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Westerwelle: "Wir werden uns unverändert als Verteidigungsbündnis verstehen" / Lötzsch: "Wir als Linke sind der Auffassung, dass sich die NATO nicht reformieren lässt"

Die Bundestagsdebatte über das neue Strategische Konzept der NATO


Das geplante neue strategische Konzept der Nato, das am 19. und 20. November auf dem Gipfel in Lissabon verabschiedet werden soll, war am Donnerstag, 11. November 2010, Thema im Bundestag. Anderthalb Stunden lang haben die Abgeordneten über die Neuausrichtung der North Atlantic Treaty Organization, der Nordatlantischen Vertragsorganisation, debattiert. Zur Debatte haben die SPD (17/3677), Die Linke (17/3678 und 17/3679) und Bündnis 90/Die Grünen (17/3680 und 17/3681) jeweils eigene Entschließungsanträge vorgelegt - die aber allesamt von der Regierungsmehrheit abgelehnt wurden.

Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte nach dem vorläufigen Protokoll des Bundestags in der Reihenfolge der Redner/innen:



Vorläufiges Protokoll der 71. Sitzung vom 11. November 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Vereinbarte Debatte
zum neuen Strategischen Konzept der NATO

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie je zwei Entschließungsanträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich und damit so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:



Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahrzehnten garantiert die NATO unsere gemeinsame Sicherheit. Auch diejenigen, die gerne gegen die NATO demonstrieren - das ist ihr gutes Recht -, dürfen nicht vergessen: Es ist auch das Ergebnis unserer erfolgreichen Sicherheitspolitik und des Bündnisses der NATO, dass sie diese Demonstrationsfreiheit wahrnehmen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In der nächsten Woche werden wir in den Beratungen über das Strategische Konzept den Kurs festlegen. Ich möchte mich zu Beginn meiner Ausführungen beim NATO-Generalsekretär, Anders Fogh Rasmussen, bedanken. Ich möchte mich bei Madeleine Albright und ihrem Expertenteam ausdrücklich für die wichtige Vorarbeit bedanken. Unser Eindruck ist - natürlich immer vorbehaltlich der Entscheidungen in der nächsten Woche in Lissabon -: Das, was vorgelegt worden ist, bildet eine sehr gute Grundlage für die weiteren Beratungen. Es berücksichtigt unser Sicherheitsinteresse. Es macht aber auch klar, dass wir eine Wertegemeinschaft sind: Die NATO ist nicht zuerst ein Militärbündnis, sondern eine transatlantische Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will zu wenigen Punkten im Einzelnen Stellung nehmen, ohne die Ergebnisse der Beratungen vorwegnehmen zu wollen. Es handelt sich heute um eine Debatte im Vorgriff. Die Debatte ist verbunden mit dem Auftrag an uns - diejenigen, die in der nächsten Woche verhandeln werden -, für die richtige Richtung der Politik zu sorgen. Wir, die Bundesregierung, verfolgen beim Strategischen Konzept der NATO mehrere Ziele, die wir in die Verhandlungen einbringen wollen. Ein entscheidendes Ziel ist, dass sich die NATO auch den Themen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle verschreibt. Wir haben im Frühjahr, bei den Beratungen im April, eine ganze Reihe von Verbündeten dafür gewinnen können. Wir alle wissen, dass die Umsetzung der Vision des Präsidenten Obama von einer nuklearwaffenfreien Welt natürlich ein sehr langfristiges Ziel ist; aber es ist ein vernünftiges Ziel. Wir wollen Schritte in diese Richtung unterstützen. Deswegen ist eine reduzierte Rolle von Nuklearwaffen zu Recht Teil der Strategie, die wir als Bundesregierung unterstützen wollen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit der Debatte in der nächsten Woche in Lissabon wollen wir die Diskussion nicht beenden. Sie muss natürlich fortgesetzt werden. Die Debatte über Abrüstung und Rüstungskontrolle ist nicht beendet, sondern wird in einem Folgeprozess fortgesetzt, der uns dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen näherbringen soll. Fortschritte sind unverkennbar. Ich denke nicht nur an den Nuclear Posture Review der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern ausdrücklich auch an die Konferenz zur Überprüfung des Vertrages über die Nichtverbreitung nuklearer Waffen in diesem Jahr in New York. Sie ist dieses Mal, anders als vor fünf Jahren, nicht gescheitert, sondern es wurde ein gemeinsames Ergebnis vereinbart. Es ist richtig, dass sich die NATO als Sicherheitsbündnis und als politische Werteunion versteht und sich daher der Abrüstung verschrieben hat. Abrüstung und die Nichtverbreitung nuklearer Waffen sind zwei Seiten derselben Medaille. Beides gehört zusammen. Es gibt neue Herausforderungen und neue Gefahren in unserer Zeit. Je mehr Staaten sich atomar bewaffnen können, umso größer ist die Gefahr, dass terroristische Gruppen darauf Zugriff haben. Genau das gilt es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unserer Länder durch vorausschauendes und kluges Agieren zu verhindern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Natürlich ist es notwendig, auch die taktischen Atomwaffen in diese Diskussion einzubeziehen. Wir halten am Ziel des Abzugs fest. Wir sehen darin aber vor allem einen Katalysator für ein sehr breites Ergebnis. In das Thema Abrüstung ist Bewegung gekommen. Ich denke beispielsweise an den neuen START-Vertrag. Wir setzen darauf, dass dieser START-Vertrag auch mit neuen Mehrheitsverhältnissen ratifiziert wird, damit er zur Geltung kommen kann.

Zu einem weiteren bemerkenswerten, wie ich finde, geradezu historischen Vorgang: Das Programm zur Raketenabwehr, das von Präsident Bush angeregt und begonnen worden ist, hat mittlerweile eine völlig neue Richtung bekommen. Während das Projekt Raketenabwehr ursprünglich von den USA mit ein, zwei Verbündeten in Europa durchgeführt werden sollte, ist es mittlerweile ein Projekt, das im gesamten Bündnis angegangen wird. Was besonders wichtig ist: Russland wird eingeladen, bei dem Projekt Raketenabwehr mitzuwirken. Wir wollen nicht, dass es in Europa Zonen mit einem unterschiedlichen Sicherheitsgrad gibt. Wir wollen in Europa beim Thema Sicherheit keine Trennlinien, sondern Gemeinsamkeit. Dass Präsident Medwedew angekündigt hat, zum NATO-Gipfel nach Lissabon zu reisen, ist eine große Geste. Wir wollen mit Russland unsere Sicherheit verbessern und nicht in Konfrontation zu Russland. Das ist die klare Ansage des Bündnisses.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, wir alle müssen anerkennen, dass auf diesem Gebiet eine enorme Bewegung stattgefunden hat. Wenn man sich vor Augen führt, worüber vor 20, 30 Jahren noch diskutiert worden ist, und sieht, dass Russland jetzt von der NATO eingeladen wird, bei Themen der Raketenabwehr und der Sicherheit mitzumachen, und Russland sich nicht verweigert, sondern sagt: ?Wir sehen uns das an, prüfen das und überlegen, welche Möglichkeiten wir haben?, dann müssen wir feststellen: Das ist eine historische Entwicklung, die wir nicht mal eben so durchwinken sollten. Darüber sollten wir uns freuen. Das ist die Friedensdividende langjähriger, jahrzehntelanger Bemühungen vieler Vertreterinnen und Vertreter der Politik in vielen Ländern, übrigens von Vertretern aller geistigen Richtungen in der Politik.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben über dieses Thema unter anderem bei den Gesprächen im NATO-Russland-Rat, der neu belebt worden ist, debattiert. Das sind gute und vernünftige Schritte.

Zum Schluss möchte ich die grundsätzliche Ausrichtung noch einmal klarmachen: Wir werden uns unverändert als Verteidigungsbündnis verstehen. Das heißt, Art. 5 des Nordatlantikvertrages - das sagen wir ganz klar insbesondere an die Adresse der sogenannten osteuropäischen Mitgliedstaaten - steht für uns außerhalb jeder Debatte und jeder Diskussion. Wir kennen die neuen Herausforderungen, die zum Beispiel Computerattacken darstellen. Wir wissen aber auch, dass es andere Mechanismen gibt als die in Art. 5 des Nordatlantikvertrages genannten, zum Beispiel die, die in Art. 4 des Nordatlantikvertrages erwähnt werden: Konsultationsmechanismen und Beratungen, die stattfinden müssen. Auch das muss man sehen. Deshalb bleibt die strenge Bindung an das Völkerrecht unser Kompass.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie das einmal Ihrem Verteidigungsminister!)

Wir haben zwei Leitlinien: Wir wollen die internationale Verantwortung wahrnehmen. Gleichzeitig werden wir aber auch die Politik der militärischen Zurückhaltung fortsetzen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! Da haben Sie aber einen Konflikt mit zu Guttenberg!)

Das ist eine klare Ansage für die Bundesregierung insgesamt. Alle anderen Unterstellungen sind abwegig. Wir werden unsere internationale Verantwortung wahrnehmen, aber es bleibt bei der Kultur der militärischen Zurückhaltung.

(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

- Lassen Sie solche Unterstellungen. Wenn Sie etwas anderes von uns behaupten, sind das Diffamierungen, die mit der Realität nichts zu tun haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Deutsche Bundestag wird den Einsatz unserer Bundeswehr im Blick haben. Ich kann Ihnen für die Bundesregierung noch einmal versichern: Für uns ist eine klare Maßgabe, ein klarer Kompass: Die Bundeswehr ist keine Regierungsarmee, sie ist auch keine Armee von irgendwelchen Parteien oder parteipolitischen Mehrheiten. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Auch das ist unser Kompass bei den Verhandlungen im Bündnis.

Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Gernot Erler ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinen Beitrag muss ich leider mit einer Unmutsäußerung beginnen. Ich finde es nicht angemessen, dass wir acht Tage vor dem NATO-Gipfel, auf dem das neue Strategische Konzept beschlossen werden soll, hier im Deutschen Bundestag diskutieren, ohne den Wortlaut des Textentwurfs zu kennen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehr Offenheit und Transparenz hätten der Diskussion und damit auch dem Bündnis mehr genutzt als geschadet.

Nach 1991 und 1999 versucht die NATO zum dritten Mal in 20 Jahren, sich an neue Rahmenbedingungen und Herausforderungen anzupassen. Es gibt einige internationale Entwicklungen, die uns Sorge machen. Aber es ist auch nicht zu übersehen, dass gerade in den letzten zwei Jahren viel passiert ist, was eine besondere Gunstsituation geschaffen hat.

Im Jahr 2007 sah das alles noch ganz anders aus. Ich entsinne mich noch gut an die berühmte Wutrede des damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin am 10. Februar auf der Münchener Sicherheitskonferenz, an seine Ankündigung, Russland werde eine weitere Ausnutzung seiner vermeintlichen Schwäche durch den Westen nicht mehr hinnehmen und dabei jede Konfliktscheu ablegen. Auf diese Worte folgten Taten: Spannungen mit den baltischen Staaten, mit Großbritannien, Widerstand gegen die US-Pläne zur Stationierung von Raketenabwehr in Polen und der Tschechischen Republik, das Moratorium beim KSE-Vertrag, Versuche, eine dritte Erweiterungsrunde der NATO mit Georgien und der Ukraine zu verhindern. Und schließlich führte der Kaukasuskrieg im August 2008 Moskau in die politische Isolierung.

Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich die Situation vollständig verändert. Die russische Regierung fühlt sich von Präsident Obama als ebenbürtig akzeptiert. Die Missile-Defense-Pläne wurden auf Eis gelegt, die nächste NATO-Erweiterung wurde vorerst von der Tagesordnung genommen. Mit seiner Prager Rede vom 5. April 2009 bekannte sich der neue amerikanische Präsident zum Ziel einer Welt ohne Atomwaffen und öffnete damit die Tür - auch der Außenminister hat es hier gerade vorgetragen - für das START-Nachfolgeabkommen zur Reduzierung strategischer Nuklearwaffen mit Russland und für einen Erfolg der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York im Mai dieses Jahres.

Die am 6. April beschlossene neue US-Nuklearstrategie schließt einen Einsatz von Nuklearwaffen gegen Nichtnuklearstaaten aus, wenn sich diese an den Nichtverbreitungsvertrag halten, und reduziert damit im Vergleich zu früher eindeutig die Rolle von Atomwaffen in der amerikanischen Sicherheitsdoktrin.

Alle diese Schritte haben große Erwartungen und Hoffnungen geweckt, dass der erfolgreiche Neuanfang mit Russland - auch ?Reset? genannt - den Weg zu einer echten globalen Sicherheitspartnerschaft mit Moskau öffnet und dass der neue START-Abrüstungsvertrag nicht nur hoffentlich bald ratifiziert und umgesetzt wird, sondern dass ihm weitere Abrüstungsschritte auch im konventionellen Bereich folgen.

(Beifall bei der SPD)

Besser und prominenter kann man diese Erwartungen nicht zum Ausdruck bringen, als dies 34 Elder Statesmen Europas in ihrer Erklärung vom 27. September dieses Jahres - von deutscher Seite mit Unterschriften von Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr - getan haben. Die SPD-Fraktion macht sich diese überparteiliche Position zu eigen und unterstützt die dort formulierten Vorschläge und Erwartungen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass die neue NATO-Strategie dieser Gunstsituation Rechnung trägt, dass sie das Momentum bei der Abrüstung aufnimmt und verstärkt und dass sie die konstruktiven Ansätze im Verhältnis zu Russland als Chance erkennt und ausbaut. Was heißt das konkret? Wir wollen, dass sich auch die NATO zu einer Eingrenzung der Rolle von Nuklearwaffen bekennt und nicht der neuen Einsatzdoktrin hinterherhinkt, die im April dieses Jahres in Washington beschlossen worden ist. Wir können für die taktischen Atomwaffen, die noch heute in fünf Ländern auf dem europäischen Kontinent - Deutschland inklusive - stationiert sind, keine plausible Funktion mehr erkennen. Wir wollen, dass diese vollständig abgezogen werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Außenminister, wir haben bei Ihren Ankündigungen gehört, dass auch Sie das für ein prioritäres Ziel halten. Sie haben aber auch diese Debatte leider wieder nicht genutzt, um uns konkret zu sagen, welche Anstrengungen Sie bisher unternommen haben und welche Erfolgsaussichten diese haben. Sie haben hier nur ein enttäuschendes allgemeines Statement von sich gegeben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen weiter, dass sich die NATO zu einer intensiven Sicherheitspartnerschaft mit Russland bekennt und den Dialog mit Moskau ausbaut und erweitert. Dazu gehört eine andere Nutzung des NATO-Russland-Rates. Herr Westerwelle, ich bin mit dem, was da bisher passiert ist, nicht einverstanden. Die Möglichkeiten werden bei weitem nicht ausgeschöpft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es kann doch nicht sein, dass der NATO-Russland-Rat ausgerechnet in einer Krisensituation wie im August 2008 außer Betrieb gesetzt wird, also dann, wenn man den Dialog am ehesten gebraucht hätte.

