Kein Interesse an einer Aufklärung der Anthrax-Affäre?
Von den gefürchteten Briefen in den USA führt eine Spur zurück in den ersten biologischen Krieg nach Rhodesien
Von Hein Möllers
Die USA haben dieser Tage die 5. Überprüfungskonferenz der
Biowaffen-Konvention
endgültig platzen lassen: Bis 2006 werden alle weiteren Verhandlungen
über die
Schaffung von Kontrollmechanismen, mit der die Konvention von 1972
überprüft werden
soll, ausgesetzt.
Die USA befürchten angeblich Industriespionage – aber nicht nur das. Sie
befürchten offenbar auch,
dass mehr über die eigene Forschung und Entwicklung biologischer
Kampfmittel bekannt werden
könnte. Schließlich ist die Affäre um die Anthrax-Briefe, die nach dem
11. September 2001
verschickt wurden und fünf Menschenleben kosteten, bisher nicht
aufgeklärt.
Schnell war deutlich geworden, dass hinter dem Absender ein USA-Bürger
stecken muss mit guten
Verbindungen zu Labors, die auf dem Gebiet der Biowaffen forschen. Schon
früh legten genetische
Vergleiche den Verdacht nahe, dass die Anthrax-Sporen aus dem wohl
wichtigsten militärischen
Labor der USA stammen, dem US Army’s Medical Research Institute for
Infectious Deseases
(USAMRID) in Frederick, nördlich von Washington. Trotz dieser Hinweise
zogen sich die
Ermittlungen hin und Kommentatoren fragten, ob sich das FBI so viel Zeit
lasse, um möglichst
wenige Details über die geheime Biowaffenforschung der USA an die
Öffentlichkeit gelangen zu
lassen.
Der »nicht verdächtigte« Mr. Hatfill schweigt
Ganz oben auf der Fahndungsliste stand Steven J. Hatfill. Am 1. August
dieses Jahres besuchten
ihn die Fahnder ein drittes Mal. Ein aktiver Forscher Hatfill stand
jahrelang als Biowaffenexperte in
den Diensten der USA. Seit 1995 arbeitete er beim Nationalen
Gesundheitsdienst, in
Hochsicherheitslabors der Armee, und war bei USAMRID von 1997 bis 1999
in Abteilungen mit
höchster Sicherheitsstufe tätig. Er forschte an todbringenden Viren,
gegen die es keine Impfstoffe
gibt, kannte sich aus in der Produktion von Anthrax und hatte 1999 eine
interne Studie in Auftrag
gegeben, wie Anthrax per Post versandt werden könne.
Die Karriere Hatfills endete 1999 abrupt, als er sich einer neuen und
schärferen Sicherheitsprüfung
unterziehen musste. Beim Test mit dem Lügendetektor gab es Probleme.
Hatfill kam ins Stolpern,
als er über seine Jahre in Simbabwe, dem damaligen Südrhodesien, befragt
wurde. Den
Untersuchungsbeamten, die den Detektor bedienten, warf er daraufhin vor,
sie seien Amateure und
hätten nicht verstanden, was Leute wie er in Zeiten des Kalten Krieges
in Rhodesien hätten tun
müssen. Einer der Beamten erwähnte gegenüber der Presse, Hatfill habe
erzählt, sein
Schwiegervater sei in Rhodesien von Rebellen umgebracht worden und er
habe danach an Aktionen
teilgenommen, deren Erinnerung ihn beim Test gestört habe.
Steven J. Hatfill lebte nach seinem Studienabschluss 1975 und einer
Anstellung beim US Army
Institute for Military Assistance von 1975 bis 1978 in Südrhodesien, wo
er u.a. seine medizinischen
Studien im damaligen Salisbury, dem heutigen Harare, fortsetzte. In
unmittelbarer Nachbarschaft
seiner damaligen Wohnung liegt übrigens der Vorort Greendale, dessen
Name in der
Absenderadresse der Anthrax-Briefe vom vorigen Herbst aufgeführt wird.
