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"Berliner Forum Außenpolitik": Platz in der Welt

"Geopolitische Herausforderungen" und "Krieg als realistisches Szenario": Die Körber-Stiftung macht Stimmung für eine aggressivere deutsche Außenpolitik

Von Jörg Kronauer *

Ist Krieg in Asien ein realistisches Szenario?« Mit Fragen wie dieser, Fragen der ganz großen Weltpolitik, wird sich das »Berliner Forum Außenpolitik« beschäftigen, das die Körber-Stiftung gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt am heutigen Dienstag durchführt. Um die »Unordnung im Mittleren Osten« geht es, also um den Krieg in Syrien und im Irak; dann natürlich um »geopolitische Herausforderungen in Osteuropa«, also den Machtkampf des Westens gegen Russland um die Ukraine. Und eben auch um die Frage, ob nicht letztlich ein großer Krieg in Ost- und Südostasien droht, wo der Westen – unwillig, eine neue Weltmacht neben sich zu dulden – immer aggressiver gegen die Volksrepublik China auftritt. Das »Berliner Forum Außenpolitik« ist hochkarätig besetzt. Einleiten wird es Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) persönlich – wie die Körber-Stiftung stolz ankündigt – »mit einer Rede zu den Prioritäten und Perspektiven deutscher Außenpolitik«. Sprechen werden außerdem die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Wolfgang Ischinger, der Leiter der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz, sowie einflussreiche Experten aus den USA, Russland, China, Japan, Iran, aus Europa und dem Nahen Osten. Angekündigt sind last not least Spitzenbeamte aus dem Außenministerium und dem Kanzleramt.

Das »Berliner Forum Außenpolitik« ist eine der Veranstaltungen, mit denen das Establishment der Bundesrepublik seit einiger Zeit offensiv Stimmung für eine aggressivere deutsche Weltpolitik macht. Da gibt es ansonsten das »Deutsche Forum Sicherheitspolitik«, das die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) erstmals im Juni 2013 durchgeführt und Anfang Oktober 2014 erneut veranstaltet hat. Es war ebenfalls hochkarätig besetzt, stellte programmatisch die Frage, wie sich »Deutschland als ›Führungsmacht wider Willen‹ in Europa zukünftig strategisch aufstellen« muss, »welche Instrumente« für die deutsche Weltpolitik verfügbar sind und wie »für Anpassungen des sicherheitspolitischen Mittelansatzes« – der abstrakte Ausdruck klingt nicht so hässlich wie die gemeinte Militarisierung – »die innenpolitische Zustimmung gewonnen werden« kann. Für die Verbreitung der Botschaft sorgt die Deutsche Welle, die die periodisch durchgeführten Konferenzen regelmäßig per Livestream überträgt. Ergänzend zu den wiederkehrenden Weltpolitikpredigten des Bundespräsidenten hat das Auswärtige Amt im Frühjahr die Kampagne »Review 2014« gestartet (siehe jW vom 14. Juli 2014), die ebenfalls darauf abzielt, die Debatte über Deutschlands globale Operationen in der Öffentlichkeit zu verstärken.

Und damit sind wir wieder beim »Berliner Forum Außenpolitik«, das 2011 erstmals stattgefunden hat und heute in seine vierte Runde geht. Mehr als 200 Personen werden erwartet, darunter dürften erneut zahlreiche Beamte aus europäischen Außenministerien, Botschafter, Botschaftsmitarbeiter, Experten aus Think-Tanks und Journalisten anreisen. Das Forum verfolgt bei alledem nicht nur allgemein das erklärte Ziel, »auch in einer breiteren deutschen und internationalen Öffentlichkeit Interesse für zentrale außenpolitische Themen zu wecken«. Es konzentriert sich insbesondere auf eine »Einbeziehung der jungen Generation«. Das trifft zum einen auf die Teilnehmer zu: Gezielt werden jüngere Fachleute und aufstrebende Nachwuchskräfte eingeladen, um systematisch die künftigen Eliten einzubinden. Nicht zufällig waren in der Vergangenheit zahlreiche »Munich Young Leaders« bei der Konferenz anwesend; das sind ausgewählte Fachkräfte aus der jüngeren Generation, die im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz organisiert werden – übrigens auch mit Hilfe der Körber-Stiftung.

