Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Unser Beitrag wird respektiert"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem FR-Interview: Über Afghanistan, die EU, die UNO und den Nahen Osten

Im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" spricht Außenminister Frank-Walter Steinmeier über das deutsche Engagement in Afghanistan und die Friedenschancen in Nahost. Weiteres Thema ist die Rolle Deutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft und dem G8-Vorsitz. Wir dokumentieren das Interview im Wortlaut.



Frankfurter Rundschau: Herr Steinmeier, hat Deutschlands beliebtester Minister im nächsten Jahr den schwierigsten Job?

Frank-Walter Steinmeier: Im ersten Halbjahr, wenn wir Deutschen die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union haben, werden wir mit einer ungewohnten Vielzahl von internationalen Konflikten konfrontiert sein, zu denen die EU nicht nur eine Meinung haben muss. Entweder ist sie schon selbst engagiert, oder sie muss eigene Vorschläge zur Beruhigung machen. Hinzu kommt unsere innere Verfasstheit: Die EU muss eine der tiefsten inneren Krisen seit Bestehen überwinden.

Frankfurter Rundschau: Die Vereinten Nationen verlieren an Autorität, die EU laboriert an ihrer inneren Verfassung, die US-Außenpolitik ist blockiert: Versagen die gewohnten Instrumente?

Steinmeier: Mit Ihrer Analyse stimme ich in einem Punkt überhaupt nicht überein, bei den Vereinten Nationen. Die UN sind inzwischen weltweit derart engagiert, dass daraus eher ein Problem der Überforderung als mangelnder Autorität erwächst. Aber wir stehen nach meiner festen Überzeugung vor einer Renaissance des Multilateralismus, weil andere Lösungsformen internationaler Konflikte sich nicht bewährt haben.

Frankfurter Rundschau: Welche Rolle kann Deutschland mit seiner Führungsposition durch den Vorsitz in der EU und der G-8 spielen?

Steinmeier: Unsere Rolle hängt nicht so sehr von formalen Positionen ab. Wir sind auch bisher der Verantwortung nicht ausgewichen, wenn in kritischen Situationen die Staatengemeinschaft und damit auch Deutschland gefordert waren. Das war in Afghanistan so, das gilt für die Stabilisierungsmission im Kongo und erst Recht im Nahen Osten, beim vielleicht schwerwiegendsten Konflikt dieses Jahres.

Frankfurter Rundschau: Am heutigen Dienstagabend beginnt in Riga der Nato-Gipfel. Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel muss das Bündnis zentrales Forum eines strategischen transatlantischen Dialogs sein. Wird sich das in der lettischen Hauptstadt bemerkbar machen?

Steinmeier: Das hat sich auch schon vor dem Gipfel bemerkbar gemacht, etwa auf der jüngsten Außenminister-Sitzung der Nato. Dort wurde der Anstoß gegeben zur Fortentwicklung des Engagements in Afghanistan durch einen verstärkten zivilen Anteil. In den Nato-Gremien finden substanzielle Diskussionen statt – wenn sie auch nicht immer in die Schlagzeilen kommen.

Frankfurter Rundschau: Dort läuft statt dessen die Nato-Diskussion, ob die Deutschen sich in Afghanistan wegducken. Zeigt das nicht, wie wenig ausdiskutiert diese Militäreinsätze sind und wie schnell ein Gegeneinander zwischen den Nato-Partnern entstehen kann?

Steinmeier: Jüngste Zeitungsberichte und vielleicht auch der eine oder andere Debattenbeitrag auf der Nato-Parlamentarierversammlung in Kanada sind das eine. Andererseits habe ich aber in Vorbereitung auf den Nato-Gipfel in Riga selbst mit vielen Außenministern gesprochen. Was sie mir sagen, entspricht überhaupt nicht dem, was öffentlich jetzt diskutiert wird. Dass hier ein Spiel vorbereitet werden soll, bei dem Deutschland den Schwarzen Peter bekommt, kann ich überhaupt nicht bestätigen. Unser Beitrag wird respektiert. Ich verweise auch sehr selbstbewusst darauf, dass unsere Philosophie, neben das notwendige militärische Engagement immer auch ein paralleles ziviles Engagement zu setzen, der richtige Weg ist.

Frankfurter Rundschau: Bedeutet diese deutsche Vorwärtsverteidigung nicht auch: Andere denken zu sehr rein militärisch?

Steinmeier: Zunächst mal ist es gar keine Verteidigung, denn die halte ich nicht für nötig. Die Grundphilosophie des zivilmilitärischen Einsatzes, die unser Engagement von Anfang an prägte, führt ja auf einen Weg, den andere jetzt ebenfalls gehen wollen. Und auch im Süden Afghanistans werden wir einen Neuansatz mit sogenannten Sicherheitsinseln erleben, von denen aus der Wiederaufbau beginnen kann. Dafür müssen wir der afghanischen Bevölkerung sichtbare Zeichen geben.

