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Die Berater

Hintergrund. Von den braunen Wurzeln bis zum Masterplan für den Umbruch in Syrien. Ein Blick auf 50 Jahre Stiftung Wissenschaft und Politik

Von Jörg Kronauer *

Prächtig war die Feier, die im festlich illuminierten Berliner Museum für Kommunikation am 17. Oktober über die Bühne ging. Der deutsche Außenminister war persönlich gekommen, um beim einleitenden Kolloquium den Veranstaltern ein dickes Lob auszusprechen. Natürlich seien sie »nicht der einzige Anbieter politischer Analyse«, erklärte Guido Westerwelle (FDP), aber sie seien doch »einer der besten«. Die Festrede hielt Bundestagspräsident Norbert Lammert – laut offiziellem Protokoll die Nummer zwei im deutschen Staat nach dem Bundespräsidenten. Gekommen waren unter anderem eine Staatssekretärin aus dem italienischen Außenministe¬rium, Westerwelles Amtsvorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD), einflußreiche Persönlichkeiten etwa aus den USA und aus Indien; die Moderation hatte der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, übernommen. Die Veranstalter konnten sich die aufwendige Feier dank finanzkräftiger Sponsoren leisten, zu denen Daimler, die Allianz und die Deutsche Bank gehörten. Diese wiederum konnten sich sicher sein, daß sich der Aufwand langfristig auszahlen würde. Was da prunkvoll begangen wurde, war kein beliebiges Ereignis, sondern das fünfzigjährige Jubiläum eines der bedeutendsten deutschen Think-Tanks – der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Das Kanzleramt zahlt

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist mit ihren rund 130 festen und bis zu 60 externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der größte außenpolitische Think-Tank nicht nur der Bundesrepublik, sondern ganz Europas. Laut Satzung ist es ihre Aufgabe, »wissenschaftliche Untersuchungen auf den Gebieten der internationalen Politik sowie der Außen- und Sicherheitspolitik« durchzuführen, und zwar »mit dem Ziel der Politikberatung«. Beraten werden nicht nur Abgeordnete, Ministerialbeamte und Mitglieder der Bundesregierung bis hin zur Kanzlerin, sondern auch Wirtschaftskreise. Das spiegelt sich im Stiftungsrat wider, dessen Präsident zur Zeit Hans-Peter Keitel ist, der gegenwärtige Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Seine Stellvertreter sind Hans-Ulrich Klose (SPD), Stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, und Kanzleramtschef Ronald Pofalla. Dem Vorstand gehören außer ihnen unter anderem der Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, Staatssekretäre aus den Ministerien für Verteidigung, Entwicklung, Inneres und Bildung sowie Vertreter der Deutschen Bank und der Otto GmbH an.

Finanziert wird die SWP größtenteils vom Bundeskanzleramt – mit steigenden Beträgen. Bekam sie bis 2007 meist eine Summe zwischen neun und neuneinhalb Millionen Euro, so erhält sie mittlerweile zwischen elf und zwölf Millionen. »Die politische Klasse spürt, wie die Erwartungen an Deutschlands Rolle in der Welt steigen, und wie schwierig es manchmal ist, diesen nachzukommen«, umschrieb Stiftungsdirektor Volker Perthes im Oktober im Interview mit dem Tagesspiegel die gesteigerten weltpolitischen Ambitionen Berlins. Je mehr nach außenpolitischen Strategien gefragt werde, »umso mehr braucht man Sparringspartner wie die SWP«.

Die Stiftung verfügt über äußerst enge Verbindungen zur Wissenschaft, um deren Erkenntnisse für die operative Politik nutzbar zu machen. Sie hält sich eigens einen Forschungsbeirat, dem zehn Professorinnen und Professoren aus vier Staaten angehören, und nicht wenige ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zugleich an Hochschulen aktiv. Direktor Volker Perthes etwa lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Berliner Humboldt-Universität und als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin.

