Erfolgsstory "Deutsche Außenpolitik"?
Das Bild, das die Bundeskanzlerin zeichnet, weicht erheblich von der Realität ab
Von Hans Voß *
Bevor sich Angela Merkel in den Urlaub verabschiedete, zog sie vor der
Presse ihre Bilanz des
vergangenen Jahres -- eine rundum positive, versteht sich. Selbstgefällig
bezog sie auch das Wirken
der Bundesregierung auf internationalem Parkett darin ein.
Es stimmt, dass die Regierung Merkel in der ersten Phase der Großen
Koalition gute Noten für ihr
internationales Wirken erhalten hat. Insbesondere die deutschen Medien
waren des Lobes voll.
Angela Merkel wurde maßgeblicher Einfluss auf die zeitweilige Dämpfung
der Krise in der EU
zugesprochen, sie posierte geschickt unter den Großen der Welt. Das
zeigte sich auch darin, dass
sich die Bundesregierung in Gremien festsetzte, die an sich Mitgliedern
des UNO-Sicherheitsrates
vorbehalten sind -- etwa in den Kontaktgruppen für Nahost, Iran und
Kosovo. Auch der Anspruch auf
Führerschaft bei der Rettung des Weltklimas wurde erhoben. So wurde die
Tatsache kaschiert, dass
die BRD weiterhin keinen Zugang zum Weltsicherheitsrat hat.
Merkel entspannte das Verhältnis zu den USA, vor allem durch verstärkten
Bundeswehreinsatz in
Afghanistan, wodurch George W. Bush in Irak entlastet wurde.
Gegenüber Russland und China agierte die Kanzlerin anfänglich relativ
zurückhaltend. Indem sie
dem vorsichtigen Vorgehen Helmut Kohls und Gerhard Schröders folgte,
schien ihr die
Gratwanderung zwischen kritischer deutscher Medienöffentlichkeit und
ungestörten Beziehungen zu
gelingen.
Übersehen wurde vielfach, dass der Aufschwung des deutschen Ansehens
maßgeblich auf äußere
Faktoren, auf Schwächen anderer Akteure zurückzuführen war. Die Position
George W. Bushs
wurde schwächer. Er war froh, in Angela Merkel eine Politikerin zur
Seite zu haben, die ein gewisses
Verständnis für seine Nöte aufbrachte, und förderte sie als bevorzugte
Verbündete. In Paris und
London vollzogen sich Führungswechsel, und über die Wachablösung in
Moskau wurde wild
spekuliert. Das alles verschaffte Berlin Spielräume.
Die sind inzwischen jedoch weitestgehend ausgeschöpft. Die
internationalen Konstellationen sind
wieder berechenbar. Die russische Führung erweist sich als stabiler
Faktor. Das selbstbewusste
Agieren von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy setzt der
Bundesregierung in Europa deutliche
Grenzen. Der Niedergang der US-Präsidentschaft veranlasst die Partner in
Europa zu größerer
Distanz. Sich heute zu eng mit Bush zu verbünden, kann für das künftige
Verhältnis zu den USA von
Schaden sein. Dazu kommt, dass die deutsche Außenpolitik, meist
selbstverschuldet, an Einfluss
auf die Lösung internationaler Probleme verloren hat.
Vorbei sind die Zeiten, da die deutsche Regierung im Nahen Osten in
bestimmtem Maße als
ehrlicher Makler angesehen wurde. Dazu hat die einseitige Ausrichtung
auf die Unterstützung der
Positionen Israels beigetragen. Es wird kaum noch wahrgenommen, dass die
BRD dem
sogenannten Nahost-Quartett angehört.
Gegenüber Iran trat die Bundesregierung zeitweilig als Verfechterin
einer Verhandlungslösung auf.
Inzwischen hat sie eine Wende zu verschärften Sanktionen gegen Teheran
vollzogen. Demonstrativ
unterstützt sie scharfmacherische Positionen der USA und Israels.
In Kosovo hat die Bundesregierung nur zum Schein eine einvernehmliche
Lösung des
Statusproblems angestrebt. Sie gehörte zu den Ersten, die eine
Lostrennung Kosovos vom
serbischen Staatsverband völkerrechtlich anerkannten und damit
Verantwortung für
sicherheitspolitische und wirtschaftliche Folgen übernahmen.
Eine Vorreiterrolle In Sachen Klimaschutz kann Angela Merkel nicht
übernehmen: Wer seine
schützende Hand über die deutsche Autoindustrie hält, kann sich nicht
als Vorbild präsentieren.
Zumal wenn man es vermeidet, die USA als Hauptverschmutzer der Umwelt in
die Schranken zu
weisen.