Frankfurter Rundschau: Woran es im Süden bisher mangelte?

Steinmeier: Das mag man so sehen, und dies hat Gründe. Aufgrund der Sicherheitslage, aber auch, weil die notwendige Parallelität zwischen militärischer Sicherung und zivilem Aufbau nicht in gleicher Weise gesehen worden ist. Zugegebenermaßen war das im Norden einfacher, aber wir müssen es auch in den anderen Regionen Afghanistans schaffen. Im Westen sind wir so weit. Im Süden und im Osten muss es Schritte dahin geben.

Frankfurter Rundschau: Der Zentralkonflikt ist jetzt wieder der im Nahen Osten. Wie verlässlich ist der jüngste Waffenstillstand?

Steinmeier: Ich sehe auf beiden Seiten den erforderliche guten Willen, trotz anfänglicher Schwierigkeiten in einen dauerharten Waffenstillstand zu kommen. Ich hoffe, dass dies dann den Weg für Direktgespräche zwischen Premierminister Olmert und Präsident Abbas ebnen wird und auch endlich Bewegung in die Frage des im Gaza-Streifen gefangenen israelischen Soldaten kommt. Ohne störenden Einfluss Dritter wären beide Parteien nach meiner Überzeugung in dieser Frage schon weiter gewesen.

Frankfurter Rundschau: Alle sind sich einig: Ziel kann nur ein international garantierter Friede sein. Warum unterstützen Sie nicht den Vorschlag einiger EU-Länder für eine Friedenskonferenz, die den Weg dorthin öffnen soll?

Steinmeier: Im Moment haben wir im Nahen Osten bestenfalls Stagnation, und alle sind sich einig, dass es dringend neuer Dynamik bedarf. Sie sollten es nicht missverstehen, wenn ich den Vorschlag Spaniens und Frankreichs zu einer Friedenskonferenz nicht vorbehaltlos unterstützt habe. Gerade an der sofortigen Zurückweisung durch beide Konfliktparteien haben wir jedoch gesehen, wie sensibel man vorgehen muss. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dem Nahen Osten könne mit ständig neuen Überschriften geholfen werden. Im Befriedungsfahrplan, dem Prozess der „road-map", hat das Nahost-Quartett aus USA, UN, EU und Russland alle Elemente entwickelt, die auf dem Weg zu neuer Stabilität wichtig sind. Das muss man nicht jeden Tag neu aufschreiben. Das Komplizierte sind die ersten Schritte auf dem langen Weg. Wir müssen Israel und Palästina dauerhaft miteinander ins Gespräch bringen und Hindernisse aus dem Weg räumen, die einem Friedensprozess im Weg stehen. Zum Beispiel durch Gefangenenaustausch. Dass wir später auch eine internationale Konferenz brauchen, schließe ich nicht aus. Der Weg dorthin will aber geebnet werden.

Frankfurter Rundschau: Was gehört noch dazu?

Steinmeier: Die Situation ist so explosiv wie noch nie in den vergangenen Jahren. Das ist Grund zu hohem diplomatischem Ehrgeiz, was die gesamte Region anbelangt. Syrien zum Beispiel bleibt da ein komplizierter, schwieriger Partner. Wegen der inakzeptablen Haltung der syrischen Regierung unmittelbar nach Verabschiedung der jüngsten Libanon-Resolution 1701 des Sicherheitsrates musste ich eine schon vorbereitete Reise wieder absagen. Aber es bleibt richtig, dass Frieden im Nahen Osten am Ende nur mit und nicht gegen Syrien zu erringen sein wird. Trotz aller Schwierigkeiten müssen wir weiter versuchen, Syrien in einen konstruktiven Dialog mit uns zu bringen. Damaskus muss aber selbst den Willen aufbringen, sich aus der selbstverschuldeten Isolation zu befreien.

Frankfurter Rundschau: Falls der erkennbar wird, fahren Sie dann bald hin?

Steinmeier: Der Kontakt ist nach Absage meiner Reise nicht abgebrochen.

Frankfurter Rundschau: Was wird in der Nahostpolitik der erste kleine Schritt des EU-Ratsvorsitzenden Steinmeier sein?

Steinmeier: Auf palästinensischer Seite brauchen wir jetzt eine Regierung der nationalen Einheit. Auf israelischer die Bereitschaft, mit einer solchen Regierung das Gespräch aufzunehmen. Wenn dabei die europäische Ratspräsidentschaft behilflich sein kann, will ich mich dafür gerne engagieren. Darüber hinaus setzen wir auf eine Reaktivierung des Nahost-Quartetts.

Frankfurter Rundschau: Wie steht's denn nach den Wahlen mit der Bereitschaft der USA?

Steinmeier: Ohne die USA werden wir im Nahen Osten nichts Entscheidendes bewegen. Es hat zwar am Rande der UN-Vollversammlung im September eine Sitzung des Quartetts gegeben – das allein reicht aber nicht. Alle Beteiligten müssen das ernsthafte Engagement zeigen, sich dieser Region zuzuwenden. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das in Washington auch so gesehen wird.

