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USA-Hegemonie oder ein Quintett der Großmächte?

Potsdamer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der »WeltTrends« über die Weltordnung im 21. Jahrhundert

Von Hubert Thielicke *

Welche Ordnungen prägen die Welt von morgen? Welche alten und neuen Spieler werden die Weltpolitik bestimmen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Zeitschrift »WeltTrends« Ende vergangener Woche in Potsdam veranstalteten Tagung über »Hegemonie und Multipolarität«.

Wissenschaftler und außenpolitische Experten von vier Kontinenten stimmten darin überein, dass die USA an Einfluss verlieren, obwohl sie nach dem Ende des Kalten Krieges als einzige Supermacht in der Welt angesehen wurden. Einige Teilnehmer gingen davon aus, dass es zunächst durch den ökonomischen und militärischen Aufstieg Chinas zu einer Bipolarität kommen könnte, die langfristig durch eine chinesische Hegemonie abgelöst werde. Ulrich Menzel (TU Braunschweig) rechnet dafür mit der Zeit um 2030. Dem widersprach vehement Zhai Dequan vom chinesischen Außenministerium: China strebe keine Hegemonie an, ihm gehe es um ein friedliches Umfeld für die eigene sozialökonomische Entwicklung.

Auch in den Eliten der USA werde der Übergang von der absoluten zur relativen Hegemonie heftig diskutiert, berichtete Roland Benedikter (Stanford University, USA). Die Hinwendung zum Pazifik sei die radikalste Veränderung in der US-Außen- und Militärpolitik seit Langem. Nach Auffassung von Barry Buzan (London School of Economics) ist die Zeit der Super-mächte vorbei. Das internationale System bewege sich infolge der globalen Industrialisierung und Modernisierung in Richtung einer ausgewogeneren Machtverteilung. Die USA werden ihren Status nicht halten können, neue Mächte wie China werden nicht an ihre Stelle treten. Auf längere Sicht bilde sich eine multipolare, von einigen regionalen Großmächten geprägte Weltordnung heraus. Die Mehrheit der Diskutanten stimmte dem zu; Der Inder Achin Vanaik (University of Delhi) sprach von einem »Quintett« aus den USA, China, Russland, Indien und der EU.

Die russischen Experten Wladislaw Sawin und Sergej Birjukow verwiesen auf die künftige Rolle regionaler Großräume. Die sich herausbildende Eurasische Union - derzeit Russland, Kasachstan und Belarus - könnte eine Brückenfunktion zwischen Westeuropa und Ostasien einnehmen.

Sein Land setze auf eine verstärkte Integration in Südamerika, betonte Audo Araujo Faleiro vom Präsidialamt Brasiliens. Die Zeit der US-Hegemonie sei vorbei, die Region werde zu-nehmend von progressiven Kräften bestimmt, wie auch der jüngste Wahlsieg des venezolani-schen Präsidenten Hugo Chavez zeige.

Weitgehender Konsens bestand darin, dass die EU trotz aller gegenwärtigen Probleme eine wichtige internationale Rolle spielen kann. Einige ausländische Teilnehmer sprachen sich für eine stärkere Führungsrolle Deutschlands aus. Nach Meinung von Bogdan Koszel (Adam-Mickiewicz-Universität Poznan) befinde sich Berlin aber noch in der Phase der Definition seiner Stellung in Europa und der Welt. Es müsse konstruktive Konzepte für die Zukunft der EU entwickeln.

Die »deutsche Frage« stelle sich wieder neu, schätzte Erhard Crome (Rosa-Luxemburg-Stiftung) ein. Deutschland sei Hauptnutznießer des Euro und wäre auch Hauptleidtragender seines Zusammenbruchs. Seine Rettung sei nicht durch deutsche Hegemonie, sondern nur durch Kooperation möglich.

Wolfgang Gehrke (MdB, DIE LINKE) betonte die Aktualität der Diskussion des Themas für die Weiterentwicklung linker außenpolitischer Konzepte bis hin zur Vision einer anderen Welt. Deutschland gehe es nicht in erster Linie um nationalstaatliche Hegemonie, vielmehr versuche es, seine Interessen durch eine starke Rolle in internationalen Organisationen, von EU über Weltbank bis zur UNO, umzusetzen.

Insgesamt bot die Tagung eine solide Plattform für die kritische Debatte grundlegender internationaler Fragen, auch eine gute Gelegenheit, mit europäischen Kollegen zu diskutieren, wie die Teilnehmer aus Brasilien, China und Indien hervorhoben. Die aktuelle Ausgabe der Zeit-schrift »WeltTrends« enthält einige der Konferenzbeiträge; die Reihe wird im November-Heft fortgesetzt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Oktober 2012


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