Zum anderen versucht die Stiftung, generell Jüngere für die deutsche Weltpolitik zu interessieren. Gezielt greift sie auf Medien wie Facebook und Twitter zurück, um das »Berliner Forum« publizistisch zu begleiten. Die kommenden Generationen sollen das gewährleisten, was der Bundesrepublik derzeit noch fehlt: ein starker Rückhalt in der Öffentlichkeit für ihre Weltpolitik. Welche Chancen das bietet, hat die Körber-Stiftung kürzlich mit einer Umfrage eruiert, die das Auswärtige Amt bei ihr in Auftrag gab. Eines der Resultate: Zwar ist in der jüngeren Generation das Interesse an Weltpolitik bislang noch unterdurchschnittlich ausgeprägt; es sollte aber unbedingt »gesteigert werden«, empfiehlt die Stiftung: »Hierzu sollten innovative Vermittlungsformen entwickelt werden und das Thema Außenpolitik schon in der Schule eine größere Bedeutung bekommen.« Denn das kann sich für Expansionisten lohnen: »Die Bereitschaft zu stärkerem internationalen Engagement« sei »umso größer ..., je jünger die Befragten sind«, hat die Stiftung herausgefunden. »Jüngere Bürger würden mehrheitlich einen militärischen Eingriff aus humanitären Gründen auch ohne entsprechendes UN-Mandat befürworten«, heißt es hoffnungsfroh in der Auswertung der Umfrage: »Sie argumentieren weniger historisch und votieren am stärksten für den Schutz der Menschenrechte als Aufgabe deutscher Außenpolitik.« »Menschenrechte schützen« – das tut die deutsche Weltpolitik überall: Heute in der Ukraine und im Mittleren Osten, in Zukunft vielleicht auch in Ostasien. Ob Krieg dort »ein realistisches Szenario« ist, damit befasst sich denn auch heute das »Berliner Forum Außenpolitik«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. November 2014


Körber-Stiftung

Die Körber-Stiftung wurde 1959 von dem Hamburger Unternehmer Kurt Adolf Körber (1909–1992) gegründet. Ihr Stiftungsvermögen wird mit einer halben Milliarde Euro angegeben – 526 Millionen. Jährlich stehen für ihre als »gemeinnützig« deklarierte Tätigkeit rund 17 Millionen Euro zur Verfügung, die verschiedenen Themenfeldern von Bildung und Wissenschaft über Gesellschaft und Kultur bis hin zur internationalen Politik gewidmet sind. Die Stiftung beschäftigt an ihren Standorten in Hamburg und Berlin etwa 70 Mitarbeiter. Sie ist Alleinaktionärin der Hamburger Körber AG, eines global operierenden Maschinenbau- und Technologiekonzerns, dessen mehr als 11.000 Arbeiter einen Umsatz von über zwei Milliarden Euro im Jahr erwirtschaften.

Ihre außenpolitischen Aktivitäten hat die Körber-Stiftung in ihrem Berliner Büro am Pariser Platz gebündelt, einer der repräsentativsten Hauptstadtadressen in unmittelbarer Nähe zu Parlament und Regierung. Neben dem »Berliner Forum Außenpolitik« organisiert sie vor allem Hintergrunddebatten. Bereits seit 1961 führt sie in der Regel dreimal im Jahr ihren »Bergedorfer Gesprächskreis« durch, der sich – zur Zeit von Exbundespräsident Richard von Weizsäcker geleitet – zuletzt Themen wie der Euro-Krise, den Beziehungen zu Iran und den steigenden Spannungen in Ostasien widmete. Halten sich einflussreiche Politiker aus dem Ausland in der deutschen Hauptstadt auf, werden sie oft zu einem »Politischen Frühstück« in die Körber-Räumlichkeiten eingeladen. Dort können hochrangige Ministerialbeamte und Bundestagsabgeordnete ohne formale Zwänge mit ihnen diskutieren. Seit 2007 führt die Stiftung einen »Körber Dialogue Middle East« durch, zu dem sich halbjährlich Experten aus Europa, den USA und Nah- und Mittelost treffen. Dann gibt es noch das »Körber Policy Game«; dabei werden Handlungsszenarien für konkrete Konflikte durchgespielt.