Treibende Kraft bei der SWP-Gründung im Jahr 1962 war der damals 44jährige Karl Ritter. Er entstammte, wie sein späterer Stiftungskollege Albrecht Zunker 2007 schrieb, »dem protestantischen deutschen Bildungsbürgertum«, »einer Familie von Kirchenmännern und Professoren«. Ritter nahm als Wehrmachtssoldat am Überfall auf Polen und am Krieg gegen die Sowjetunion teil. 1942 bis 1944 arbeitete er für Reinhard Gehlens Spionageabteilung »Fremde Heere Ost«. Seine Fähigkeiten in »Analyse und Auswertung« hätten ihm dort bald Anerkennung eingebracht, berichtete Zunker in dem Buch »Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Entwicklungsgeschichte einer Institution politikbezogener Forschung«. Er fuhr fort: »In diesen Monaten im Oberkommando entwickelten sich eine ganze Reihe von Bekanntschaften und Freundschaften, die für das weitere Leben Bestand hatten und haben.« Mehrere Mitgründer der SWP gehörten dazu, auch der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der bei der deutschen Industrie das Gründungskapital für die Stiftung einwarb. Ritter habe eine Zeitlang befürchtet, seine Vergangenheit bei »Fremde Heere Ost« könne bekannt werden und ihm sowie der Stiftung Schaden zufügen, notierte Zunker. Ein Weltkriegskamerad habe sich deshalb an den ihm befreundeten Verlagsleiter des Spiegel gewandt und bei diesem »einen entsprechenden Sperrvermerk« für etwaige Recherchen in Sachen Ritter/SWP erwirkt.

BND gibt Starthilfe

Ritter, der im Zweiten Weltkrieg für Gehlens »Fremde Heere Ost« erfolgreich »ausgewertet« hatte, knüpfte schon bald an seine alte Arbeit an. Er landete bei Gehlens neuem Bundesnachrichtendienst (BND), wo er es bis 1959 zum Leiter der Unterabteilung »Politische Auswertung« brachte. Dann erhielt er die Genehmigung für ein Sabbatical in den USA, wo er verschiedene auf dem Feld der Außenpolitik tätige Forschungsinstitute und Stiftungen kennenlernte. Vertreter des US-Establishments hätten sich damals beklagt, man müsse in der Bundesrepublik immer gleich mit Ministerialbeamten sprechen, hielt Zunker fest; es gebe keine »Gesprächspartner im voroffiziellen Raum«. Es sei um Fachpersonal gegangen, das keine Funktion in den Ministerialbürokratien habe und mit dem man bei Bedarf auch tastende, unverbindliche Sondierungsgespräche ohne politische Konsequenzen führen könne. Ritter biß an, kehrte zurück nach Deutschland und trieb, organisatorisch und finanziell unterstützt von BND-Führungspersonal, die Gründung der Stiftung Wissenschaft und Politik voran. Diese nahm 1962 ihren Sitz in Haus Eggenberg in Ebenhausen, einem Ortsteil von Schäftlarn, ein. Um Ebenhausen zu erreichen, muß man München in südlicher Richtung entlang der Isar verlassen; man durchquert zunächst Pullach, wo die BND-Zentrale ihren Sitz hat, und kommt nach wenigen Kilometern in Haus Eggenberg an.

1965, drei Jahre nach der Gründung, schied Ritter aus dem BND aus. Das war möglich, weil inzwischen Bundesregierung und Bundestag beschlossen hatten, die SWP offiziell zu übernehmen und sie aus anderen Etatposten des Kanzleramts, nicht mehr aus demjenigen des BND, zu finanzieren. Zunächst war die Stiftung vor allem in Fragen von Abrüstung und Rüstungskontrolle tätig. Fragen, die in der Zeit der Systemkonfrontation für die westliche Politik von höchster Bedeutung waren. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte weitete sie ihren Tätigkeitsradius jedoch kontinuierlich aus. Im Zuge des Umzugs in ihre heutigen Räumlichkeiten in Berlin-Wilmersdorf im Jahr 2001 konnte die Stiftung zwei weitere Institute übernehmen: das »Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien« (BIOst) und die gegenwartsbezogene Abteilung des »Südost-Instituts« (SOI).

Die Stiftung expandiert

Das BIOst war 1961 in Köln unter der Bezeichnung »Bundesinstitut zur Erforschung des Marxismus-Leninismus (Institut für Sowjetologie)« gegründet worden. 1966 wurde sein Name in »Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien« geändert. An den Planungen war der langjährige Osteuropa-Spezialist Hans Koch maßgeblich beteiligt. Koch hatte schon im Ersten Weltkrieg Kontakte zu ukrainischen Milizen geknüpft, ging 1934 als Institutsleiter an die Universität Königsberg und kümmerte sich im Zweiten Weltkrieg zunächst erneut um die Kontakte zu ukrainischen Nationalisten, bis er schließlich zum »Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete« wechselte. Koch habe schon 1939 »betont, daß eigene Institutionen notwendig seien, um dem Kommunismus mit wissenschaftlichen Mitteln entgegenzutreten«, berichtet die Historikerin Corinna Unger in ihrer ausführlichen Untersuchung über die bundesdeutsche Ostforschung (Ostforschung in Westdeutschland. Die Erforschung des europäischen Ostens und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1945–1975, Stuttgart 2007). »Diese Notwendigkeit« habe »seiner und der Überzeugung vieler Kollegen zufolge nach Kriegsende« weiterbestanden – sogar »dringlicher denn je«.

Die deutsche Regierung nahm sich in den 1950er Jahren des Anliegens an; das führte 1961 zur Gründung des Bundesinstituts. Aktiv beteiligt war ein zweiter Exmitarbeiter des »Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete«, Gerhard von Mende, der in dieser Funktion an einem Nachfolgetreffen der Wannsee-Konferenz teilgenommen hatte. Mende war vor allem für sein Vorhaben bekannt, die einzelnen Nationalitäten der Sowjetunion gegen Moskau aufzustacheln. Koch, der ursprünglich Gründungsdirektor des Bundesinstituts hätte werden sollen, starb 1959; Mende hingegen wurde tatsächlich in das Direktorium berufen.

Die Kontinuitätslinien des Südost-Instituts (SOI) reichen noch weiter zurück. Es wurde 1930 in München gegründet, »zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten«, wie es heute beim Nachfolger seiner zweiten, nicht von der SWP übernommenen Abteilung heißt, dem »Institut für Ost- und Südosteuropaforschung« (IOS) in Regensburg. Das SOI wurde 1943 der Abteilung VI G des Reichssicherheitshauptamtes unterstellt. Bereits 1941 hatte Geschäftsführer Fritz Valjavec ein Sonderkommando nach Südosteuropa begleitet; vermutlich war er dort in den Massenmord an den Jüdinnen und Juden involviert. Dessen ungeachtet konnte Valjavec 1951 die Neugründung des SOI durchsetzen und dort 1955 ganz offiziell das Amt des Direktors übernehmen. Er starb 1960. Die Tradition der deutschen Südosteuropa-Politik blieb im SOI gewahrt.

Mit ihrem Umzug in die Hauptstadt Anfang 2001 und der Übernahme des SOI und des BIOst hat die Stiftung, die einst mit Hilfe des BND gegründet wurde, um Abrüstung und Rüstungskontrolle zu bearbeiten, sich endgültig zu einem Think-Tank entwickelt – bereit, das deutsche Weltmachtstreben in jeder Hinsicht umfassend zu begleiten.

Draht zur Bundeswehr

Die Stiftung verfügt heute über acht Forschungsgruppen, die sich mit allen Weltgegenden befassen: mit der EU und ihrer Integration, mit den EU-Außenbeziehungen, mit dem amerikanischen Kontinent, mit Rußland und der GUS, mit Nah- und Mittelost plus Afrika, mit Asien, ganz pauschal mit »globalen Fragen« und, last but not least, mit »Sicherheitspolitik«. Vor allem über die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik unterhält die SWP enge Beziehungen in Bundeswehrkreise. In ihr arbeiten ein Oberstleutnant i.G., ein ehemaliger Leiter des Fachbereichs Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, ein früherer Abteilungsleiter im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, das in der Rüstungskontrolle tätig ist, aber auch ein einstiger Mitarbeiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, der zwischenzeitlich bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU wirkte – in der Abteilung Militärpolitik. Ein Major i.G. arbeitet zudem in der Forschungsgruppe Rußland/GUS; sein Forschungsgebiet: Militär- und Sicherheitspolitik der Russischen Föderation.

