"Wir haben uns fast in allem geirrt" - "We were almost all wrong"
Den Abschlussbericht der Iraq Survey Group über die angeblichen Massenvernichtungswaffen kommentiert das "Sunshine Project Deutschland
Das Sunshine Project Deutschland berichtet in seinem "Biowaffen-Telegramm" Nr. 33 (Nov. 2004) von der Vorlage des Abschlussberichts der Iraq Survey Group (ISG) (ISG). Die ISG hatte im Auftrag der US-Regierung 15 Monate nach Massenvernichtungswaffen im Irak gesucht.
Wir dokumentieren im Folgenden aus dem "Biowaffen-Telegramm" den entsprechenden Teil über die ISG. Er fasst die wesentlichen Ergebnisse des Unetrsuchungsberichts zusammen und kommentiert sie darüber hinaus.
Irak: US-Inspekteure legen Abschlussbericht vor
Am 6. Oktober hat die Iraq Survey Group (ISG) nach über 15
Monaten Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak ihren
Abschlussbericht vorgelegt. Im Kern stellt der Bericht fest, dass der Irak seine illegalen Waffen größtenteils bereits Mitte 1991 selbst vernichtet hat und danach
keine neuen ABC-Waffen oder weit reichende Raketen produziert
hat. Der Leiter der ISG, Charles Duelfer, sagte bei der Vorstellung
des Berichtes vor einem Senatsausschuss am 6. Oktober: "We were almost all wrong."
Der Bericht ist im Internet unter
http://www.cia.gov/cia/reports/iraq_wmd_2004/index.html verfügbar.
Der Bericht widerlegt umfassend und unzweideutig die früheren
Behauptungen der britischen und US-amerikanischen Regierungen,
nach denen der Irak auch nach 1991 über umfassende
Waffenarsenale und –programme verfügte, und nicht nur über die
Absicht, solche zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzulegen. Er
zeigt auch, dass die UN-Waffeninspekteure der UNSCOM (1991-
1998) und UNMVOVIC (seit 1999) sehr gute Arbeit im Irak geleistet
und alle relevanten Fakten umfassend ermittelt haben.
Die Zerstörung der Waffen(programme) 1991 durch den Irak selbst,
so der ISG-Bericht, sei eine direkte Folge des starken Drucks der
UN-Waffeninspekteure gewesen und war Teil der Bemühungen des
Iraks, die Wirtschaftssanktionen der Vereinten Nationen
aufzuheben. Andererseits, so der Bericht, habe die frühere
irakische Führung darauf abgezielt, nach der Beendigung der
Waffenkontrollen und Sanktionen die illegalen Waffenprogramme
wieder aufzulegen. Auch wenn mit zunehmender Dauer der
Sanktionen und Waffeninspektionen die technischen Möglichkeiten
des Iraks immer weiter schwanden, habe das Hussein-Regime
gezielt darauf hingearbeitet, die grundsätzliche Fähigkeit zur
Wiederaufnahme der Programme zu erhalten. Dazu zählt unter
anderem die Sicherung von einzelnen Bakterienstämmen, die
künftige Programme als Ausgangspunkt neuer
Entwicklungsarbeiten hätten nehmen können. Laut ISG-Bericht
wurde jedoch kein einziger Hinweis darauf gefunden, dass das
Regime bereits konkrete Anstalten unternommen hätte, die
Programme wieder zu starten.
Es muss jedoch darauf verwiesen werden, dass die UN-
Resolutionen, mit denen die UN-Waffeninspektionen im Irak
beschlossen wurden, im Anschluss an eine erfolgte Abrüstung und
den Wegfall der Sanktionen auch eine dauerhafte und zeitlich nicht
begrenzte Kontrolle von waffenrelevanten Einrichtungen im Irak
vorsahen. Damit relativiert sich das im ISG-Bericht gezeichnete
Szenario, nach dem das Hussein-Regime in kurzer
Zeit wieder die alten Waffenprogramme aufgelegt hätte. In diesem
Punkt scheint der Bericht, der ansonsten weitestgehend sehr
faktenorientiert und umfassend ist, politisch motiviert zu sein und
versucht, den Kriegsbefürwortern wenigstens ein letztes Argument
– die drohende Wiederaufnahme der Waffenprogramme – zu
lassen. Die geplante und in UN-Resolutionen verankerte langfristige
Rüstungskontrolle, die eben dieses hätte verhindern können, bleibt
im ISG-Bericht unerwähnt.
Im Bereich der biologischen Waffen nimmt der Bericht zu
verschiedenen Details dezidiert Stellung:
-
Es wurden in Bagdad mehrere geheime Laboratorien des
irakischen Geheimdienstes gefunden. Diese waren bis dahin
öffentlich nicht bekannt gewesen. In ihnen wurde auch nach 1991
kontinuierlich gearbeitet, unter anderem an verschiedenen Giften
einschließlich Rizin. Ziel war hier jedoch nicht die Entwicklung von
Massenvernichtungswaffen, sondern die Produktion bzw. Testung
kleinerer Giftmengen für Attentate und Geheimdienstaktionen.
- Die angeblich mobilen Biowaffenlabore, die der CIA im Mai 2003
im Irak gefunden zu haben glaubte, sind laut ISG-Bericht nicht für
die Produktion von Biowaffen geeignet und sind mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit für die Herstellung von Wasserstoff gedacht
gewesen.