Geschwächt wurde die deutsche Stellung in der Welt durch die Krisen in
den Beziehungen zu
Russland und China. Es begann damit, dass Angela Merkel die vorsichtige
Haltung Kohls und
Schröders aufgab und sich arrogant in die Innenpolitik beider Staaten
einmischte. Präsident
Wladimir Putin wurde öffentlich attackiert, Wahlen in Russland wurden
als undemokratisch
diffamiert, russische »Menschenrechtsaktivisten« hofiert. Demonstrativ
empfing Merkel den Dalai
Lama im Bundeskanzleramt und provozierte damit eine Abkühlung der
deutsch-chinesischen
Beziehungen.
Glaubte die Kanzlerin, auf diese Weise eine Veränderung der
Gesellschaftsstrukturen beider Länder
erreichen zu können? Ging es darum, ein Wiedererstarken Russlands und
eine Weltmachtrolle
Chinas zu verhindern? Sieht man in Berlin nicht, dass solche Ziele nicht
zu erreichen sind? Im
Gegenteil werden Komplikationen heraufbeschworen, die den eigenen
Wirtschaftsinteressen zum
Nachteil gereichen. Schließlich ist Russland ein entscheidender
Rohstofflieferant und China ein
gewaltiger Absatzmarkt.
Oder verfolgte das Vorgehen vorrangig innenpolitische Ziele? Glaubte die
Kanzlerin, ihre Chancen
für eine Wiederwahl 2009 verbessern zu können? Meinte sie, dass es auf
Dauer möglich ist, sich im
eigenen Land als Verfechterin der Menschenrechte in aller Welt zu
produzieren, ohne dass die
internationalen Wirtschaftsbeziehungen davon behelligt würden?
Inzwischen ist eine gewisse Entspannung eingetreten. Aber grundsätzliche
Differenzen mit Russland
und China bestehen weiter. Die Bundesregierung beteiligt sich wie bisher
an der Einkreisung
Russlands. Sie unterstützt die Aufnahme Albaniens und Kroatiens in die
NATO und stellt auch der
Ukraine und Georgien eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht.
Obwohl die Bundesregierung versichert hat, dass sie an der
»Ein-China-Politik« festhält, ist der
Affront -- der Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt -- in Peking nicht
vergessen. Der Dalai Lama
ist nun einmal kein einfacher religiöser Führer, die chinesische Führung
betrachtet ihn als
Verkörperung des Strebens nach einem unabhängigen Tibet.
Offensichtlich ist jedenfalls, dass der Höhenflug der Regierung Merkel
in der internationalen Arena
vorerst gestoppt ist. Veränderungen in den Kräftekonstellationen, aber
auch eigene Versäumnisse
und Fehleinschätzungen haben die Bundesregierung auf »Normalmaß«
zurückgestutzt. Im
westlichen Bündnis nimmt sie zwar einen wichtigen, aber keinen
herausgehobenen Platz ein. Trotz
des Merkel-Einsatzes steckt die EU weiter in der Krise. Und das
Verhältnis zu Russland und China
ist dauerhaft belastet.
Mag sein, dass die Erkenntnis der Begrenztheit eigener Möglichkeiten im
Kanzleramt noch nicht
wahrgenommen wird. Voll Ehrgeiz und Eifer reist Angela Merkel durch die
Welt. Sie hat Gefallen
gefunden an der internationalen Bühne, verwechselt jedoch womöglich
höfliche Aufmerksamkeit mit
internationalem Renommee.
Wer indes nach Weltgeltung strebt, muss Ergebnisse zeigen. Da reicht es
nicht, fortgesetzt auf die
Präsenz deutscher Soldaten in vielen Teilen der Welt zu verweisen. Die
Beteiligung an Kriegen, die
von den USA angezettelt sind und in einem Desaster enden werden,
verbessert das deutsche
Ansehen in der Welt mit Sicherheit nicht. Gefragt sind Initiativen zur
friedlichen Lösung von
Streitfragen, zur Verbannung der Gewalt aus den internationalen
Beziehungen. Die deutsche
Regierung sollte sich ihrer Erklärung bei Amtsantritt besinnen. Damals
bekräftigte sie ihren Willen
zur Achtung des Völkerrechts, zur Multilateralität in den
internationalen Beziehungen, zur Stärkung
der Vereinten Nationen.
Betrachtet man die Position der Merkel-Partei, muss man jedoch
befürchten, dass stattdessen auf
eine weitere Ausprägung militärischer Elemente gesetzt wird. Die von der
CDU/CSU-Fraktion im Mai
verabschiedete Sicherheitskonzeption sieht nicht nur eine Konzentration
der deutschen
Sicherheitspolitik im Kanzleramt, sondern auch den Einsatz der
Bundeswehr im Innern des Landes
und Auslandseinsätze deutscher Verbände ohne Mandat der Vereinten
Nationen vor. Ein falsches
Signal für eine Politik, die am Streben nach Entspannung und Frieden
gemessen werden möchte.
* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2008
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