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USA bringen Biowaffen-Konferenz zu Fall

144 Staaten vertagen sich ohne Ergebnis auf November 2002

Schon im Vorfeld der fünften Überprüfungskonferenz der Biowaffen-Konvention in Genf gab es keine allzu großen Hoffnungen auf einen entscheidenden Durchbruch. War doch vor allem von den USA erwartet worden, dass sie sich gegen die Verabredung eines verbindlichen internationalen Kontrollmechanismus zur Überprüfung des fast 30 Jahre alten Biowaffen-Verbots sperren würde. Dass es aber so schlimm kommen würde, überraschte selbst westliche Diplomaten, die sonst zu den engsten Verbündeten der USA zählen.

Den von der UNO-Abrüstungskonferenz erarbeiteten Vertragsentwurf für ein internationales Überwachungsregime mit gegenseitigen Kontrollen und Inspektionen von Forschungslabors und biomedizinischen Anlagen hatten die USA bereits im Juli abgelehnt. Zu Beginn der Genfer Konferenz am 19. November hatte US-Unterstaatssekretär John Bolton - laut Frankfurter Rundschau ein "Rüstungseiferer" (FR, 10.12.2001) - diese Ablehnung bekräftigt. Gleichzeitig vergiftete er die Atmosphäre, indem er Irak, Iran, Libyen, Nordkores, Sudan und Syrien vorwarf, die B-Waffen-Konvention gebrochen und sich an offensiven Biowaffenprogrammen beteiligt zu haben. Bolton wiederholte am Schlusstag der Konferenz diese Beschuldigungen und verlangte, dass sie in die Schlusserklärung aufgenommen werden sollten. Dem mochte sich aber kein anderer Staat anschließen. Immerhin konnte darauf hingewiesen werden, dass der Vertrag ein Untersuchungsverfahren vorsieht, falls ein Mitglied ein anderes des Vertragsbruchs verdächtigt und anklagt - eine Möglichkeit, von der die USA bisher noch nie Gebrauch gemacht haben.

Völlig unannehmbar war für die anderen Konferenzteilnehmer auch der Antrag der USA, den Ausschuss, der zur Nachbesserung der Biowaffen-Konvention geschaffen worden war, wieder aufzulösen. Damit wäre der weitere Prozess der Überprüfung abgeschnitten. Immerhin haben sich die USA schließlich dazu herabgelassen, einer neuerlichen Einberufung der Konferenz am 11. November 2002 zuzustimmen. Das zentrale Argument der USA gegen den Protokollentwurf war, er fördere die "Werkspionage".

Die Präsidentschaft der EU hat die destruktive Haltung der US-Delegation in ungewohnt klarer Form kritisiert. In einer Erklärung dazu heißt es u.a.: "Die EU bedauert nachdrücklich die Wendung, welche die fünfte Überprüfungskonferenz zum Biowaffen-Verbotsabkommen genommen hat. In Anbetracht der besonderen Lage auf Grund der terroristischen Angriffe vom 11. September und den Milzbrandattacken hat die EU die Konferenzarbeit pragmatisch und mit Realismus begonnen. Die EU unterstützt nachdrücklicher denn je die multilateralen Bemühungen im Bereich der Abrüstung." (Zit. n. FR, 10.12.2001)

Auch in anderen Delegationskreisen waren die Reaktionen auf die brüske Haltung der USA ungewöhnlich scharf. Jan van Aken vom Netzwerk Sunshine-Project berichtete, die USA seien sogar offen als Lügner betitelt worden. "Die behandeln uns doch wie Dreck", habe eine skandinavische Delegierte gerufen. Ein anderer EU-Diplomat, so wusste Andreas Zumach in der taz zu berichten, kommentierte: "In Jahrzehnten multilateraler Verhandlungen sind wir noch niemals so erniedrigend behandelt worden." Die Vertreter der EU-Staaten blieben einem Treffen der westlichen Staatengruppe aus Protest fern und die US-Politik wurde im Verhandlungssaal offen angegriffen. Sogar engste Verbündete wie Großbritannien wurden von der US-Regierung im Vorfeld nicht über deren Absichten informiert. "Hier sollte offenbar ein Zeichen gesetzt werden", schätzt Jan van Aken. Oliver Meier, Leiter des Programms zur Überprüfung von Rüstungskontrollabkommen am "Verification Research, Training and Information Centre" in London vermutet hinter dem Handeln ideologische Gründe. Vieles spreche dafür, sagte Meier in einem Gespräch mit der "jungen welt", dass die Hardliner in der US-Regierung an Boden gewinnen. Was also beim US-Boykott des Kyoto-Klimaabkommens seinen Anfang genommen habe, finde seinen Fortgang bei der Biowaffenkonvention. Meier: "Es liegt nun an den europäischen Staaten zu verhindern, dass die Rüstungskontrolle für chemische und atomare Waffen als nächstes ausgehebelt wird". (jw, 10.12.2001)

Teilnehmer und Kommentatoren der Konferenz weisen unterdessen darauf hin, dass der 11. September und die Folgen die USA auch aus anderen Gründen in ein etwas ungünstiges Licht gerückt hätten. Vor allem die zahlreichen Milzbrandanschläge in den USA sind erklärungsbedürftig. Vermutungen, die darauf hinauslaufen, dass das hierbei verwendete Anthraxpulver aus US-Militärbeständen stammt, würden ja auch den Verdacht nahe legen, dass sich die USA nicht an die Bestimmungen der Biowaffen-Konvention von 1975 gehalten hat. Nach dieser Konvention mussten nämlich die Unterzeichnerstaaten, also auch die USA, sechs Monate nach Inkrafttreten des Abkommens alle Biowaffen-Bestände vernichten - bis auf einen erlaubten Rest geringer Mengen zu Schutzzwecken wie der Entwicklung von Impfstoffen. Allein was seit dem 11. September in den USA an Anthraxmengen auftauchte, dürfte diese "geringe" Menge schon übersteigen.
Pst


Hierzu ein Kommentar aus der taz:

Andreas Zumach kommentierte in der taz vom 10. Dezember 2001 die geplatzte Genfer Überprüfungskonferenz u.a. mit Vorwürfen an die Adresse der Europäer. Ihr Ärger über die schroffe Ablehnung der USA sei zwar verständlich, aber die "Verblüffung über das Vorgehen der USA" sei "weniger glaubwürdig". Zumach fährt fort:

Denn bereits im Februar dieses Jahres war eine interne, immerhin von Außenminister Colin Powell abgezeichnete Einschätzung der Bush-Admininistration bekannt geworden, wonach der Entwurf für das Überprüfungsprotokoll "unvereinbar" sei mit den nationalen Interessen der Vereinigten Staaten. Die in dem Protokoll vorgesehenen internationalen Kontrollen wurden als Gefahr beschrieben für die zivile Industrie sowie für die nationale Sicherheit der USA, insbesondere für die angeblich ausschließlich defensiven Biowaffen-Forschungsprogramme der US-Verteidigungsstrategen im Pentagon.

Im Berliner Außenministerium reagierte man seinerzeit beschwichtigend auf diese vermeintlich nur "vorläufige" interne Analyse und verwies auf die "großen Einflussmöglichkeiten" von Außenminister Joschka Fischer und seinen europäischen Amtskollegen in Washington. Im Juli begründete der US-Botschafter bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz mit den unveränderten Argumenten aus dem Analysepapier vom Februar dann die offizielle Ablehnung des von allen anderen 60 Konferenzstaaten unterstützten Überprüfungsprotokolls. Doch selbst nach dieser offiziellen Erklärung verbreiteten Außenminister Fischer und seine Diplomaten in Genf, New York oder Washington unverdrossen die Einschätzung, die Bush-Administration werde ihre Haltung noch korrigieren.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September und insbesondere seit den Milzbrandattacken in den USA kündigten hochrangige Vertreter der Regierung Schröder/Fischer an, jetzt werde die Bush-Administration gerade beim Thema B-Waffen zu einer multilateralen Außenpolitik zurückfinden. Daher gebe es neue Chancen für einen Konsens bei den Genfer Verhandlungen. Unklar ist, ob diese Einschätzung nur naiv war oder ob sie wider besseres Wissen verbreitet wurde. Doch sie diente vor allem deutschen und britischen Regierungsvertretern dazu, in den letzten Monaten alle Vorschläge zurückzuweisen, das B-Waffen-Überprüfungsprotokoll zunächst einmal ohne die USA zu beschließen und in Kraft zu setzen - ähnlich wie das Klimaschutzprotokoll von Kioto. Für dieses Vorgehen hatten ursprünglich fast alle anderen Mitglieder der UNO-Abrüstungskonferenz plädiert - inklusive der anderen EU-Staaten. Es scheiterte an der Weigerung der Briten und der Deutschen.

Jetzt steht die UNO-Konferenz mit ihren Bemühungen um eine Überwachung und verbesserte Duchsetzung des Verbots biologischer Waffen vor einem Scherbenhaufen. Die Regierungen in Berlin, London und anderen Hauptstädten sind für diesen Scherbenhaufen kaum weniger verantwortlich als die Bush-Administration. Dass die USA seit Ende des Kalten Krieges immer weniger an Rüstungskontrolle und Abrüstung mittels multilateraler Vereinbarungen interessiert sind und stattdessen verstärkt auf nationale militärische Maßnahmen gegen tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen setzen, wurde bereits während der Clinton-Administration deutlich. Die Berliner rot-grüne Koalition passt sich diesem verhängnisvollen Kurs Washingtons, dem die Regierungen Kohl/Genscher und Kohl/Kinkel noch deutlich, engagiert und oft auch öffentlich widersprochen hatten, zunehmend an.
(ANDREAS ZUMACH, taz, 10.12.2001)


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