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Merkel bei Putin

Ausgetretene Pfade statt Sonderwege

Von Kai Ehlers*

„Nie wieder deutsche Sonderwege“, „Je weniger Putin, desto besser“, Freundschaft mit den USA lautete die außenpolitische Linie, auf der Angelika Merkel die CDU/CSU in den Wahlkampf führte. Die zweite Reihe aus CDU, CSU und FDP legte nach: Das Schröder-Motto, mit Freunden müsse man offen reden, dürfe nicht nur auf die USA angewandt werden, erklärte Schäuble. Statt Putin als „lupenreinen Demokraten“ zu hofieren, müsse dessen autoritärer Führungsstil, Tschetschenien, ebenso wie der Fall Chodorkowski in Zukunft ebenfalls Thema sein. Die FPD heizte Kampagnen zur Wahrung der Menschenrechte in Russland an. Moskaus Konservative erwarteten eine Abkühlung der deutsch-russischen Beziehungen. Manche politische Beobachter meinten, die Ostsee-Pipeline sei von Schröder und Putin nur deswegen forciert worden, um noch vor dem Ende von Schröders Amtszeit Fakten zu schaffen.

Die Wirklichkeit ist wesentlich profaner: Schon in der Koalitionsvereinbarung werden die Gewichte vorsichtiger gesetzt: Frau Merkel sagte eine „verlässliche Rolle Deutschlands in der Außenpolitik“ zu. Ziel sei, die „Beziehungen zu den vereinigten Staaten zu stärken“, die „Partnerschaft und Wertegemeinschaft der westlichen Welt“ sei ein „hohes, kaum zu überschätzendes Gut“. Dazu gehöre auch, dass „wir bei Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen, gegenüber niemandem auf der Welt und seien es noch so hoffnungsvolle Handelspartner oder noch so wichtige Staaten für Stabilität und Sicherheit.“ Gemeint waren diesmal die Gefängnisse und illegalen Flüge der CIA.

Wichtig sei aber auch die Fortentwicklung der strategischen Partnerschaft mit Russland, so die Erklärung weiter: „Russland ist als wichtiger Wirtschaftspartner, als Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und natürlich als Land für echte politische Stabilität Europas unverzichtbar.“ Deutschland habe daher ein besonderes Interesse daran, „dass der Modernisierungsprozess Russlands“ gelinge.

Die ersten Schritte der neuen Regierung liegen ganz auf dieser Linie: Der neue Wirtschaftsminister, Glos, CSU, reiste zur Grundsteinlegung in Sachen Gas-Pipeline, der neue Außenminister Steinmeier flog nach Moskau flog, um dort die „strategische Partnerschaft“ mit Putin zu festigen.

Frau Merkels eigene erste Schritte trugen den gleichen Charakter: In der Begegnung mit Chirac vermied sie zwar das Wort „Achse“ für die deutsch-französischen Beziehungen, aber der „Motor“, wie sie sich ausdrückte, liegt ja nicht weit von der Achse entfernt. In der Begegnung mit der Außenministerin Rice lächelten die Damen sich zwar freundlich zu; es war aber doch nicht vermeidbar, die CIA-Gefängnisse, die illegalen Überflüge, insbesondere die Entführung El-Masris anzusprechen. Inzwischen möchte Frau Merkel sogar Guantanamo problematisieren. Auch in der Frage des Iran, sucht Frau Merkel, wie es scheint, Nebenwege: Sie forderte Russland und China auf, auf Iran mäßigend einzuwirken. Konservative Kommentatoren, etwa der Leitartikler der „Financial Times Deutschland“ stellten Frau Merkel daraufhin ein schlechtes Zeugnis für ihre Erneuerung der transatlantischen Freundschaft aus. Sie habe den Graben weiter vertieft, als sie die Kritik des „deutschen Mobs“ ungefiltert an die USA weitergeben habe. Sollte sie diesen Kurs fortsetzen, könne es nicht ausbleiben, dass die USA sich von Deutschland abwendeten. Ein strategisch denkender Politiker, wie es Frau Merkel offenbar nicht sei, der Stabilität in Europa, in Asien, in der Welt erreichen wolle, müsse doch zu dem Schluss kommen, „dass man ohne die USA nicht ein einziges Ziel erreichen“ könne, dagegen „ohne Russland fast jedes dieser Ziele.“

Unbeeindruckt von solchen Kritiken lobte auch Frau Merkel bei ihrem Besuch in Polen das Projekt der Ost-See-Pipeline, versprach den Polen lediglich, sich dafür zu verwenden, dass man ihre Sorgen anhören werde. Ähnlich verhielt ihre Regierung sich im Konflikt Russlands mit der Ukraine. Sie vermied – wie die gesamte EU – jede öffentliche Stellungnahme. Der Kompromiss, der gefunden wurde, nämlich den Gaspreis für die Ukraine niedrig zu halten, indem teures russisches mit billigerem turkmenischen Gas durch den Zwischenhändler RosUkrEnergo gemischt wird, liegt ganz auf der bisherigen Linie deutscher EU-Politik, die Ukraine als von Russland unabhängiges Transitland für billiges Gas und Öl in ihrer Eigenständigkeit zu fördern, ohne Russland dabei ganz zu verprellen.

Eine andere Haltung ist für ein Land, das zu 45% von Öl- und Gasimporten aus Russland und aus dem zentralasiatischen Raum abhängt, wohl kaum zu erwarten, wenn nicht alternative Energiequellen gesucht werden. Aufgeregte Kommentare, die davon ausgehen, nach dem aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine werde die Frage der Energiesicherheit von der neuen Regierung jetzt neu gestellt, unterschätzen die strategische Lage, in der sich Russland und Deutschland miteinander befinden. Dem sog. „Greenpaper zur Versorgungssicherheit der EU“ von 2002 ist zu entnehmen, dass die EU ein Groß-Europa unter strategischem Einschluss von Russland anstrebt. Diese Strategie beinhaltet eine Opposition gegenüber den US-Bestrebungen, Öl und Gas aus dem sibirisch-zentral-asiatischen und kaukasischen Raum Russlands Verfügungsgewalt zu entziehen und sich auf dem Weg über die Türkei direkt zuzuführen. Die Politik der Schröder-Regierung lag auf dieser Linie „gemeinsamer Interessen“. Sie beinhalten eine Stabilisierung Russlands als integrierender Faktor des euroasiatischen Raumes und unersetzbarer Energie-Lieferant, ja, mehr noch, als Retter Europas aus absehbarer zukünftiger Energieknappheit. Gleichzeitig bastelt man zusammen mit den USA an einem „Korridor“, welcher der Isolierung Russlands von seinen südlichen Ressourcen dient. Das Öl-Gas-Konsortium INOGATE (die Abkürzung steht für: Interstate Oil and Gas Transport to Europa) gibt in ihren im März 2004 vorgelegten Studien der „strategischen Partnerschaft mit Russland“ den Vorzug vor der „imperialen Variante“, erklärt aber zugleich, man sehe sich unter dem Druck, der von den USA ausgehenden „imperialen Variante“ folgen zu müssen, wenn die USA durch ihre militärische Interventionspolitik globale Prioritäten setzten. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich an dieser strategischen Situation durch den bloßen Antritt einer Großen Koalition in Deutschland irgendetwas geändert haben sollte. Frau Merkel betritt Moskau vielmehr auf ausgetretenen Pfaden.

* Kai Ehlers, freier Journalist und Publizist, Hamburg;
Website: www.kai-ehlers.de



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