Gregor Gysi (DIE LINKE): "Die Panzerlieferung macht die deutsche Außenpolitik völlig unglaubwürdig" / Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): "Politik ist ein hartes Geschäft"
Der Bundestag debattiert über die Panzerlieferung nach Saudi-Arabien (Die Reden im Wortlaut)
Am 8. Juli 2011 debattierte der Deutsche Bundestag auf Antrag der Oppositionsparteien über das von der Bundesregierung geplante Waffengeschäft mit Saudi-Arabien. Wir dokumentieren die Debatte, bei der kein Regierungsmitglied Stellung bezog, im Folgenden in der Reihenfolge der Redner/innen:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Juli 2011
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich rufe die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf:
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van
Aken, Dr. Gregor Gysi, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen
–
Drucksache 17/6528 –
ZP 11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik
–
Drucksache 17/6540 –
ZP 12 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN
Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien
–
Drucksache 17/652 –
Über alle drei Anträge werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten
Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch
einmal herzlich, Platz zu nehmen, damit in Ruhe debattiert
werden kann.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum
haben wir diesen Antrag, der heute beraten wird, gestellt?
Es liegt ja bereits ein Antrag von uns vor, in dem
wir fordern, Waffen- und Rüstungsexporte in die gesamte
Region, auch nach Saudi-Arabien, zu verbieten.
Aber über die Anträge zu diesem Thema wird erst im
Herbst entschieden.
Jetzt haben wir alle erfahren, dass angeblich entschieden
worden ist oder in Kürze entschieden werden soll,
200 Panzer an Saudi-Arabien zu liefern. Ich halte das für
einen einzigartigen Skandal
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und meine, dass das Parlament hier ein klares Stoppzeichen
setzen muss. Jetzt ist das Parlament gefragt, und
jetzt muss es auch handeln.
Die Panzerlieferung macht übrigens die gesamte
deutsche Außenpolitik, auch die Sicherheits- und
Kriegspolitik, völlig unglaubwürdig. Ich will das begründen.
Diese Regierung hat uns gerade erklärt, dass sie den
arabischen und nordafrikanischen Frühling in jeder Hinsicht
unterstützt. Deshalb – diese Begründung findet sich
tatsächlich – müssten jetzt Waffen an die NATO geliefert
werden, damit man Libyen bzw. Tripolis besser bombardieren
könne, weil dies, zumindest angeblich, den Aufständischen
und Demonstranten helfen werde. Wenn Sie
gleichzeitig entscheiden, auch Waffen an ein Land zu
liefern, das im Nachbarstaat einmarschiert ist, um die
Demokratie- und Freiheitsbewegung zusammenzuschießen,
machen Sie sich restlos unglaubwürdig.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung wird absolut unglaubwürdig, wenn
sie einmal Waffen mit der Begründung liefert, sie sollen
den Freiheitskämpfern dienen, und zum anderen Waffen
an ein Land liefert, das die Freiheitsbewegung im Nachbarland
zusammenschießt. Wie wollen Sie dies Ihren
Kindern und Enkelkindern erklären?
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn man Waffen liefert, weiß man nie, wann sie
eingesetzt werden. Stellen Sie sich doch einmal Folgendes
vor: Es entsteht eine Demokratie- und Freiheitsbewegung
in Saudi-Arabien, und auf die wird mit deutschen
Panzern geschossen. Ich frage Sie wieder: Was
erklären Sie dann Ihren Kindern und Ihren Enkelkindern?
(Beifall bei der LINKEN)
Sie begründen den Krieg in Afghanistan mit dem
Kampf gegen Terror. Die übelste und gefährlichste Terrororganisation
ist al-Qaida. Al-Qaida wird ausschließlich
von den reichen Familien Saudi-Arabiens bezahlt.
Auch hier wird die Politik restlos unglaubwürdig. Sie
schicken Soldaten nach Afghanistan. Die verursachen
dort Tote, übrigens auch in den eigenen Reihen. Nach Ihrer
Erklärung dient das Ganze dem Kampf gegen al-
Qaida. Gleichzeitig liefern Sie 200 Panzer an das Land,
aus dem al-Qaida bezahlt wird. Wie erklären Sie denn
das Ihren Kindern und Enkelkindern?
(Beifall bei der LINKEN)
Die Panzer dienen nicht dem Gleichgewicht. Sie sind
ausdrücklich für den Einsatz gegen Aufständische und
Demonstranten geeignet; denn sie sind mit Räumschild,
Wasserwerfern, Tränengas etc. ausgerüstet.
Krauss-Maffei Wegmann, das Unternehmen, das die
Panzer liefert, hat an die Koalitionsparteien 2009
55 000 Euro gespendet. Das hat sich sehr gelohnt; denn
zwei Jahre später bekommt es einen Milliardenauftrag.
(Beifall bei der LINKEN)
Saudi-Arabien gibt mehr Geld für Militär aus als jedes
andere Land in der Region, sogar mehr als der Iran,
Israel, Irak und Ägypten zusammen, allein im Jahr 2010
43 Milliarden Dollar.
Was ist Saudi-Arabien für ein Land? In Saudi-Arabien
gibt es nicht einmal im Ansatz eine Gleichstellung
von Frauen und Männern. Frauen ist das Fahren von
Pkw untersagt. Frauen unterliegen einer gesetzlichen
männlichen Vormundschaft, bis zur Ehe in der Regel der
des Vaters, danach der des Ehemanns. Ohne Genehmigung
des Vormunds, also in der Regel des Ehemanns,
darf eine Frau nicht einmal ins Ausland reisen.
Ich glaube, es ist erstmalig in meiner Geschichte, dass
ich im Bundestag eine bestimmte Zeitung zitiere. Ich zitiere
heute die Bild-Zeitung. Sie hat in der Ausgabe von
gestern Folgendes wörtlich erklärt:
Saudi-Arabien ist eine der schärfsten Diktaturen der
Welt.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)
Politische Opposition gegen die königliche Herrscherfamilie
wird unterdrückt, auf Demonstrationen stehen drastische Gefängnisstrafen. Saudi-Arabien vollstreckt die Todesstrafe ... – auch bei Homosexualität; ich bitte Sie: auch bei Homosexualität die Todesstrafe! – durch Enthauptung mit dem Schwert.
Saudische Truppen halfen dabei, die Demokratiebewegung im
Nachbarstaat Bahrain blutig niederzuschlagen.
All das steht in der Bild-Zeitung! Wenn Sie mir schon
nicht glauben, dann werden Sie doch wenigstens der
Bild-Zeitung glauben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Zahl der Hinrichtungen von 1993 bis 2009 betrug
1 912. Wie wollen Sie Ihren Kindern und Enkelkindern
erklären, dass Sie an ein solches Land Panzer liefern?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme zum Schluss. – Ich spreche nicht über frühere
Genehmigungen und Fehler. Ich spreche auch nicht
darüber, dass die Rüstungsexportrichtlinien entgegen der
Annahme der SPD leider nicht restriktiv sind. Ich sage
nur eines: Wenn Deutschland in seiner Außenpolitik, in
seiner Menschenrechts- und Demokratiepolitik nicht
jede Glaubwürdigkeit verlieren will, wenn Sie Ihren
Kindern und Ihren Enkelkindern je die Welt nach bestimmten
moralischen Maßstäben erklären wollen, dann
müssen Sie heute den Export von 200 Panzern nach
Saudi-Arabien stoppen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Roderich Kiesewetter für die CDU/
CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht schön,
am letzten Tag einer Sitzungswoche sich gegenseitig
Heuchelei oder Zitate oder irgendwelche Besonderheiten
aus der Vergangenheit vorzuwerfen. Viel entscheidender
ist, dass wir uns als Parlamentarier einmal fragen: Was
haben wir hier für eine Diskussion?
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das frage ich mich auch!)
Diese Diskussion, die wir in dieser Woche zum zweiten
Mal führen, fußt eindeutig auf mangelnder Transparenz.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)
Es gibt in diesem Hause selten den Fall, dass wir keinen
Einblick haben; ich glaube, darin sind wir uns einig.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht
den Fehler machen, Spekulationen Raum zu geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! –
Weitere Zurufe von der SPD)
Ich möchte deswegen einige Punkte besonders ansprechen.
Sie machen es sich nämlich zu einfach, indem Sie
populistische Forderungen stellen.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen einige außenpolitische Punkte von
grundsätzlicher Bedeutung darstellen. Darum müssen
wir vielleicht ringen.
Es ist für uns ganz entscheidend, dass wir die Sicherheit
Israels gewährleisten. Ich richte an Sie die Frage:
Was sagen Sie dazu, dass Israel diese Panzerlieferungen
nicht nur wünscht, sondern ausdrücklich unterstützt?
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden sie jetzt geliefert oder nicht?
Israel weiß doch gar nichts davon! Es ist doch
geheim!)
Was sagen Sie dazu, dass Israel und die Palästinenser davon
profitieren, dass Saudi-Arabien einen Accord mit
Fatah und Hamas ausgehandelt hat, der dazu beiträgt,
dass die Palästinenser auf eine relativ beruhigte Art und
Weise zu einer Einigung kommen? Es ist ein Verdienst
Saudi-Arabiens, dass Hamas und Fatah hier zusammenarbeiten.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Vogler?