Frankfurter Rundschau: Wie sehen denn die Signale aus, die Sie jetzt aus Washington empfangen?

Steinmeier: Wir werden unsere Partnerschaft bei der Lösung uns gemeinsam betreffender Konflikte anbieten, und ich habe den Eindruck, dass die amerikanische Außenpolitik in jüngster Zeit auch stärker auf diese Partnerschaft setzt. Das hat sich schon im – nicht einfachen, aber fruchtbaren – Diskussionsprozess über die iranische Atomrüstung gezeigt. Ich selbst werde in Vorbereitung unserer EU- und G-8-Präsidentschaft am 8. Dezember mit Außenministerin Rice zu ausführlichen Gesprächen zusammentreffen.

Frankfurter Rundschau: Wie sieht unser Angebot für die Partnerschaft im Irak aus?

Steinmeier: Es bleibt dabei: Unsere Soldaten werden nicht in den Irak gehen. Unser Engagement für den Wiederaufbau in Form von Entschuldung und Barleistung in Höhe von fast fünf Milliarden Euro ist durchaus beachtlich. Ob die Entwicklung der Sicherheitslage darüber hinaus weitere zivile Beteiligung zulässt, bleibt abzuwarten.

Frankfurter Rundschau: Was ist der Maßstab des Erfolgs für die Etappe im EU-Vorsitz?

Steinmeier: Ob es ein Erfolg war, werden am Ende die Partner, Öffentlichkeit und Medien beurteilen. Das Pflichtprogramm ist anspruchsvoll: Berliner Erklärung am 24. März, Weichenstellung im Verfassungsprozess, Energie- und Nachbarschaftspolitik.

Daneben werden wir mit alten Konflikten im neuen Gewand konfrontiert werden. Nach einer Entscheidung über den Status des Kosovo werden wir unseren Beitrag leisten müssen, dass diese von allen akzeptiert wird und damit die Voraussetzungen für die bislang größte zivile Mission der Europäischen Union geschaffen werden. Auch die militärischen Kontingente werden noch eine Zeitlang dort bleiben müssen. Das Ziel aber ist, den Kosovo in den Stand zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen.

Frankfurter Rundschau: Wird es eine Debatte über den Einsatz deutscher Soldaten in Dar für geben?

Steinmeier: Wenn wir über Afrika sprechen, rechne ich zunächst damit, dass die Kongo-Mission beendet werden kann und die Soldaten zum Jahresende wieder zu Hause sind.

Besorgniserregend bleibt die Lage im Darfur. Weswegen wir in der Vergangenheit im Rahmen von Sofort- und Entwicklungshilfe, aber auch logistischer Unterstützung durch die Bundeswehr substanzielle Hilfe geleistet haben. Diese sollten wir fortsetzen und – wenn von der Afrikanischen Union oder UNO angefragt – in den genannten Bereichen im Rahmen unserer Möglichkeiten ausbauen.

Frankfurter Rundschau: Wie stufen Sie ein, was dort geschieht? Ist das Völkermord?

Steinmeier: Es ist jedenfalls unermessliches Leid, Mord und Vergewaltigung in schockierendem Ausmaß, ein Zustand, der schwer erträglich ist. Deswegen unterstützen wir politisch die Afrikanische Union in ihrem Bemühen, die Konfliktparteien zu trennen.

Die Anstrengungen müssen verstärkt werden, aber nach Lage der Dinge vor allem mit weiteren afrikanischen Truppen. Die Entsendung europäischer Kampftruppen in den Darfur sehe ich jedoch nicht: Dass nur sie das erreichen können, was afrikanische Truppen bislang nicht geschafft haben, ist eine gefährliche und, wie ich finde, auch arrogante Illusion.

Frankfurter Rundschau: Zu Schröders Zeiten war die Außenpolitik auch Wahlkampfthema. Wird das am Ende der schwarz-roten Jahre auch so sein?

Steinmeier: Das ist ein Horizont, der mich momentan nicht beschäftigt. Ich stelle aber fest, dass Interesse und Erklärungsbedarf in einer unübersichtlicher gewordenen Welt stark gestiegen sind.

Die Konflikte sind in ihren Ursachen, ihrer Dynamik, ihren Perspektiven für die allermeisten nicht mehr überschaubar. Trotzdem müssen wir uns einmischen. Diese Entwicklung schafft aber auch ein selten gekanntes Interesse an der Außenpolitik. Und so ist man als Außenminister nach innen oft „Erklärminister"

Quelle: Homepage der Bundesregierung, 28.11.2006;
www.bundesregierung.de

Das Interview erschien am 28. November 2006 in der Frankfurter Rundschau



Zurück zur Seite "Außenpolitik"

Zur Afghanistan-Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage