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Verhaltenskodex zur Stärkung der Biowaffen-Konvention angestrebt

Vom 13. Juni an verhandeln Experten in Genf - Viel Stoff zur Diskussion

Von Wolfgang Kötter*

Im Genfer Palast der Nationen beraten ab heute (13.06.) Experten über die Umsetzung der Konvention zum Verbot biologischer Waffen, der gegenwärtig 154 Länder angehören. Unter Vorsitz des britischen Botschafters John Freeman soll ein Verhaltenskodex für Biologen erarbeitet werden, der dem Missbrauch der Biowissenschaften entgegen wirken kann. Während der Hippokrates-Eid als sittliches Grundgesetz des Arztes gilt, und die Schaffung der Atombombe einen intensiven Diskurs über die Verantwortung der Physiker für die Folgen ihrer Forschung auslöste, gibt es eine ethisch-moralische Richtlinie für das Handeln der Biowissenschaftler bisher nicht. Dabei vollziehen sich gerade im Bereich künstlich erzeugter Krankheitserreger äußerst besorgniserregende Entwicklungen.

Krankheitserreger außer Kontrolle?

Vor allem Fortschritte auf dem Gebiet der Gentechnik haben die bedrohlichen Potentiale biologischer Massenvernichtungswaffen dramatisch erweitert. Ein Einsatz von Krankheitserregern in einem kriegerischen Konflikt oder möglicherweise auch durch einen terroristischen Anschlag würde zu unvorstellbaren Konsequenzen führen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits mehrfach vor einer drohenden weltweiten Grippe-Epidemie z.B. durch das Übergreifen des Vogelgrippe-Virus auf den Menschen mit verheerenden Folgen und Millionen von Toten gewarnt.

Gleichzeitig beschreitet die Biowissenschaft gefährliche Wege. Von einem Forscherteam im US Armed Forces Institute of Pathology in Washington ist die Spanische Grippe gentechnisch wiederbelebt worden, die 1918/19 weltweit etwa 40 Millionen Menschenleben gefordert hatte. Wissenschaftler der Australischen Nationaluniversität in Canberra entwickelten irrtümlich einen neuen Stamm des Erregervirus von Mauspocken, der sogar geimpfte Tiere infiziert. Im April warnte die WHO vor einem lebensbedrohlichen Grippevirus, das versehentlich an mehr als 3.700 Labore in 18 Ländern verschickt worden war. Die Proben waren seit Oktober 2004 routinemäßig vom College of American Pathologists in Northfield, im USA-Bundesstaat Illinois, für Qualitätskontrolltests versandt worden. Erst Monate später bemerkte ein kanadisches Labor, dass sie falsche Grippeerreger enthielten, nämlich den Erreger der Asiatischen Grippe, der vor einigen Jahrzehnten grassierte und 1957/58 eine weltweite Pandemie ausgelöst hatte. Nun war zu befürchten, dass sich ein Labormitarbeiter anstecken und erneut eine weltweite Grippewelle verursachen könnte. Auch sechs deutsche Labore in Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern hatten solche Proben erhalten. Erst eine Woche später kam endlich die erlösende Nachricht, alle Proben der verschickten Grippeviren seien zerstört worden.

Diese Beispiele verstärken die Furcht von Gesundheitsfachleuten, dass gefährliche Krankheitserreger außer Kontrolle geraten können. Die Sorge ist berechtigt, denn im vergangenen Jahr starb eine russische Wissenschaftlerin, die sich versehentlich mit dem Ebolavirus infiziert hatte. In der Universität Boston wurden die Forschungsarbeiten an einem Impfstoff mindestens noch einen Monat lang fortgesetzt, obwohl drei Mitarbeiter an den Erregern der Hasenpest (Tularämie) erkrankt waren. In China begann der Ausbruch des Atemnot-Syndroms SARS mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Forschungslabor. Seit der Verursacher der Lungenkrankheit im vergangenen Jahr identifiziert wurde, hat die Bush-Regierung ihn über 50 Untersuchungseinrichtungen für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt. Doch Experten wenden sich gegen die wachsende Zahl von Personen mit Zugang zu Krankheitserregern, denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Freisetzung und des Missbrauchs, möglicherweise sogar für terroristische oder kriminelle Anschläge. Auch in der Bevölkerung wächst die Angst vor unkalkulierbaren Risiken. So löste der geplante Bau eines Biowaffen-Labors mitten in der Großstadt Boston einen Eklat aus: 150 Wissenschaftler protestierten in einem Brief an Bürgermeister Thomas Menino gegen die Entwicklungsstätte biologischer Kampfstoffe wegen "katastrophaler Risiken für die Gesundheit und die Sicherheit der Bevölkerung“. Würde das Labor gebaut werden, müssten die Einwohner im Stadtteil South End künftig in unmittelbarer Nachbarschaft mit Ebola-, Milzbrand- und Pesterregern leben.

Biologische Kampfmittel auf dem Vormarsch

Hinzu kommt eine andere Gefahr: „Hier wird Information erzeugt", warnt Elisa Harris von der University of Maryland, "die missbraucht werden kann, um neue Biokampfstoffe herzustellen oder existierende tödlicher zu machen." Nach Meinung vieler Kritiker verstößt das "National Biodefense Analysis and Countermeasures Center", das in den USA für 200 Millionen Dollar im Forschungszentrum des Pentagons in Fort Detrick gebaut wird, eindeutig gegen die Biowaffenkonvention. Unter dem Etikett „Biodefense“ werden jährlich 5,5 Mrd. Dollar für Projekte mit teilweise deutlich offensivem Potential ausgegeben, so z.B. für die Entwicklung gentechnisch manipulierter Krankheitserreger, für Untersuchungen zur Umweltstabilität von Erregern und ihrer Verbreitung als Aerosole sowie für neue Formen der Ausbringung und waffenfähigen Aufbereitung von Krankheitsverursachern. Das bedeutet aber nichts anderes als die systematische Entwicklung von biologischen Kampfstoffen. Die Arbeiten seien notwendig, wolle man mögliche Bedrohungen durch Bioterroristen abwehren, argumentieren die Befürworter.

Kurz nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 starben in den USA fünf Menschen durch Briefe mit Anthraxsporen, die Medien und Politikern zugeschickt worden waren, 13 weitere Personen erkrankten an Milzbrand. Diesen Vorfall nahm die Bush-Regierung zum Anlass, ihr vorher verheimlichtes Biowaffenprogramm nunmehr offen als unverzichtbar für den Antiterrorkampf zu propagieren und gewaltig zu erweitern. In den Vereinigten Staaten herrscht zur Zeit eine regelrechte Schwemme der „Biodefense“-Wissenschaft, also militärisch ausgerichteter Bioforschung. In der Vergangenheit gab es nur drei Hochsicherheitslabore in den USA und die Mittel waren knapp. Das hat sich inzwischen geändert und das Budget für die Biowaffen-Abwehr sollen im nächsten Jahr auf die astronomische Summe von 4,2 Mrd. Dollar steigen. Für 120 Millionen Dollar wird auf der vor Texas gelegenen Insel Galveston bis 2007 das "National Biocontainment Laboratory“ errichtet, ein Laborkomplex für Hunderte von Forschern. Weitere Großlabore entstehen in den Bundesstaaten Montana und Maryland, mehr als 300 kleinere Regionallabore sind über das ganze Land verteilt. Erst kürzlich erhielten die Universität Kalifornien in Irvine und die Staatsuniversität in Colorado 80 Millionen Dollar Forschungsstipendien für die Bioterrorismus-Abwehr. Doch diese Programme gehen zum großen Teil auf Kosten der zivilen Gesundheitsforschung. Mehr als 750 Wissenschaftler, darunter die Nobelpreisträger Sidney Altman und Arthur Kornberg, beklagen deshalb in einem offenen Brief, dass sich die Forschungsstipendien für Milzbrand, Pocken und Pest, aber auch für zumeist exotische Krankheiten wie Krim-Kongo-Fieber, Guanarito-Virus, Omsk-Fieber, Lassa, Ebola und Marburg seit 2001 verfünffacht haben, während sie für Projekte zur Krankheitsbekämpfung im nichtmilitärischen Bereich um 27% gesenkt wurden.