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
Nein, ich möchte meine Punkte im Zusammenhang
vortragen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
Wir sehen aber Saudi-Arabien nicht durch die rosarote
Brille. Wir wissen, dass die Christen dort in ihrer
Religionsausübung behindert sind. Wir wissen, dass von
dort Salafiten und Wahhabiten auch in Europa unterstützt
werden. Wir Parlamentarier haben mit Sorge den
Einmarsch nach Bahrain beobachtet.
Ich komme nun zur eigentlichen Frage. Wir wissen
nichts über eine Entscheidung; das ist die mangelnde
Transparenz.
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der
LINKEN: Ja, genau! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Israel ist dafür!)
Sie spekulieren darüber. Ich möchte jetzt den Spannungsbogen
darstellen, den unsere Außenpolitik auszuhalten
und zu vertreten hat. Es ist sehr einfach, in der
Opposition Forderungen zu stellen. In der Regierung ist
es aber nicht immer einfach, Verantwortung zu tragen.
(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])
Die Koalitionsfraktionen – das ist mein Appell an uns
alle in der Koalition – müssen unsere Regierung hier unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben die werteorientierte und interessengeleitete
Außenpolitik.
(Zurufe von der SPD und der LINKEN)
Es ist Aufgabe der Regierung, diesen Spannungsbogen
zwischen Werten und Interessen auszuhalten.
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja! Ja!)
Wir gehen normalerweise davon aus, dass Werte und Interessen
ein und dasselbe sind. Aber Politik hat nichts
mit „Wünsch dir was“ zu tun.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Politik ist ein schmutziges Geschäft!)
– Politik ist ein hartes Geschäft, Herr Kollege Trittin.
Es geht jetzt darum, dass wir einmal in die Region
schauen. Wir stehen nicht nur vor dem arabischen Frühling,
wir stehen vor einem Paradigmenwechsel, was die
Lage im Mittleren und Nahen Osten angeht. Wenn Israel
in großer Sorge um das, was um das Land herum geschieht,
mit Saudi-Arabien zu Vereinbarungen kommt,
dann können wir das nur unterstützen. Ich weiß auch,
dass in dem Spannungsbogen der Verantwortung die
Bundesregierung mit aller Kraft auf Saudi-Arabien einwirken
wird. Wir als Parlamentarier möchten – das ist
unser Aufruf –, dass die Regierung hier ihre Verantwortung
wahrnimmt.
Worum geht es? Seit über 40 Jahren haben wir die
Rüstungsexportrichtlinien. An die Adresse der Sozialdemokraten
sage ich: Diese Richtlinien – sie wurden von
Ihnen entwickelt und von Lothar Rühl weiter gefasst, damit
eine Regierung genug Flexibilität bekommt; das
wurde noch letzte Woche gesagt – sind verbindliche
Handlungsanweisungen für die Regierungen über all die
Jahre gewesen.
(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Unser Land ist das einzige Land in Europa, das seine
Rüstungsexporte in klarer Weise offenlegt.
(Widerspruch bei der LINKEN – Heidemarie
Wieczorek-Zeul [SPD]: Stimmt doch gar
nicht!)
Wir werden in einem Jahr alles genau wissen. Es wäre
aber für unser Land schädlich, wenn Dinge offengelegt
würden, die noch in der Vorabstimmung sind, die also
noch nicht endgültig abgestimmt sind. Für mich ist daher
eindeutig, dass wir die politischen Grundsätze, die die
Grünen im Jahr 2001 mitgetragen haben, genauso in Betracht
ziehen
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben sich aber geändert!)
wie die Richtlinien.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
sagen: Wir könnten es uns als Regierungskoalition sehr
einfach machen und darauf hinweisen, dass im Jahr
1998, im letzten Jahr der Kohl-Regierung, die Rüstungsexporte
einen Umfang von rund 1,3 Milliarden D-Mark
hatten. Im Jahr 2000 hat sich dieser unter Rot-Grün auf
5,9 Milliarden D-Mark verfünffacht.
(Peter Beyer [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Wir wollen uns aber nicht gegenseitig Zahlen vorwerfen.
Für uns ist entscheidend, dass wir im Parlament über unsere
nationalen Sicherheitsinteressen diskutieren, und
wir werden das heute Nachmittag noch tun.
Entscheidend ist auch, dass unsere Regierung den
Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen erkennt
und aushält.
(Unruhe bei der LINKEN)
Wir von der Koalition sollten diese Politik nicht nur unterstützen,
sondern wir sollten den Blick auf den Nahen
Osten deutlich schärfer fassen, als wir es in der Vergangenheit
getan haben. Wir stehen in der Region, die unsere
Unterstützung braucht,
(Zuruf von der LINKEN: Aber doch nicht mit
Panzern!)
vor einem Paradigmenwechsel. Diese Unterstützung ist
sowohl hinsichtlich der zivilen Krisenprävention als
auch hinsichtlich der Nachbarschaftspolitik und der Lieferung
von Rüstungsgütern ganz entscheidend.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren,
zum Abschluss ein Appell: Um diese Diskussion auch
künftig sauber, wahrhaftig und wahr halten zu können,
(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
sollten wir ressortübergreifend an einer föderalen Sicherheitsstrategie
arbeiten, um die Ziele und Interessen
wieder besser zusammenzubringen. In diesem Zusammenhang
unterstützen wir nicht die Anträge der Opposition,
sondern wir unterstützen
(Zuruf von der LINKEN: Panzer!)
unsere Regierung, hier im Zusammenhang mit Saudi-
Arabien zu einem klaren Verhältnis zu kommen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Sigmar Gabriel (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kiesewetter, wir würden gern über die Grundlagen der
Außenpolitik und ihre Konsequenzen beim Rüstungsexport
oder auch bei der Verhinderung von Rüstungsexport
diskutieren. Sie haben ja völlig zu Recht darauf hingewiesen:
Eine Regierung muss zwischen Interessen und
Werten abwägen. Aber es wäre nicht schlecht, wenn die,
die das machen würden, die Gründe für ihre Abwägung
mal dem deutschen Parlament und der Öffentlichkeit zur
Kenntnis geben würden, Herr Kollege Kiesewetter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Haßelmann?
Sigmar Gabriel (SPD):
Aber gern.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Gabriel, eine Frage – vielleicht wird daraus ein
Geschäftsordnungsantrag –: Finden Sie es mit mir gemeinsam
nicht unerträglich, dass bei solch einer Diskussion
(Zuruf von der CDU/CSU: Ziehen Sie Leine!)
das Kanzleramt nicht anwesend ist?
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es unerträglich, dass das Kanzleramt hier nicht
anwesend ist.
(Lebhafter Beifall bei der SPD, der LINKEN
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sigmar Gabriel (SPD):
Frau Kollegin, Sie haben natürlich völlig recht. Ich
finde es allerdings ebenso unerträglich, dass der zuständige
Außenminister nicht hier ist
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und sich durch die Staatssekretärin für Auswärtige Kulturpolitik
hier vertreten lässt.
(Zurufe von der FDP: Staatsministerin!)
– Staatsministerin.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei
Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der
CDU/CSU und der FDP)
– Die Abwertung Ihrer Kollegin Staatsministerin – diese
Bemerkung erlaube ich mir – nehmen Sie selber vor,
nicht wir.
Ihnen, Herr Kiesewetter, sage ich: Es kann doch nicht
sein, dass Sie einfordern, dass wir über diese Güterabwägung
diskutieren, und dass die dafür verantwortlichen
Mitglieder Ihrer Regierung sich hier drücken. Die Kanzlerin
hat die Richtlinienkompetenz im Bundessicherheitsrat.
Wir wollen ja gar nicht, dass sie hier vorstellt,
was im Bundessicherheitsrat beraten oder entschieden
worden ist. Aber sie wird doch dazu in der Lage sein, die
Grundlagen ihrer Außenpolitik zu erörtern, und zwar
insbesondere dann, wenn das, was hier gerade mit der
Lieferung von 200 Panzern an Saudi-Arabien stattfindet,
ganz im Gegensatz zu dem steht, was sie und ihr Außenminister
mit großem Pathos dem Deutschen Bundestag
und der Öffentlichkeit hinsichtlich der Unterstützung der
Demokratiebewegung in Nordafrika vorher erklärt haben.
Angesichts dessen wird man doch einmal fordern
dürfen, dass sie kommen und sich erklären.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wissen Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
Sie verwechseln hier etwas. Sie glauben,
wir wollten über den Bundessicherheitsrat diskutieren.
Das kann man auch machen. Das ist nämlich ein Instrument, das im Kalten Krieg entstanden ist und über dessen Entscheidungsfindungsmechanismen die Zeit
hinweggegangen ist. Aber darüber wollen wir heute gar
nicht reden. Wir wollen über die Grundlagen Ihrer
Außenpolitik sprechen, und dazu gibt es übrigens kein
Geheimnisgebot. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass bei
dieser Frage ein Geheimnisgebot für das Parlament oder
die Öffentlichkeit gilt. Sie verwechseln also das Thema,
über das wir reden wollen. Wir wollen wissen, was Sie
in Ihrer Außenpolitik in diesem Fall dazu bringt, die Unterstützung
der Demokratiebewegung im Nahen Osten
und am Golf geringer zu schätzen als das Interesse an einem
stabilen, feudalen Herrscherhaus in Saudi-Arabien,
das, wie von Ihnen eben aufgeführt, für Sicherheit bürge.
Wir wollen genau diesen Unterschied zwischen Interessen
und Werten von Ihnen erläutert bekommen. Es wäre
übrigens ein Beitrag zur politischen Kultur, über diese
außenpolitischen Fragen ganz offen zu diskutieren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen wissen, warum die scheinbare Stabilität
eines Herrscherhauses für Sie wichtiger ist als die Demokratiebewegung
und wie Sie die Widersprüche zwischen
Ihren Reden und Ihrem Handeln auflösen. Dass
das bei Ihnen in der Koalition Kolleginnen und Kollegen
genauso sehen, zeigt doch die aktuelle Meldung – ich zitiere
–:
FDP-Außenexperte: Merkel soll sich zu Panzergeschäft
äußern Stinner hält Stillschweigen für schädlich
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht!)
Der Außenexperte der FDP hat recht, meine Damen und
Herren. Er hat recht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Ich habe mit Interesse das Interview der Bundeskanzlerin
in der Mittelbayerischen Zeitung gelesen. Die
Überschrift lautet – Zitat Merkel –: „Ich kenne die Regeln,
im Fußball wie in der Politik.“ Das darf man getrost
bezweifeln.
(Beifall bei der SPD)
Ich habe Herrn Mißfelder zu seiner Rede gratuliert,
nicht zu dem Inhalt seiner Rede, wohl aber zu dem Versuch,
eine politische Begründung zu geben. Er hat in der
ersten Debatte gesagt: Sie müssen doch verstehen, dass
die Drohung aus dem Iran dazu führt, dass wir mit Blick
auf Israel verhindern müssen, dass Saudi-Arabien unter
die Kontrolle von schiitischen Militärs oder des Iran gerät.
– Ich finde, dass man die Debatte darüber offensiv
führen kann.
Ich möchte Ihnen in der Sache etwas entgegenhalten.
Eigentlich möchte ich die Debatte darüber nicht mit Ihnen,
sondern mit Ihrer Regierung führen, die das entschieden
hat. Da Sie aber schon die Stellvertretung der
Regierung wahrnehmen – ist von der Regierung inzwischen
jemand da, der dazu etwas sagen kann? –,
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Herr Rösler!)
lese ich Ihnen vor, was die Experten, die im Auftrag des
Kanzleramtes arbeiten, dazu sagen. In der heutigen Ausgabe
des Tagesspiegels steht:
Braucht Saudi-Arabien deutsche Panzer, um
schlagkräftige Argumente gegen den Iran zu haben?
Diese Sichtweise weist Volker Perthes, Direktor
der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP),
– diese wird vom Kanzleramt finanziert und arbeitet dem
Parlament, aber insbesondere dem Kanzleramt zu –,
als „abwegig“ zurück.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Ich zitiere weiter:
„Wenn sich Saudi-Arabien auf eine Auseinandersetzung
mit dem Iran vorbereiten würde, dann sicherlich
nicht mit Panzern“, sagte der Nahostexperte
dem Tagesspiegel.
Dafür gibt er eine relativ einfache Erklärung: Es gibt
keine Landverbindung zwischen Saudi-Arabien und dem
Iran. Dazwischen liegt der Irak. Deswegen ist die Kritik
berechtigt. Sie müssen im Zweifel damit rechnen, dass
die infrage stehenden Panzer nicht zur Verteidigung der
Sicherheit Israels eingesetzt werden, sondern innenpolitisch
oder bei den Nachbarn zur Unterdrückung der Demokratiebewegung.
Genau das findet dort statt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Waffen, die Sie liefern wollen, bedrohen nicht
den Iran, sondern die Demokratiebewegung. Sie schützen
nicht Israel, sondern ein feudales Herrscherhaus. Sie
gefährden im Zweifel – das will ich deutlich sagen – irgendwann
auch uns; denn wir im Westen wissen aus der
Vergangenheit – die amerikanische Außenpolitik wurde
nach dem Motto „Der Teufel, den wir kennen, ist besser
als der, den wir nicht kennen“ betrieben –, dass so etwas
schnell schiefgehen kann. Zuerst Waffen und dann Bundeswehrsoldaten
in Friedens- oder Kriegseinsätze zu
schicken, die unter anderem dazu dienen, den Betreffenden
die Waffen wieder abzunehmen, das ist keine besonders
kluge Außenpolitik. Sie ist gefährlich für unsere
Soldatinnen und Soldaten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Sie machen das, entweder weil Sie vor der Rüstungslobby
eingeknickt sind oder weil Sie vor den Vereinigten
Staaten eingeknickt sind, weil Sie sich nach Ihrem Desaster
in der Libyen-Debatte im UN-Sicherheitsrat zurückkaufen
wollten. Beides wären keine Gründe für eine
souveräne Entscheidung einer Bundesregierung. Es hat
das deutsche Parlament zu interessieren, ob unsere Regierung souverän entscheiden kann oder ob sie dem
Druck – von wem auch immer – weicht und solchen Anfragen
stattgibt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Gabriel, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Uhl?
Sigmar Gabriel (SPD):
Selbstverständlich.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Herr Kollege Gabriel, Sie fordern eine Parlamentsdebatte
über einen Rüstungsexport im Vorfeld von Vertragsverhandlungen
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch gar nicht!)
bzw. von Vorvertragsverhandlungen.
(Michael Groschek [SPD]: Werden Sie mal
konkret!)
Können Sie sich erinnern, ob es in der siebenjährigen
Amtszeit von Gerhard Schröder auch nur einen einzigen
Fall gegeben hat, in dem dieses Parlament vor Beginn
von Vertragsverhandlungen über irgendeinen Rüstungsexport
in irgendein Land eine solche Debatte geführt
hat? Wenn Sie das bejahen, nennen Sie mir bitte den
Ausgang der betreffenden Vertragsverhandlungen. Oder
geben Sie zu, dass das betreffende Geschäft hätte scheitern
müssen?
Sigmar Gabriel (SPD):
Herr Kollege Uhl, wenn ich das richtig weiß – –
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dr. Uhl!)
– Herr Dr. Uhl! Vielen Dank, dass der Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion darauf hinweist, dass es sich diesmal
um Herrn Dr. Uhl handelt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch
bei der CDU/CSU)
– Da müssen Sie sich bei Ihrem Kollegen bedanken.
Herr Dr. Uhl, die Antwort auf die Frage ist ganz einfach:
Ihre Regierung verstößt gerade gegen die eigenen
Richtlinien für den Rüstungsexport.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo denn?)
Deshalb muss man darüber diskutieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn eine Regierung das nicht tut, dann braucht das
Parlament auch nicht darüber zu diskutieren. Das ist
doch das Problem.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das
ist doch keine Antwort! – Weitere Zurufe von
der CDU/CSU)
– Die Frage war, warum so etwas in der Vergangenheit
nicht öffentlich im Parlament diskutiert worden ist. Die
Antwort darauf ist: Weil sich die Regierung an die Richtlinien
gehalten hat. Sie tun das nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die von Herrn Kiesewetter zitierten Richtlinien für
den Rüstungsexport sind doch unter Rot-Grün geändert
und verschärft worden. Es wurde die Einhaltung der
Menschenrechte als zentraler Parameter dafür eingeführt,
ob man Rüstungsgüter exportieren darf oder nicht.
Wir müssen darüber reden, wenn Sie das heute anders
sehen.
Übrigens ist es doch ein Treppenwitz, wenn jetzt so
getan wird, als gäbe es keine Entscheidung und deshalb
dürfe das Parlament nicht darüber reden. Ganz Deutschland
redet darüber. Wenn wir nicht darüber reden, dann
verstärken Sie noch den Eindruck, den es draußen sowieso
schon gibt, nämlich dass wir uns hier mit allem
Möglichen, nur nicht mit dem beschäftigen, was die
Leute interessiert.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Wir können Sie nur eindringlich auffordern, die Genehmigung
zur Ausfuhr entweder zurückzuziehen oder,
wenn sie noch nicht endgültig gefallen ist, nicht zu erteilen.
Kommen Sie zum außenpolitischen Konsens, der
lange Zeit in Deutschland galt, zurück und beenden Sie
die Irrfahrt, mit der Sie unserem Land in Europa und auf
internationaler Ebene die Zusammenarbeit erschweren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie der Lieferung von 200 Kampfpanzern nach
Saudi-Arabien zustimmen, dann überschreiten Sie eindeutig
den Rubikon und verlassen den Pfad einer wertegebundenen
Außenpolitik. Sie versagen in einer historischen
Situation, in der Deutschland und Europa die
Demokratiebewegungen unterstützen müssen, aber nicht
feudale Herrscherhäuser, die bereit sind, diese zu unterdrücken.