(Zurufe von der FDP: Wer war denn da an der Regierung?)

Damit wurde nebenbei auch noch der fatale Eindruck erweckt, der NATO-Russland-Rat sei eine Art Gunsterweisung, die bei Fehlverhalten des Partners beliebig entzogen werden kann. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Wir haben ein klares Interesse an einem nachhaltigen Funktionieren dieses politischen Scharniers und dieser Dialogplattform. Dazu sollte in der neuen Strategie der NATO etwas Konkretes stehen.

Schließlich kann es nicht dabei bleiben, dass die Frage einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur, zu der Präsident Medwedew vor zwei Jahren konkrete Vorschläge vorgelegt hat, lediglich in irgendwelchen Arbeitsgruppen des sogenannten Korfu-Prozesses erörtert wird. Es wäre wichtig, dass in dem neuen Strategischen Konzept die Bereitschaft, mit der russischen Führung in einen verbindlichen Dialog zu diesem Thema einzutreten, erkennbar wird, ein Dialog im Geiste des Helsinki-Prozesses, ergebnisoffen und ohne Vorfestlegung auf ein bestimmtes Vertragsergebnis.

Nur wenn die neue NATO-Strategie diese besondere Gunstsituation tatsächlich nutzt und konkrete Fortschritte in den beiden Bereichen macht, die ich exemplarisch herausgehoben habe - Abrüstung und Verhältnis zu Russland -, wird das Bündnis gestärkt von dem Gipfel in Lissabon zurückkehren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Internationaler Terrorismus und organisierte Kriminalität sowie Instabilität, die von scheiternden Staaten ausgeht, bedrohen die gesamte zivilisierte Welt.

(Zuruf von der SPD: Oh! Jetzt kommt der wieder mit der Leier!)

Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Raketen hat unmittelbare Konsequenzen für unsere Sicherheit. Die Folgen des Klimawandels können zu Konflikten um natürliche Ressourcen oder Siedlungsräume und zu großen Migrationsströmen mit sicherheitspolitischen Auswirkungen für uns führen. Cyberattacken und mögliche Angriffe auf Handelsrouten und unsere Energieversorgung sind neue Dimensionen der konkreten Bedrohungen für unser Land.

(Uta Zapf (SPD): Dass das als erster Punkt kommt, Herr Schockenhoff, ist peinlich!)

Kurz gesagt: Wir stehen neuen, durch Asymmetrien geprägten Herausforderungen gegenüber. Die NATO hat vor elf Jahren ihre letzte Strategie verabschiedet. Seither hat sich das Bündnis fast verdoppelt; es hat nun 28 Mitgliedstaaten. Die NATO braucht also neue Klarheit über ihre Ziele und die sich daraus ableitenden Aufgaben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wie unterschiedlich die Vorstellungen hinsichtlich Sinn und Zweck der Allianz unter den Mitgliedstaaten sind, wurde zuletzt während der zehnmonatigen Beratungen in der Expertenkommission von Madeleine Albright deutlich. Das neue Strategische Konzept der NATO muss deshalb die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der Allianz auf einen aktuellen Nenner bringen, also einen neuen strategischen Konsens der 28 Staaten begründen.

Es gilt, die Frage zu beantworten, wie das Bündnis vor dem Hintergrund der beschriebenen Aufgaben seine Kernaufgabe, unsere Sicherheit und den Schutz des Territoriums, der Bevölkerung und der vitalen Interessen der Bündnispartner zu gewährleisten, in Zukunft erfüllen kann.

Herr Erler, es ist für uns Parlamentarier zweifellos unbefriedigend, wenn es um die öffentliche Befassung mit einem Dokument geht, das einer Geheimeinstufung unterliegt. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass es im Zuge der Erarbeitung des Albright-Berichts eine bislang noch nicht dagewesene öffentliche Diskussion über die künftige Ausrichtung der Allianz gegeben hat. Deshalb ist es richtig, dass wir uns auch im Deutschen Bundestag mit der Frage befassen, warum die NATO ein neues strategisches Konzept benötigt.

Die Bundesregierung, die sich im Übrigen nicht über die Einstufung durch den NATO-Generalsekretär hinwegsetzen kann, hat zumindest dafür gesorgt, dass die Fachpolitiker der einzelnen Fraktionen Einsicht in den aktuellen Entwurf nehmen konnten,

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Oh! Wie großzügig!)

der von den Staats- und Regierungschefs in der nächsten Woche beim Gipfel in Lissabon verabschiedet wird.

(Uta Zapf (SPD): Nein! Nur die Obleute durften das, nicht die Fachpolitiker! Ich bin auch Fachpolitikerin!)

- Nein. Die Einstufung ist doch nicht durch die Bundesregierung, sondern durch den NATO-Generalsekretär erfolgt; man muss die Fakten einmal benennen. Ich halte es trotzdem für unbefriedigend, dass wir diese Diskussion so zu führen hatten.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das macht die Sache aber nicht besser!)

Meine Damen und Herren, die NATO bleibt ein transatlantisches, also regionales Bündnis, das sich allerdings mit den genannten neuen Risiken und Bedrohungen einer globalisierten Welt konfrontiert sieht. Die gemeinsame Verteidigung der 900 Millionen Bürger im Bündnisgebiet gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages bleibt ebenso Kern des Bündnisses wie das Prinzip der kollektiven Sicherheit.

Landesverteidigung heißt künftig aber primär Bündnisverteidigung jenseits der äußeren Grenzen des NATO-Gebietes. Denn Bündnissicherheit bedeutet heute mehr als die Abwehr eines Angriffs mit konventionellen militärischen Mitteln. Es kommt deshalb künftig vor allem darauf an, die Entwicklungen in geografisch weiter entfernten Regionen zu beobachten, zu analysieren und dann zu handeln, wenn unsere Sicherheit berührt wird. Dabei bleibt ein zugrundeliegendes Mandat des VN-Sicherheitsrates zentral.

Für die Allianz bedeutet Art. 4 des NATO-Vertrages die Grundlage für die notwendigen intensiven Konsultationen innerhalb des Bündnisses zur Bewältigung und Verhinderung von Krisen. Bei einer unkonventionellen Gefahr, beispielsweise der fortgeschrittenen Planung eines Terrorangriffs, muss der NATO-Rat aber im Einzelfall entscheiden, ob ein Fall der kollektiven Verteidigung gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages vorliegt.

Internationale Konfliktverhütung und -bewältigung bleiben auf absehbare Zeit die wahrscheinlichsten Aufgaben der Bundeswehr. Es ist daher richtig, dass die von Verteidigungsminister zu Guttenberg angestoßene Neuausrichtung der Bundeswehr der Bündnisfähigkeit zentrale Bedeutung beimisst und die Zahl der für den Einsatz im Rahmen multinationaler krisenbewältigender Maßnahmen zur Verfügung stehenden Kräfte erhöht wird.

Unser Einsatz in Afghanistan hat zudem gelehrt, dass die NATO auf die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der EU und anderen zivilen Organisationen angewiesen ist. Zur Krisenprävention und Konfliktbewältigung ist ein umfassender vernetzter Ansatz erforderlich, der neben militärischen Mitteln vorrangig zivile, also politische, diplomatische, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Mittel einschließt. In Afghanistan haben wir mit unserem Konzept der zivil-militärischen Wiederaufbauteams, den sogenannten PRTs, ein Beispiel hierfür gegeben. Dieser Ansatz wird von der NATO und ihren Mitgliedstaaten heute insgesamt akzeptiert.

Im Rahmen des neuen Strategischen Konzepts muss der Beitrag der NATO zu diesem Comprehensive Approach weiterentwickelt und der vernetzte Ansatz als Prinzip des Krisenmanagements vorgesehen werden. Der neue Ansatz muss sein, von Beginn einer Operation an so weit wie möglich eine ressortübergreifende Konfliktbewältigung sicherzustellen. Zudem müssen andere relevante Organisationen, insbesondere die EU, mit ihrem umfassenden zivilen Instrumentarium frühestmöglich einbezogen werden. Schon mit Blick auf die Ressourcen ist größtmögliche Komplementarität und Arbeitsteilung mit anderen internationalen Akteuren geboten.

Meine Damen und Herren, in dem neuen Strategischen Konzept ist der Aufbau einer wirksamen Raketenabwehr vorgesehen. Dies hält die CDU/CSU-Fraktion für richtig; denn wir benötigen neue Instrumente, um einen effektiven Schutz vor der realen Bedrohung durch Atomwaffen in den Händen von Risikostaaten, wie Iran oder Nordkorea, gewährleisten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Diese Länder lassen sich vielleicht in Zukunft nicht mehr abschrecken. Somit gilt die Maxime von Präsident Obama, dass die NATO so lange zur Abschreckung bereit und in der Lage sein muss, wie es Atomwaffen in dieser Welt gibt.

(Uta Zapf (SPD): Sie haben doch gerade gesagt, sie lassen sich nicht abschrecken! Wo ist da die Logik?)

Im Umkehrschluss gilt aber auch, dass sich die NATO der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen verschreiben wird und sie das Prinzip anerkennen muss, dass sie den Staaten, die keine Nuklearwaffen haben und die dem Nichtverbreitungsvertrag beigetreten sind und den entsprechenden Verpflichtungen nachkommen, niemals mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen wird.

Zweifellos muss im neuen Strategischen Konzept aber die größtmögliche Reduzierung der weltweit vorhandenen nuklearen Arsenale als gemeinsames Ziel der Allianz festgeschrieben werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP))

Konkret bedeutet dies zum Beispiel, in künftigen Abrüstungsrunden mit Russland die substrategischen Nuklearwaffen einzubeziehen.

Herr Erler, Sie haben dem Außenminister vorgeworfen, er habe hier nur vage gesprochen. Er hat genau das gesagt: In künftigen Abrüstungsrunden mit Russland müssen die substrategischen Nuklearwaffen einbezogen werden. - Das ist sehr konkret. Das ist ein Ziel, das wir in der NATO insgesamt erreichen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie geben auch noch zu, dass Sie ihn ausgebremst haben! Das ist aber nicht schön zwischen Koalitionspartnern!)

Durch den Aufbau einer effektiven Raketenabwehr könnte die Bedeutung von Nuklearwaffen drastisch verringert und somit ein wesentlicher Beitrag zur weltweiten Abrüstung geliefert werden. Auch das ist nicht vage, sondern sehr konkret.

Sicherheit in und für Europa lässt sich nur mit und nicht gegen Russland erreichen. Deswegen haben wir, so glaube ich, in diesem Hause gemeinsam jedes Interesse an einer möglichst intensiven Zusammenarbeit mit Russland, etwa bei der Rüstungskontrolle, in Bezug auf die nukleare Nichtverbreitung, beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus und hinsichtlich eines gemeinsamen Krisenmanagements.

(Beifall des Abg. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP))

Herr Erler, Sie können ja kritisieren, dass der NATO-Russland-Mechanismus im Jahre 2008 ausgesetzt wurde. Ich gebe sogar zu, dass auch ich das aus heutiger Sicht für einen Fehler halte. Dass Sie das aber dem Außenminister Westerwelle vorwerfen, obwohl zu diesem Zeitpunkt der federführende Außenminister Steinmeier und nicht Westerwelle hieß, ist nun wirklich daneben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Uta Zapf (SPD): Das hat er gar nicht Westerwelle vorgeworfen! So ein Schmarren! Richtig zuhören!)

Dadurch zeigen Sie, dass es Ihnen nicht darum geht, dies zu kritisieren. Das ist wirklich zu billig. Sie sollten das nachher vielleicht korrigieren.

(Uta Zapf (SPD): Das hat er nicht gemacht! Lesen Sie es einfach nach!)

Wenn Sie den Außenminister kritisieren, dann fügen Sie hinzu, dass im Jahr 2008 nicht Herr Westerwelle, sondern Ihr Fraktionsvorsitzender Steinmeier der deutsche Außenminister und der in dieser Sache federführende Minister der Bundesregierung war.

(Beifall bei der FDP - Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Er war aber auch dagegen!)

Ich begrüße es sehr, dass Russland zusammen mit den USA einen wichtigen Beitrag zur Drogenbekämpfung in Afghanistan geleistet hat, und ich hoffe, dass die von Präsident Medwedew in Aussicht gestellte Mitwirkung an der gemeinsamen Raketenabwehr Realität wird und zu einer konkreten Zusammenarbeit im gemeinsamen Sicherheitsinteresse führt.

Meine Damen und Herren, auch nach dem NATO-Gipfel von Lissabon werden wir die Reform und die Transformation der NATO parlamentarisch begleiten. Wenn die NATO im Zeitalter globaler Bedrohungen mithilfe des neuen Strategischen Konzepts den strategischen Konsens innerhalb der Allianz erneuert und wenn sich die 28 Mitgliedstaaten in Lissabon auf gemeinsame Ziele und Instrumente zur Aufrechterhaltung der Bündnissicherheit in einer globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts einigen können, dann ist ein erster Schritt gelungen. Die weiteren Schritte werden wir intensiv begleiten.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):



Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Herr Bundestagspräsident Lammert, haben in der vergangenen Woche die Bundesregierung wegen der Missachtung des Deutschen Bundestages kritisiert, und ich finde, zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ja, es ist ein Skandal, wie die Atomlobby die Regierung über den Tisch gezogen hat und wie dann die Regierung das Parlament über den Tisch zog.

