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Wie viel Krieg darf es denn morgen sein?

Von Sonia Mikich

In der Mitgliederzeitung "Publik" [Nr. 3/2002] der Gewerkschaft ver.di schrieb Sonia Mikich, Leiterin der Redaktion "Monitor" des WDR, einen Gastkommentar zum Thema "Wie viel Krieg darf es denn morgen sein?", den wir im Folgenden dokumentieren.


Der Verteidigungsminister schmollte. Denn der Kampfeinsatz der deutschen Elitetruppe KSK in Afghanistan sollte geheim bleiben. Und ausgerechnet das US-Zentralkommando plauderte darüber. Dumm gelaufen, lässt sich doch der deutschen Öffentlichkeit die Friedenstätigkeit deutscher Soldaten auf Kabuls Straßen viel besser verkaufen als gefährliche Kampfhandlungen im Osten Afghanistans. Militärische Gründe der Geheimhaltung? Keine. Niemand hier will wissen, auf welchem Bergkamm eine KSK-Truppe welche Operation durchführt. Nein, es gibt politische Gründe fürs Schweigen in Deutschland. Und vorgegaukelt wird: Es soll und muss Frieden in Afghanistan sein. Ein bisschen Minenräumen, ein paar Friedenstruppen, üppige Hilfen - dann ist Afghanistan eine Erfolgsgeschichte und die deutsche Teilnahme nicht zu hinterfragen. Man will ja weißmachen: Die Skeptiker und Friedensbewegten haben sich vertan. Krieg ist beherrschbar und sinnvoll. Und intellektuell-kühn und modern sind die, die sich fortan von ziviler Konfliktbewältigung abgrenzen. Seit der militärischen Auslöschung des faschistischen Taliban-Systems müffelt Diplomatie, und Pazifismus ist das ungelüftete Hemd von vorgestern.

Nach etwa zehn Jahren Auslandsaufenthalt kehrte ich im letzten Dezember nach Deutschland zurück und registrierte einen fundamentalen Stimmungswandel. Die Machbarkeit des Krieges ist salonfähig. Die Militarisierung der Außenpolitik ist weit fortgeschritten, das Denken in Gewaltkategorien ebenso. Zweifler und Skeptiker gelten als naiv oder nicht erwachsen. Wer deutsche Militäraktionen in aller Welt weiterhin hinterfragt, wer das Recht wahrnimmt, nach der Legitimierung solcher Aktionen zu fragen, wird einfach nicht mehr zur Kenntnis genommen. Dissidenten sind Störfaktoren. Seit dem Fall der Taliban herrscht in der deutschen Öffentlichkeit eine Art Duldungs- starre. Keine bellizistische Gesellschaft, gewiss nicht. Aber ein Land, in dem Kriegführen als Beweis politischer Reife gilt. Haben "wir" am Hindukusch wirklich gesiegt? Kabul in diesen Tagen ist ein Ort des Nicht-Kriegs und Nicht-Friedens. Im Fußballstadion wird immerhin Sport getrieben und nicht mehr gehenkt. Gleichzeitig trauen sich immer noch viele Frauen nicht ohne Burka auf die Straße. Gleichzeitig kann Sabine Christiansen Kinderköpfe streicheln. Gleichzeitig bombardieren B-52-Flugzeuge Stellungen von Taliban und Al Qaida-Kämpfern. Wobei mindestens sieben US-Soldaten sterben.

Das Taliban-Regime wurde verjagt, ein flink erzielter Kollateralnutzen der massiven Bombenkampagne. Dennoch geht das Blutvergießen weiter, immer weiter. Der Feind Terrorismus liefert jenen permanenten Erregungszustand, um der ganzen Welt die amerikanische Ordnung aufzuzwingen. Zur Erinnerung: Motiv des Waffengangs in Afghanistan war die Bestrafung bzw. Auslöschung des Al Qaida-Netzwerkes nach dem mörderischen 11.September. Doch die US-Regierung hat aus der Verfolgung Osama Bin Ladens die Strategie zur neuen Weltordnung gebastelt. Hier eine mögliche Kampagne gegen Terroristen auf den Philippinen, im Jemen und in Somalia, dort die Drohkulisse gegen Irak, Iran und Nordkorea. Bin Laden, Mullah Omar - die ultimativen Schurken sind auf dem Radarschirm unserer Aufmerksamkeit vom "Bösen an sich" ersetzt worden. Zwar versichern die Außenminister Fischer und Vedrine, beim Krieg gegen den Irak werde man nicht mitmachen. Aber so richtig glauben mag man dem ersten Murren der Europäer nicht. Denn bislang sind sie uns die Antwort schuldig, wie es nun weitergeht mit dem Krieg gegen den Terrorismus. Es ist Zeit, mit ihnen wieder zu hadern. Sie müssen uns klar sagen, welche geopolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen wir an einer Fortführung des Kampfes gegen den Terrorismus haben. Wie die aktuellen Einsätze aussehen, in Afghanistan und anderswo. Welchen Preis wir für unsere Loyalität zu den USA zahlen wollen. Und wie viel Krieg es morgen sein darf.


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