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Ethikregeln gegen Biowaffen?

In Genf beginnen die Beratungen zum Verbot von Biowaffen - Vorbereitung der im Herbst 2006 angesetzten Überprüfungskonferenz der B-Waffen-Konvention

Von Wolfgang Kötter

Am Europäischen Sitz der Vereinten Nationen in Genf beginnen heute (26.04.2006) Beratungen zum Verbot von Biowaffen. Die 155 Mitgliedstaaten der B-Waffen-Konvention bereiten die für den kommenden Herbst angesetzte Überprüfungskonferenz vor. Eine Reihe konkreter Vorschläge wurden bereits in den vergangenen Jahren von Expertentreffen erörtert. Auf der Agenda standen zuletzt Verhaltensregeln für Biowissenschaftler, die den Missbrauch der Lebenswissenschaften zu militärischen Zwecken verhindern sollen.

Durch die Fortschritte der Biowissenschaften wächst die militärische Bedeutung biologischer Kampfstoffe alarmierend an. Krankheitserreger können beispielsweise durch die Erhöhung der Antibiotikaresistenz oder ihre "Ummünzung" von Tieren auf den Menschen gezielt verändert werden. So entwickelte eine Forschungsgruppe an der St. Louis University in den USA mit gentechnischen Verfahren eine besonders tödliche Form des Kuhpockenvirus, der auch Menschen befallen kann. Eine Team um den Biowissenschaftler Terrence Tumpey in der US-amerikanischen Seuchenbehörde (CDC) in Atlanta experimentiert gegenwärtig mit dem gentechnisch wiederbelebten Vogelgrippevirus H1N1, das im Jahre 1918/19 direkt auf den Menschen übersprang und die Spanische Grippe auslöste, an der nahezu 50 Millionen Menschen starben. Dabei wollen die Wissenschaftler herausfinden, welche Mutationen im gegenwärtig auf der Welt grassierenden Virus H5N1 erfolgen müssen, um direkt von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. Mit der Begründung, nach einem wirksamen Gegenmittel zu forschen, soll also im Labor genau der Vorgang synthetisch ausgelöst werden, der die größte Gefahr für den Ausbruch der allgemein befürchteten Pandemie darstellt. James Stevens und seine Kollegen von der kalifornischen La Jolla Universität haben die Struktur des Vogelgrippevirus analysiert und entdeckt, dass schon kleine Veränderungen des Eiweißstoffs Hämagglutinin an der Oberfläche der Viren genügen, um sie für den Menschen hochgefährlich zu machen. Kritiker wie Richard Ebright von der Rutgers University im USA Bundesstaat New Jersey warnen deshalb vor den Risiken einer versehentlichen oder beabsichtigten Freisetzung von Viren bei derartigen Experimenten, und Biowaffenexperte Jens Kuhn von der Harvard Universität fordert eine strenge internationale Aufsicht durch die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Auch die bis vor kurzem für unmöglich gehaltene Entwicklung von Ethnowaffen scheint inzwischen machbar. Nach Krankheitserregern, die nur Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit treffen, wird bereits seit längerem geforscht. Medienberichten zufolge haben südafrikanische Wissenschaftler zur Zeit der Apartheid nach Viren gesucht, die ausschließlich Schwarze infizieren und unfruchtbar machen sollten. Lange galt jedoch, dass ethnospezifische, für biologische Waffen nutzbare Gene nicht existieren. Aber der Mikrobiologe Jan van Aken von der biowaffenkritischen Organisation Sunshine Project weist darauf hin, dass in verschiedenen Bereichen umfangreiche genetische Daten verschiedener Bevölkerungsgruppen analysiert und gesammelt werden. Die forensische Genetik versucht, anhand einer genetischen Tatort-Probe die ethnische Zugehörigkeit des Täters zu ermitteln. In der Pharmakogenetik werden klinische Studien an Genen durchgeführt, die möglicherweise einen Einfluss auf die Nebenwirkung von Medikamenten haben. Auch die Grundlagenforschung untersucht zunehmend ethnisch spezifische Gendaten. So wird im Rahmen des internationalen HapMap-Projekts zur Kartierung von so genannten Haplotypen im menschlichen Genom die genetische Variation von vier Bevölkerungsgruppen untersucht: Han-Chinesen, Japanern, Yorubas in Nigeria und USA-Bürgern europäischer Abstammung. Unter den beteiligten Wissenschaftlern vermisst van Aken bislang jedoch genügend Bewusstsein für den möglichen militärischen Missbrauch solcher Projekte. Gentechnik, Genomik und Biotechnologie stehen heute aber erst ganz am Anfang einer Entwicklung, in deren Ergebnis Ethnobomben, psychoaktive Drogen und andere neuartige Waffensysteme entstehen könnten. Die Militärs fordern eine forcierte Biowaffen-Abwehrforschung, denn man müsse sich gegen die Eventualität eines Angriffs mit den Krankheitserregern durch Terroristen oder „Schurkenstaaten“ schützen. Doch das ist ein selbst gemachter Teufelskreis, warnt Edward Hammond vom Sunshine Project: "Derartige Forschung löst ein Wettrennen um die gentechnische Herstellung möglichst gefährlicher Viren und Bakterien aus - und um die Forschungsgelder zur Bekämpfung dieser hausgemachten Erreger."

