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Staatsbürger zweiter Klasse

Deutsche palästinensischer Herkunft erhalten in Israel und den palästinensischen Gebieten keinen Schutz von BRD-Auslandsvertretungen

Von Claudia Wangerin *

Palästinenser, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, irren sich, wenn sie glauben, sie hätten dann überall die gleichen Rechte wie andere Deutsche. Das gilt nämlich gerade in Israel und den palästinensischen Gebieten nicht – was dort zählt, ist das Abstammungsprinzip. Und die deutsche Bundesregierung deckt diese Ungleichbehandlung.

»Mir wurde die Einbürgerungsurkunde vorgelegt, und der Beamte sagte: ›Halt, Sie müssen sich vorher noch was durchlesen und unterschreiben, danach kriegen Sie die Staatsbürgerschaft‹«, schilderte Ibrahim Chehadeh, der in Berlin lebt.

Was er damals zu lesen bekam, war ein Merkblatt des Innenministeriums für Deutsche palästinensischer Herkunft. Darin heißt es wörtlich: »Ihnen wird das Recht bestritten, in den palästinensischen Gebieten und in Israel diplomatischen oder konsularischen Schutz von den deutschen Auslandsvertretungen zu erhalten.« Sollte er nicht einverstanden sein, klärte der Beamte Chehadeh auf, könne er den Antrag auf Einbürgerung zurückziehen und bekäme 70 Prozent der Bearbeitungsgebühr von 190 Euro zurückerstattet. Eine Kopie des Formulars, das er daraufhin unterschrieb, wurde ihm nicht ausgehändigt. Das dazugehörige Merkblatt liegt jW vor.

Auch Isam Kamel, ebenfalls wohnhaft in Berlin, Geschäftsmann und Generalsekretär des Deutsch-Palästinensischen Wirtschaftsrats (DPW) hat bei der Einbürgerung 2003 unterschrieben, daß er danach nicht die vollen Rechte genießt. In Israel gilt der deutsche Staatsbürger nach wie vor als Palästinenser und darf grundsätzlich nicht auf dem kürzesten Weg über den Flughafen Tel Aviv in seine Geburtsstadt Bethlehem kommen. Für ihn wie für andere europäische oder US-Bürger mit palästinensischem Hintergrund dauert die Reise in die West-Bank von Europa aus bis zu drei Tage. Sie werden gezwungen, über Jordanien einzureisen und zahlreiche israelische Checkpoints zu passieren.

Die Ausreise gestaltet sich ebenso schwer: »Letztes Mal habe ich erst zehn Stunden in einer überfüllten Wartehalle mit Palästinenserinnen und Palästinensern verbracht, bevor wir in den Bus nach Jordanien einsteigen durften«, erzählte Isam Kamel. »Es waren alte, kranke und schwache Menschen dabei, ebenso wie Geschäftsleute unter Termindruck. Die Israelis fahren ohne Wartezeit sogar direkt mit eigenen Autos dorthin. Wir werden schikaniert.« Die langen Verzögerungen auf der Reise von Bethlehem nach Jericho sind aus seiner Sicht »gewollt verursacht«.

Im Merkblatt für Deutsche palästinensischer Herkunft heißt es, wer im palästinensischen Bevölkerungsregister eingetragen sei, gelte in Israel nach wie vor als Palästinenser. Dies gelte auch unabhängig vom Geburtsort, wenn ein Elternteil im palästinensischen Bevölkerungsregister verzeichnet gewesen sei. Unter Umständen könne dies auch in anderen Ländern des Nahen Ostens gelten. Auf Anfrage kann das Auswärtige Amt jedoch kein anderes Land außer Israel nennen, in dem deutsche Bürger von staatlichen Stellen nicht als solche behandelt werden. Das Bundeskabinett trete »gegenüber der israelischen Regierung für transparente und angemessene Regelungen zur Einreise in die palästinensischen Gebiete ein«, erfuhr Elsa Rassbach, eine der Organisatorinnen der »Fly In«-Solidaritätsaktion am 8. Juli unter dem Motto »Willkommen in Palästina«, vom Auswärtigen Amt. Ziel sei »eine größere Bewegungs- und Reisefreiheit für deutsche Staatsangehörige bei gleichzeitiger Wahrung legitimer Sicherheitsinteressen«.

* Aus: junge Welt, 26. Juli 2011


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