Politikfelder, die für die Berliner Außenpolitik eine besondere Rolle spielen, werden von der Stiftung in speziellen Projekten bearbeitet. Da wären zunächst einmal die nach wie vor wichtigen transatlantischen Beziehungen. Die Volkswirtschaften der Bundesrepublik sowie der USA sind außerordentlich eng verflochten, nicht nur beim Handel, vor allem bei den Investitionen; außerdem ist die NATO für Berlin nach wie vor ein Instrument, auf das man nicht verzichten kann – jedenfalls solange die EU keine vergleichbar schlagkräftige Militärmacht besitzt. Die SWP betreibt ein Projekt mit dem Namen »Transatlantische Risikogovernance«, das den »Umgang mit systemischen Risiken in den USA und der EU« abstimmen soll: Wie geht man mit wirtschaftlichen und finanziellen Risiken um, die etwa die Euro-Krise hervorbringt? Welchen Abgleich kann man in der transatlantischen Rohstoffkonkurrenz anpeilen? Und wie kann man gemeinsam Angriffen auf die Infrastruktur oder Cyber-Attacken entgegenwirken?

Pazifisches Jahrhundert

Die SWP wäre eine schlechte Beraterin, hätte sie nicht schon längst auf die großen weltpolitischen Umbrüche reagiert, die sich gegenwärtig vollziehen. Der wichtigste davon ist sicherlich der Aufstieg Chinas und die Ankündigung der USA, sich in Zukunft stärker auf Asien als auf die Kooperation mit Europa zu konzentrieren. US-Außenministerin Hillary Clinton hat vor etwas über einem Jahr offiziell »Amerikas pazifisches Jahrhundert« ausgerufen. Die Stiftung führt jährlich eine »Berlin Conference on Asian Security« durch, bei denen »der Austausch von Informationen und Expertise zu Sicherheitsfragen im asiatisch-pazifischen Raum« ermöglicht wird. Daran nehmen Expertinnen und Experten aus Asien, Amerika und Europa teil. Gesprochen wird etwa über die amerikanisch-chinesische Rivalität, über die japanischen Reaktionen auf den Aufstieg Chinas und über den Kampf des Westens gegen Nordkorea. Diskutiert wird natürlich auch über die Perspektiven der EU in Ost- und Südostasien, da diese auch im »Pazifischen Jahrhundert« im Zentrum des Weltgeschehens stehen will.

Eine Option, die sich die Berliner Außenpolitik in den aktuellen Umbrüchen zu bewahren sucht, ist die Orientierung auf ein multilaterales Konzept, das davon ausgeht, neben den USA und China könnten sich womöglich noch weitere Mächte und damit potentielle Verbündete in der Weltpolitik etablieren – Rußland etwa, Indien oder Brasilien, auf regionaler Ebene eventuell auch Südafrika oder Iran. Die SWP führt jährlich seit 1993 einen »Streitkräftedialog« mit jeweils zwölf bis 14 Offizieren aus Rußland oder aus der Ukraine durch; damit will sie Zugänge »zu hochrangigen, wenn möglich noch jungen militärischen Führern der Streitkräfte« herstellen und insgesamt die »deutsch-russischen und deutsch-ukrainischen Beziehungen auf militärischer Ebene« vertiefen.

Die SWP betreibt einen »GIBSA Quadrilogue«, zu dem sich jährlich Think-Tanks aus »Germany, India, Brazil and South Africa« (GIBSA) zur Strategiedebatte treffen – »vier Staaten, die mehrfach als regionale Führungsmächte (...) in ihrer jeweiligen Region bezeichnet wurden«, schreibt die Stiftung. Einmal jährlich organisiert die Einrichtung zudem gemeinsam mit dem Teheraner »Institute for Political and International Studies« (IPIS) den »Deutsch-iranischen Dialog«. SWP-Direktor Perthes und sein Vorgänger Christoph Bertram haben sich mehrfach für eine kooperative Einbindung Irans ausgesprochen; das Land habe, heißt es, das Zeug zur regionalen Vormacht, die man zwecks Mehrung des eigenen Einflusses zum Verbündeten aufbauen könne.

