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Politische Bescheidenheit und Klugheit statt Großmachtgehabe!

Kommentar von Johannes M. Becker

Was haben die deutsche Beteiligung am Jugoslawienkrieg von 1999, die am Afghanistankrieg von 2001 und die Eröffnung der Flick-Ausstellung durch den deutschen Bundeskanzler vor wenigen Monaten miteinander zu tun? Diese Ereignisse zeugen davon, dass die dominanten deutschen Politiker die Nachkriegspolitik, d.h. die Zeit nach 1945, für beendet erklären. Die Zeit für beendet erklären, in der deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wesentlich der Zivillogik, d.h. der Verteidigung, verschrieben schien, wo sich Westdeutschland noch für Auschwitz schämte und der Kniefall Willy Brandts in Warschau mehr als eine Geste schien.

Und nun reist der Kanzler einer sozialdemokratisch-grünen Bundesregierung über die Erde und versucht, die Streichung des Waffenembargos über Tianamen-China gegen einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat der UNO mit Vetorecht einzutauschen! Abgesehen davon, dass es auf den ersten Blick nicht logisch erscheint, zunächst, d.h. 1999 und 2001, die UNO durch die Verletzung des Völkerrechts zu demontieren und jetzt einen Sitz in ihrem ständigen Sicherheitsrat anzustreben: Sieht so kluge Politik aus?

Zunächst wird wieder einmal die Rede von der "einen Stimme", mit der die Staaten der EU der 25 sprechen wollen, ad absurdum geführt (und dabei hat die EU eh schon zwei Sitze im Ständigen Sicherheitsrat!). Dann muss gefragt werden, ob denn eine solche UNO mit einer Bundesrepublik Deutschland und mit Japan und dann womöglich auch noch mit Berlusconi-Italien in ihrem wichtigsten Gremium, überhaupt noch ernst genommen werden kann von den übrigen 190 Staaten der Erde? Muss nicht eher daran gegangen werden, in der UNO die Macht der wirtschaftlich Starken, die zudem die Atomwaffenbesitzer sind und dann auch noch die großen Rüstungsexporteure, zurückzufahren zugunsten einer Stärkung der Schwellen- und Entwicklungsländer? Müssen nicht die Staaten Afrikas, die Staaten Lateinamerikas, ja müssen nicht unbedingt die Länder des Islam mit mehr wirkungsvollem Einfluss in der Völkergemeinschaft ausgestattet werden, um dieser zu tiefgreifender Legitimation zu verhelfen? Freilich müsste eine derart gewandelte deutsche Sicherheitspolitik einher gehen mit dem Verzicht auf Rüstungsexport. Hier ist der "Exportweltmeister" der Jahre 2003 und 2004 nun auf einen beachtenswerten dritten Rang geklettert. Und sie müsste einher gehen mit einer wirksamen Steigerung der Entwicklungshilfe - auch hier nimmt das reiche Deutschland einen beschämenden Rang ein, der dem bei PISA übrigens so unheilvoll ähnelt...

Soll man eine derartige neue Außen und Sicherheitspolitik, die natürlich auch auf die Militarisierung der EU als ganzer verzichten müsste, von den Merkel, Stoiber und Mertz erwarten? Wohl nicht. Um so mehr sollte die anstehende Debatte um die EU-Verfassung nicht auf die Macht der Straße verzichten.

PD Dr. Johannes M. Becker, Koordinator am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität, lehrt Politikwissenschaften.

Dieser Kommentar erscheint in der Oberhessischen Presse am 13.12.04


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