-Ton Gebers
„Selbstverständlich schicken Länder hier Offiziere her, die alles andere sind als ‚lupenreine Demokraten‘. Selbstverständlich! – Aber wen wollen wir denn sonst auf diesem Lehrgang haben? Wenn wir neben dem militärischen Handwerkszeug auch Werte und Philosophien Deutschlands deutsche Führungskultur, Auftragstaktik, Innere Führung oder Einbettung der Armee in Deutschland in die Demokratie vermitteln – wem wollen wir es denn sonst vermitteln? Den Ländern wie Großbritannien und USA, die uns selber was von Demokratie erzählt haben? Nein! – Wir müssen genau diese Länder hierher bringen!“

Umstritten und manchmal skandalträchtig war die Auswahl der Teilnehmer schon des Öfteren: für Schlagzeilen sorgte die kurz „Füak“ genannte Führungsakademie vor mehr als 30 Jahren, weil sie zum Beispiel Offiziere der chilenischen Militärjunta unter Augusto Pinochet ausbildet hatte. 1992 deckte der STERN auf: auch der burundische Major Daniel Nengeri wurde an der Führungsakademie ausgebildet. Vier Jahre zuvor, im August 1988, soll er an einem Massaker an 40.000 Hutus beteiligt gewesen sein. Das Verteidigungsministerium prüfte damals die Vorwürfe und sah keinen anderen Ausweg, als Nengeri nach Hause zu schicken. Diese Probleme, seien nun aber gelöst, betont der Hamburger FDP-Abgeordnete Müller-Sönksen. Heute gebe es eine Art „Schwarze Liste“: darauf stünden nun Länder, aus denen keine Offiziere eingeladen werden sollen. Allerdings geben weder das Verteidigungsministerium noch das Auswärtige Amt hierüber Auskunft. Aber für Müller-Sönksen ist klar, dass aufgrund dieser Liste militärisches Führungspersonal aus Guinea inzwischen von der Ausbildung in Hamburg ausgeschlossen werde. Grund sei die Menschenrechtssituation in dem westafrikanischen Land. Diese muss für den Bundestagsabgeordneten allerdings manchmal in den Hintergrund treten. Dann nämlich, wenn es um deutsche Interessen geht. Offiziere des usbekischen Willkür-Regimes sind daher an der Führungsakademie nach wie vor willkommen:

O-Ton Müller-Sönksen
„Allerdings darf ich auch darauf hinweisen, dass wir in Usbekistan, in Termes, einen Luftwaffenstützpunkt haben, über den wir zurzeit gerade unsere gesamte Logistik nach Afghanistan abwickeln. Und das sehr zum Vorteil unserer Soldaten. Auch sehr zum Vorteil des gesamten Afghanistan-Einsatzes. Auch übrigens unserer Verbündeten.“

Und Müller-Sönksen spekuliert, dass eine Teilnahme usbekischer Soldaten am LGAI vielleicht sogar Massaker wie das in Andischan im Mai 2005 hätte verhindern können. Zwischen 400 und 600 Demonstranten starben damals durch die Zusammenarbeit von usbekischem Militär, Milizen und der Polizei:

O-Ton Müller-Sönksen
„Ich denke, dass zum Beispiel ein solcher schrecklicher Vorfall, wie er in Usbekistan [im Ferghanatal] vor sieben Jahren, nach meiner Erinnerung, geschehen ist, vielleicht mit besser ausgebildeten Offizieren unterblieben wäre.“

... so das Mitglied im Verteidigungsausschuss, Burkhardt Müller-Sönksen. Nicht nur die Auswahl der ausländischen Offiziere, auch die Ausbildungsinhalte des „LGAI“ genannten Lehrgangs stehen in der Kritik. Das Niveau sei viel zu niedrig, ist zu hören. Jedenfalls gemessen am nationalen Generalstabslehrgang, dem sogenannten LGAN. In dem werden nur Offiziere aus der Bundeswehr sowie aus NATO- und EU-Ländern ausgebildet. Das findet Ulrich Scholz. Der ehemalige Jet-Pilot war jahrelang Dozent an der Führungsakademie:

O-Ton Scholz:
„Der LGAI ist so eine ‚Neckermann-Version‘ des LGAN. Und für deutsche Lehrgangsteilnehmer im LGAI ist das nicht gut. Da lernt er nicht viel. Das weiß er. Das weiß er alles, was da gebracht wird. Das lernt er im Stabsoffizierslehrgang. Das heißt: der soziale, kulturelle Teil, dieses ‚meet and greet‘, dieses Zusammensein mit den anderen – das ist der große Wert dieses Lehrgangs, nicht so sehr die Inhalte.“

Die deutschen Teilnehmer des internationalen Lehrgangs, räumt Lehrgangsleiter Helmut Gebers ein, hätten eben einen klaren Auftyrag: sie sollten sich um ihre ausländischen Kameraden kümmern, eine Art Mentoren-Job leisten. So würden sie dann, neben dem fachlichen Stoff, auch einen Einblick in die Denkweisen anderer Kulturen, zum Beispiel in ihr Verständnis von Militär und Gesellschaft bekommen, so Gebers:

O-Ton Gebers
„Wenn sie den Begriff ‚Ausbildung‘ auch in diese Richtung sehen, dann gibt es nichts Besseres für deutsche Offiziere – die ja international denken und auch handlungsfähig sein müssen – als diesen Lehrgang. Insofern mag es den ein oder anderen geben, der sagt: ‚Für mich selber hab ich hier wenig gelernt!‘ Ich halte das zum großen Teil für unberechtigt.“

Global zu denken, wird zweifellos immer wichtiger. Doch dieses wichtige Ziel ist für die deutschen Teilnehmer letztlich nur ein Nebenprodukt des Lehrgangs. Damit er auch für Bundeswehroffiziere ein echter Gewinn wird, müssten die Inhalte des internationalen Lehrgangs grundlegend überarbeitet werden. „Meet and Greet“ alleine reicht nicht.

* Aus: NDR Info "Streitkräfte und Strategien", 2. Juni 2012


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