In einem Appell "Biotechnologie, Waffen und Menschheit" fordert das Internationale Komitee vom Roten Kreuz deshalb ein klares Bekenntnis zur weltweiten moralischen Ächtung von Biowaffen sowie bessere Kontrollen von potentiell gefährlichen Projekten in der Biotechnologie. Verhaltensregeln sind notwendig, "um zu verhindern, dass die Lebenswissenschaften durch Bioterrorismus oder biologische Kriegsführung zu Todeswissenschaften werden", warnte Co-Direktor Ronald Atlas von der Louisville-Universität im USA-Bundesstaat Kentucky auf der jüngsten Jahrestagung der Amerikanischen Wissenschaftsvereinigung in St. Louis.


Spezifische Verhaltensregeln sollten folgende Verbote enthalten:
  1. Die Entwicklung, Herstellung oder der Besitz von Trägermitteln für biologische Agenzien oder Toxine zu feindseligen Zwecken oder in bewaffneten Konflikten.
  2. Die Aufbereitung oder Behandlung aktiver biologischen Agenzien oder Toxine, die deren Effektivität als Waffe erhöhen.
  3. Die Einbringung biologischen Agenzien oder Toxine in Trägermittel, die für feindselige Zwecke geeignet sind.
  4. Die Herstellung und Entwicklung neuer Pathogene zur Bedrohungsanalyse, solange es keine glaubwürdigen Beweise dafür gibt, dass andere Personen oder Gruppen solche Agenzien hergestellt haben.
  5. Die Entwicklung jeglicher biologischer Agenzien oder Toxine für die Strafverfolgung, die Bekämpfung von Unruhen oder ähnliche Einsätze, da diese Aktivitäten nicht als erlaubte Zwecke in der Biowaffenkonvention aufgeführt sind.
Vorschläge der Abrüstungsorganisation Center for Arms Control and Non-Proliferation




Wegen der USA-Ablehnung von Verhandlungen zur Kontrollproblematik fanden in den vergangenen Jahren lediglich Expertenberatungen zu folgenden Themen statt:
  • staatliche Umsetzung der Vertragsbestimmungen, nationale Strafgesetzgebung sowie physische Sicherheit von Krankheitserregern und Toxinen (2003);
  • internationale Hilfe und Zusammenarbeit bei einem Angriff mit biologischen Kampfstoffen und dem Ausbruch von Massenepidemien (2004);
  • Verhaltenskodex für Biowissenschaftler zur Verhinderung des Missbrauchs biowissenschaftlicher Forschung (2005).


* Oben stehender Text wurde unter dem Titel "Biowaffen und Vogelgrippe" leicht gekürzt am 26. April 2006 in der Tageszeitung "Neues Deutschland" veröffentlicht.


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