(Birgit Homburger (FDP): Was hat das mit der NATO zu tun?)

Das Gleiche erleben wir mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO und der Rüstungslobby. Genau das ist der Zusammenhang, Frau Kollegin Homburger.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Endlich sagt es mal einer!)

Das NATO-Konzept wird als geheime Verschlusssache behandelt. Wir als Volksvertreter sollen über ein Konzept beraten, das die meisten in diesem Saal gar nicht kennen. Nun könnte die Regierung sagen: Sie, meine Damen und Herren, müssen es auch nicht kennen; Sie brauchen auch nicht zu entscheiden. - Das ist, finde ich, der zweite Skandal.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Schon wieder! Ein Skandal nach dem anderen!)

Die Bundeswehr als Parlamentsarmee wird direkt in das neue NATO-Konzept einbezogen, und das Parlament soll das nicht entscheiden dürfen. Was hat das noch mit Demokratie zu tun?

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Dass Sie es nicht verstehen, ist mir schon klar!)

In dem Konzept, das den meisten nicht vorgelegt wurde, muss es nach Ansicht der Linken darum gehen, wann endlich die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir fordern den sofortigen Abzug dieser Atomwaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir nicht darüber entscheiden dürfen, dann ist das eine unglaubliche Bevormundung des Deutschen Bundestages. Das dürfen sich selbstbewusste Abgeordnete aus allen Fraktionen nicht bieten lassen.

(Beifall bei der LINKEN - Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Davon gibt es aber da drüben nicht so viele!)

Auch die Menschen, die durch die NATO geschützt werden sollen, werden nicht über das Strategische Konzept informiert und haben kein Mitspracherecht, wenn es um ihre eigene Sicherheit geht. Stellen Sie sich vor, ein Autoverkäufer würde auf die Frage eines Kunden nach der Sicherheit des Autos antworten: Das geht Sie gar nichts an. - Aus dem Geschäft würde wohl kaum etwas werden. Man muss den Eindruck haben, dass jeder Autoverkäufer dieser Republik mehr Verstand hat als die Sicherheitsexperten in dieser Regierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Autoverkäufer wissen, dass ein gutes Sicherheitskonzept eines der wichtigsten Verkaufsargumente ist.

Wenn die Bundesregierung nun der Meinung ist, dass sie dieses Konzept nicht öffentlich vorzulegen hat, dann scheint es dafür zwei Gründe zu geben: Erstens scheint die Regierung der Auffassung zu sein, dass Sicherheitspolitik außerhalb der demokratischen Verfahren steht. Dem stellen wir uns entgegen.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Wie macht sie das?)

Zweitens kann die Regierung der Auffassung sein, dass das NATO-Sicherheitskonzept nichts taugt.

(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Genau! Wahrscheinlich beides!)

Wir als Linke wollen, dass alle Menschen ein angstfreies Leben führen können. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn das die wichtigste Prämisse von Sicherheitspolitik ist, dann müssen wir uns fragen, ob die NATO bisher ein angstfreies Leben garantieren konnte. Die Antwort ist eindeutig Nein.

(Beifall bei der LINKEN)

Der ewige Krieg gegen die Menschen in Afghanistan hat eine ganze Region destabilisiert und unzählige Opfer gefordert. Es ist bis zum heutigen Tag nicht klar, wie die NATO aus diesem Krieg wieder herauskommen will. Darum fordern wir auch hier und heute wieder den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt, und die Bundeswehr ist auch nicht die größte Friedensbewegung, wie es einst der damalige Verteidigungsminister Struck behauptet hat.

Wir müssen feststellen, dass mit dem Kampf gegen den Terror die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer geworden ist. Die NATO hat einen beträchtlichen Anteil daran, dass der Terror jetzt nach Europa kommt. Das ist eindeutig das Ergebnis einer falschen Politik. Wir haben immer gesagt, dass man Terror nicht mit Krieg bekämpfen kann, im Gegenteil: Es entsteht neuer Terror.

(Beifall bei der LINKEN)

In dieser Situation gibt uns die Bundesregierung und insbesondere Herr Minister de Maizière den guten Rat, wachsam zu sein. Ist das alles, was die Bundesregierung sicherheitspolitisch zu bieten hat? Die NATO und mehrere Bundesregierungen haben uns die Suppe eingebrockt, und jetzt sollen die Menschen diese Suppe auslöffeln. Das ist doch wirklich eine Zumutung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen uns fragen, ob diese Organisation, die für den Tod von unzähligen Zivilisten die Verantwortung trägt und das Leben von Millionen Menschen unsicherer gemacht hat, in der Lage ist, in Zukunft für unsere Sicherheit zu sorgen.

Wir als Linke sind der Auffassung, dass sich die NATO nicht reformieren lässt. Sie ist nicht in der Lage, auf die Fragen der Gegenwart und der Zukunft die richtigen Antworten zu geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, im Augenblick erleben wir einen bedrohlichen Währungs- und Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa. Die USA befinden sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise und haben kein ökonomisches Konzept. Was geschähe denn, wenn die USA versuchen wollten, ihren ökonomischen Niedergang mit militärischen Mitteln zu stoppen? Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein.

(Lachen bei der FDP)

Wir erleben die Zunahme von Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht vor Hunger, Wassermangel, Überschwemmung und Bodenerosionen. Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein. Was können wir mit einem Raketenschutzschirm über Europa anfangen, wenn die Bomben mit der Luftpost kommen? Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein.

Ich halte fest, dass die NATO mit den Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts komplett überfordert ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie gaukelt Sicherheit vor, bringt aber immer mehr Unsicherheit nach Europa.

Wenn nun der Kollege Verteidigungsminister zu Guttenberg sich hinstellt und erklärt, die NATO und die Bundeswehr sollen in Zukunft die Handelswege und die Rohstoffquellen sichern, steht er mit dieser Position nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Ihn scheint das nicht zu stören, uns stört es schon.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir sollten uns über eines im Klaren sein: Wenn es um den Welthandel geht, sind die wirklichen Bedrohungen doch ganz andere. China, Deutschland und Japan stehen als Exportstaaten international unter Kritik. Immer mehr Staaten wollen sich nicht länger mit den unausgeglichenen Handelsbilanzen abfinden. Die Kanzlerin hat vor dem G-20-Gipfel erklärt, dass sich die anderen Staaten mehr anstrengen müssen, um mehr exportieren zu können. Das ist ökonomischer Unsinn; das weiß doch jedes Kind. Wenn alle Staaten nur noch auf Export setzen würden, dann bräche der internationale Handel zusammen. Wenn wir also unsere Handelspolitik nicht freiwillig ändern, dann werden die anderen Staaten mit Protektionismus antworten, und unsere Exportstrategie wird wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Das können wir doch alle nicht wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und hat die NATO darauf eine Antwort? Nein.

Wir sehen, dass die NATO für fast alle Aufgaben ungeeignet ist, bis auf eine: Sie hält die Rüstungsindustrie am Laufen. Zwei Drittel der weltweiten Militärausgaben werden von NATO-Staaten getätigt. Allein für den unsinnigen Raketenabwehrschirm wurden schon jetzt 120 Milliarden Euro ausgegeben. Ich habe ebenso wie viele hier im Saal - ich hoffe, zumindest auf der linken Seite - bessere Ideen für die Verwendung von 120 Milliarden Euro: für Bildung, für Kultur, für Infrastruktur, für Zukunft und nicht für die Zerstörung der Zukunft.

(Beifall bei der LINKEN)

Abschließend noch einige Anmerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Der Entschließungsantrag der SPD enthält einige Forderungen an das Strategische Konzept der NATO, die auch wir unterstützen können. Einen Punkt davon hebe ich hier besonders hervor: Die Kollegen der SPD fordern wie auch wir zu Recht, dass die Konvention über Landminen und Streumunition endlich von allen unterstützt werden soll und dass alle NATO-Mitglieder dieser Konvention beitreten müssen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))

Diese Streumunition und diese Landminen haben sehr viel Leid über die Menschheit gebracht. Gerade Kinder und Jugendliche werden ihrer Zukunft beraubt, wenn sie noch Jahre nach Kriegsende auf diese Landminen treten oder von Streumunition verletzt werden können. Dies sind so menschenverachtende Mittel, dass sie sofort verboten gehören.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hat einen Entschließungsantrag eingebracht, der eine Abstimmung über das neue Strategische Konzept der NATO hier im Bundestag fordert. Meines Erachtens muss das eine Forderung aller Abgeordneten sein. Ansonsten, wenn wir diese Forderung nicht unterstützen, können wir unsere Rolle als Volksvertreter nicht ernst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP)

In einem zweiten Entschließungsantrag fassen wir einige unserer wichtigsten Forderungen zum neuen Strategischen Konzept der NATO zusammen. Drei davon nenne ich noch einmal: Erstens. Wir fordern den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wir fordern den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und weltweit endlich konkrete nukleare Abrüstungsschritte und nicht nur schöne Deklarationen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

Drittens. Wir wollen, dass sich die NATO nicht an dem unsinnigen Raketenabwehrschild beteiligt.

Mit diesen Forderungen vertrete ich, im Gegensatz zu den Zwischenrufern von der rechten Seite, die Meinung der Mehrheit der Menschen in diesem Land.

(Widerspruch bei der FDP)

Wenn Sie unseren Entschließungsanträgen zustimmen, dann sind Sie auf der richtigen Seite; wenn Sie dagegen stimmen, dann wird in der Öffentlichkeit klar, dass für Sie nicht die Sicherheitsinteressen der Menschen wichtig sind, sondern vor allen Dingen die üppigen Profite der Rüstungsindustrie.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP: Welche Geschichtsvergessenheit!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Lötzsch, da Sie mich zu Beginn Ihrer Rede nicht vollständig zitiert haben, will ich in Erinnerung rufen, dass ich darauf hingewiesen habe, dass nach meiner Einschätzung der Ablauf der letzten Sitzungswoche für alle Beteiligten im Hause Anlass zu selbstkritischem Nachdenken über die eigene Rolle bietet. Punkt.

Nächster Redner ist nun der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jetzt wollen wir mal gucken; der hat auch mal eine gute Stunde!)

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):



Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NATO ist ein Sicherheitsbündnis, das sich Werten verpflichtet fühlt. Herr Bundesaußenminister, ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie hier festgestellt hätten, dass es zu einer Wertegemeinschaft eben nicht passt, dass das zukünftige Konzept dieser Wertegemeinschaft nur in der Geheimschutzkammer des Deutschen Bundestages einzusehen ist. Das schafft keine Legitimation für diese Werte, sondern delegitimiert sie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

In Wahrheit haben wir es seit Jahren mit einer neuen Sinnsuche der NATO zu tun. Wenn man das in einer Stellenanzeige ausdrücken wollte, müsste man sagen: Rüstiger Rentner in Altersteilzeit sucht neue Beschäftigung. - Das ist der Kern der Debatte, um die es hier geht. Das hat einen Grund - das ist bei Frau Lötzsch vielleicht noch nicht angekommen -: Der Kalte Krieg ist vorbei, es gibt die bipolare Welt nicht mehr. Es ist richtig: Wir stehen vor völlig neuen Herausforderungen - Ressourcenwettläufe, Klimawandel, globale Armut, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen

(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Er wiederholt gerade meine Rede!)

und Zerfall von Staaten. Die Wahrheit erfahren wir doch jeden Tag, zum Beispiel in den Auseinandersetzungen um Somalia, in den Auseinandersetzungen um Afghanistan. All diese Probleme lassen sich mit den klassischen Instrumenten der Abschreckung - das war doch die wesentliche Funktion der NATO - alleine nicht lösen, im Gegenteil: Im typischen Konflikt, den wir haben, dem asymmetrischen Konflikt, ist Abschreckung der Stachel dazu, den Konflikt zu verschärfen. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt stellen wir fest, dass eine Suche nach neuen Aufgaben innerhalb der NATO stattfindet. Es ist die Rede vom Cyberwar. Ja, der Cyberwar ist eine Bedrohung. Nur, ist diese Bedrohung mit den Instrumenten der NATO zu lösen? Was wollen Sie denn tun? Google bombardieren? Das kann doch keine ernsthafte Alternative sein.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder nehmen wir die Debatte über den Terrorismus. Es wurde uns doch in diesen Tagen hautnah vor Augen geführt: Ihr Innenministerkollege meint, bei Paketfracht - wir alle müssen immer unser Kosmetikbeutelchen vorzeigen - reichten Stichproben aus.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du hast doch gar keinen Kosmetikbeutel!)

Auch das ist kein militärisches Problem; vielmehr bedarf es zur Lösung dieses Problems einer integrierten Sicherheitspolitik, in der Fragen polizeilicher Vorsorge im Vordergrund stehen sollten. Ich finde, das hat nichts in einer Aufgabenbeschreibung für ein Militärbündnis zu suchen. Das ist keine Aufgabe für das Militär, und das muss an dieser Stelle klar gesagt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die NATO muss sich, anstatt nach neuen Aufgaben zu suchen, auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Diese bestehen in der Herstellung kollektiver Sicherheit, und zwar in Europa zusammen mit den USA. Das ist die Kernaufgabe, die sie erfüllen kann, die zu erfüllen von ihr erwartet wird. Wenn es richtig ist, dass das nur mit Russland zusammen geht, wie es von Herrn Schockenhoff und anderen gesagt wird, dann brauchen wir eine NATO, die kollektive Sicherheit in Kooperation mit Russland, durch Öffnung in Richtung Russland und langfristig durch die Perspektive einer Mitgliedschaft von Russland gewährleistet. Dann haben wir einen Raum gemeinsamer Sicherheit von Vancouver bis Wladiwostok. Das ist die Perspektive: Konzentration auf die Kernaufgabe der NATO als militärischem Bündnis, das sich durchaus Werten verpflichtet sieht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Konzept spielt die Abrüstung eine zentrale Rolle. Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, Abrüstung sei der Kern, sozusagen der Schwerpunkt von Außenpolitik. Sonst bekommt man ja von Ihren Schwerpunkten der Außenpolitik nicht so viel mit. Über die neue Architektur zwischen G 8, G 11 und G 20 veröffentlicht der Finanzminister in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Aufsatz. Das ist eigentlich Ihre Kompetenz, werter Kollege Westerwelle.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): So wenig verstehen Sie!)