(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deswegen werden Sie dazu unsere Zustimmung nicht
bekommen und auch nicht die, so glaube ich, der Öffentlichkeit.
Stoppen Sie diese Irrfahrt, die Sie begonnen haben!
Sie tun sich, dem Land und Nordafrika einen Gefallen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen
Stinner.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Gabriel, ich bin
Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Kollegen Hans-Peter
Uhl hier identifiziert haben, damit nicht die Gefahr besteht,
dass er mit Ihrem ehemaligen Bundestagskollegen
Hans-Jürgen Uhl, der VW-Betriebsrat war und wegen
Lustreisen aus der IG Metall und der SPD ausgetreten
ist, verwechselt wird.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)
Wir legen Wert darauf, dass keine Verwechslung geschieht.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das peinlich! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ich habe mit der „Uhlerei“ nicht angefangen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Kauder!)
Da Sie, Herr Gabriel, mich als Kronzeugen für Ihre
Politik herangezogen haben, möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen, was ich hierzu ausgeführt habe. Ich habe Ihnen
erstens vorgeworfen, dass ich es als unerträglich
empfinde, in welcher Weise sich Ihre Partei von langjährigem
Regierungsverhalten verabschiedet hat, und dass
das in starkem Widerspruch zu dem steht, was Sie selbst
jahrelang gemacht haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich habe Ihnen zweitens vorgeworfen, dass Sie es als
Regierungspartei abgelehnt haben, die Geheimhaltungspflicht
des BSR aufzuheben.
Ich habe Ihnen drittens vorgeworfen, dass Sie in Ihrer
Amtszeit in erheblichem Umfang Kriegswaffen – es waren
keine Spielzeuge, Frau Keul – nach Saudi-Arabien
geliefert haben. Sie haben im Jahr 2008, als Herr
Steinmeier und Frau Wieczorek-Zeul im Bundessicherheitsrat
waren, die Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien
mehr als verdreifacht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha! Ihr Heuchler!)
Es ist völlig unredlich, diese Bundesregierung zu einem
Exportmonster zu stilisieren.
Ich bin viertens in keiner Weise auf den Inhalt der
eventuell vorhandenen Entscheidung eingegangen. Ich
habe nur gesagt, dass ich davon ausgehe, dass diese Bundesregierung,
falls es eine solche Entscheidung gegeben
haben sollte, mit großer Sicherheit das Pro und Kontra in
großer Verantwortung abgewogen hat. Ich kann Ihnen,
Herr Gabriel, sagen: Ich habe diesbezüglich in diese
Bundesregierung ein viel größeres Vertrauen, als ich es
in frühere Bundesregierungen gehabt habe.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Ich habe dann allerdings gesagt, Herr Gabriel: Da dieses
Thema in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird,
wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung in einer für
sie geeigneten Form politisch auf diese Dinge eingeht.
Es kann nicht sein, dass Sie von den drei Oppositionsfraktionen
in Anträgen hier und heute fordern, dass wir
im Deutschen Bundestag einzelne Rüstungsgeschäfte
verabschieden. Das kann doch nicht wahr sein.
(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)
Herr Gabriel, jeder, der in diesem Hause irgendwann
einmal Regierungsverantwortung anstrebt – das tun Sie
offensichtlich –, kann einen solchen Antrag nicht stellen,
weil durch ihn die Handlungsfähigkeit einer jeden Bundesregierung
beeinträchtigt wäre.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Gabriel, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es reicht, wenn Sie sich entschuldigen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sigmar Gabriel (SPD):
Herr Präsident! Herr Kollege, erstens neige ich in der
Tat nicht dazu, Menschen zu verwechseln. Trotzdem
danke ich für die qualifizierte Einführung in die Namenskunde.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zur Sache!)
Zweitens. Ich wiederhole ausdrücklich: Der Unterschied
zwischen dem Handeln der von Ihnen getragenen
Regierung und dem früherer Regierungen von SPD und
Grünen ist, dass wir uns an die Exportrichtlinien gehalten
haben
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Woher
wissen Sie denn das?)
und dass wir – wie übrigens Herr Dr. Kohl und andere
Regierungschefs – 30 Jahre lang, wenn Saudi-Arabien
Panzer wollte, immer Nein gesagt haben.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kohl nicht! Der hat Ja gesagt!)
– Nach meinem Kenntnisstand hat sich damals Herr
Möllemann noch darüber beklagt, dass es zu keiner Lieferung
gekommen ist.
(Otto Fricke [FDP]: Und bei anderen Dingen,
anderen Waffen nach Saudi-Arabien?)
– Herr Kollege Fricke, ich kann nichts dafür, dass ich
jetzt die Chance habe, zu antworten. Das ist in der Geschäftsordnung
so vorgesehen. Deshalb müssen Sie das jetzt ertragen.
Wir – auch Sie – haben uns 30 Jahre lang daran gehalten,
keine Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, weil
das durchaus einen qualitativen Unterschied macht. Das
haben wir auf allen Straßen und Plätzen, wo es Demokratiebewegungen
gegeben hat, gesehen.
Drittens. Ich hoffe, dass Sie hier nicht Ihr eigenes Interview
dementieren; denn dort heißt es – ich zitiere –:
Die Kanzlerin und die beteiligten Minister können
sich dann nicht mehr schablonenhaft hinter das
Schild „geheim“ stellen.
Ich finde, Sie haben recht, Herr Kollege; das tun die Damen
und Herren der Regierung aber weiterhin.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir diskutieren
hier nicht darüber, ob es Rüstungsexporte gibt oder
nicht. Das könnten wir tun. Es gibt gute und weniger
gute Gründe dafür, darüber zu reden bzw. es zu verbieten.
Vielmehr reden wir über einen ganz konkreten Fall
und über die daraus entstehenden Konsequenzen für die
Demokratiebewegung im Nahen Osten und am Golf.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir diskutieren auch nicht darüber, ob der Deutsche
Bundestag Rüstungsexporte im Einzelfall genehmigen
soll oder nicht.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Doch!)
Das steht auch nicht in unserem Antrag, sondern dort
steht, dass, wenn eine positive Entscheidung gefallen ist,
wir dies wissen wollen.
Übrigens halte ich es im Zeitalter des Internets für relativ
schwierig, zu glauben, dass man irgendwohin Panzer
liefern kann und keiner, wenn dann die Leos durch
Saudi-Arabien fahren, fragt, woher die kommen. Wenn
Sie solche Geschäfte machen, dann können Sie davon
ausgehen, dass man das zurückverfolgen kann. Wenn
eine Regierung sagt: „Ja, wir stehen dazu, wir haben in
einer Güterabwägung entschieden, diesem Export zuzustimmen“,
warum soll man das in diesem positiven Fall
nicht von vornherein der deutschen Öffentlichkeit und
dem Parlament zur Kenntnis geben? Erklären Sie mir
das einmal!
Wenn Ihr Argument ist: „Warum habt ihr das früher
nicht selber gemacht?“, dann würde ich sagen: Sie haben
recht, das hätten wir machen sollen. – Dann machen wir
es doch bitte jetzt gemeinsam, da wir merken, dass das
notwendig ist.
(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein!)
Das ist doch ganz einfach.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eines ist doch klar: Wenn man uns oder Sie fragt, ob
wir immer alles richtig gemacht haben, dann sagen wir
oft: Natürlich haben wir immer alles richtig gemacht.
Gleichzeitig tun wir so, als hätten alle anderen immer alles
falsch gemacht. Das glauben wir noch nicht einmal
im Parlament. Warum sollen die Menschen draußen das
glauben?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Von daher finde ich die Situation relativ einfach. Sie
führen hier eine Debatte über eine werte- und interessengeleitete
Außenpolitik. Darüber wollen wir reden. Wir
wollen die Begründung dafür hören, warum Sie sich in
diesem Fall für Ihre anscheinend vorhandenen Interessen
entschieden haben und gegen die von Ihnen mit großem
Pathos an diesem Rednerpult vertretenen Werte.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Sigmar Gabriel (SPD):
Darauf hat die deutsche Öffentlichkeit einen Anspruch,
und nur darüber wollen wir diskutieren und entscheiden.
Ihre Regierung drückt sich vor dieser Debatte.
Das erleben wir heute zum zweiten Mal.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei Zwischenbemerkungen:
Erstens. Auf Kurzinterventionen kann man
nicht mit einer weiteren Kurzintervention reagieren.
Sonst würden wir in eine eigentümliche, unübersichtliche
Debatte geraten.
Zweitens zu dem Namensstreit, da ich ein ganz klein
wenig beteiligt war. Das gibt es ja, dass einem im Moment
ein Name nicht einfällt. Deswegen habe ich dem
Kollegen Gabriel vorgesagt: Uhl. – Daraufhin hat der
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gerufen: Dr. Uhl! –
Darauf hat Kollege Gabriel reagiert. Das geschah nicht
in einer beleidigenden Absicht.
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Nein! –
Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das war sehr
ironisch!)
Er hat damit lediglich auf den Zwischenruf „Dr. Uhl!“
reagiert. Ich sage das nur, damit wir bei aller Polemik
nicht an der falschen Stelle eine Schärfe vermuten.