Gleichzeitig diente er in
einer Special Air Squadron (SAS) der Südrhodesier. 1984 wechselte er
nach Südafrika, wo er
verschiedene militärmedizinische Aufgaben übernahm. Auffällig in seiner
Biografie ist, dass seine
Dienste beim USA-Militär und in der rhodesischen SAS zeitweise
zusammenfallen.
Die Zeitschrift »The American Prospect« stellte in ihrer Juni-Ausgabe
unbequeme Fragen: »War
das Programm zur biologischen Kriegsführung des US-Militärs bereit,
einen Mann einzustellen, der
zwei Jahrzehnte zuvor in einem Medizin-Corps der Apartheid-Armee und
rhodesischen
paramilitärischen Einheiten während des simbabwischen Befreiungskampfes
gedient hat, und ihm
eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für einen sensiblen Bereich
auszuhändigen? Oder arbeitete
Hatfill in der SAS und später im südafrikanischen Medizin-Corps im
Auftrag der USA-Regierung?«
Hatfills Dienst in einer Sondereinheit der rhodesischen Luftwaffe fällt
in einen Zeitraum, als das
dortige Regime auf biologische Kriegsführung gegen die
Unabhängigkeitsbewegung setzte, weil sie
ihr anders nicht mehr Herr zu werden glaubte.
Milzbrand-Seuche gegen Befreiungsbewegung
Hatfill schweigt sich aus über seine militärischen Aktivitäten in
Südrhodesien. Und auch jene
Regierungsstellen in den USA, die ihm eine
Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt haben
und seine Personalakte kennen, haben kein Interesse an einer Aufklärung
dieses
Lebensabschnittes. Seine Biografie aber verweist auf einen schmutzigen
Krieg, der bis heute kaum
wahrgenommen worden ist:
»Sie bewegten sich im Dunkeln und schrieben eine finstere Geschichte,
die ersten Soldaten, die
den ersten modernen biologischen Krieg entfesselten. Sie waren besonders
ausgebildet, haben
aber wohl kaum die Ungeheuerlichkeit begriffen, die sie begingen.« Mit
diesen Worten leiten Tom
Mangold und Jeff Goldberg das Kapitel »Rhodesien 1978« ihres Buches
»Plague Wars«
(Seuchenkriege / Macmillan 2000) ein, in dem sie der Geschichte der
biologischen
Waffenentwicklung und Kriegsführung nachgehen. »Die Soldaten und ihre
zivilen Berater
verbreiteten heimlich Anthrax-Sporen unter die hungrigen Rinder in den
rhodesischen Tribal Trust
Lands und infizierten Flussläufe mit Colibakterien. Die großen, reichen
weißen Farmen sparten sie
aus. Die Logik dahinter war so brutal wie simpel: Töte das Vieh der
Schwarzen, und mit ihnen stirbt
die Nahrung der rhodesischen Guerilleros; töte die Rinder und
beschuldige die Guerilleros und
gewinne damit den psychologischen Krieg. Verbreite Cholera in den
Dörfern und destabilisiere so
die Guerilleros und ihre Infrastruktur.« Der Ausbruch des Milzbrandes
fiel in die letzten Monate
eines langen und brutal geführten Krieges gegen die
Befreiungsorganisationen, der Ende der 60er
Jahre begonnen hatte und 1980 mit dem Lancaster-House-Abkommen und der
Unabhängigkeit
Simbabwes endete.
Den Einsatz biologischer Kampfmittel bestätigt ein Geheimbericht der US
Defence Intelligence
Agency an das USA-Verteidigungsministerium, der 1994 freigegeben wurde.
»Nach Aussagen von
(Quelle in Veröffentlichung gestrichen) gestand ein Mitglied der
rhodesischen Selous Scouts
(berüchtigte Sondereinheiten) 1978, dass sie sowohl chemische wie
biologische Waffen eingesetzt
hätten, um die Terroristen umzubringen.«
Mit einer medizinwissenschaftlichen Untersuchung der Anthrax-Fälle im
damaligen Südrhodesien
befasste sich als erste die US-amerikanische Ärztin Meryll Nass. Ihr
fielen eine Reihe von
Besonderheiten bei der Milzbrand-Epidemie auf. Sie überprüfte zunächst
alle natürlichen
Erklärungsversuche für die Ausbreitung der Anthrax-Sporen – mit
negativen Ergebnissen.