Sie sprechen von Abrüstung. Die FDP hat im letzten Jahr hier einen Antrag zur Beendigung der nuklearen Teilhabe als Relikt des Kalten Krieges eingebracht; so steht es wörtlich in diesem Antrag. Was ist daraus geworden? Sie sind von Ihrem größeren Koalitionspartner ausgebremst worden. Dann sagen Sie das doch an dieser Stelle.

Sie sagen, Sie wollten Abrüstung, weil der nuklearen Proliferation begegnet werden solle. Wie passt das zu einer Politik, die jetzt wieder darangeht, den Export von Atomtechnologie, die Wiederaufarbeitung und die Anreicherung mit Hermes-Krediten zu subventionieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was soll denn das sein? Schafft ein, zwei, viele Iran? Ist das Abrüstung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es wurde immer gesagt: Afghanistan ist die Herausforderung für die NATO. - Schauen wir uns Afghanistan an: Die Niederländer sind weg, die Kanadier gehen nächstes Jahr weg, die Schweden und die Italiener sind 2014 weg, die Polen 2012. Wissen Sie, was das heißt? Im Jahr 2014 sind im Norden und Osten Afghanistans keine NATO-Truppen. Und nur noch die Deutschen sind da? Das glauben Sie doch selber nicht!

Wo ist Ihre Perspektive, Ihre Überführung dieser Mission in eine zivile? Wir wollen ja nicht aus Afghanistan abziehen, sondern wir wollen das militärische Engagement dort beenden. Was ist Ihr Datum? Sie sagen, Sie wollen es nicht nennen. Mittlerweile bindet die NATO die Verhandler der Taliban unter freiem Geleit in Gespräche mit der afghanischen Regierung in Kabul ein. Wo also ist Ihre Afghanistan-Strategie?

Eigentlich haben wir es mit einer fast unsichtbaren deutschen Außenpolitik zu tun. Nach außen wahrnehmbar ist und bleibt im Falle von Afghanistan ausschließlich der Verteidigungsminister, die Federführung hat aber das Außenministerium.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach!)

- Ich muss es an dieser Stelle sagen. Ich weiß es, weil ich die Kabinettsvorlagen gelesen habe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hallo!)

Aber, meine Damen und Herren, was macht der Bundesverteidigungsminister? Der Bundesverteidigungsminister gibt jetzt den Außenminister, und er sagt zu Wirtschaftskriegen, derzeit finde er das nicht so verwegen, und man solle mit dem Thema Wirtschaftskrieg offen und ohne Verklemmung umgehen. Ganz offen und ohne Verklemmung: Handels- und Rohstoffkriege sind durch das Grundgesetz nicht gedeckt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Hierzu hätte ich von Ihnen, Herr Westerwelle, eine klare Ansage erwartet.

Selbstverständlich haben wir Rohstoff- und Energieinteressen. Aber das ist kein Grund für militärisches Engagement. Um zu zitieren, was der Kollege Polenz in anderen Zusammenhängen gesagt hat: Selbstverständlich ist das nicht eine Sache, die wir mit einer Art Kanonenpolitik sichern könnten.

Ich hätte von einem deutschen Außenminister, der sich der Selbstbeschränkung deutscher Außenpolitik verpflichtet weiß, erwartet, sich von dieser Kanonenpolitik des Verteidigungsministers hier klar zu distanzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Oh, Mann!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Rainer Stinner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin, man merkte: Sie haben heute nichts auf der Pfanne. Deshalb mussten Sie Ihre Rede mit einer Verunglimpfung der Bundesregierung krönen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach, lieber Herr Stinner!)

Niemand in dieser Bundesregierung, niemand auf dieser Seite des Parlaments denkt daran, Wirtschaftskriege zu führen. Der Terminus technicus "Wirtschaftskriege" ist von niemandem gebraucht worden.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch!)

Niemand aus diesem Deutschen Bundestag will und wird deutsche Soldaten schicken, um Rohstoffinteressen zu sichern.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Außer Guttenberg!)

Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, die Piraterie zu bekämpfen. Aber das hat mit Rohstoffkriegen überhaupt nichts zu tun. Herr Trittin, ich weise diese Verunglimpfung im Namen meiner Fraktion ausdrücklich zurück.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben einen zweiten Fehler gemacht, Herr Trittin; denn Sie haben unterstellt, die NATO würde krampfhaft nach neuen Aufgaben suchen. Das ist falsch, und das braucht sie auch gar nicht. Wir können mit Stolz und mit Freude feststellen: Die NATO hat erreicht, dass Hunderte von Millionen - jetzt sind wir 850 Millionen - 60 Jahre lang in Frieden und Freiheit gelebt haben. Herr Trittin, wenn unsere Nachfolger das in 60 Jahren auch noch so sagen können, nämlich dass die NATO dazu beigetragen hat, dass 850 Millionen Menschen auf dieser Welt in Frieden und Freiheit leben können, dann braucht sie keine weitere Aufgabe, dann ist sie ein erfolgreiches Bündnis, und dann können wir auf dieses Bündnis stolz sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Selbstverständlich hat sich seit 1999 die Situation für die NATO geändert, und das wird in dem neuen Strategischen Konzept reflektiert - völlig richtig -, und es war hohe Zeit, dass wir das anpassen. Jetzt stellen wir uns die Frage: Was ist eigentlich neu? Ich finde, es gibt eine ganze Reihe von neuen Aspekten, die wir würdigen müssen und die damals, 1999, so nicht formuliert worden sind oder werden konnten.

Das erste Thema - ganz wichtig - ist die Kooperation mit Russland. Ich glaube, hier haben wir einen ganz wesentlichen Fortschritt erlebt. Ich verhehle nicht, dass die Bundesregierung und mit ihr der deutsche Außenminister ganz wesentlich dazu beigetragen haben, das Thema Russland in der Weise zu intonieren, wie es jetzt intoniert wird. Russland wird nämlich nicht nur als Problem gesehen - es gibt Probleme, die wir alle kennen -, sondern Russland wird zunehmend als Problemlöser, Mitgestalter eingebunden. Auch das ist eine Aufgabe, der sich die NATO verschrieben hat. Dieser Aufgabe werden wir uns widmen. Dazu hat deutsche Politik ganz wesentliche Impulse gegeben.

Das zweite Thema ist die Nuklearfrage. Selbstverständlich wird auch im neuen Strategischen Konzept stehen, dass, solange es auf dieser Welt Nuklearwaffen gibt, auch die NATO eine nukleare Abschreckungskomponente haben wird. Das halte ich auch für richtig. Dennoch ist hier angesprochen, dass wir die Vision, die Obama hat, die wir haben, die wir gemeinsam haben, am Ende Global Zero, schrittweise - schrittweise! - erreichen können.

Meine Damen und Herren, speziell von der SPD, lieber Herr Erler, ich muss Ihnen deutlich sagen: Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie eine Partei, die elf Jahre lang durch Bundeskanzler und Außenminister Außenpolitik in Deutschland definiert hat, nach einem Jahr den Eindruck zu erwecken versucht, als hätte sie damit überhaupt nichts zu tun. Das kann so nicht weitergehen, Herr Erler. Sie haben elf Jahre lang Verantwortung gehabt. In Ihrer Zeit ist der NATO-Russland-Rat ausgesetzt worden. In Ihrer Zeit haben Sie nicht erreicht und auch keinen Anstoß dazu gegeben, dass aus Deutschland Nuklearwaffen entfernt werden. Jetzt kommen Sie und reden klug daher. Meine Damen und Herren, es ist unerträglich, wie Sie Politik zu machen versuchen; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gibt einen weiteren neuen Aspekt in dem NATO-Konzept, und das ist Cyberwar; darauf ist hingewiesen worden. Ich möchte Sie aber bitten, Herr Außenminister, in der nächsten Woche, vor Verabschiedung des Konzepts, darauf hinzuarbeiten, dass wir jedenfalls nicht einen Automatismus zwischen Cyberbedrohung und Art. 5 NATO-Vertrag bekommen. Ich sehe das sehr kritisch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Uta Zapf (SPD): Das tut doch gar nichts zur Sache! Art. 5?)

- Ich sage das ja so. Liebe Kollegin, ich sage deutlich, wie ich es empfinde. Ich sehe es sehr kritisch, dass wir einen Automatismus zwischen Cyberattacken und Art. 5 herstellen sollen. Hier müssen wir sehr genau hinschauen. Ich möchte die Verbindung so unverblümt möglichst nicht in dem Konzept haben.

Ich möchte gern eine weitere kritische Anmerkung machen, und die bezieht sich auf das Thema Missile Defense. Herr Außenminister, Sie haben zu Recht gesagt, dass wir jetzt eine völlig neue Perspektive haben. Es geht von dem alten Bush-Konzept, das unter verschiedenen Gesichtspunkten falsch war - das haben wir immer gesagt -, hin zu einem neuen Konzept, das aber, wie ich finde, überhaupt noch nicht richtig definiert wird. Ich habe mich auch in der Öffentlichkeit gegenüber dem NATO-Generalsekretär kritisch geäußert, der nämlich in den Raum stellt, das würde die NATO nur 200 Millionen Euro kosten. Meine Damen und Herren, lieber Herr Außenminister, das halte ich für eine Vernebelung der Öffentlichkeit. Das können wir so nicht stehen lassen.

(Beifall der Abg. Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir müssen an diesem Missile-Defense-Konzept sehr genau nacharbeiten. Es muss deutlicher werden, um was es sich dabei handelt. Die Elemente, die verknüpft werden sollen, sind bisher noch gar nicht vorhanden. Angesichts dessen die Zahl von 200 Millionen Euro in den Raum zu stellen, halte ich für problematisch; ich will das so deutlich sagen.

Lassen Sie mich, Herr Präsident, zum Abschluss etwas zu einem Element sagen, das in dem neuen Konzept verstärkt dargestellt wird, das aber in der Öffentlichkeit bisher leider zu kurz gekommen ist: Das ist Art. 4. In Art. 4 geht es um Konsens und Kooperation, um Kooperation und Information innerhalb der NATO. Bundeskanzler Schröder und ein Jahr später Bundeskanzlerin Merkel haben in München auf der Sicherheitskonferenz jeweils dasselbe gesagt - für Herrn Schröder hat Herr Struck kaum verstehbar, verschwurbelt, aber inhaltlich richtig vorgetragen, und Frau Merkel hat es deutlich gesagt -: Die NATO muss im Zentrum ein politisches, ein sicherheitspolitisches Koordinations- und Kooperationsgremium sein. Deshalb müssen wir, Herr Außenminister - ich weiß, wir sind da einer Meinung, aber ich will es auch noch einmal deutlich im Deutschen Bundestag sagen -, darauf Wert legen, dass insbesondere die Kooperation und die Information im Rahmen des NATO-Bündnisses verstärkt werden. Die NATO muss ihrer Rolle diesbezüglich gerecht werden, nämlich als Sicherheitsbündnis für heute, für morgen und für die Zukunft. So ist die NATO auf dem richtigen Weg. Dann können wir hoffentlich in 60 Jahren sagen: Jawohl, weitere 60 Jahre hat diese NATO für Frieden, Freiheit und Sicherheit für 850 Millionen Menschen in dieser Welt gesorgt. Das ist ein Erfolg. - Wir arbeiten daran, dass dieser Erfolg eintritt.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Kollegin Uta Zapf ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Uta Zapf (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Stinner, immer, wenn Sie so laut sind, kommt nichts dabei herum. Wenn Sie aber ab und zu leisere Töne anschlagen, kann man sich schon mit Ihnen auseinandersetzen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Kommen Sie einmal zur Sache, und verzapfen Sie nichts zusammen! - Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich kann noch viel lauter!)

Vielleicht tun wir das dann auch in den entsprechenden Ausschüssen.

Dass wir, wie die Linken es fordern, über das neue Strategische Konzept der NATO im Bundestag abstimmen, ist aus politischen Gründen schlicht und ergreifend gar nicht möglich; denn hierzu hat das Parlament keine Handlungsbefugnis.

Ich beklage aber genau wie alle anderen vor mir, dass dieses Konzept so geheim gehandelt wird, dass es wirklich nur die Obleute sehen durften und nicht die Fachleute, die auch sicherheitsüberprüft sind und normalerweise solche Dinge einsehen können. Noch komischer ist eigentlich, dass wir hierzu eine Anhörung im Auswärtigen Ausschuss hatten, bei der von den fünf eingeladenen Experten offensichtlich nur einer Einsicht in den Entwurf dieses Konzeptes hatte. Dieser Herr Kamp vom NATO Defense College hat mit folgendem Zitat eröffnet - ich finde, das ist ein schönes Zitat -:

Eine Firma, die nur alle 10 Jahre überprüft, ob ihre Produkte den Bedürfnissen der Kunden entsprechen, wäre wahrscheinlich nicht mehr im Geschäft.

Jetzt führt die NATO also eine solche Überprüfung durch, um im Geschäft zu bleiben. Das Ergebnis kennen wir noch nicht, weil es geheim ist; aber wir wissen, was wir wollen, und wir wissen auch, was wir nicht wollen. Jedenfalls haben wir als SPD das in unserem Antrag sehr deutlich niedergelegt.

Zu einem Teil unserer Vorstellungen hat Kollege Erler sehr deutlich Stellung genommen. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie die NATO mit Russland umgeht. Ich sehe, dass hier ein relativ breiter Konsens für eine andere Politik als während des Kalten Krieges und vielleicht auch noch in der Zeit danach besteht. Also, Entspannung ist angesagt.

Wir begrüßen natürlich, dass in diesem Konzept niedergelegt ist, dass das Ziel eine nuklearwaffenfreie Welt ist. Trotzdem bleibt doch - ich finde, wir müssen das auch kritisch sehen, Herr Außenminister - ein Mix aus konventionellen und nuklearen Waffen bestehen; die Abschreckung bleibt; die nukleare Teilhabe und das Burden Sharing bleiben, und die Stationierung von US-Waffen in Europa wird für den transatlantischen Zusammenhalt weiterhin als notwendig deklariert.

Herr Minister, Sie haben ganz offensichtlich zu Beginn Ihrer Amtszeit den Mund zu voll genommen, als Sie über den Abzug von substrategischen Waffen sprachen. Wir jedenfalls wollen weiterhin, dass diese aus Deutschland abgezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Konzept findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass so verfahren wird. Im Gegenteil, man hält an diesem Burden Sharing fest. Wir meinen - Herr Trittin hat das ähnlich ausgedrückt -, dass ein Bündnis, das sich als Werte- und Verteidigungsgemeinschaft versteht, keine Nuklearwaffen als Klebstoff für den transatlantischen Zusammenhalt braucht. Hier sind ganz andere Dinge wichtig, nämlich unsere gemeinsamen Werte und unser gemeinsames Interesse an Stabilität und Sicherheit.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die NATO auf nukleare Abrüstung verpflichtet, ist gewiss positiv. Aber gewiss sind diese Aktivitäten nicht auf den Außenminister Westerwelle alleine zurückzuführen, auch wenn Sie es im Auswärtigen Ausschuss so darzustellen versucht haben. Es gab die sogenannte Viererbande - Kissinger, Shultz, Perry und Nunn -, es gab Obamas Wahlkampf, und es gab im Jahre 2008 die Rede von Obama in Prag. Aus Deutschland und Norwegen gab es eine Initiative von Steinmeier und seinem norwegischen Kollegen, die ein Papier in die NATO eingebracht haben, das besagte, dass Abrüstung wieder größeres Gewicht haben solle.

Natürlich ist die Nuclear Posture Review ein Leitfaden für das strategische Konzept; darauf muss es reagieren. Aber Clinton und Obama haben deutlich gesagt - das wurde hier von Herrn Stinner zitiert -, dass man eine wirkungsvolle Abschreckung und ein Arsenal von Nuklearwaffen brauche, solange es Nuklearwaffen auf der Welt gibt. Ich bin da anderer Meinung. Ich weiß, dass das innerhalb der NATO anders diskutiert wird, und die Abstimmungsverfahren sprechen dafür, dass man mit einer Nulllösung nicht so recht durchdringen kann.

Hinsichtlich der Fortführung von Abrüstungsmaßnahmen bin ich nicht ganz so optimistisch, wie es hier beim Außenminister klang, insbesondere nach der Wahl in den USA, aufgrund derer die Fraktion von Obama sehr an Kraft verloren hat. Der Stellenwert von Abrüstung wird bei den USA insgesamt geringer sein. Ob New START ratifiziert werden wird, weiß ich nicht. Auch die Duma bereitet sich bereits darauf vor, hier wieder einen Rückzieher zu machen. Eine alternative Kommentierung wird in der Duma vorbereitet. Es wird in der Duma eben nicht ratifiziert, weil man sich sagt, wenn man wieder dasselbe wie bei START II hat, schaut man dumm aus.

Das Nächste ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was wird aus der konventionellen Abrüstung? Ich weiß nicht, ob in diesem Konzept dazu etwas stehen wird. In Brüssel wird uns erklärt, als NATO seien wir gar keine Vertragspartner. Wir wissen, dass es zwei Papiere gibt, ein Papier aus den USA von Frau Viktoria Nuland und ein russisches Papier. Darin wird deutlich, dass es Gespräche gibt. Ich erinnere daran, dass Steinmeier dies angestoßen hat, indem er in den Jahren 2007 und 2008 zu entsprechenden informellen Gesprächen in die Bundesrepublik geladen hat. Ob wir eine Ratifizierung im Kongress erwarten können, steht garantiert in den Sternen.

Lassen Sie mich in der wenigen Zeit, die mir noch zur Verfügung steht, etwas zur Raketenabwehr sagen. Ich glaube, wir werden gut beraten sein, wenn wir uns in diesem Hohen Hause sehr genau mit den neuen Plänen auseinandersetzen. Meine Sicht auf die Dinge ist im Moment, dass das, was in der NATO vorgeschlagen wird und was Rasmussen als wunderbare Lösung beschreibt, eigentlich Augenwischerei ist, weil sich dies nur darauf bezieht, dass alle bisher existierenden Systeme ?zusammengeplugt? werden. Rasmussen macht ein Plug-in: Hier ist NATO, und dann Plug-in! Dort sind aber zum Beispiel die Kosten für Patriots und MEADS in Deutschland überhaupt nicht mit eingerechnet; dies alles kommt hinzu.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin!

Uta Zapf (SPD):

Ich erinnere daran, dass wir bei MEADS immer noch nicht im Reinen sind. Deshalb glaube ich, dass wir auch sehr gut beraten sind, darauf zu hören, was die Russen in diesem Moment sagen. Sie werden sich nicht auf ein Abenteuer einlassen, das keinen Mehrwert bietet; dies alles muss noch sehr genau geprüft werden.

Ich stimme mit dem überein, was hier von einigen Kollegen zu Cyber gesagt worden ist; dies kann nicht nach Art. 5 erfolgen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt aber zum Schluss kommen.

Uta Zapf (SPD):

Letzter Satz, Herr Präsident. - Wir sollten auch noch einmal klären, wie es in den Regierungsfraktionen mit der Frage einer Mandatierung durch den Sicherheitsrat oder einfach durch den Geist der UN ist. Ich würde dies gern präzise haben, wie wir es in unserem Antrag niedergelegt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Zuschauer an den Fernsehbildschirmen, die heute vielleicht zum ersten Mal diese Diskussion verfolgen, möchte ich zur Klarstellung sagen, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages sehr wohl Möglichkeiten hatten, sich mit dem Bericht zu beschäftigen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Geheimschutzstelle! - Uta Zapf (SPD): Sie gehören ja auch zu den Privilegierten!)

Sicherlich war das nicht so tiefgehend möglich, wie es bei anderen Papieren sonst der Fall ist. Auch Sie, Frau Zapf, waren doch bei der Unterrichtung durch den Staatssekretär Born anwesend.

Es ist nicht die Bundesregierung bzw. der Bundesaußenminister, sondern die NATO gewesen, die festgelegt hat, dass es sich um ein Geheimpapier handelt. Ich möchte an dieser Stelle der Bundesregierung ausdrücklich dafür danken, dass es uns zumindest in einem kleinen Kreis ermöglicht wurde, Fragen zu stellen, und dass wir über das Papier direkt und ausführlich informiert wurden. Das ist, so glaube ich, der unter den Geheimschutzregeln einzig gangbare Weg gewesen.

(Abg. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Herr Ströbele, bei Ihnen immer gerne.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wenn ich vielleicht an dieser bilateral vereinbarten Zwischenfrage wenigstens notariell beteiligt werden könnte.

(Heiterkeit)

Herr Kollege Ströbele, Sie haben das Wort.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Mißfelder, ich durfte als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses diese Papiere nicht einsehen. Gibt es eine Erklärung, Verfügung oder Ähnliches der NATO, wo steht, dass zwar Obleute des Auswärtigen Ausschusses diese Papiere einsehen dürfen, aber stellvertretende Obleute nicht? Das hätte ich gerne einmal gewusst. Wie käme ansonsten der Außenminister dazu, zu sagen: ?Die Obfrau darf das einsehen, aber ihr Stellvertreter darf auch für den Fall, dass sie krank ist, die Papiere nicht einsehen?? Was Sie gemacht haben, ist doch reine Willkür.

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Nein, Herr Ströbele, da muss ich Sie korrigieren. Wir haben das Papier nicht einsehen können - das habe ich schon gesagt -, sondern wir haben die Möglichkeit gehabt, mit dem Staatssekretär, der das Papier kennt, ausführlich darüber zu diskutieren.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So haben wir uns die Junge Union immer vorgestellt! Papa erzählt, was in dem Text drinsteht! Aber nicht selber lesen!)

Was Sie richtigerweise gesagt haben - diesen Punkt wollte ich eigentlich weglassen, um Ihre Fraktion nicht zu diskreditieren -, ist, dass die Grünen bei dieser Unterredung nicht anwesend waren. Aber jede Fraktion hatte die Möglichkeit, einen Stellvertreter zu entsenden. Ansonsten wäre Frau Zapf in Vertretung von Herrn Mützenich nicht dabei gewesen. Sie müssen sich in Ihrer Fraktion einfach besser abstimmen. Wenn Sie freundlicher zu Frau Müller wären, dann würde sie Sie vielleicht zukünftig in den Debatten reden lassen und dann müssten Sie sich nicht in Form von Zwischenfragen zu Wort melden.

(Beifall des Abg. Dr. Günter Krings (CDU/CSU))

Vielleicht würde sie Sie auch darüber unterrichten, dass es solche Termine gibt, an denen Sie dann stellvertretend teilnehmen dürfen. Aber das ist ein Problem der Grünen und nicht unser Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will zum eigentlichen Thema kommen. Seit 1990 hat die NATO 97 Prozent ihres Atomwaffenarsenals abgerüstet. Allein das zeigt, in welchem Wandlungsprozess sich die NATO in den vergangenen Jahrzehnten befunden hat. Politisch hat sich seit 1999, seit der letzten Diskussion über die strategische Konzeption der NATO, Erhebliches geändert. Die Weltwirtschaft ist globaler geworden. Die Internetwelt hat sich radikal verändert. Auch unsere sicherheitspolitischen Herausforderungen haben sich massiv verändert.

Während des Kalten Krieges war Bündnissolidarität nahezu immer deckungsgleich mit nationalen Sicherheitsinteressen. Das kann man heute für die NATO nicht mehr zwangsläufig sagen; denn wir stehen heute vor Herausforderungen, die anderer Natur sind und bei denen Sicherheitsinteressen einzelner Mitgliedsländer in unterschiedlichem Maße betroffen sind. Terrorismus, gescheiterte Staaten, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sind notwendigerweise nicht für alle Mitgliedsländer der NATO eine existenzielle Gefahr und werden daher von Bündnispartnern unterschiedlich wahrgenommen. Nehmen wir den konkreten Fall Afghanistan. Während einige Verbündete ihr militärisches Engagement ausdrücklich als Kampf gegen eine unmittelbare Bedrohung empfinden und deshalb die Akzeptanz für diesen Einsatz in ihrer Gesellschaft hoch ist, ist dies nicht zwangsläufig bei allen Mitgliedsländern der Fall. Das zeigt, wie schwierig mittlerweile Operationen unter dem Dach der NATO sind. Wir müssen daher darüber diskutieren, wie es mit der NATO politisch weitergehen soll.

Es zeigte sich schon in dieser Debatte: Uns geht es nicht darum, die NATO nur als reines Militärbündnis zu sehen. Wir sehen sie als politische Plattform, die uns die Möglichkeit gibt, mit anderen Organisationen und Bündnissen, mit NGOs sowie mit anderen Partnern aus dem asiatischen Bereich, aber insbesondere auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft - ich denke dabei an Russland - zu diskutieren. Wir stehen in der NATO auf einer gemeinsamen Wertebasis. Deshalb ist es für uns von zentraler Bedeutung - es ist mir ganz wichtig, das zu erwähnen -, auf Basis dieser Werte gemeinsam für eine Sicherheitsarchitektur zu werben und dabei nicht nur über militärische Aspekte zu diskutieren, sondern auch über politische Perspektiven. Wir müssen die Diskussion über die Strategie der NATO dazu nutzen, hier Fortschritte zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen für eine stärkere Akzeptanz der NATO werben; das ist unbedingt notwendig. Wir befinden uns in einer Situation, die vollkommen anders ist als die zur Zeit des Kalten Krieges. Dazu kann ich nur aus Geschichtsbüchern zitieren und kaum aus eigenem Erleben berichten. Wir befinden uns heute Gott sei Dank nicht mehr in einer Situation, in der die unmittelbare Bedrohung für den einzelnen Bürger automatisch in einem persönlichen Zusammenhang zum Bündnis steht, weder im Osten noch im Westen Deutschlands.

Wir stehen heute vor ganz anderen Herausforderungen. Deshalb finde ich es richtig, dass sich die NATO um die Frage der Cyberattacken bemüht, selbst wenn das nur der Beginn einer Diskussion sein kann. Hier gibt es viele Fragen zu den Fähigkeiten der NATO. Die Frage ist auch - Rainer Stinner hat sie zu Recht aufgeworfen -: Wie geht man im Fall des Falles damit um? Wir stellen uns diesen Fragen in der Diskussion; wir wollen sie weiter in den Blick nehmen.

Die militärische Transformation der NATO muss fortgesetzt werden. Dies bleibt für uns ein wichtiger Punkt; denn es ist notwendig, die Soldaten auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten, sowohl im Hinblick auf ihre Ausrüstung als auch auf die Organisationsstruktur der NATO. Insofern passt sich unsere Bundeswehrreform nahezu nahtlos in die Diskussionen ein, die in den anderen Mitgliedsländern der NATO intensiv geführt werden. Wir wollen die Bundeswehr effizienter, schneller und effektiver machen, damit sie den neuen Herausforderungen gerecht wird. Neuen Herausforderungen gerecht zu werden, heißt in erster Linie, unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit unserer Bündnispartner zu schützen.

Die Diskussion um Rohstoff- und Ressourcensicherheit ist nicht vom Himmel gefallen. Das zeigt sich darin - Frau Zapf, da möchte ich Sie gerne korrigieren -, dass wir schon bei der Erstellung des Weißbuchs 2006 - unter Applaus der SPD - kein Problem damit hatten, auch über sichere Zugänge zu Märkten und über die Frage der Rohstoffsicherheit zu diskutieren.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das war damals schon falsch! Das wird dadurch nicht besser! - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kein Weißbuch kann das Grundgesetz aushebeln!)

Nichts anderes hat der Minister getan; nichts anderes hat zuvor der zurückgetretene Bundespräsident getan. Insofern bedeutet die Aufregung an dieser Stelle viel Lärm um nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Früher gab es Zeiten, in denen Sie bei diesem Thema applaudiert und tatkräftig daran mitgewirkt hätten.

Ein wichtiger Punkt wurde in dieser Debatte angesprochen: das Verhältnis zu Russland. Sicherlich kann man darüber streiten, nicht über die Vorschläge der Gruppe um Frau Albright, aber vielleicht über die Art und Weise, wie der NATO-Generalsekretär auf Russland zugegangen ist oder eben nicht. Ich kann das im Einzelnen nicht beurteilen, weil ich keine detaillierten Kenntnisse darüber habe. Es geht aber nicht nur darum, wie wir die Diskussion hier bei uns führen, sondern auch darum, wie sie in Russland aufgenommen wird. Der NATO-Generalsekretär hat vielleicht nicht zu jedem Zeitpunkt in angemessener Weise wahrgenommen, dass Russland uns, der NATO und der Europäischen Union die Hand ausgestreckt hat. Das ist aber eine politische Diskussion, um die es sich zu streiten lohnt. Ich bin deshalb besonders froh darüber, dass die Bundeskanzlerin sowie der französische Präsident und der russische Präsident von Anfang an die Missverständnisse ausgeräumt haben, die im Zuge der Diskussion um das Strategische Konzept hätten auftreten können. Sie haben die feste Absicht erklärt, Russland mit ins Boot zu holen und gemeinsam mit Russland an einer Sicherheitsarchitektur zu arbeiten. Damit wird die ausgestreckte Hand Russlands angenommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnes Malczak für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Mißfelder, es ist ein unwürdiger Vorgang, dass nur zehn Parlamentarier das Strategische Konzept einsehen können, sodass man in einer Runde das Ratespiel betreiben muss: ?Steht denn darin, dass ??? Das ist auch für eine Organisation unwürdig, die sich Transparenz und Öffentlichkeit groß auf die Fahnen schreibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h. c. Gernot Erler (SPD))

Herr Außenminister Westerwelle, mangels anderer außenpolitischer Akzente haben Sie vollmundig das sympathieträchtige Thema Abrüstung zu Ihrem persönlichen Steckenpferd gemacht. Nach den Luftsprüngen wegen Deutschlands Sitz im UN-Sicherheitsrat hätten Sie nun in der NATO belegen können, dass Sie internationale Politik beherrschen und Ihr Eintreten für Abrüstung nicht nur eine Luftnummer ist. Was zu befürchten war, ist eingetreten: Schwarz-Gelb hat den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland im Koalitionsvertrag absichtlich an die Verhandlungen in der NATO gekoppelt, um danach mit dem Finger auf andere zu zeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Westerwelle, der Deutsche Bundestag hat Sie in großer Einigkeit damit beauftragt, sich in der NATO für nukleare Abrüstung und den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. Bei der Erfüllung dieses Auftrags sind Sie gnadenlos gescheitert.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Mit einem Angebot zum Kuhhandel erschienen Sie in seltener Eintracht mit Ihrem Kabinettskollegen zu Guttenberg beim Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedstaaten im Oktober. Ihr plumper Deal war: Deutschland unterstützt jetzt doch das Raketenabwehrsystem und erhält im Gegenzug Zugeständnisse bei der nuklearen Abrüstung. - Doch die schallende Ohrfeige ließ nicht lange auf sich warten. Gleich nach der Konferenz erklärte der amerikanische Verteidigungsminister Gates, dass Raketenabwehr gar nichts mit Abrüstung zu tun hat. Eine deutlichere Abfuhr kann man sich nicht holen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Richtig!)

Das Ergebnis ist: Die US-Atomwaffen bleiben in Deutschland, und die Bundesregierung vergibt einen Blankoscheck für ein Raketenabwehrsystem, von dem niemand weiß, wie teuer es wird, ob es überhaupt funktioniert und wer am Ende die Befugnis für die Entscheidung hat, wann es zum Einsatz kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der NATO-Generalsekretär Rasmussen wirbt mit einer Schnäppchenrechnung, nach der das Raketenabwehrsystem nur 200 Millionen Euro kosten würde. Dafür erntet er sogar von den Befürwortern dieses Systems nur Gelächter. Experten rechnen mit Gesamtkosten in Milliardenhöhe. Dem Verteidigungsminister, dem das Sparen sonst so wichtig ist, fiel zu dieser Sache nichts Besseres ein, als Ja dazu zu sagen und gleichzeitig sein vorauseilendes Misstrauen gegenüber den Zahlen zum Ausdruck zu bringen. Das Tragische an dieser Entscheidung ist: Ein solches Raketenabwehrsystem birgt in der jetzigen Situation, in einer Zeit, in der die globale Machtverteilung durch aufstrebende Mächte neu bestimmt wird, die Gefahr einer weltweiten Aufrüstungsspirale. Raketenabwehr täuscht in einer hochgerüsteten Welt über die Notwendigkeit von Abrüstung und Rüstungskontrolle hinweg.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir fordern Sie daher auf: Ziehen Sie Ihre Zustimmung zum Raketenabwehrsystem auf dem NATO-Gipfel in der nächsten Woche zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch ich war vorauseilend misstrauisch, was den abrüstungspolitischen Willen dieser Bundesregierung anbelangt. Nach einem Jahr kann ich sagen: völlig zu Recht. Atomraketen trotz Raketenabwehrsystem, das ist die Formel für die doppelte Pleite von Schwarz-Gelb in der Abrüstungspolitik und in der NATO.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Westerwelle das Wort.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja peinlich!)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich bitte Sie! Ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Ich will eine Sache zum Ausdruck bringen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie sonst nicht zu Wort kommen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Künast, Sie werden sich wie ich an Beispiele erinnern, wo nicht nur gemeldete Redner zu Wort kamen, sondern in Debatten des Deutschen Bundestages zusätzlich fleißig von der Möglichkeit der Kurzintervention Gebrauch gemacht wurde.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber auch vom Zwischenruf! - Dr. Rainer Stinner (FDP), an die Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewandt: Frau Regierende Bürgermeisterin!)

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Frau Kollegin, bei allem Respekt: Noch sind auch Sie Mitglied dieses Hauses. Sie können sich ja auch zu Wort melden, wenn Sie es denn möchten.

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, weil mir das ein wichtiges Anliegen ist. Wir können hier gerne inhaltlich über die Frage der Abrüstung diskutieren. Wir haben eine sehr viel positivere Sicht auf dieses Thema. Wir sind der Meinung, dass die Entwicklung auf dem Gebiet der Abrüstung in dem letzten Jahr, insbesondere in den letzten Monaten, gut und positiv ist.

Da ich als Parlamentarier viele Jahre lang in der Opposition gearbeitet habe, liegt mir viel daran, Folgendes zu sagen - deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet -: So viel Transparenz, wie ich als Außenminister bei diesem Strategischen Konzept der NATO dem Deutschen Bundestag gegenüber ermöglicht habe, habe ich in den elf Jahren, in denen ich Abgeordneter einer Oppositionsfraktion war, nicht einmal erlebt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir erinnern uns noch an 1999, als das Strategische Konzept der NATO verabschiedet wurde. Damals bildeten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Regierung. Wie oft wurde den Obleuten Einsicht in die Unterlagen gegeben? Wir, die Bundesregierung, haben alles erläutert, auch im persönlichen Gespräch. Wir haben gesagt: Bitte berücksichtigt, dass der NATO-Generalsekretär dies als Geheim eingestuft hat und wir die Unterlage dementsprechend nicht eigenmächtig veröffentlichen können. Es ist ja wohl völlig selbstverständlich, dass ich als Außenminister mich nicht darüber hinwegsetzen kann.

Ich hätte erwartet, dass Sie diese Transparenz, die Sie nie - nicht ein einziges Mal in elf Jahren - gewährleistet haben, heute anerkennen, statt uns dafür zu beschimpfen, dass wir so weit gegangen sind, mit Ihnen eine solche Transparenz zu vereinbaren. So viel Offenheit hat es in dieser Debatte in diesem Haus bei solchen als vertraulich eingestuften Dokumenten noch nicht ein einziges Mal gegeben. Darauf lege ich Wert.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer kurzen Erwiderung hat Frau Kollegin Malczak das Wort.

Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Außenminister, dieses neue Strategische Konzept der NATO ist mit der Ankündigung des NATO-Generalsekretärs verbunden - insofern gibt es schon einen Zusammenhang; dazu hat auch Kollege Mißfelder am Schluss seiner Rede aufgefordert -, für mehr Akzeptanz in der NATO zu werben. Von der Expertengruppe hieß es ganz klar: Wir sind jetzt transparent; wir diskutieren es in den einzelnen Mitgliedstaaten vor der Öffentlichkeit. - Wenn aber jetzt das entscheidende Dokument geheim und auch für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht einzusehen ist, dann ist das natürlich ein Missstand, den wir auch kritisieren werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Der Kollege Dr. Karl Lamers ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das neue Strategische Konzept wird die Leitlinie der NATO für die nächsten Jahre sein. Es ist die NATO, die Europa seit mehr als 60 Jahren Frieden und Freiheit gebracht hat. Wir haben der NATO viel zu verdanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Immer wieder hat sich das Bündnis den veränderten Sicherheitslagen angepasst, so auch mit diesem neuen Strategischen Konzept, das auf dem NATO-Gipfel in Lissabon in wenigen Tagen verabschiedet wird. Die neue Strategie trägt den Herausforderungen unserer Zeit Rechnung; denn Zukunft ist nicht nur Verlängerung der Vergangenheit. Wir müssen neue Antworten finden. Mit diesem Konzept wird die NATO neue Wege aufzeigen.

Sie, Herr Außenminister, haben die Group of Wise Men - sinnigerweise unter der Leitung einer Lady, nämlich Madeleine Albright - angesprochen. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass es die Parlamentarische Versammlung der NATO war, die für das neue Konzept einen eigenen Beitrag erarbeitet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es sind auch Parlamentarier aus diesem Hohen Hause, aus allen Fraktionen, die als NATO-Parlamentarier ihre Gedanken und Ideen in unser Papier eingebracht haben.

(Uta Zapf (SPD): Das gehört sich doch so!)

Danke dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Beistandsverpflichtung gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages muss zentraler Pfeiler der Allianz bleiben. Die Sicherheit unseres Bündnisses ist unteilbar. Art. 5 drückt den Willen, die Bereitschaft, aber auch die Fähigkeit aus, uns gemeinsam gegen Angriffe zu verteidigen. Dabei bleibt es.

Bei neuen Bedrohungen denke ich zum Beispiel an Cyberangriffe. Millionen Angriffe finden täglich statt: auf Staaten, Sicherungssysteme von Industrieanlagen, Banken und Pipelines. Das ist eine Gefahr, die uns existenziell bedrohen kann. Cybersicherheit muss, Herr Trittin, stärker als bisher auch in das Blickfeld der NATO rücken.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Da ist es nicht geeignet, hier Witzchen wie ?Google bombardieren? zu machen. Vielmehr sollte auch für Sie gelten, dass das ein wichtiges Thema ist, das in einer politisch-militärischen Institution wie der NATO seriös erörtert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein wichtiges Thema, aber keines für die NATO!)

Das neue Strategische Konzept wird Bedrohungen aufgreifen, die nicht an unseren Grenzen haltmachen: Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Piraterie, gescheiterte Staaten, Energieknappheit und vor allem internationaler Terrorismus. Hier, Frau Lötzsch, richte ich mich vor allem an Sie, an die Demokratie- und Friedenswächter der Linken.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist vergebliche Liebesmüh!)

In Afghanistan kämpfen unsere Soldaten gegen Terror. Ich möchte ihnen, unseren Soldatinnen und Soldaten, auch an dieser Stelle meinen Dank und meinen höchsten Respekt dafür bekunden, dass sie tagtäglich bereit sind, ihre Gesundheit und ihr Leben für unsere Freiheit und unsere Sicherheit einzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Sie verheizen die Soldaten! Das ist der Punkt!)

- Frau Lötzsch, hören Sie einmal zu! Dann können Sie vielleicht noch etwas lernen.

Einigkeit und Geschlossenheit im Bündnis sind der Schlüssel zum Erfolg. Gerade in einer Zeit knapper werdender Ressourcen wird ein vertrauensvolles Miteinander zwischen NATO und EU immer wichtiger. Wir brauchen eine strategische Partnerschaft. Unsere Kräfte sinnvoll zu bündeln, ist das Gebot der Stunde. Ein wichtiger Partner für die Allianz ist Russland. Wir brauchen Russland, aber Russland braucht auch uns bei der Terrorbekämpfung, bei der Raketenabwehr und bei der Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Abrüstung und Rüstungskontrolle sind ein zentrales Thema für die NATO der Zukunft. Eine Welt ohne Nuklearwaffen ist ein Traum, den wir alle teilen. Allerdings dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass es potenziell Staaten oder - ich will es nicht beschwören - nichtstaatliche terroristische Akteure gibt, die unsere Sicherheit gefährden. Solange diese Gefahr besteht, muss die NATO abschreckungsfähig bleiben.

In einer globalisierten Welt haben für die NATO Partnerschaften mit Staaten, die unsere Sicherheitsinteressen teilen, eine zunehmend größere Bedeutung. Zur NATO-Erweiterung ein Satz: Die Tür muss offen bleiben. Wer Mitglied wird, entscheidet einzig das Bündnis. Ein Veto von dritter Seite lehne ich ab.

Um als Bündnis erfolgreich zu sein, brauchen wir den Rückhalt und die Unterstützung unserer Bevölkerung. Wir müssen besser als bisher erklären, was die NATO ist, was sie macht und warum sie für unsere Sicherheit unerlässlich ist. Dabei ist es wichtig, gerade die junge Generation zu gewinnen. Sie trägt das Bündnis in die Zukunft. Ich schlage deshalb die Einführung eines NATO-Tages vor,

(Uta Zapf (SPD): Feiertag mit Schulfrei!)

einen Tag im Jahr, an dem wir ganz besonders über die Arbeit der NATO informieren, zum Beispiel an Schulen und Universitäten,

(Uta Zapf (SPD): Nein! Das muss ein freier Tag sein!)

an dem wir mit den Menschen über die NATO und ihre Rolle im 21. Jahrhundert sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit dem neuen Strategischen Konzept wird die NATO ein zukunftsweisendes Dokument verabschieden. Jetzt müssen wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass dieses neue Konzept von den Mitgliedstaaten umgesetzt wird.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Lamers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenkert?

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):

Bitte schön.

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich habe eine Frage. Sie möchten einen Tag der NATO einführen, an dem die NATO über ihre Arbeit informiert. Würden wir dann bei dieser Gelegenheit auch über die Sicherheitsstrategie der NATO informiert werden? Wenn das so ist, dann könnte ich mir vorstellen, dass wir dem sogar zustimmen.

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):

Herr Kollege, ich verstehe den NATO-Tag so wie den Europa-Tag, den wir eingeführt haben und an dem wir über Europa und die Bedeutung Europas sprechen. Ich halte es angesichts der Bedeutung der NATO für wichtig, dass wir alle, Parlamentarier, Diplomaten, Politiker, Menschen, die von der NATO überzeugt sind, in der Öffentlichkeit verstärkt über Sinn und Zweck sowie die Rolle der NATO sprechen. Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig; wir müssen uns ihr in Zukunft mehr zuwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):

Ich komme jetzt zum Schluss meiner Rede, Herr Präsident. - Bei der Reform der Struktur der Bundeswehr werden wir uns an den Anforderungen orientieren, die die NATO in ihrem Strategischen Konzept stellt. Deutschland wird auch in Zukunft ein verlässlicher Bündnispartner sein.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Die Rede des Kollegen Lamers macht das Dilemma, in dem wir stecken, sichtbar. Er hat hier zu allen Punkten des Strategischen Konzepts der NATO Ausführungen gemacht. Ich weiß gar nicht, ob ich das Folgende sagen darf.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

Es ist ja nicht nur so, dass lediglich 14 Kolleginnen und Kollegen des Hauses Einsicht nehmen durften, sondern der Inhalt ist auch geheim. Also niemand - mein Kollege Schäfer und ich eingeschlossen - könnte hier sagen: Im Strategischen Konzept der NATO steht das und das.

Das hat für die Politik der Bundesrepublik Deutschland Konsequenzen. Kollege Lamers, ich glaube nicht, dass Sie sich hier an der Grenze des Geheimnisverrates bewegt haben. Ich will Ihnen das auch nicht vorhalten; denn ich bin dafür, dass das Konzept öffentlich gemacht wird. Ich will nur eines deutlich machen: Es kann sein, dass die Regierung einigen wenigen Abgeordneten einen Einblick ermöglicht hat. Ich finde es aber völlig unakzeptabel, mich für etwas bedanken zu müssen, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: dass die Parlamentarier diese Unterlagen erhalten, einsehen und in der Öffentlichkeit darüber reden können.

(Beifall bei der LINKEN - Jörg van Essen (FDP): Ihnen ist doch vorhin erklärt worden, warum das so ist! Hören Sie doch wenigstens mal zu!)

- Eine Erklärung ersetzt nicht eine andere Verhaltensweise. Wenn Sie als Abgeordneter so wenig Selbstbewusstsein haben,

(Jörg van Essen (FDP): Ach! Das hat mit Selbstbewusstsein nichts zu tun! Das ist doch alles vorgetragen worden!)

dass Sie diese Unterlagen nicht kennen, sondern Ihre Entscheidung lieber an andere delegieren wollen, ist das Ihr Problem, nicht mein Problem.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wollen Sie etwa die gleiche Transparenz, die früher in der DDR üblich war?)

Ich verlange, dass wir alle erfahren, worum es geht, und dass Sie dafür sorgen, dass wir uns sachkundig machen können. Das ist die Grundlage.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))

Herr Außenminister, merken Sie nicht, wie seltsam es ist, dass Beamte Abgeordnete darüber aufklären sollen, was in einem Papier steht? Wieso dürfen Beamte wissen, was in einem Papier steht, Abgeordnete aber nicht? Wenn man nachgefragt hat, wo etwas steht, lautete die Antwort der Staatssekretäre: Das darf ich Ihnen nicht sagen. - Auf diese Art und Weise können wir nicht über Zukunftsfragen entscheiden.

Ein letztes Wort, Herr Lamers - das haben Sie selbst provoziert -: Der von Ihnen vorgeschlagene Kaisertag für die NATO

(Heiterkeit der Abg. Uta Zapf (SPD))

ist eine Propagandaaktion, die wirklich nicht in die Welt passt. Politische Auseinandersetzungen sind zu bejahen. Aber für diese Art der Propaganda sind eigentlich sogar Sie zu gut.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte bietet eine Gelegenheit, nach Gemeinsamkeiten in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu suchen. Insofern bin ich dem Kollegen Lamers dankbar, nicht für den von ihm angeregten NATO-Tag, sondern dafür, dass er auf etwas hingewiesen hat, das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müsste, in dieser Debatte aber nicht allen ganz klar war: nämlich dass die NATO in allererster Linie ein Verteidigungsbündnis ist, basierend auf Art. 5 des NATO-Vertrages, der Beistandsverpflichtung. Dies ist ihre erste Aufgabe. Erst dann folgen die Aufgaben, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind, Out-of-area-Einsätze, um in anderen Teilen der Welt unter dem Dach der UNO für Sicherheit zu sorgen, wenn die UNO dafür ihre Legitimation erteilt hat.

Ich weiß nicht, ob der Verteidigungsminister inzwischen wieder hier ist.

(Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär: Ja! Da drüben ist er!)

- Gut, irgendwo ist er also. - Es hat Irritationen darüber gegeben, dass wieder einmal die Frage aufgeworfen wurde: Wann ist der Einsatz militärischer Mittel eigentlich legitim? Zur Durchsetzung nationaler wirtschaftlicher Interessen, die in Konkurrenz zu den Interessen anderer Länder stehen, ist er natürlich nicht legitim. Zu diesem Zweck werden militärische Mittel im 21. Jahrhundert nicht mehr eingesetzt. Das ist auch die Räson unseres Grundgesetzes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will dem Verteidigungsminister nicht unterstellen, dass er Böses meint. Er ist schließlich in der Lage, sich zu korrigieren, wenn er vielleicht etwas Falsches gesagt hat. Dann ist er immer stolz und weist darauf hin, dass es eine Tugend ist, sich korrigieren zu können; vielleicht können Sie das auch in dieser Frage tun. Wenn Sie meinen, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Kraft - weil wir die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind, weil wir die zweitgrößte Exportnation der Welt sind und weil wir das größte Land in Europa sind - Verantwortung für die Sicherheit in der Welt hat, dann lautet die richtige Argumentation: Weil wir stark sind, haben wir Verantwortung und müssen möglicherweise im Rahmen der NATO und unter dem Dach der UNO auch militärische Mittel einsetzen. Andersherum ist die Argumentation aber auf keinen Fall richtig: Wir dürfen nicht durch den Einsatz militärischer Mittel stark werden wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich möchte auf das NATO-Konzept und die Bundeswehrreform eingehen. Die Debatte, die wir führen, findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern sie ist mit einer Diskussion über die Veränderung der Bundeswehr verbunden. In den letzten 20 Jahren hat die Bundeswehr bereits einige Veränderungen erlebt. Die Zahl der Soldaten ist von 500 000 auf 250 000 halbiert worden. Die Zahl der in Deutschland stationierten Alliierten ist auf weniger als ein Zehntel reduziert worden. Deutschland hat eine gewaltige Veränderung hinter sich. Jetzt steht uns eine weitere Veränderung bevor. Ich würde mir wünschen, dass diese Veränderung in Abstimmung mit unseren europäischen NATO-Partnern vollzogen wird. Es muss verhindert werden, dass viele Staaten gleiche Fähigkeiten, die wir zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht gebrauchen könnten, aufgeben. Wir sehen das gerade bei den Kanadiern, die die Fähigkeiten, die sie aufgegeben haben, wieder neu entwickeln, weil sie sie bei den Einsätzen brauchen.

Wenn wir also neue Konzepte für unsere Bundeswehr entwickeln - andere Länder tun das für ihre Streitkräfte auch -, dann muss das abgestimmt erfolgen. Natürlich kann man auch beim Militär noch effizienter werden und möglicherweise auch einen Sparbeitrag leisten. Dies darf aber nicht gegen die Einsatzfähigkeit und die Sicherheitspolitik gerichtet sein, sondern das muss in Abstimmung mit dem erfolgen, was in der NATO vereinbart wird und in Europa sinnvoll ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch in Zukunft bleibt nach dem Grundgesetz die erste Aufgabe der Bundeswehr die Landes- und Bündnisverteidigung; das gilt auch für die NATO. Sie ist nicht nur dann erfolgreich, wenn sie mit möglichst vielen Soldaten im Ausland im Einsatz ist, sondern es kann sein, dass ihr größter Erfolg darin besteht, dass sie nicht eingesetzt werden muss, dass also zum Beispiel in Europa nichts mehr passiert, weil der Einsatz auf dem Balkan erfolgreich war. Das ist ein gutes Beispiel für die Erfolge der NATO und der Bundeswehr: Nachdem wir auf dem Balkan einen langen Atem hatten und es schrecklich begonnen hatte, ist die Situation dort heute stabil. Wir hoffen, dass wir in wenigen Jahren gar nicht mehr von militärischen Mitteln reden müssen, wenn es um den Balkan geht, sondern dass es dann nur noch um den zivilen Aufbau und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union geht.

Die alte Philosophie, dass man Streitkräfte nicht hat, um sie überall in der Welt einzusetzen, sondern dass Streitkräfte kämpfen können müssen, um nicht kämpfen zu müssen, sie also zu haben, um sie nicht einsetzen zu müssen, damit kein Vakuum und keine unstabilen Situationen entstehen, bleibt auch für die neue NATO und für die reformierte Bundeswehr eine Grundkonstante ihrer Sicherheitspolitik.

Lassen Sie mich abschließend einen Aspekt erwähnen, der hier noch gar nicht angesprochen wurde. Ich weiß auch nicht, ob das Konzept der NATO ihn enthält. In dem Papier von Frau Albright und ihrer Kommission spielt er eine wesentliche Rolle. Es geht um den Übergang zu besonderen neuen Fähigkeiten, zu unbemannten, automatisierten Kampfsystemen - UAVs, Kampfdrohnen -, zum Einsatz von Spezialkräften und zum immer häufiger festzustellenden Einsatz von Militärfirmen. Was ist Drohnen, Spezialkräften und Militärfirmen gemeinsam? Die Gemeinsamkeit beim Einsatz solcher Mittel besteht darin, dass dies in der Regel hinter dem Schleier der Nichtöffentlichkeit geschieht. Die neue Strategie der NATO darf nicht darauf abzielen, sich der Öffentlichkeit zu entziehen und neue Formen militärischer Auseinandersetzung zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen eine Debatte darüber führen, wie Demokratien den Einsatz militärischer Mittel legitimieren können, wenn er notwendig ist. Das kann nicht dadurch geschehen, dass gesagt wird: Die Diskussion muss gar nicht mehr stattfinden; Spezialkräfte sind geheim; von Drohnen bemerkt niemand etwas, und bei den Militärfirmen arbeiten keine Soldaten; sie machen nur ihren Job, der bezahlt wird. - Das kann nicht die Zukunft der NATO und übrigens auch nicht die Zukunft der Bundeswehr sein.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Jetzt erhält Herr Ströbele das Wort zu einer Kurzintervention.

(Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Stellt ihn doch einfach einmal ans Rednerpult! - Dr. Rainer Stinner (FDP): Der Kollege darf nie reden!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, ich habe mich im Anschluss an das gemeldet, was der Kollege gerade gesagt hat. Der Kollege hat zutreffend darauf hingewiesen, dass wir alle sehr gespannt darauf sind, was der Bundesverteidigungsminister mit seiner Äußerung tatsächlich hat sagen wollen. Ich bin heute Morgen hierher zu dieser Debatte gekommen und davon ausgegangen, dass der Bundesverteidigungsminister das Parlament selbstverständlich darüber informiert, was er mit seiner Erklärung im Interview tatsächlich gemeint hat.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage das einmal ganz milde: Diese Erklärung ist relativ interpretationsfähig.

Ich habe mich seinerzeit über die Äußerung des damaligen Bundespräsidenten erheblich aufgeregt und dazu auch Stellung genommen. Jetzt rege ich mich über die Interviewäußerungen des Bundesverteidigungsministers genauso auf. Ich habe nicht erwartet, dass der Bundesverteidigungsminister in dieser Situation hier zunächst auf der Regierungsbank und jetzt unter den Abgeordneten sitzt und zu diesem Thema überhaupt nichts sagt. Er sollte jetzt einmal unverklemmt sagen, um was es eigentlich geht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was hat er damit gemeint, dass in Zukunft die NATO bzw. die Bundeswehr auch zur Sicherung von Handelswegen und Wahrung von Wirtschaftsinteressen eingesetzt werden könnte? Bitte, Herr Verteidigungsminister, gehen Sie nach vorne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege zu Guttenberg zu Wort gemeldet.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU):

Herr Kollege Ströbele, herzlichen Dank. - Ich werde Ihrem Wunsch nur bedingt nachkommen, jetzt nach vorne zu gehen. Ich darf Ihnen von meinem Platz aus im Rahmen einer Kurzintervention sehr kurz antworten: Lesen und dann verstehen! Es geht um Punkte, die ich seit einem halben Jahr immer gesagt habe. Offensichtlich haben Sie das ein halbes Jahr lang nicht wahrgenommen. Jetzt kommt die große Bugwelle der Empörung, die ich auch wahrnehme.