- In der Privatwohnung eines irakischen Offiziellen wurden einzelne
Bakterienproben gefunden, darunter auch Botulinum. Dies könnte
als Indiz dafür gewertet werden, dass diese Bakterien für die Zeit
nach den Sanktionen gesichert werden sollten.
- Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass der Irak über Pockenviren
verfügte.
Die ISG berichtete zudem, dass ein Lager mit chemischer Munition
in den Tagen nach dem Ende der offiziellen Kriegshandlungen im
Irak geplündert wurde. Es handelt sich dabei um einen Bunker in
der Nähe von Bagdad, der im Golfkrieg 1991 zerstört worden war.
Darin befanden sich nach irakischen Angaben 2500 mit dem
Nervengas Sarin gefüllte Raketen. Um die unter den Trümmern
begrabenen Chemiewaffen zu sichern, hatten die UN-Inspektoren
den Bunker seinerzeit zugemauert und gesichert, da eine
Bergung zu gefährlich erschien. Es ist unklar, ob noch
gebrauchsfähige chemische Munition in dem Bunker war und wie
viel davon evtl. von den Plünderern entwendet worden ist.
Insgesamt haben die Amerikaner seit Beginn des Krieges im Irak
53 mit chemischen Waffen gefüllte Raketen und Granaten
sichergestellt, die aus Munitionsbunkern oder anderen Orten
gestohlen worden waren.
Der ISG-Bericht stellt interessanterweise auch fest, dass das
Risiko eines gefährlichen Angriffes mit unkonventionellen Waffen
seit dem Einmarsch der Amerikaner im Irak gestiegen sei. So hat
die ISG eine Gruppe identifiziert und festgenommen, die bereits –
mit Hilfe eines Chemikers – mit der Produktion von Rizin begonnen
hatte.
Angesichts der Tatsache, dass das Hussein-Regime alle
verbotenen Waffen bereits Mitte 1991 zerstört hat stellt sich die
Frage, warum dies nicht unter den Augen der UN-Inspekteure
geschehen ist. Dies hätte sicherlich zur Folge gehabt, dass die
UNSCOM seinerzeit relativ schnell eine vollständige Abrüstung der
Massenvernichtungswaffen bescheinigt hätte und somit ein
entscheidender Schritt zur Aufhebung der Sanktionen
gemacht worden wäre. Laut ISG-Bericht lag der Hauptgrund für die
heimliche Zerstörung darin, dass Saddam Hussein die
Nachbarstaaten und dieUSA darüber im Unklaren lassen wollte, ob
er nun über unkonventionelle Waffen verfügt oder nicht. Nach
Aussagen hochrangiger Offiziere des früheren Regimes hat
Hussein selbst im höchsten Führungszirkel bis Ende 2002 den
Eindruck aufrechterhalten, dass die irakische Armee über
Massenvernichtungswaffen verfügt. Dieses Konzept
der Abschreckung durch Vieldeutigkeit gegenüber potenziellen
Gegnern war Hussein offensichtlich wichtiger als ein schnelles
Ende der Inspektionen und Sanktionen.
Diese Vermutung der ISG stützt sich auf Aussagen verschiedener
Mitglieder des früheren irakischen Führungszirkels. Saddam
Hussein selbst, der über Monate von einem arabischsprechenden
Verhörspezialisten des FBI befragt wurde, hat zu dieser Frage
keine konkreten Aussagen gemacht.
Die über 1.200 vorwiegend amerikanischen und britischen
Waffensucher der Iraq Survey Group (ISG) werden noch einige Zeit
im Irak weiterarbeiten, um letzte Fragen zu klären (darunter, so
Duelfer, die Frage, ob einige Elemente des Waffenprogramms nach
Syrien geschmuggelt wurden). Der jetzt vorgelegte Bericht gilt
jedoch als abschließend.
Offen ist bislang auch die Frage, inwieweit die Befunde der ISG jetzt
international überprüft werden können. Noch gilt das Mandat für die
Waffeninspekteure der Vereinten Nationen (UNMOVIC), die für den
UN Sicherheitsrat die Abrüstung der Massenvernichtungswaffen im
Irak feststellen sollen. Es ist damit zu rechnen, dass der
Sicherheitsrat in den kommenden Monaten versuchen wird, hier
eine Lösung zu finden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die
einseitigen und vom Rest der Welt unkontrollierten
Waffeninspektionen der amerikanisch-britischen ISG von
allen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats als angemessenen Ersatz
für multilateral vereinbarte Inspektionen der UNMOVIC angesehen
werden. In diesem Kontext wird sicherlich auch die Frage der
Verstetigung der UNMOVIC erörtert werden. Einige europäische
Staaten haben bereits die Einrichtung eines dauerhaften
Inspektionsteams der Vereinten Nationen nach dem Vorbild der
UNMOVIC gefordert. Die Bush Administration hat dies
bislang abgelehnt.
Der Bericht ist im Internet unter
http://www.cia.gov/cia/reports/iraq_wmd_2004/index.html verfügbar.
Sunshine Project Deutschland
Jan van Aken
Website:
www.sunshine-project.de
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