Abgesehen von der ungewöhnlich hohen Zahl der Infizierten und Toten
überraschte die Verbreitung.
»Solche Ausbrüche sind in der Regel dadurch charakterisiert, dass sie
sich um einen Herd
konzentrieren. Die Fälle treten immer in einem begrenzten Gebiet auf. In
Simbabwe jedoch sprang
sie von Region zu Region, bis sechs von acht Provinzen betroffen waren.«
Und es traf immer nur
die Tribal Trust Lands – jene den Schwarzen zugewiesenen Gebiete. Die
kommerziellen (im Besitz
der Weißen befindlichen) Farmgebiete wurden komplett ausgespart.
Die Milzbrand-Seuche in Südrhodesien kann – so das Fazit der
Untersuchung – nicht als
»natürlich« erklärt werden, sondern sie verweist auf einen strategischen
Einsatz von Biowaffen im
Krieg gegen die Befreiungsbewegung. Nicht geklärt ist, wer an diesem
schmutzigen Krieg
unmittelbar beteiligt war. Teilnehmer beider Seiten stimmen darin
überein, dass nur ausgewählte
rhodesische Offiziere in das Programm eingeweiht waren, Planung und
Kontrolle aber von
südafrikanischen Spezialeinheiten durchgeführt wurden. Die Labor-Sporen
kamen aller
Wahrscheinlichkeit nach aus Großbritannien. Das überrascht weiter nicht,
da in jenen Tagen
sowohl die Briten als auch die USA solche Pathogene für »legitime«
Versuchszwecke exportierten.
Opfer noch nach mehr als 20 Jahren
Die Folgen sind heute noch spürbar, lange nachdem der Krieg um die
Befreiung gewonnen und aus
Rhodesien Simbabwe wurde. Anthrax-Sporen bleiben im Boden, und wenn die
Bedingungen
stimmen, vermehren sie sich und befallen zyklisch Vieh und Menschen. Ein
biologischer Krieg hat
andere Folgen als ein konventioneller; einmal entfesselt, gerät er außer
Kontrolle.
Tom Mangold und Jeff Goldberg reisten 1999 in eines der Gebiete, die
1978 mit Anthrax verseucht
wurden. Die Krankheit war gerade wieder ausgebrochen. In den sechs
Monaten vor ihrem Besuch
waren zahllose Tiere eingegangen, 47 Menschen hatten sich angesteckt.
Als Goldberg und
Mangold eintrafen, wurde der Opfer von vor zwanzig Jahren gedacht.
»Angehörige der Opfer
warteten auf uns, um ihre Geschichten zu erzählen. Elijah Dube hat
seinen Bruder Mbuyazwe
verloren; nur 28 Jahre alt ist er geworden. Elijah, ein
Sieben-Tage-Adventist, geht hinüber zum Chor
in der bescheidenen Hütte, die sie Kirche nennen. ›Im Angesicht des
Todes leuchtet Gott wie ein
Stern‹, singt er.«
Die Anthrax-Sporen sind im damaligen Südrhodesien nicht vom Himmel
gefallen, so wenig wie die
Briefe in den USA. Als dort die Fahnder am 1. August Steven Hatfill
besuchten, brachten sie
Spürhunde mit. Bei anderen Verdächtigen hatten sie keine Reaktion
gezeigt. Jetzt aber schlugen
sie sofort an. Offiziell jedoch heißt es weiter, Hatfill werde »nicht
verdächtigt«. Weiß er zu viel, und
fürchtet das FBI, dass zu viele Details über die Biowaffenforschung der
USA ans Licht kommen?
Die Karriere Steven Hatfills dürfte wohl beendet sein. Eines aber hat er
erreicht. USA-Präsident
George W. Busch hat – wie von Hatfill seit Jahren gefordert – mehr Geld
bereitgestellt für
Biowaffenforschung – im »Kampf gegen den Bio-Terrorismus«.
Dieser Beitrag erschien am 26. November 2002 im Neuen Deutschland
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