Schließlich unterhält die Stiftung ihr »Körber-Netzwerk Außenpolitik«, in das ausdrücklich vor allem jüngere Mitarbeiter von Ministerien, Bundestagsabgeordneten, Botschaften und Think-Tanks eingebunden werden – die weltpolitischen Entscheidungseliten von morgen. (jk)




Körber-Stiftung: Stimmungsmache auf Bestellung

Mehr »Engagement« in der Welt fordert Bundespräsident Gauck und verweist dabei auf Forderungen aus dem Ausland **

Balsam für die geschundene Seele muss für so manchen deutschen Außenpolitiker gewesen sein, was Eric Gujer in seinem Bändchen »Schluss mit der Heuchelei« so schrieb. Deutschland – eine Mittelmacht? Aber bitte, keine falsche Bescheidenheit, mahnte er in seiner Schrift, die im Herbst 2007 von der Körber-Stiftung publiziert wurde. »Die Revision der Nachkriegsordnung brachte Russland, aber auch den alliierten Siegermächten Frankreich und Großbritannien einen Bedeutungsverlust. Die Bundesrepublik zählt hingegen zu den Gewinnern der neuen Weltordnung«, konnte man darin lesen. Sie ziehe »ihre Stärke nicht mehr wie im Kalten Krieg allein aus ihrer wirtschaftlichen Potenz,« fuhr der Autor fort. »Gemeinsam mit einer Handvoll anderer Staaten hat sie die kritische Größe, um internationale Politik zu gestalten.« Soll heißen? »Das wiedervereinte Deutschland ist zu einer Großmacht herangewachsen«, und es beginne endlich, wenngleich »noch tastend und zögernd«, »die Möglichkeiten zu nutzen«. Weiter so! lobte Gujer.

Als die Körber-Stiftung Gujers Bändchen publizierte, da konnte sie sich eine kräftige Ladung Gemecker nicht verkneifen. »Es fehlt der Bundesrepublik an Willen, global zu handeln«, schimpfte sie in ihrer Vorankündigung für das Buch. »Sie hat weder eine Strategie, was ihre Streitkräfte bewirken sollen, noch ein Konzept deutscher Interessen.« Das Personal und seine Basis taugten nichts: »Volk und Elite hinken der Realität hinterher; Biedermeier beherrscht die Außenpolitik.« Man sehe es am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Deutsche Soldaten operierten dort »als bewaffnete Entwicklungshelfer«. Pah!

Das war 2007. Seither hat die Körber-Stiftung ihre Aktivitäten im außenpolitischen Establishment der Republik verstärkt, hat neue Diskussionsformate geschaffen und die außenpolitischen Netzwerke gestärkt. Sie hat dazu beigetragen, dass sich zumindest in den Eliten die Überzeugung durchgesetzt hat, die Bundesrepublik solle endlich eine eigenständige Weltpolitik betreiben. Nur das »Volk« – es hinkt, welch Elend, der »Realität« immer noch hinterher, zumindest derjenigen, die die Berliner Globalstrategen lauthals proklamieren; es ist immer noch nicht willig, jede neue Intervention der Bundeswehr mit Hurra abzufeiern. Deshalb hat die Körber-Stiftung 2011 das »Berliner Forum Außenpolitik« initiiert, das auch in die Öffentlichkeit hineinwirken soll. Ob Eric Gujer heute an ihm teilnehmen wird? Letztes Jahr war er noch dabei, in seiner Eigenschaft als Leiter des Auslandsressorts der Neuen Zürcher Zeitung. Es mehrten sich »die Stimmen innerhalb und außerhalb unseres Landes, die von Deutschland mehr Engagement in der internationalen Politik fordern«, erklärte Bundespräsident Joachim Gauck am 3. Oktober 2013. Die »Stimmen« aus dem Ausland gab es wirklich; Gujer war eine von ihnen.

Jörg Kronauer

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. November 2014


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