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Keine Reform am East River

Deutschland saß wieder zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat - warum sollte es einen ständigen Sitz haben?

Von Olaf Standke *

Zum Jahreswechsel scheidet Deutschland nach zweijähriger Mitgliedschaft aus dem Weltsicherheitsrat aus. Bundesaußenminister Westerwelle drängte in seiner Bilanz erneut auf die Reform des mächtigsten UN-Gremiums - und hofft weiter auf einen dauerhaften Sitz im Rat.

Einstimmig sprach sich der UN-Sicherheitsrat unmittelbar vor Weihnachten für einen Militäreinsatz in der westafrikanischen Republik Mali aus. Ein Votum, das jenseits der politischen Sinnfälligkeit des Beschlusses auch deshalb Aufmerksamkeit fand, weil das wichtigste Organ der Vereinten Nationen in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem ein zerstrittenes, Entscheidungen oft hinauszögerndes Gremium ist, geprägt von den widerstrebenden geostrategischen Interessen der fünf ständigen Mitgliedstaaten mit Veto-Privileg. Eine Reform wird nun schon seit Jahrzehnten gefordert, auch Guido Westerwelle bemängelte in seiner Bilanz der jetzt auslaufenden zweijährigen deutschen Zugehörigkeit, dass der Rat in seiner heutigen Zusammensetzung »nicht mehr der Welt des 21. Jahrhunderts« entspreche. Berlin bemüht sich nach der deutschen Einheit um einen Dauersitz, bisher vergeblich. Und ob die jüngste temporäre Mitgliedschaft ohne Vetorecht diesem Anliegen gedient hat, ist umstritten.

Dass Westerwelle meint, die deutsche Arbeit im Sicherheitsrat könne »sich sehen lassen«, verwundert nicht. Auch der Münsteraner Politikprofessor Sven Bernhard Gareis sieht durchaus positive Aspekte, z.B. bei der Initiative zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten oder wenn es um den Zusammenhang zwischen Umwelt, Klima und internationaler Sicherheit ging. Andererseits bemängelt er die fehlende Besetzung »großer Themen« bei der Friedenssicherung, Entwicklung oder Abrüstung, bei Themen also, die Deutschland »sozusagen unverzichtbar machen würden«.

Für die LINKE im Bundestag hat es Berlin in vielerlei Hinsicht verpasst, Friedensinitiativen zu befördern, auch beim Vorsitz der Afghanistan-Arbeitsgruppe. Mit der Enthaltung bei der Abstimmung über Palästinas Antrag auf Beobachterstatus in der UNO habe sich die Bundesregierung gegen eine große Mehrheit der EU-Staaten sogar »deutlich isoliert«, betonte Heikel Hänsel, Vorsitzende im Unterausschuss »Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung«. Für die LINKE bedeutet eine Reform zuerst Demokratisierung der UNO. Deshalb kritisiert sie auch, dass Berlin seine Aktivitäten vor allem darauf richte, dauerhaft im Weltsicherheitsrat Platz zu finden. Deutschland bemüht sich seit 2004 gemeinsam mit Indien, Brasilien und Japan in der sogenannten G4-Gruppe um einen ständigen Sitz. Für einen immer wieder ins Spiel gebrachten gemeinsamen EU-Sitz im Rat kann es sich wie Frankreich und Großbritannien nicht begeistern.

Dass das wichtigste Entscheidungsgremium der UNO zugunsten der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas erweitert werden müsse, um den heutigen und künftigen globalen Problemen besser Herr zu werden, hört man oft am New Yorker East River. Wenn es aber ans Eingemachte geht, dann stoße das auf den massiven Widerstand der ständigen Ratsmitglieder, so Kwame Akonor, Leiter der Denkfabrik »African Development Institute«. Sie seien nicht bereit, ihre Privilegien aufzugeben. So werden seit vielen Jahren die verschiedensten Modelle diskutiert, ohne dass Lösungen absehbar sind. Auch im G4-Konzept wird das Veto-Recht nicht etwa grundsätzlich angetastet, sondern vorgeschlagen, dass auf einer Überprüfungskonferenz 15 Jahre nach Inkrafttreten der notwendigen Änderung der UN-Charta entschieden werden solle, ob auch die angeregten sechs neuen ständigen Mitglieder in den Genuss dieses Privilegs kommen.

Letztlich aber muss es das Ziel jeder Reform sein, die UNO zu jener politisch respektierten und handlungsfähigen Instanz zu machen, die mit der Orientierung auf Krisenprävention und zivile Konfliktlösungen weltweit Frieden und Entwicklung im Interesse aller Mitgliedstaaten sichert und nachhaltige Lösungen für die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts organisiert. Was auch zu völlig neuen Strukturen führen kann. UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck etwa forderte jetzt einen »ökonomischen Weltsicherheitsrat« zur Kontrolle der Finanzmärkte, in dem arme und reiche Länder gleichberechtigt vertreten sein müssten, um entschlossen gegen Währungs- und Rohstoffspekulationen vorzugehen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 27. Dezember 2012

Hintergrund

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist das mächtigste UN-Gremium, denn nur seine Beschlüsse sind für alle Mitgliedstaaten der Weltorganisation rechtsverbindlich. Auf Grundlage von Artikel 24 I der UN-Charta haben sie dem Rat die Hauptverantwortung für die »Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« übertragen. Er kann in Konfliktfällen zu Verhandlungen aufrufen, einen Waffenstillstand anordnen oder sogenannte Blauhelm-Missionen zur Krisenprävention bzw. Konfliktlösung entsenden. Der Sicherheitsrat ist aber auch berechtigt, wirtschaftliche oder andere Sanktionen zu verhängen und als letztes Mittel die Anwendung militärischer Gewalt zu beschließen.

Dem Rat gehören 15 Mitgliedstaaten an, die fünf ständigen China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA besitzen ein Veto-Privileg, mit dem sie Resolutionen blockieren können. Hinzu kommen zehn Mitglieder, die nach einem Regionalschlüssel von den 193 UN-Staaten in der Vollversammlung mit Zwei-Drittel-Mehrheit für je zwei Jahre gewählt werden. Sta




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