Jetzt erlaube ich mir, zur Beruhigung der Emotionen
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der beiden namentlichen Abstimmungen
mitzuteilen.
(...)
Nun setzen wir die Debatte fort. Das Wort hat Martin
Lindner für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Jetzt
kommt Dr. Leo Lindner!)
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herzlichen Dank – Herr Präsident! Verehrte Damen!
Meine Herren! Kollege Gabriel, wenn Sie mit uns Debatten
über interessengeleitete Außenpolitik führen wollen,
dann müssen Sie entsprechende Anträge stellen.
Stattdessen haben Sie ganz billig versucht, Dinge, die
schon seit 1955 im Bereich der Exekutive angesiedelt
sind, uns heute hier mithilfe von Verfahrenstricks vorzulegen.
Seit 1955, in ununterbrochener Tradition – Schwarz-
Gelb, Rot-Gelb, Rot-Grün, egal wie die Regierung hieß –,
wurden solche Fragen immer im Bundessicherheitsrat
entschieden, und da gehören sie auch hin. Das ist streng
exekutives Handeln.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das müssten auch Sie bei einer ernsthaften Betrachtung
dieses komplexen, schwierigen Gegenstandes konzedieren.
Bei der Beurteilung, was den deutschen sicherheitsund
außenpolitischen Interessen dient, ist – Sie können
sich das vorstellen; Sie waren ja erst vor kurzem in Regierungsverantwortung
– eine Reihe von Fragen zu berücksichtigen.
Wir haben hier vor zwei Tagen darüber
diskutiert. Saudi-Arabien ist ein Partnerland im Kampf
gegen den Terrorismus. Wir können uns nun einmal
nicht aussuchen, wie wir es in dieser Region – ein Kollege
sagte: wo alles nur grau ist, wo es kein Schwarz und
kein Weiß gibt – gerne hätten. Sie, der Sie hier jahrelang
in der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung
standen, wissen ganz genau, dass man in diesem Zusammenhang
bestimmte Dinge erfährt und dass man nachrichtendienstliche
Entwicklungen auszuwerten hat. Das
geht nicht im Deutschen Bundestag. Das, Frau Kollegin
Roth, ist typischerweise exekutives Handeln, und das
muss es auch in Zukunft bleiben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie haben das unter der rot-grünen Regierung sogar
noch verstärkt. Vor diesem Hintergrund handeln Sie mit
Ihren Anträgen – im Zivilrecht würde man sagen: venire
contra factum proprium – gegen Ihre eigenen Vorstellungen
und gegen Ihr eigenes damaliges Regierungshandeln.
Das erlaubt natürlich schon die Frage, ob das nicht
ein Stück weit Heuchelei ist, was Sie heute hier aufgeführt
haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensiv klingt anders!)
Wenn man ein bisschen Exegese der Ereignisse der letzten 10, 15 Jahre betreibt – weiter muss man gar nicht zurückgehen –, dann kommt man zu einem Artikel von
RP Online vom 4. Juli 2000.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vor elf Jahren!)
Da wird berichtet – ich zitiere –:
Der Bundessicherheitsrat hat nach Informationen
des Hamburger Magazins „Stern“ der Lieferung
von 1.200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zugestimmt.
Als ob das Waffen wären, Kollege Gabriel, die weniger
geeignet wären, im Kampf gegen Aufständische eingesetzt
zu werden,
(Sigmar Gabriel [SPD]: Vor allem gegen Panzereinsätze!)
als ein 4 mal 7 Meter großer Panzer! Da ist die Heuchelei
schon erkennbar.
Weiter heißt es:
Gegen den Rüstungsexport hätten Bundesaußenminister
Joschka Fischer von den Grünen und Entwicklungshilfeministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD gestimmt.
Nicht bekannt wurde, dass die beiden anschließend aus
der Regierung ausgeschieden wären; vielmehr sind sie
selbstverständlich, wie es bei Ihnen Tradition war, an ihren
Sesseln kleben geblieben. Sie haben so geredet, aber
so gehandelt.
Dann heißt es weiter:
Das Bundespresseamt wollte zu dem Bericht
ebenso wie Auswärtiges Amt und Bundeskanzleramt
keinerlei Kommentar abgeben. Eine Sprecherin
des Bundespresseamts verwies nur darauf, dass die
Sitzungen des Bundessicherheitsrats strikter Geheimhaltung
unterliegen.
Sie haben damals genauso gehandelt, wie Sie es uns
heute mit großem Pathos und im Brustton der Empörung
vorhalten. Das ist Heuchelei und nichts anderes.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie entlarven sich selber.
Etwas weiter hinten heißt es:
Im Herbst vorigen Jahres
– das war 1999 –
waren trotz der Geheimhaltungsvorschriften Einzelheiten
der Entscheidung des Bundessicherheitsrats
– unter Rot-Grün –
über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an
die Türkei an die Öffentlichkeit gelangt.
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und das, obwohl Sie, Frau Kollegin Roth, auf jedem
Parteitag immer wieder betont haben, dass Kampfpanzer
– wegen der schwierigen Lage der Kurden – nicht in die
Türkei geliefert werden dürften.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind nicht geliefert worden!)
Sie haben schon immer geheuchelt und setzen das heute
hier fort.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Was den Leopard 2 angeht: Im Jahr 1981 gab es diesbezügliche
Anfragen an Helmut Schmidt. Da heißt es 1981 im Spiegel:
Der König aus dem Morgenland zeigte Verständnis
für den deutschen Kanzler. Als der saudiarabische
Herrscher Chalid Ibn Abd el-Asis im vergangenen
Juni in Bonn einen Staatsbesuch abstattete, bat
Helmut Schmidt in einem Gespräch unter vier Augen
den Gast, er möge sich mit seinem Wunsch
nach deutschen Waffen noch ein wenig gedulden –
bis nach dem 5. Oktober, dem Tag der Bundestagswahl.
Erzählen Sie uns doch nicht, dass das nicht auch
Thema war. Ihre Bundesregierung hat das damals genauso
abgelehnt wie entsprechende Anfragen an die Regierung
Kohl in der Zeit zwischen 1990 und 1992, und
zwar wegen der Intervention Israels und wegen nichts
anderem. Dieser Grund ist jetzt weggefallen. Deswegen
kann man nunmehr zu einer anderen Lagebeurteilung
kommen. Als ernsthafte Oppositionsfraktion müssen Sie
doch konzedieren, dass man bei solch schwierigen Entscheidungen
nicht einfach nur schwarz-weiß malen und
so tun kann, als sei alles wahninnig einfach. Sie haben in
ähnlichen Situationen doch auch gerungen, und Sie kamen
auch zu Ergebnissen, die nicht auf den Marktplätzen
der Republik ausgetragen wurden. Das muss man
doch realistisch betrachten.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das Ganze geht noch weiter: Es kam zu den Panzerlieferungen
an Katar; da saßen Sie, Kollege Steinmeier,
im Bundessicherheitsrat. Es wurden zumindest Voranfragen
gestellt, die – den vorliegenden Presseinformationen
zufolge – nur im Hinblick auf Israel möglicherweise anders
beschieden wurden.
Ich sage Ihnen in aller Ernsthaftigkeit: Man kann in
dieser Frage – bei Vorliegen aller Fakten; aber diese Fakten
liegen ja nur neun Mitgliedern des Hauses vor – im Ergebnis möglicherweise zu einer anderen Betrachtungsweise
kommen. Man kann sicherlich aber auch zu
dem Ergebnis kommen, dass es im Interesse der Bundesrepublik
Deutschland war oder ist, solche Waffen in
diese Region, an dieses Land zu liefern.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Ich warne Sie ganz klar: Sie sind im Moment in der
Opposition.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Moment ja!)
Wenn Sie in diesem Land irgendwann einmal wieder Verantwortung übernehmen wollen,
(Elke Ferner [SPD]: Sehr bald!)
werden Sie in diesen Fragen höchstwahrscheinlich eine
sehr harte und unangenehme Bekanntschaft mit der Realität
machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst
Gregor Gysi und dann Claudia Roth.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Herr Lindner, ich habe Ihnen genau
zugehört. Wissen Sie, was mich unheimlich stört? Sie
diskutieren über die Frage der Geheimhaltung, darüber,
wie das früher war, und haben im Übrigen gar nicht begriffen,
dass es den Kalten Krieg gar nicht mehr gibt und
dass eine neue Zeit angebrochen ist. Abgesehen davon
erklären Sie sich nicht mit einem Satz dazu, ob es nun
richtig oder falsch ist, 200 Panzer an das Herrschaftshaus
Saudi-Arabien zu liefern, in ein Land, in dem die
reichen Familien al-Qaida bezahlen und das die Demokratiebewegung
im Nachbarland zusammenschießt.
Kein einziger Satz dazu! Sagen Sie doch einmal, ob Sie
dafür oder dagegen sind, damit hier im Parlament mal
Klarheit herrscht!
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine zweite Bitte. Frau Bundeskanzlerin – jetzt sind
Sie da –, nichts gegen Herrn Nüßlein, aber ich finde, Sie
könnten dessen Redezeit von sechs Minuten übernehmen
und sagen, welche Ziele Sie in der Außenpolitik eigentlich
verfolgen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Bitte schön, Kollegin Roth.
Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet,
weil Herr Dr. Lindner mit flotter Zunge von „Heuchelei“
geredet hat. Ich würde Sie, wenn Sie anderen Heuchelei
vorwerfen, darum bitten, sich an die Wahrheit zu halten.
Wahr ist: Es gab einen Konflikt in der rot-grünen Koalition
über geplante Panzerlieferungen an die Türkei.
Wahr ist aber auch, dass es aufgrund genau dieser Auseinandersetzung
zu einer Neuverhandlung der Rüstungsexportrichtlinien
gekommen ist, dass der Kollege Gernot
Erler für die SPD-Fraktion und die Kollegin – ich – für
die grüne Fraktion mit der Bundesregierung verhandelt
haben.
In diesen Verhandlungen wurden die Rüstungsexportrichtlinien
verändert und restriktiver gefasst. Unter anderem
wurde ein Menschenrechtskriterium in den Rüstungsexportrichtlinien
verankert, das es nachgerade
unmöglich macht, dass Panzer an Saudi-Arabien geliefert
werden. Es wurde ein Kriterium verankert, das es
nachgerade unmöglich macht, Waffen bzw. Rüstungsexportgüter
in Spannungsregionen wie Saudi-Arabien zu
liefern.
In der Folge wurden keine Panzer in die Türkei geliefert.
Anders als in der schwarz-gelben Regierungszeit
hat Rot-Grün in die Rüstungsexportrichtlinien aufgenommen,
dass bei einer angespannten Menschenrechtslage
keine Waffen geliefert werden dürfen, auch wenn
die Waffen nicht unmittelbar zur Menschenrechtsverletzung
eingesetzt werden können.
Behaupten Sie also keine Unwahrheiten, wenn Sie
nicht wissen, worüber Sie reden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Lindner, bitte.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Gysi, Sie sagen, die Geheimhaltung habe möglicherweise
im Kalten Krieg noch gegolten. Der Kalte
Krieg endete 1989 und nicht 2009, als die SPD aus der
Bundesregierung ausgeschieden ist; das als kleine Gedächtnisstütze.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Endlich mal
ein wahres Wort!)
Sie haben mich aufgefordert, in der Sache Stellung zu
nehmen.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie ja in sechs Minuten
nicht geschafft!)
Ich hatte Ihnen – wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie
das – vorhin deutlich gemacht, dass eine abschließende
Beurteilung, ob besondere außen- oder sicherheitspolitische
Interessen der Bundesrepublik Deutschland – so
steht es in den Richtlinien – dafür sprechen, Kampfpanzer
nach Saudi-Arabien zu liefern, ausschließlich von neun Personen vorgenommen werden kann. Ich gehöre nicht zu diesen neun Personen. Nur den Mitgliedern des
Bundessicherheitsrats liegen die Fakten vollständig vor,
auf deren Grundlage eine solche Frage seriös beantwortet
werden kann.
(Sigmar Gabriel [SPD]: Dann muss man das
aber schnell ändern!)
Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man in einer so schwierigen
Situation wie im Nahen und Mittleren Osten im
Kampf gegen den Terrorismus steht, muss man natürlich
Kooperationen eingehen und über Dinge verhandeln, die
nicht immer schön sind und die – anders als es eine
populistische Partei gerne hätte – nicht immer einem
Schwarz-Weiß-Schema entsprechen. Sie müssen aber
schon konzedieren, dass nach unserer Verfassung die
Menschen, die dafür gewählt sind und ihren Amtseid geschworen
haben, solches exekutives Handeln vollziehen
und darüber berichten und das Parlament anschließend
über die Berichte diskutiert. So ist das in den meisten demokratischen
Ländern üblich; so werden wir es weiterhin
handhaben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Frau Kollegin Roth, es ist sehr spannend, was Sie mir
vorhalten. Sie haben gar nicht abgestritten, dass die Panzer
doch in die Türkei gerollt sind.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, sie sind nicht geliefert worden! – Petra Ernstberger [SPD]: Zuhören!)
Sie sagen nur, Sie hätten anschließend die Rüstungsexportrichtlinien
geändert und dann quasi waffenfrei weiterregiert.
Frau Kollegin Roth, im Jahr 2002 – da haben
Sie regiert; das war nach der Änderung der Richtlinien –
lag das Volumen der Kriegswaffenexporte bei knapp 300 Millionen Euro. Im Jahr 2003 haben Sie das Volumen auf 1,3 Milliarden Euro gebracht.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reden wir über die Lieferung von Panzern in die Türkei!)
Das ist zugegebenermaßen eine gewisse Steigerung, oder? Frau Roth, Ihre neuen Richtlinien haben dann also wirklich gewirkt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Im Jahr 2005 hat Ihre Regierung dann den Gipfel erreicht:
über 1,6 Milliarden Euro.
(Zurufe von der FDP und der CDU/CSU: Oh!)
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Ihr wievieltes Jubiläum
der Mitgliedschaft im Bundessicherheitsrat haben Sie zu
diesem Zeitpunkt gefeiert? Ihr siebtes, und dann waren
Sie noch zwei weitere Jahre drin.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zu
den türkischen Panzern, was Sie behauptet haben!)
Wenn das alles so schrecklich und unmöglich war, warum
sind Sie dann nicht ausgeschieden? Sie klebten alle
an Ihren Sesseln. Heute werfen Sie uns vor, was Sie damals
selbst gemacht haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörn
Wunderlich [DIE LINKE]: Immer weiter so!)
Frau Roth, abschließend lese ich Ihnen vor, was 2001,
in Ihrer Regierungszeit, nach Saudi-Arabien geliefert
wurde – jetzt tut es richtig weh –: Schießanlagen,
Schießsimulatoren, Revolver, Pistolen, Karabiner, Maschinengewehre,
Panzerfäuste, Teile für Patrouillenboote,
Munition für Haubitzen, Maschinenpistolen etc.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finde ich nicht in Ordnung!)
Jetzt sagen Sie mir, dass man all die Waffen nicht gegen
Demonstranten und Aufständische einsetzen kann. Das
ist doch völliger Blödsinn!
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Beherrschen Sie sich und halten Sie in dieser Frage Maß,
wie es einem Mitglied einer Exregierungspartei zusteht.
(Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Ich freue
mich, dass die Mitglieder des Bundessicherheitsrates
jetzt weitgehend anwesend sind und der Debatte folgen.
Am Mittwoch haben wir eine denkwürdige Fragestunde
erlebt. Staatssekretär Otto versuchte verzweifelt,
eine Entscheidung seiner Regierung zu rechtfertigen,
ohne zuzugestehen, dass es überhaupt eine Entscheidung
gegeben hat. In der nachfolgenden Aktuellen Stunde
durften die Redner der Koalition darüber spekulieren,
welche Kriterien und Argumente möglicherweise von
der Regierung erwogen wurden oder auch nicht. Warum
aber sollten Parlamentarier eine Entscheidung der Exekutive
verteidigen, über deren Existenz sie nicht einmal
informiert werden? Das ist eines Parlamentes unwürdig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Dem Kollegen Stinner von der FDP war das Leiden
dann auch deutlich anzusehen. Er hat völlig recht, wenn
er ausführt, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
hätten das Recht und auch die Pflicht, sich mit dem
Vorgang zu beschäftigen. Es ist richtig, dass er die Bundesregierung
auffordert, eine öffentliche Debatte zu führen
und den Deutschen Bundestag über die Entscheidungsgrundlage
zu informieren.
Geheimnisschutz ist kein Selbstzweck. Geheimnisschutz
setzt immer ein schutzwürdiges Interesse voraus.
Jetzt fragen wir uns doch einmal konkret, was hier geschützt
werden soll. Betriebsgeheimnisse der Firma
Krauss-Maffei Wegmann? Die Phase des Bangens vor
der Konkurrenz ist mit der Genehmigung doch abgeschlossen.
Jetzt kann geliefert werden. Eine solche Lieferung
kann ohnehin nicht geheim gehalten werden.
Auch die Saudis freuen sich über die Genehmigung und
haben kein erkennbares Geheimhaltungsinteresse mehr.
Unfreundliche Nachbarn sollen ja gerade von den
Kampfpanzern erfahren, um beeindruckt zu werden, und
die eigene Bevölkerung darf ohnehin keine kritischen
Fragen stellen. Also bleibt nur, dass die Bundesregierung
selbst ein Geheimhaltungsinteresse hat, weil sie
ihre Entscheidung nicht öffentlich begründen will.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ingo Gädechens [CDU/
CSU]: Nein, der Bundessicherheitsrat!)
Das ist sogar nachvollziehbar, weil die Entscheidung gar
nicht begründbar ist.
Deutschland ist aber nicht Saudi-Arabien. Wie der
Außenminister dezent angedeutet hat, gibt es einen
gewissen Unterschied zwischen Saudi-Arabien und
Deutschland. Bei uns muss sich die Regierung vor dem
Parlament verantworten. Es ist nicht zielführend, wenn
wir uns immer wieder gegenseitig vorhalten, welche Regierung
am meisten geliefert hat. Zielführend wäre es,
wenn wir Parlamentarier uns auf unsere wichtigste Aufgabe
besännen und gemeinsam mehr Transparenz bei
der Genehmigung von Rüstungsexporten einfordern
würden, damit auch in diesem wichtigen Bereich endlich
parlamentarische Kontrolle möglich wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Herr Kiesewetter, ich habe Ihnen gut zugehört. Wenn Sie
das mit der Transparenz ernst meinen, müssten Sie unserem
Antrag zustimmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil!)
In Gesetzen und Richtlinien haben wir Kriterien festgelegt,
an die sich angeblich alle halten wollen. Wie sieht es mit diesen Kriterien konkret aus? Ein besonderes sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik vermag ich hier beim besten Willen nicht zu erkennen. Die
atomare Bedrohung durch den Iran kann nicht ernsthaft
als Grund für die Lieferung von Panzern herhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Im Gegenteil: Die Aufrüstung von Saudi-Arabien ist für
den Iran eine willkommene Rechtfertigung für die Fortsetzung
des Nuklearprogramms.
Nun habe ich mich am Mittwoch belehren lassen
müssen, dass der Satz „Beschäftigungspolitische Gründe
dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, in Wirklichkeit
bedeutet, dass sie doch eine Rolle spielen dürfen,
nur keine ausschlaggebende.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So steht
es darin!)
Die Sorge der Industrie ist ja verständlich, da jetzt alle
europäischen Länder ihre Militärhaushalte reduzieren.
Auch unser Verteidigungsminister de Maizière hat in seinen
Verteidigungspolitischen Richtlinien klargestellt,
dass der Wehrindustrie eine dienende Funktion zukommt.
Damit steht die Bundeswehr nicht mehr als
Spielwiese für die Industrie zur Verfügung. Man will
jetzt zur Abwechslung einmal das anschaffen, was die
Truppe braucht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
EADS-Chef Stefan Zoller ist ganz offen, wenn er
sagt: „Wir müssen jetzt dahin, wo die Militärausgaben
zweistellig steigen, wie etwa in Indien, Brasilien oder
dem Mittleren Osten“. Die industriepolitischen Interessen
sind die einzig plausiblen Gründe für eine solche
Entscheidung. Damit haben sie aber nicht nur eine Rolle,
sondern die ausschlaggebende Rolle gespielt. Genau das
dürfen sie nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Darüber hinaus stehen der Genehmigung die Gefahr
innerer Repression und die systematischen Menschenrechtsverletzungen
in Saudi-Arabien entgegen. Nähere
Ausführungen zu den Abscheulichkeiten wie Auspeitschen,
Handabhacken und öffentliche Hinrichtungen
wollen wir uns an dieser Stelle ersparen. Die Fakten sind
hinlänglich bekannt.
Die Genehmigung der Panzerlieferung ist nicht zu
halten. Ich appelliere an Sie als Parlamentarier: Lassen
Sie nicht zu, dass die Regierung uns an dieser Stelle völlig
entrechtet! Fordern Sie mit uns den Widerruf dieser
Genehmigung und transparente Verfahren für die Zukunft!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Georg Nüßlein von der Fraktion der CDU/
CSU das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten
der FDP)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, ich
muss Sie enttäuschen, in dieser Parlamentsdebatte hat
nicht die Regierung das letzte Wort.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie als Merkel-Imitator? Das ist mir
neu! – Sigmar Gabriel [SPD]: Sie hat weder
das erste noch das zweite noch das letzte
Wort!)
Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, und das ist
richtig und gut so. Deshalb wundert mich jetzt, dass etliche
Kollegen hier in dieser Debatte so tun, als sei das
schon entschieden und als ob sie wüssten, was warum
wie entschieden worden ist. Das ist doch offensichtlich
nicht der Fall.
(Widerspruch bei der SPD)
– Ich rekurriere auf alles, was hier vorgetragen wurde,
und etliche Kollegen tun so, als sei das eine ganz klare
Sache.
Der Bundessicherheitsrat tagt geheim, aber offenbar
kommt es bei der Beantwortung der Frage, ob es richtig
ist, dass er geheim tagt, auf dessen Besetzung an. Wenn
er von der einen Seite des Hauses besetzt ist, ist es in
Ordnung, dass er geheim tagt, wenn er von der anderen
Seite des Hauses besetzt ist, ist es falsch. Das kann ich
nicht nachvollziehen. Ich habe in die jetzige Besetzung
jedenfalls mehr Vertrauen als in die alte.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Im Übrigen liegt auch mir die Liste, die Kollege
Lindner gerade vorgetragen hat, vor. Dies ist eine spannende
Liste. Sie ist ellenlang und enthält Handfeuerwaffen,
Munition, auch schwere Munition, also alles Mögliche,
was man im Inland sehr gut, wenn nicht sogar
besser als nach außen einsetzen kann.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Nein, die gestatte ich nicht. Herr Präsident, hier sitzt
eine Reihe von Kollegen, die abstimmen wollen. Dafür
habe ich viel Verständnis.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Widerspruch bei der SPD)
Wir diskutieren jetzt zum zweiten Mal über dieses
Thema, und die Argumente sind irgendwann ausgetauscht.
Ich weise noch einmal darauf hin: Unter Rot-Grün
gab es für 260 Millionen Euro Exporte an Saudi-Arabien.
Auch da gilt, was ich vorhin gesagt habe: Offenbar
kommt es weniger darauf an, was exportiert wird, sondern
von wem es exportiert wird.
(Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wohin!)
Ich finde, das ist für Sie hochblamabel.
Die Frage, ob Saudi-Arabien ein Bollwerk gegenüber
dem Iran ist, kann ich als einfacher Wirtschaftspolitiker
schwer beurteilen.
(Zurufe von der SPD: Ah!)
Ich setze an dieser Stelle auf die Beurteilung der Israelis;
über diesen Punkt sollte man nicht so hinweggehen, wie
es einige Kollegen getan haben. Gestatten Sie mir beim
Thema Wirtschaftspolitik folgenden Hinweis: In der
Rüstungsindustrie gab es einmal 280 000 Beschäftigte.
Mittlerweile gibt es noch 80 000 Mitarbeiter in diesem
Bereich. Ich weiß, man begibt sich bei diesem Thema
auf gefährliches Terrain und ist, insbesondere vonseiten
der Grünen – Frau Roth schüttelt an dieser Stelle schon
den Kopf –, sofort Verleumdung ausgesetzt.
(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es wird gesagt, es ginge hier nur um wirtschaftliche
Interessen. Weil ich den Eindruck verhindern möchte,
dass es nur uns um wirtschaftliche Interessen geht, gestatten
Sie mir, dass ich Aussagen des Kollegen Arnold
von der SPD aus 2010 zitiere. Er sprach 2010 von „Verantwortung
für die deutsche Rüstungsindustrie“. Dazu
kann ich nur Bravo sagen. Er sagte, dass wir „Hochtechnologie
und hochqualifizierte Ingenieure in Deutschland
halten“ wollen. Bravo, Herr Kollege Arnold. Es gehe um
„Fähigkeiten, die wir haben und die wir nicht verlieren
dürfen“. Auch das ist ein Zitat von Ihnen. Er sagte außerdem,
der „Erhalt nationaler Kernkompetenzen im Rüstungsbereich“
sei eine gesamtpolitische Aufgabe und im
Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland.
Auch wirtschaftspolitische Interessen sind also bei den
Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat wohl abgewogen
getroffen werden, zu berücksichtigen.
Wenn es um Menschenrechte und Frauenrechte geht,
kann man, wie ich glaube, besser mit einem Staat reden,
wenn man
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Panzer liefert?)
ihn nicht komplett ablehnt, sondern ihm auf Augenhöhe
begegnet
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der
LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und auch auf der Grundlage von Wirtschaftsbeziehungen
miteinander diskutieren kann.
Dass wir vielfältige Wirtschaftsbeziehungen zu
Saudi-Arabien haben, wissen Sie. Ich glaube, dass es bei
der Gesamtabwägung Sinn macht, dies bei der Entscheidung
im Bundessicherheitsrat zu berücksichtigen. Der
Bundessicherheitsrat wird unter dieser Regierung die
richtigen Entscheidungen treffen. In diesem Sinne: Eine
schöne Sommerpause!
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Zu zwei Kurzinterventionen erteile ich zunächst dem
Kollegen Ströbele und dann dem Kollegen Arnold das
Wort.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ströbele hat
mehr Redezeit als jeder Hauptredner! – Weitere
Zurufe von der CDU/CSU: Oh nein! Nicht
schon wieder Ströbele! – Muss das sein?)
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Nüßlein hat darauf hingewiesen – das
haben auch andere Redner getan, und auch in der Öffentlichkeit
wird das dauernd erwähnt –, dass die Sitzungen
des Bundessicherheitsrats geheim sind. Das stimmt; ich
habe die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates
hier.
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Sehr gut!)
Aber: Der Bundessicherheitsrat ist ein Ausschuss der
Bundesregierung. Der „Geheim“-Stempel, der an ihm
haftet, geht nicht auf einen göttlichen Befehl, sondern
auf einen Beschluss der Bundesregierung zurück. Selbstverständlich
kann die Bundesregierung, allen voran die
Bundeskanzlerin, den Grad der Geheimhaltung herunterstufen
und dem Deutschen Bundestag Auskunft erteilen.
Sie kann nicht nur, sie muss. Sie will nur nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Der Kollege Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen,
dass sich Saudi-Arabien immer wieder darum bemüht
hat, Panzerlieferungen aus Deutschland zu bekommen.
Er hat hinzugefügt, in 30 Jahren sei es nie zu solchen
Panzerlieferungen gekommen. Ich möchte den Kollegen
Nüßlein – er ist Mitglied der CSU, gehört also der Union
an – fragen, ob er bestätigen kann, dass im Jahr 1991,
also vor 20 Jahren, die damalige Bundesregierung
37 Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien geliefert hat, und
zwar zu einem Preis von 446 Millionen D-Mark, dass
220 Millionen D-Mark davon nützliche Aufwendungen
gewesen sind – nützliche Aufwendungen sind Schmiergelder
– und dass ein Teil dieser Schmiergelder an die
Union geflossen ist,
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN
– Widerspruch bei der CDU/CSU)
nämlich als der damalige Waffenlobbyist Schreiber an
der Schweizer Grenze 1 Million D-Mark in einem Koffer
an den damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler
Kiep übergeben hat? So sieht es aus!
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat doch
mit dieser Debatte überhaupt nichts mehr zu
tun!)
Insofern ist es dringend erforderlich, dass wir die Wahrheit
erfahren, Auskunft bekommen, kontrollieren und
der Frage nachgehen: Sind in diesem Fall wieder nützliche
Aufwendungen gezahlt worden?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Ich habe im Untersuchungsausschuss 1999 gelernt, dass Saudi-Arabien in der Regel auf die Zahlung solcher Schmiergelder besteht. Wenn jetzt 200 Panzer der Marke
Leo an Saudi-Arabien geliefert werden, drängt sich mir
der Verdacht auf, dass wieder nützliche Aufwendungen
gezahlt worden sind. Das muss dringend aufgeklärt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch
bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Arnold.
Rainer Arnold (SPD):
Herr Kollege Nüßlein, Sie haben mich zitiert. Ich
habe davon keinen Satz zurückzunehmen. Sozialdemokraten
bekennen sich nämlich zu ihrer Verantwortung für
die Hochtechnologie, auch im Rüstungsbereich. Ich
glaube sogar, wir sind mit diesem Thema viel besser,
verantwortungsvoller und sensibler umgegangen als Sie.
Zu dieser Verantwortung gehört auch, dass man sich an
die Exportrichtlinien hält. Dies tun Sie nicht.
Eigentlich habe ich mich zu Wort gemeldet, weil ich
auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen wollte.
Ich finde, die Beiträge von Herrn Dr. Lindner und Herrn
Dr. Nüßlein waren entlarvend. Sie reden davon, dass
sich die Politik verändert hat, und meinen damit Israel.
Schauen Sie einmal genau, was sich wirklich verändert
hat und ob sich bei Israel etwas verändert hat.
Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass Israel
vor wenigen Wochen sogar der Auffassung war, dass das
Jordantal für sie strategisch wichtig ist, weil sie einen
Angriff mit Panzern genau aus dieser Richtung befürchten?
Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das
Risiko, das Israel zu Recht beschreibt, nämlich die Gefahr
einer nuklearen Bedrohung aus dem Iran, eben nie
und nimmer durch Kampfpanzer einzudämmen ist?
Die Welt hat sich verändert; da haben Sie recht. Das
ist das Entlarvende: Zu dieser eigentlichen Veränderung
sagen Sie keinen Satz. Sie finden das, was sich in der
arabischen Welt mit den Hunderttausenden jungen Menschen
wirklich verändert hat, die für ihre Freiheitsrechte
auf die Straße gehen und gegen die Despoten ihr Leben
riskieren, in keiner Zeile erwähnenswert.
(Beifall des Abg. Burkhard Lischka [SPD])
In diesem Sinn bewegt sich diese Entscheidung der
Bundesregierung auf einer durchaus kontinuierlichen Linie,
nämlich auf der Linie von der Fehlentscheidung,
sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu enthalten,
bis hin zu Waffenlieferungen an einen Despoten, der
vor wenigen Wochen Waffen im Nachbarland eingesetzt
hat, um junge Menschen zu bedrohen und umzubringen.
Dies sind die Fakten. Wer diese Veränderungen nicht
sieht, der sendet die falschen Signale.
Dieses große Wirtschaftsland Deutschland hat eine
Kanzlerin, die bei einer solchen Debatte schweigend dasitzt,
anstatt klar zu sagen: Wir brauchen das Signal an
die arabische Welt. Wir stützen die jungen Menschen,
die für Freiheit kämpfen, und wir stützen nicht die Despoten.
Wenn dieses Signal fehlt, dann hat dieses Land
ein erhebliches außenpolitisches Problem.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Nüßlein.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Kollege Arnold, erstens bewundere
ich die hellseherischen Fähigkeiten, die hier etliche
Kolleginnen und Kollegen zu haben scheinen, sodass
sie, ohne zu wissen, wie die Entscheidung ausgeht, was
die Grundlage der Entscheidung ist und wie sie begründet
ist, schon sagen können, wer verantwortungsvoller
handelt und wo die Wahrnehmung der Verantwortung
besser aufgehoben ist.
Zweitens. Was Sie zu dem Thema Israel gesagt haben,
deckt sich mit dem, was ich gesagt habe. Im Übrigen haben
Sie ja hauptsächlich den Kollegen Lindner angesprochen.
Drittens. Kollege Ströbele, diese Verdächtigungen
sind abstrus, abscheulich und unglaublich.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig, das ist abscheulich!)
Ich finde es absolut unangemessen, dass Sie hier einen
Eindruck erwecken wollen, der haltlos ist und mit dem
Sie im Übrigen nicht nur eine Fraktion treffen, sondern
am Schluss wieder die gesamte politische Klasse beschädigen
werden. Ich bitte Sie, doch wenigstens das zu berücksichtigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/6528 mit dem Titel
„Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“. Wir
stimmen über den Antrag auf Verlangen der Fraktion Die
Linke nun namentlich ab.
An dieser Stelle will ich erwähnen, dass zu den drei
namentlichen Abstimmungen eine Reihe von schriftlichen
Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung
vorliegen.1) Auch über die beiden anderen Anträge wird,
wie schon bekannt gegeben, namentlich abgestimmt.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? – Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung.
Die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder
des Bundestages abgestimmt? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.2)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der SPD auf
Drucksache 17/6540 mit dem Titel
„Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die
Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“.
Auch von der Fraktion der SPD wurde namentliche Abstimmung
verlangt. Haben die Schriftführerinnen und
Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? – Das ist
offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentliche
Abstimmung.
Haben alle Abgeordneten abgestimmt? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann schließe ich die zweite Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.3)
Wir kommen zur dritten namentlichen Abstimmung
über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf
Drucksache 17/6529 mit dem Titel „Keine Genehmigung
zur Lieferung von Kriegswaffen an Saudi-Arabien“.
Über diesen Antrag stimmen wir ebenfalls namentlich
ab. Haben die Schriftführerinnen und
Schriftführer ihre Plätze wieder eingenommen? – Das ist
offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die dritte und
letzte namentliche Abstimmung.
Wenn ich es richtig sehe, haben alle Kolleginnen und
Kollegen abgestimmt. – Es gibt keinen Widerspruch.
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen.4) Die Ergebnisse aller drei namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.
(...)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bevor wir mit der Debatte fortfahren, kommen wir zu
den namentlichen Abstimmungen zurück. Ich gebe Ihnen
die von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
bekannt.
Ich gebe Ihnen zuerst das Ergebnis zum Antrag der
Fraktion Die Linke „Keine Panzer an Saudi-Arabien verkaufen“
auf Drucksache 17/6528 bekannt: abgegebene
Stimmen 543. Mit Ja haben gestimmt 135 Kolleginnen
und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 301 Kolleginnen
und Kollegen. Es gab 107 Enthaltungen. Damit ist
dieser Antrag abgelehnt.
Wir kommen zum Antrag der Fraktion der SPD
„Keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete – Für die
Einhaltung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik“ auf
Drucksache 17/6540: abgegebene Stimmen 544. Mit Ja
haben gestimmt 246 Kolleginnen und Kollegen, mit
Nein haben gestimmt 298 Kolleginnen und Kollegen. Es
gab keine Enthaltung. Der Antrag ist ebenfalls abgelehnt.
Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
„Keine Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen
an Saudi-Arabien“ auf Drucksache 17/6529: abgegebene
Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 243 Kolleginnen
und Kollegen, mit Nein 297 Kolleginnen und Kollegen.
Es gab zwei Enthaltungen. Auch dieser Antrag ist abgelehnt.
[Das genaue Ergebnis der Abstimmungen mit allen Namen befindet sich im Protokoll auf den Seiten 14326-14332]
Quelle: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 121. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Juli 2011, Plenarprotokoll 17/121, S. 14303-14332; Internet: www.bundestag.de [externer Link].
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