Wenn Sie nachlesen, was ich gesagt habe, dann verstehen Sie, dass das Punkte widerspiegelt, die bereits im Weißbuch 2006 enthalten waren. Dazu habe ich von Ihnen keinen Aufschrei der Empörung gehört. Es mag sein, dass Sie damals nicht so gut aufgepasst haben.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch!)

- Nein, dazu kam von Herrn Ströbele nichts.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben zusammen im Ausschuss gesessen!)

Was wir künftig zu erwarten haben, Herr Trittin, ist: Sie werden wahrscheinlich demnächst Ihre Mitglieder dazu aufrufen, in den Häfen das Wasser abzuschöpfen, damit die Fregatten nicht zur Pirateriebekämpfung auslaufen können. Wir sollten also in der Sache ernst bleiben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Edelgard Bulmahn (SPD): Das ist dem Parlament nicht angemessen!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ströbele, ich verstehe diese Diskussion nicht. Wir alle gehen von einem erweiterten Sicherheitsbegriff aus. Wenn sich dann jemand aus Gründen sicherheitspolitischer Vorsorge richtigerweise zu der Sicherheit der Handels- und Wirtschaftswege äußert, dann wird ihm vorgeworfen, mit militärischen Mitteln darauf antworten zu wollen, obwohl das selbstverständlich zum erweiterten Begriff der Sicherheitsvorsorge gehört, wie er im Weißbuch niedergelegt wurde. Sie bauen immer einen Pappkameraden auf, um dann auf ihn einschlagen zu können. In Wirklichkeit sind wir doch alle der Meinung, dass man heute Sicherheit nicht mehr allein militärisch definieren kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Von daher verstehe ich die gesamte Diskussion nicht.

Welches ist nun die Aufgabe im Rahmen einer neuen NATO-Strategie, über die wir debattieren? Zum einen geht es 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges um die Legitimation der NATO nach außen. Zum anderen geht es vor allem um die Orientierung nach innen. Bei 28 Mitgliedsländern muss man zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge kommen. Das ist nicht einfach.

Wie die Debatte hier zeigt, stellt sich auch die Frage, wie wir, die Fraktionen im Deutschen Bundestag, es mit der NATO halten. Haben wir eine gemeinsame Sicht der Dinge? Der Auswärtige Ausschuss hat dazu eine Anhörung durchgeführt. Die gute Nachricht war, dass keiner der Sachverständigen, die die Fraktionen benannt haben, die NATO als überflüssig bezeichnet hat. Von keinem wurde empfohlen, die NATO abzuschaffen. Der von den Grünen benannte Sachverständige Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat gesagt: Die NATO erfüllt erstens die Aufgabe, einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik entgegenzustehen. Zweitens bildet sie eine transatlantische Klammer. Drittens ist sie eine kostengünstige Versicherungspolice für alle, die ohne diese Police wesentlich nervöser wären. Sie sind deshalb nicht nervös, weil sie sich durch Art. 5 des Nordatlantikvertrages, nach dem ein Angriff auf einen als ein Angriff auf alle bewertet und entsprechend beantwortet wird, sicher fühlen. Das ist der Kern des Bündnisses. Hinzu kommen die erweiterte Sicherheit des euroatlantischen Raumes und das transatlantische Forum für Sicherheitskonsultationen.

Wie sieht es mit der Basis der NATO im Deutschen Bundestag aus? Wenn ich den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion richtig verstehe, haben wir als Koalitionsfraktionen in der Einschätzung eine große gemeinsame Basis mit Ihnen. Sie, meine Damen und Herren von der Linken, fordern nach wie vor die Abschaffung der NATO, wenn ich Ihre Position richtig interpretiere. Im Entschließungsantrag der Grünen steht nichts von den Bedrohungen, denen wir uns im 21. Jahrhundert gegenübersehen. Es steht auch nichts von der Notwendigkeit des Bündnisses darin. Sie konzentrieren sich auf einen einzigen Aspekt, und so überschreiben Sie Ihren Antrag auch: Die NATO muss abrüsten, und zwar einseitig. Von dieser einseitigen Abrüstung der NATO versprechen Sie sich sozusagen den Weltfrieden. Ich darf hier aus Ihrem Antrag zitieren:

Ob die Wende hin in eine Ära der weltweiten Abrüstung gelingt, hängt insbesondere vom zukünftigen Selbstverständnis und Verhalten der NATO ab.

Das erinnert mich an Ihre Begründung des Atomausstiegs: Wenn Deutschland vorangeht, wird die ganze Welt folgen. - Sie wissen inzwischen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Wo haben wir denn jetzt im Augenblick Rüstungsspiralen? Wir haben sie in Asien, Indien, Pakistan; China rüstet auf; vor Nordkorea hat man Angst. Es gibt Aufrüstungsspiralen im Nahen Osten. Da geht es in erster Linie um den Iran und die dortigen Konflikte und Bedrohungen. Wir konstatieren Aufrüstung in Afrika. Ist daran die NATO schuld? Würde ein Abrüstungsprozess der NATO dies verändern? Im Grunde genommen leidet doch die Welt darunter, dass es gerade in Asien, in Afrika und im Nahen Osten keine solchen Sicherheitsarrangements gibt, wie wir sie im euroatlantischen Raum mit der NATO haben. Das ist doch das Problem, meine Damen und Herren von den Grünen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun dreht uns die Schattenbürgermeisterin von Berlin gerade den Rücken zu. Aber der Schattenaußenminister sitzt noch hier vorn. Herr Trittin, wenn Sie jetzt als deutscher Außenminister nach Lissabon fahren müssten,

(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Dann würde er ausgelacht!)

dann hätten Sie folgende Probleme: Sie müssten erklären, warum die NATO die Augen vor der Bedrohung unserer Computersysteme verschließen soll, von denen nicht nur die Krankenhäuser, der Straßenverkehr und die Elektrizitätsversorgung abhängen. Sie müssten den Franzosen und Briten erklären, warum Sie für eine atomwaffenfreie Zone in Europa sind. Sie müssten vor allen Dingen allen anderen erklären, warum Sie die Raketenabwehr in Bausch und Bogen ablehnen, für die es einen breiten Konsens im Bündnis gibt. Mit anderen Worten: Ein Außenminister Trittin würde Deutschland politisch in die Isolierung innerhalb der NATO führen. Das muss man an dieser Stelle klar sagen.

Diese Debatte dient auch dazu, hier im Hause klar darzustellen: Wer steht hinter diesem Bündnis, hinter dieser Strategie? Nach meiner Analyse sind das die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Die Linken lehnen sie ab, und die Grünen wollen sie schrittweise abschaffen, indem sie für eine einseitige Abrüstung der NATO plädieren. Das ist aus meiner Sicht das Fazit der heutigen Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Silberhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sinn und Zweck der NATO wurden nach dem Ende des Kalten Krieges vielfach offen infrage gestellt, bis hin zu Prognosen über den kurz bevorstehenden Zerfall des nordatlantischen Bündnisses. Die Debatte über das neue Strategische Konzept der NATO, das im November beschlossen werden soll, zeigt: Keine dieser düsteren Vorhersagen ist eingetreten; die NATO gibt es nach wie vor. Sie wird eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts spielen, so wie sie auch im letzten Jahrhundert eine Schlüsselrolle gespielt hat. Von daher ist es gut, dass das Bündnis seinen sicherheitspolitischen Kompass an den neuen Bedrohungslagen ausrichtet und sich auch der öffentlichen Debatte stellt. Im Kern geht es darum, gemeinsame Sicherheitsinteressen zu definieren und die dafür nötigen Instrumente bereitzustellen.

Die NATO ist und bleibt ein transatlantisches, ein regionales Bündnis. Deswegen wird auch die Beistandsverpflichtung weiterhin ein Wesenskern der NATO sein. Es geht allerdings nicht mehr um die Frage, ob die NATO im Rahmen dieser Beistandsverpflichtung innerhalb oder außerhalb des Bündnisgebietes tätig wird. Vielmehr ist entscheidend, dass die westliche Wertegemeinschaft in der Lage ist, neuen Bedrohungen ihrer Sicherheit zu begegnen, die mit der Beistandsverpflichtung allein nicht mehr erfasst werden können. Es kennzeichnet die neuen Bedrohungslagen, dass sie vielfach nicht militärischer Natur sind, von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen und deswegen auch nicht allein mit militärischen Mitteln bewältigt werden können. Dennoch sind diese neuen Bedrohungen - von Angriffen auf Computernetze über Proliferation von Massenvernichtungswaffen bis zu Terrornetzwerken - Teil einer weit gefassten Definition des Sicherheitsbegriffs. Von daher ist es notwendig, dass die NATO sie in ihr neues Strategisches Konzept aufnimmt.

Zu diesen neuen Herausforderungen gehört es selbstverständlich auch, dass wir die Handelswege und den Zugang zu Rohstoffen und Energie sichern. Selbstverständlich hat Deutschland als größte Exportnation und als eine der größten Schifffahrtsnationen ein existenzielles Interesse an der Freiheit der Handelswege. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir haben das in das Mandat ?Atalanta? für die Piratenbekämpfung vor Somalia ausdrücklich hineingeschrieben. Das ist im Weißbuch der Bundeswehr enthalten. Wir haben das gemeinsam mit der SPD im Rahmen der Großen Koalition beredet. Niemand hat infrage gestellt, dass die Bundeswehr - das steht völlig außer Zweifel - allein auf der Grundlage des Grundgesetzes, im Einklang mit dem allgemeinen Völkerrecht und im Rahmen der Satzung der Vereinten Nationen tätig wird.

(Uta Zapf (SPD): Was ist mit einem UN-Sicherheitsratsmandat?)

Deshalb brauchen Sie, Herr Trittin, oder auch Sie, Herr Ströbele, hier nicht über Handels- oder Rohstoffkriege zu schwadronieren. Das Wort ?Kanonenpolitik? ist gefallen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war ein Zitat von Herrn Polenz! Da habe ich nur Herrn Polenz zitiert!)

Herr Trittin, Sie sind tatsächlich verklemmt. Das ist das, was der Bundesverteidigungsminister gemeint hat. Sie bemühen sich, sich an ihm abzuarbeiten. Bleiben Sie einfach locker!

Eine enge Zusammenarbeit mit Russland wird von zunehmender Bedeutung für die NATO. Russland ist ein Partner, mit dem wir gemeinsame Interessen haben, zum Beispiel bei der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen, der Bekämpfung des Terrorismus und anderen Fragen. Allerdings gibt es weiterhin eine unterschiedliche Wahrnehmung in Bezug auf Russland innerhalb der NATO, die unterschiedlichen historischen Erfahrungen geschuldet ist. Deswegen ist es notwendig, dass wir Transparenz wahren und vertrauensbildend tätig sind, auch gegenüber den mittel- und osteuropäischen Staaten.

Deutschland ist nicht nur im Westen fest verankert. Vielmehr haben wir haben auch eine besondere Rolle in Bezug auf Russland, wo wir hohe Wertschätzung genießen. Deswegen ist es richtig, dass wir eine aktive Rolle spielen; das hat die Bundeskanzlerin auch getan. Ich nenne nur den Vorschlag zur Einrichtung eines politischen und Sicherheitskomitees auf Ministerebene, den Frau Merkel und Herr Medwedew im Juni unterbreitet haben, oder die bevorstehende Teilnahme von Herrn Medwedew am NATO-Russland-Rat während des Gipfels. Das sind ermutigende Signale. Deswegen ist die Gelegenheit für eine Annäherung Russlands an die NATO günstig. Allerdings sollte Russland auch im eigenen Interesse diese Kooperation suchen.

Das Angebot, Russland in die Raketenabwehr einzubinden, steht. Aber es muss klar sein, dass wir der potenziellen Bedrohung, die vor allem von Kurz- und Mittelstreckenraketen ausgeht, dadurch begegnen müssen, dass wir eine Raketenabwehr errichten, die das gesamte Bündnisgebiet abdeckt. Dabei bleibt die Erkenntnis, dass eine solche Raketenabwehr keinen absoluten Schutz gewährleisten kann. Daher bleiben andere Formen der Abschreckung und Verteidigung einschließlich der nuklearen Komponente notwendig, wenngleich diese durch einen solchen Raketenabwehrschirm substanziell an Bedeutung verlieren kann. Darin liegt die Herausforderung dieser Raketenabwehr.

Eine Lehre aus dem Einsatz in Afghanistan ist, dass der Ansatz der vernetzten Sicherheit bei künftigen Einsätzen von Beginn an zugrunde gelegt und in die Einsatzwirklichkeit übertragen werden muss. Wir müssen die NATO auch mit zivilen Fähigkeiten ausrüsten. Die engere Kooperation der Europäischen Union mit der NATO ist ein weites Feld. Die Europäische Union ist geeignet, die notwendigen zivilen Fähigkeiten in eine Kooperation mit der NATO einzubringen. Hier besteht die große Herausforderung, die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den NATO-Mitgliedstaaten zu vertiefen.

Zusammenfassend: Die NATO bleibt ein zentraler Pfeiler unserer Sicherheit. Wir tun das Notwendige, um sie zu stärken. Wir müssen auch die Mittel dafür bereitstellen. Wir sind beim Umbau der Bundeswehr in Deutschland auf einem guten Weg. Ich glaube, es wird uns gelingen, sowohl die NATO zu stärken als auch unseren Beitrag zu leisten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge.

Zunächst rufe ich den Entschließungsantrag der SPD auf der Drucksache 17/3677) auf. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/3678 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/3679 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Mit gleicher Mehrheit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/3680 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.

Schließlich rufe ich den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3681 auf. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dieser Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Quelle: Deutscher Bundestag: Vorläufiges Protokoll der 71. Sitzung vom 11. November 2010; V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG


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