The Day After

Besondere Bedeutung hat gegenwärtig wohl das Projekt zum »Elitenwandel« in der arabischen Welt, das die SWP dieses Jahr gestartet hat und bis 2015 fortführen will. Die arabischen Revolten haben Entwicklungen angestoßen, deren Ergebnisse nach wie vor nur schwer abzuschätzen sind. Was resultiert denn zum Beispiel aus dem Sturz von Ben Ali oder Mubarak – ein simpler Regimewechsel, oder kommt es auf Dauer »zu einem umfassenden Elitenwechsel«? »Handelt es sich lediglich um eine Rotation innerhalb der existierenden politischen Eliten oder beobachten wir die Einbindung neuer Akteure?« fragt die SWP; und falls es sich um »neue Akteure« handeln sollte, »wie verhalten sie sich zu den bisherigen, nach wie vor in den Machtstrukturen vertretenen Eliten?« Die Fragen sind wichtig, will man den eigenen Einfluß in der arabischen Welt stärken, und tatsächlich verfolgt der Berliner Think-Tank kein geringeres Ziel als dieses - solide analytische Vorfeldarbeit, damit die deutsche Außenpolitik in Nordafrika und in Nah- und Mittelost ihre Machtstellung ausbauen kann.

Das bekannteste Projekt der Stiftung, »The Day After«, dient dazu, die syrische Exilopposition zu organisieren und einen Fahrplan für ein Syrien nach dem Sturz Bashar al Assads zu entwerfen. In die Wege geleitet wurde »The Day After« schon Mitte 2011; dabei kooperierte die SWP mit dem United States Institute of Peace (USIP). Von Januar bis Juni 2012 kamen in regelmäßigen Abständen rund 45 syrische Exiloppositionelle in Berlin zusammen, um unter Anleitung deutscher, US-amerikanischer und britischer Experten Nachkriegspläne für das Land zu entwickeln. Ein Papier, das Vorschläge dazu enthielt, wurde Ende August in Berlin präsentiert. Die Bundesregierung legte dabei Wert auf die Feststellung, sie selbst habe sich zu keinem Zeitpunkt eingemischt. Die Aussage bestätigt, wie wichtig Apparate wie die SWP sein können – Einrichtungen, die einen formalen Abstand zur Regierung haben und damit Aktivitäten übernehmen können, die ausgeführt von offizieller Seite allzu provozierend wirken könnten. Genau diese Funktion war es, die Anfang der 1960er Jahre US-Experten wie Henry Kissinger dem bundesdeutschen Sabbatical-Gast Karl Ritter nahezubringen versuchten – mit Erfolg, wie man heute sieht.

Die Entwicklung, die die SWP durchmacht, ist in gewisser Weise typisch für das bundesdeutsche Establishment. Eindrücklich hat den Gang der Dinge Mitte 2009 Guido Steinberg beschrieben, der in den Jahren von 2002 bis 2005 im Referat Internationaler Terrorismus im Bundeskanzleramt tätig war, dieses dann verließ und als Mittelostexperte zur SWP wechselte. »Durch die deutsche Präsenz in Krisenregionen und die oft schmerzlichen Erfahrungen dort werden wir gezwungen, uns intensiv mit diesen Ländern zu befassen«, erläuterte Steinberg. »Mehr junge Leute befassen sich mit Weltregionen, die bisher wenig Interesse gefunden haben. Neue Studiengänge für Internationale Beziehungen werden eingerichtet.« Das alles habe tiefgreifende soziale Folgen. »In Deutschland entstehen neue politische und militärische Eliten«, die »in Zukunft die deutsche Politik mitprägen und ihr etwas von ihrer heutigen Provinzialität nehmen werden«, sagte der SWP-Experte voraus. Eliten, für die das deutsche Weltmachtstreben eine simple Tatsache ist und die für dieses Ziel den gesamten Globus in den Blick nehmen. »Wir erleben eine Entwicklung«, so Steinberg, »wie sie im Grunde von den Kolonialmächten im 19. Jahrhundert durchgemacht wurde.«

* Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler, freier Journalist und Redakteur bei german-foreign-policy.com. Am 12. November schrieb er an dieser Stelle über die Inbetriebnahme eines zweiten Strangs der »Ostseepipeline«.

Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Dezember 2012


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