Biowaffenkonvention stabilisieren, nicht schwächen!

Derartige Forschungen bei gleichzeitiger Verweigerung jeglicher Verifikationsmaßnahmen des Biowaffenverbots durch die USA untergraben die B-Waffenkonvention, verstärken das Misstrauen anderer Staaten und provozieren ein neues biologisches Wettrüsten. „Die Geschwindigkeit, in der amerikanische Biowafenprogramme erarbeitet werden, ihr Ehrgeiz, ihre administrative Aggressivität und das Ausmaß, in dem sie gegen die Verbote der Biowaffenkonvention verstoßen, sind alarmierend“, warnen James Leonard, Richard Spertzel, und Milton Leitenberg, drei führende B-Waffen-Experten der USA, in einem gemeinsamen Beitrag der Zeitschrift „Politics and the Life Sciences“. Die britische „Royal Society“ schlägt die Einrichtung eines internationalen Wissenschaftsrates vor, der sämtliche biologische Forschungen unter dem Aspekt ihres Missbrauchs prüfen und Handlungsempfehlungen entwickeln soll. Das Gremium würde nach Einschätzung des Organisationssprechers Bob Ward zwei Erfordernissen entsprechen: „Es würde die Politiker auf die neuesten Entwicklungen der Biowissenschaften mit militärischer Relevanz und gleichzeitig auf Technologien zum Aufspüren biologischer Waffen hinweisen“. Die Experten in Genf haben also genügend Stoff zu Diskussion. Völkerrechtlich verbindlich werden Ihre Vorschläge allerdings erst, wenn die Vertragsteilnehmer sie in einem Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention akzeptieren. Das aber war bereits einmal am Widerstand Washingtons gescheitert.


Biologische Waffen

Unter biologischen oder bakteriologischen Waffen werden Kleinstlebewesen (Mikroorganismen) oder künstlich hergestellte mikrobiologische Stoffe verstanden, die Krankheiten, Massenepidemien oder Tod bei Menschen, Tieren und Pflanzen verursachen können. Biologische Waffen werden in Bakterien, Rickettsien, Viren, Pilze und Toxine klassifiziert. Dazu gehören unter anderem der Milzbranderreger Bacillus anthracis, außerdem die Verursacher von Pocken, Ebola-, Lassa- und Marburgfieber aber auch das Leberkrebs hervorrufende Aflatoxin. Weiterhin zählen dazu die Erregerbakterien von Pest, Tularämie, Cholera, Diphtherie und Salmonellen. Ebenfalls verboten sind Gifte, wie Botulin, Rizin und das Tetanus-Toxin, die nicht für friedliche Zwecke bestimmt sind.

Biowaffen-Konvention

Das Übereinkommen über das Verbot bakteriologischer (biologischer) und Toxinwaffen, dem gegenwärtig 154 Staaten angehören, verbietet die Anwendung sowie die Entwicklung, Produktion und Lagerung von militärisch genutzten Bakterien, Viren und Pilzen. Darüber hinaus verlangt es die Vernichtung vorhandener Bestände derartiger Krankheitserreger. Sein größtes Defizit besteht im Fehlen eines wirksamen Kontrollregimes. Ein bereits ausgearbeitetes Verifikationsprotokoll wurde von den USA zurückgewiesen. Weil Washington auch jegliche weiteren Verhandlungen zur Kontrollproblematik verweigert, finden bis zur nächsten Überprüfungskonferenz im Jahre 2006 lediglich Fachkonferenzen über Einzelfragen statt. Bisher standen folgende Themen zur Diskussion:
  • staatliche Umsetzung der Vertragsbestimmungen, nationale Strafgesetzgebung sowie physische Sicherheit von Krankheitserregern und Toxinen (2003);
  • internationale Hilfe und Zusammenarbeit bei einem Angriff mit biologischen Kampfstoffen und dem Ausbruch von Massenepidemien (2004).


Abschluss des Manuskripts: 8. Juni 2005

* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien am 13. Juni 2005 in der Zeitung "Neues Deutschland".


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